Der  Wanderer
erzählt von Saddhaloka, deutsch von Horst Gunkel
(c) Copyright by Saddhaloka and Horst Gunkel - letzte Änderungen 2014-02-11

Dies ist die Fortsetzung der Geschichte "Gang in die Hauslosigkeit", die man zuerst gelesen haben sollte.

So verwandelte sich der Prinz Siddharta in Gotama, den wandernden Sadhu, den heiligen Mann, der nun einfach den Familiennamen Gotama trug. Er war den Luxus des Palastlebens gewohnt, und so fand er zunächst das Leben als Wanderer äußerst schwierig. Er hatte immer die besten Leckereien gegessen, Delikatessen von ausgewählten Köchen zubereitet und auf elegantem Geschirr serviert. Nun erbettelte er sich sein erstes Mahl bei einfachen Dorfbewohnern und saß unter einem Baum außerhalb des Dorfes, um es zu verspeisen. Als er das einfache Landessen in seiner Bettelschale sah, alles, was er bekommen hatte miteinander vermengt, musste er würgen und sich erbrechen. Aber er gab nicht auf, und sein Entschluss war so stark, dass er sich bald in dem einfachen, harten Leben zuhause fühlte, so dass er seinen Geist auf sein großes Ziel ausrichten konnte.

Gotama war fortgezogen, um die Wahrheit zu suchen, aber wo sollte er nach ihr Ausschau halten? Bald war ihm klar, dass er nicht der einzige Suchende war. Er war in einer Zeit großer spiritueller Gärung in Indien geboren, und es gab zahlreiche wandernde Sadhus wie er. Sie lebten außerhalb der normalen bürgerlichen Gesellschaft, heimat- und besitzlos, aber dennoch hoch angesehen, und sie wurden von Arm und Reich gleichermaßen unterstützt. Er sagte sich, es müsse doch einen unter ihnen geben, der das bereits gefunden hatte, wonach er suchte. So beschloss er, nach den größten Lehrern seiner Zeit zu suchen.

Als erstes wandte er sich an Meister Alara Kalama, der als die höchste Wirklichkeit das Stadium der Nicht-Dinglichkeit bezeichnete. Gotama wurde sein Schüler und folgte seinen Instruktionen mit Hingabe. Schon bald erreichte er in der Meditation auch das Stadium der Nicht-Dinglichkeit und realisierte dies. Wenn er in solcher Meditation weilte, erfuhr er große Freude und Zufriedenheit, aber sobald er nach der Meditation wieder zum gewöhnlichen Bewusstsein zurückkehrte, musste er zu seiner großen Enttäuschung feststellen, dass die Probleme von Krankheit, Alter und Tod geblieben waren. Er bat Alara Kalama darum, ihm mehr beizubringen, aber der alte Weise hatte nichts weiter anzubieten. Da er aber sah, dass Gotama ein außergewöhnlicher Studierender war, bot Alara Kalama ihm an, die Schule gemeinsam zu leiten und so das Ansehen als einer der größten Meister seiner Zeit zu teilen. Gotama allerdings konnte trotz seines großen Respekts und seiner Dankbarkeit gegenüber seinem Lehrer sich nicht in Ruhe zurücklehnen, ohne die großen Herausforderungen von Krankheit, Alter und Tod gemeistert zu haben, die ihn schließlich zu seiner Suche veranlasst hatten. Also verabschiedete sich Gotama von diesem Meister.

Es gab nur noch einen Meister, der so große Reputation genoss wie Alara Kalama. Sein Name war Uddaka Ramaputta und er lehrte, dass die höchste Realisation in einem Stadium gefunden werden könnte, das „Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung“ hieß. Gotama suchte ihn auf und bat ihn, ihm alles zu lehren, was er wisse. Und wieder studierte und meditierte er mit höchster Hingabe und Ernsthaftigkeit und erreichte so auch dieses Ziel, doch abermals war er nicht zufrieden. Solange er sich in den Vertiefungen der Meditation befand, hatten die Probleme von Alter, Krankheit und Tod keine Bedeutung für ihn, doch sowie die Meditation beendet war, wurde offensichtlich, dass sich ihm der Sinn des Lebens keineswegs erschlossen hatte. Ähnlich wie Alara Kalama erkannte auch Uddaka Ramaputta die außergewöhnlichen spirituellen Fähigkeiten seine Schülers, und er bot ihm sogar die alleinige Leitung seiner Schule an. Doch Gotama sah natürlich, dass dies eine Sackgasse für seine eigene Entwicklung war, und entschloss sich weiterzuziehen.

Es war noch kein Jahr vergangen, dass Gotama von zuhause fortgegangen war. Er hatte bei den größten Meistern seiner Zeit studiert, dort alles realisiert, was in diesen Schulen möglich war, doch erkannt, dass das Entscheidende fehlte. Es gab niemanden mehr, der ihn noch etwas hätte beibringen können. Was blieb ihm übrig?

Unter den Suchenden seiner Zeit waren viele, die dem Pfad der Askese folgten. Diese glaubten daran, dass es möglich sei, jedes sinnliche Verlangen zu überwinden, dass der Körper unterworfen und so der Geist befreit werden könnte und auf diese Weise ein höheres Bewusstsein entstünde. Ihre Methoden waren von unterschiedlichster, phantasievoller Art der harten Askese. Gotama beschloss, diesem Pfad zu folgen, und tat dies mit seiner üblichen Gründlichkeit. Er suchte sich die einsamsten und hässlichsten Plätze aus, auch solche, die von Geistern und wilden Tieren heimgesucht wurden, und er trotzte Furcht und Schrecken. Was auch immer er tat: Wenn Angst sich seiner bemächtigen wollte, wich er keinen Millimeter weit zurück und trotzte allen Gefahren. Wenn er saß, blieb er sitzen, wenn er ging, ging er weiter und wenn er lag, blieb er liegen. So besiegte er allmählich Furcht und Angst.

Er praktizierte extreme Atemtechniken, die es ihm erschienen ließen, als würden Stürme seinen Kopf erfüllen oder als würde sein Schädel durch ein Schwert gespalten oder auch als würde er mit einer Lederschlinge stranguliert. Manchmal fühlte es sich an, als würde ihm ein Metzger die Gedärme herausreißen oder als würde er über glühenden Kohlen geröstet. Er bemühte sich mit eisernem Willen und, obwohl er mental und physisch erschöpft war, erlaubte er den Schmerzen niemals Gewalt über seinen Willen zu erlangen. Er aß immer weniger und weniger, und er magerte zusehens ab. Seine Glieder sahen aus wie Bambusstöcke und sein Gesäß wie ein Kamelhuf. Seine Rippen standen hervor wie die Dachsparren einer verfallenen Scheune, und die Augen lagen tief in ihren Höhlen, so dass es aussah, als würde man in einen tiefen, ausgetrockneten Brunnen sehen, wenn man ihm in die Augen schaute. Wenn er seinen Bauch berührte, konnte er sein Rückgrat fühlen, und wenn er seine Haut rieb, fielen die Harre samt der Wurzeln aus.

Über fünf Jahre lang verfolgte Gotama diesen Pfad der Askese mit einem solchen unermüdlichen Eifer, dass die Leute ihm gegenüber Ehrfurcht und Bewunderung empfanden, wo immer er auftauchte. Sein Ruhm verbreitete sich; er ging weiter als irgendein Asket vor ihm, denn er hatte einen unerschütterlichen Willen. Fünf Jünger folgten ihm auf Schritt und Tritt, denn sie erwarteten, dass er bald den Durchbruch schaffen würde.

Dann, als er am Fluss ein Bad nehmen wollte, fiel er nieder und bemerkte, dass er sich in so einem bejammernswerten Zustand befand, dass er sich kaum noch erheben konnte. Dieses knappe Entrinnen vor dem Tode zeigte ihm, dass er nicht mehr weiter machen könne: ein paar Tage noch, dann wäre er zwar tot, aber seinem Ziel keinen Deut näher. Er befand sich in einer Sackgasse. Als er dies erkannte, verließ er den Pfad der strengen Askese, nahm wieder einfache und gesunde Nahrung zu sich und bemerkte, wie seine Kräfte zurückkehrten. Als seine Anhänger sahen, dass er wieder gewöhnliche Nahrung zu sich nahm, verließen sie ihn, denn sie fühlten sich betrogen, weil er ihrer Meinung nach zu einem Leben im Luxus zurückgekehrt sei. Unbeeindruckt davon überlegte sich Gotama, was er als nächstes tun könne.

Plötzlich stieg in ihm eine Kindheitserinnerung auf. Er erinnerte sich, wie er einst unter einem Rosenapfelbaum saß und seinem Vater zusah, der zur Beginn der Feldarbeitszeit die rituelle erste Pflugfurche zog. Diese Empfindung von spontanem Frieden, Freude und Glück durchflutete ihn und hielt ihn für mehrere Stunden gefangen. In dieser Erfahrung sah er die Möglichkeit für einen Neubeginn.

Fortsetzung in der Geschichte "Erleuchtung".



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Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.