Das reine Land erscheint im Gefängnis
erzählt von Horst Gunkel in Anlehnung an Urgyen Sangharakshita
 letzte Änderungen 2015-01-03

 
Einer der wichtigsten Unterstützer des Buddha war König Bimbisara von Maghada. Dessen Sohn Ajatasattu leitete eine Verschwörung gegen seinen Vater, wobei er vermutlich von Devadatta, der seinerseits dem Buddha nach dem Leben trachtete, unterstützt wurde (vgl. Zwei Attentate auf den Buddha).

So war es nicht nur der Verfall der Sitten, der die Sangha bedrohte, sondern auch Intrigen und Machtspiele, wie wir sie aus der Welt der Politik, der Welt der Gruppen- und Einzelinteressen kennen. Dies wird häufig in Verbindung gebracht mit einer Person, nämlich Devadatta, der sich allmählich zum Gegenspieler des Buddha innerhalb der Sangha entwickelte. Nicht alles, was man sich von Devadatta berichtet, ist unbedingt wörtlich zu nehmen, vielmehr könnte es sein, dass in den ersten Jahrhunderten nach Buddhas Tod diesem in den Erzählungen die Rolle des Schurken zugewiesen wurde. Wie viel von dem Folgenden damit authentisch ist und wie viel spätere Hinzufügungen sind, sei dahingestellt. Eines zeigt diese Geschichte jedoch mit Sicherheit: Dass keine Organisation vor Verfallserscheinungen, vor Gruppenegoismen und vor Einzelinteressen sicher ist. Man kann versuchen, Mechanismen einzubauen, um die gröbsten dieser Erscheinungen zu beschränken. Da jedoch jede Organisation, auch buddhistische Organisationen, in Samsara operieren, passiert all das, was für bedingtes Entstehen typisch ist, auch hier.

Devadatta war vor mehr als 30 Jahren zusammen mit sechs anderen Personen vom Buddha ordiniert worden (vgl. Die Prinzen und der Barbier). Devadatta war sowohl der Schwager als auch ein Vetter des Buddha und dünkte sich über diese familiären Beziehungen näher am Buddha. Er war gut 20 Jahre jünger als der Buddha und sah den körperlichen ebenso wie den autoritativen Verfall des Buddha mit Interesse. Devadatta versuchte mächtige Verbündete zu bekommen, so den ehrgeizigen Kronprinzen Ajatasattu, den Sohn des Königs Bimbisara von Maghada.

Sowohl Devadatta als auch Ajatasattu standen in ihrem Ehrgeiz jeweils eine Person im Wege. Es ist daher nicht verwunderlich, dass diese Beziehung begann, Verschwörungscharakter anzunehmen, und dass die beiden bereit waren, alle Mittel anzuwenden, um zu ihrem Ziel zu kommen, Mord eingeschlossen.

Als erstes handelte Ajatasattu, er schlich mit einem Dolche bewaffnet nachts in das Schlafgemach Bimbisaras, um ihn zu töten. Er war der festen Überzeugung, dass die Leibwächter seines Vaters ihn passieren lassen würden. Am nächsten Tag würde er sich selbst zum König ausrufen, damit wäre er oberster Gerichtsherr und somit von jeder Strafverfolgung ausgeschlossen. Es wird behauptet, Devadatta habe diesen Plan entwickelt. Allerdings wurde Ajatasattu von den Leibwächtern festgehalten, durchsucht und – nachdem man den Dolch sichergestellt hatte – verhört. Ajatasattu gestand alles, auch dass er sich mit Devadatta in einer Verschwörung befunden habe.

Als oberster Gerichtsherr war nun der König aufgefordert, ein Urteil über seinen Sohn zu fällen, denn das ordentliche Gericht erklärte sich in der Frage des Hochverrates vorsichtshalber für nicht zuständig. König Bimbisara also saß über seinen eigenen Sohn zu Gericht. Er entschied sich für eine eigentümliche Strafe. Ajatasattu müsse statt seiner nunmehr König sein und sei vor der Geschichte aufgefordert zu zeigen dass er, Ajatasattu, ein besserer und weiserer Herrscher sei, als es sein Vater je gewesen sei. Damit trat König Bimbisara zurück.

Ajatasattus Bild vor der Geschichte ist bis zum heutigen Tage eindeutig geprägt. Er, dem sein Vater so viel Gnade erwiesen hatte, indem er ihm das Leben ein zweites Mal geschenkt hatte, ging als kaltblütiger, gnadenloser Herrscher in die Geschichte ein. Er versuchte auf höchst unwürdige Weise aus dem Schatten seines Vaters herauszutreten. Ajatasattu ließ seinen Vater in den Kerker werfen und verhungern. Dabei hatte er allerdings nicht mit der Liebe von Bimbisaras Frau, seiner Mutter Vaidehi, gerechnet, denn diese schlich sich immer wieder heimlich zum Kerker, um Bimbisara mit Nahrung zu versorgen. Dies wurde von einem Bediensteten bemerkt, der es dem König Ajatasattu meldete, woraufhin Vaidehi ins Gefängnis gesperrt wurde.

Da sitzt also Vaidehi allein in ihrem Gefängnis, gehasst von ihrem Sohn und nicht mehr in der Lage, ihren Ehemann mit Nahrung zu versorgen. Sie fühlt sich elend. Desillusioniert von ihrer Rolle als Königin und von der Welt insgesamt, wendet sie sich gedanklich von all dem Luxus ihres Lebens ab und konzentriert sich auf den damals etwa siebzigjährigen Buddha, der nur wenige Meilen außerhalb der Stadt auf seinem Lieblingsberg, der Geierspitze, meditierte. Sie macht sogar Niederwerfungen in Richtung des Gipfels. Da plötzlich erscheint der Buddha vor ihr. Sei es nun, dass er ihr physisch im Gefängnis begegnet oder ob es eine Vision ist - wir wissen es nicht. Auf jeden Fall sieht sie ihn vor sich. Wenn wir den Schriften glauben dürfen, erscheint er da vor ihr mit einem goldfarbenen Körper auf einem überdimensionierten Lotus sitzend, der mit Hunderten von Juwelen geschmückt ist. Moggalana sitzt zu seiner Rechten und Ananda zu seiner Linken. Über ihnen befinden sich Schutzgottheiten, die himmlische Blüten herabregnen lassen.

„Oh, Erhabener“, fleht sie ihn an und wirft sich vor ihm nieder, „beschreibt mir einen Ort, an dem es keine Sorge und keine Schwierigkeiten gibt, wo ich wiedergeboren werden könnte. Ich bin am Ende mit diesem Land Indien mit seinen Höllen, seinen hungrigen Geistern und all der Brutalität. Ich möchte niemanden dieser Verrückten wiedersehen. Ich bitte dich, erhabener Buddha, instruiert mich, wie ich von einer Welt meditieren kann, in der alles Handeln rein ist.“

Aufgrund seiner magischen Fähigkeiten zeigt der Buddha Vaidehi einige Reine Länder, Welten in denen es kein Leiden gibt. Vaidehi entschied sich, im Lande Sukhavati, dem Land des Buddha Amitabha in Westen, wiedergeboren zu werden. Der Buddha unterwies sie alsdann, was sie unternehmen müsste, um das zu erreichen. Sie müsse mit Körper, Rede und Geist zu den drei Juwelen Zuflucht nehmen und sie müsse die zehn Silas (ethische Vorsätze) aufnehmen. Außerdem solle sie die Visualisierungspraxis des Buddhas des Ewigen Lebens, Amitabha, praktizieren, woraufhin der Buddha sie in diese sechzehnstufige Meditationspraxis einwies.

In der ersten Stufe konzentriert man sich auf die rote Scheibe der untergehenden Sonne. Alsdann visualisiert man einen tiefblauen Hintergrund in der Farbe von Lapislazuli, der sich in alle Richtungen unendlich weit erstreckt, durchzogen von einem Netz goldener Schnüre. Aus diesem Netzwerk erwachsen dann Juwelenbäume, Seen aus Juwelen und Lotusse aus Juwelen. Nach eine Reihe ähnlicher juwelendominierter Bilder sieht man den Buddha Amitabha selbst, den Buddha des Unendlichen Lichts in der Begleitung von Avalokitesvara, dem Mitgefühlsaspekt und Manjusri, dem Weisheitsaspekt der Buddhaschaft.

Auf diese Weise würde Vaidehi es erreichen, im Lande Sukhavati wiedergeboren zu werden, wo sie zu Füßen Amitabhas sitzt und nichts weiter zu tun hat, als seinen Lehren zu lauschen und darüber zu meditieren.



Das, was hier geschah, ist augenscheinlich nicht auf unserer Sprachebene und wir benötigen daher eine Übersetzung.

Die Geschichte ist offensichtlich zweigeteilt. Der erste Teil ist historische Realität. Prinz Ajatasattu hat seinen Vater, den rechtmäßigen König Bimbisara, eingekerkert und auch seine Mutter, Vaidehi, ins Gefängnis geworfen, weil sie versuchte, Bimbisara vor dem Hungertod zu bewahren. Soweit die Geschichte, die so oder ähnlich in Hunderten von Fällen in Königs- oder Fürstenhäusern stattgefunden hat.

Der Rest der Geschichte erscheint uns unwirklich oder bestenfalls einem Wunschtraum der Vaidehi zu entspringen. Das Land Sukhavati scheint ein buddhistisches Utopia zu sein. Allerdings haben Utopien in der Geschichte immer eine höchst positive Wirkung gehabt, denn sie haben Menschen beflügelt, ebendiese Utopien umzusetzen, eine bessere Welt zu bauen. Und genau dafür steht die Geschichte in den Augen von Urgyen Sangharakshita, dem Gründer und Lehrer der Buddhistischen Gemeinschaft Triratna.

Sukhavati ist nicht ein Land, in dem wir nach unserem physischen Tod wiedergeboren werden können. Der Buddha vertröstet uns nicht auf ein Leben nach dem Tode, den Sankt Nimmerleinstag. Im Buddhismus können wir an unserer Erlösung selber arbeiten. Das Entscheidende ist dabei, den Weg zu gehen, den der Buddha aufgezeigt hat.

Wir haben es in der Hand, das Land Sukhavati zu schaffen. Sangharakshita hat 1967 die Buddhistischen Gemeinschaft Triratna gegründet und ein Jahr später die ersten Menschen in den Triratna-Orden ordiniert – mit keinem geringeren Ziel, als das Land Sukhavati aufzubauen. Das ist kein Land mit Staatsgrenzen und einer Regierung und womöglich einem stehenden Heer. Nein, das Land Sukhavati entsteht inmitten dieser Welt, in den bestehenden Staaten. Es soll überall dort blühen und gedeihen, wo es die Triratna gibt. In jedem Jahr entstehen in dieser Welt neue Zentren, neue Freundesgruppen, neue Sukhavati-WGs und neue Betriebe Rechten Lebenserwerbs. Sangharakshita sagt dazu: „Jedes Zentrum der Bewegung, die ich gegründet habe, hat kein geringeres Ziel, als der Nukleus einer neuen Gesellschaft zu sein.“

Diese neue Gesellschaft hat den Zweck, den Leuten zu helfen, sich als Menschen fortzuentwickeln. Triratna kann Leuten diese ihre ureigenste Entwicklungsarbeit nicht abnehmen, aber die Buddhistische Gemeinschaft Triratna kann ihnen Einrichtungen, Gelegenheiten und ein ermutigendes Umfeld ebenso bieten, wie einen sozialen und spirituellen Kontext menschlichen Miteinanders, in dem es leichter ist, sich als Mensch fortzuentwickeln.

Es ist dabei nötig, diese neue Gesellschaft in der bestehenden alten zu entwickeln, denn die heute bestehende Gesellschaftsordnung kann nicht in dieser Weise arbeiten, weil die meisten Mitglieder dieser Gesellschaft nicht an menschlicher Entwicklung interessiert sind. Wie aber soll diese neue Gesellschaft funktionieren? Ganz wichtig ist ein Kern von Menschen, der bereit ist, sich zu entwickeln, den Pfad der Erleuchtung zu beschreiten. Diese Individuen sind die spirituelle Gemeinschaft innerhalb der Bewegung. Allerdings werden nicht alle, die sich der Bewegung anschließen, diese Bemühungen auf sich nehmen. Daher besteht die Bewegung aus zwei Teilen, zwei Ebenen: die wirkliche spirituelle Gemeinschaft (der Orden) einerseits, die für alle offen ist, die sich als Individuen so weit entwickelt haben, dass sie ein wirkliches Bekenntnis zum Pfad der Erleuchtung abgeben. Andererseits gibt es um diesen Kern der Bewegung herum eine positive Gruppe, die allen offen steht, die sich an den Aktivitäten beteiligen möchten.

Sangharakshita: „Alle Aktivitäten dieser Bewegung dienen einzig und allein einem Ziel: Leuten zu helfen sich als Individuen zu entwickeln. Es war niemals unser Ziel eine Organisation im gewöhnlichen Sinn aufzubauen, wie dies bei einige zeitgenössischen buddhistischen Sekten Japans der Fall ist. Es ist nicht unser Ziel mit Flaggen durch die Straßen Londons zu ziehen und die Royal Albert Hall einzunehmen oder als sich nur selbst dienender Organisation zu enden. Die Präsenz der spirituellen Gemeinschaft im Zentrum der buddhistischen positiven Gruppe ist Garant dafür, dass das nicht geschieht.(...) So klein die Entwicklung bisher auch ist: wir bilden den Nukleus einer „neuen Gesellschaft“. Wir haben eine Gesellschaft initiiert, in der die Idee, dass einer die Position oder die Ansichten der anderen vertreten kann oder eine spezielle Autorität auf Basis seiner Position hat oder versucht auf jemand anderen Druck auszuüben, absurd ist. In dieser Gesellschaft gibt es nur Platz für Individuen die in freier Assoziation miteinander leben, inspiriert von den Prinzipien tiefen Mitgefühls und transzendenter Weisheit, über dem das Prinzip von Bodhicitta, dem Willen zur Erleuchtung zum Wohl aller Wesen, steht.“

Das ist die wahre Vision, die Vaidehi, inspiriert vom Buddha, hatte: das reine Land Sukhavati.



Zur Heimatseite
Zur Übersicht Meditation und Dharma
Zur Übersicht Buddhistische Geschichten
Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.