Die Prinzen und der Barbier
erzählt von Saddhaloka, deutsch von Horst Gunkel
(c) Copyright by Saddhaloka and Horst Gunkel - letzte Änderungen 2015-02-05

Als der Buddha erstmals nach seiner Erleuchtung wieder in Sakya, seinem Heimatland, eintraf, waren die Leute ihm gegenüber von höchster Zurückhaltung. Entweder sie begegneten ihm mit steifer Förmlichkeit oder sie zeigten sogar offene Ablehnung.

Es dauerte allerdings nicht lange, bis sich diese anfängliche Reserviertheit legte, denn die Menschen waren beeindruckt durch die Positivität, die er ausstrahlte und durch die profunde Weisheit seiner Worte. Bald schon sammelten sie sich, um ihn und seinen Lehren zu lauschen oder auch nur um den Frieden zu genießen, den sie empfanden, wenn sie in seiner Gegenwart meditierten. Viele wurden seine Schüler.

Nicht nur aus seiner eigenen früheren Großfamilie, den Gotamas, schlossen sich die Menschen ihm an, sondern von allen noblen Familien Sakyas entschlossen sich junge Männer, ihr privilegiertes Leben aufzugeben, um sich den heimatlosen Wanderern des Buddha anzuschließen.

Als der Buddha sich dann entschloss, die Hauptstadt Kapilavatthu zu verlassen und weiterzuziehen, verließ er die Stadt begleitet mit von vielen junger Edelmänner, die nun in einfache Mönchsroben gekleidet waren und Bettelstab und Bettelschale bei sich trugen. Die Stadt fühlte sich merkwürdig leer an, nach dem diese jungen Hoffnungsträger die Stadt verlassen hatten, und man merkte, dass das Leben in Sakya nie mehr so sein würde, wie es zuvor war.

Kurz nach der Abreise des Buddha saß ein Sakya-Prinz namens Mahanama im Garten seines Palais. Er dachte darüber nach, dass bislang niemand aus seiner Familie das heimatlose Leben als Schüler des Buddha aufgenommen hatte, während von fast jeder anderen edlen Familie zumindest ein junger Mann Mönch geworden war. Er suchte seinen jüngeren Bruder Anuruddha auf, nahm ihm beim Arm und führte ihn in eine ruhige Ecke des Gartens, denn er wollte mit ihm ein sehr wichtiges Thema erörtern. Mahanama teilte Anuruddha seine Überlegungen mit. Mahanama hatte Frau und Kinder, außerdem musste er sich als Ältester um seine verwitwete Mutter kümmern, Anuruddha aber war alleinstehend und hatte nur wenige Verpflichtungen. Mahanama schlug deshalb vor, dass Anuruddha sehr ernsthaft erwägen möge, sich dem Buddha anzuschließen.

Nun war Anuruddha ein recht eleganter junger Mann, der bislang ein ebenso vergnügliches wie behütetes Leben geführt hatte, und demgemäß stand er der Idee seines Bruders anfangs alles andere als aufgeschlossen gegenüber. Doch Mahanama argumentierte ebenso beharrlich wie überzeugend, indem er seinem Bruder verdeutlichte, welche Bürde und welche nicht enden wollende Verpflichtungen und Arbeiten das Leben eines Familienvaters mit sich brächten, und Anuruddha wurde allmählich überzeugt. Schließlich war er völlig überzeugt, dass es nur möglich wäre, jemals wirkliches Glück zu finden, wenn er seinem bisherigen Leben entsagte und dem Buddha folgen würde.

Also ging Anuruddha zu seiner Mutter um ihre Erlaubnis einzuholen, damit er fortziehen und sich dem Buddha anschließen konnte. Diese wollte davon zunächst überhaupt nichts wissen. Jetzt war es an der Zeit, dass Anuruddha beharrlich und überzeugend argumentierte. Schließlich willigte seine Mutter ein: „Nun gut, mein lieber Anuruddha, nun gut. Du sollst deinen Willen haben, jedoch nur unter einer Bedingung: wenn dein Freund Bhaddiya mitzieht, so kannst auch du nicht fortziehen."

Bhaddiya, Anuruddhas bester Freund, war ein Prinz und einer der gewählten Führer der Shakyas. Anuruddhas Mutter ging davon aus, dass ein solcher in der Politik stehender Mann keinerlei Gedanken daran verschwenden würde, das spirituelle Leben aufzunehmen, und daher war sie völlig zuversichtlich, dass sich damit die Pläne ihres Sohnes zerschlügen.

Anuruddha allerdings sah die Sache ganz anders. Er begab sich schnurstracks zu seinem Freund. Sobald er ihn sah, ergriff Anuruddha Bhaddiyas Hände und erklärte feierlich: „Meine Zukunft liegt in deinen Händen.“ Bhaddiya war überrascht von der Dringlichkeit von Anuruddhas Worten und der Stärke der Gefühle, die er dahinter erkannte. Ohne nachzudenken sprudelte es aus ihm heraus: „Ich werde deinen Fortzug nicht behindern. Du und ich werden…“ Doch dann bemerkte er, was er da im Begriff war zu sagen, er unterbrach sich abrupt und nahm einen Kurswechsel vor: "Selbstverständlich musst du gehen, wenn dies dein fester Entschluss ist.“

„Lass uns zusammen gehen“, antwortete Anuruddha.

„Ich kann nicht wegziehen, das weißt du. Die Shakyas haben mich in den Rat gewählt. Ich will alles andere für dich tun, aber das kann ich nicht. Zieh du, wohin du willst.“

„Meine Mutter hat gesagt, ich darf nur ziehen, wenn du dies auch tust. Du hast ganz klar gesagt, du würdest meinen Fortzug nicht behindern, also lass uns gemeinsam dem Buddha folgen.“

Die Shakyas waren bekannt dafür, ein einmal gegebenes Wort unter keinen Umständen zu brechen; Bhaddiya war da keine Ausnahme. Er hatte gesagt, er würde seinen Freund nicht daran hindern, in die Hauslosigkeit zu ziehen. Nun war es eine Frage seiner Ehre, sich an sein Wort zu halten. Er fand sich in einer sehr schwierigen Lage und machte einen Kompromissvorschlag.

„In Ordnung“, sagte er, „lass uns sieben Jahre warten, dann werden wir zusammen losziehen.“

„Das ist viel zu lang.“

„Na, dann eben sechs Jahre.“

Aber auch dies war Anuruddha bei weitem zu lange. Bhaddiya machte weitere Vorschläge: fünf Jahre, vier, drei, zwei, schließlich ein einziges Jahr, doch immer protestierte Anuruddha, so lange könne er nicht warten.

„Sieben Monate … zwei Monate … zwei Wochen.“

Aber auch das war Anuruddha zu lang.

„Sieben Tage. Gib mir sieben Tage um meine Pflichten an meine Kinder und meine Brüder zu übergeben, dann werden wir zusammen wegziehen.“ Anuruddha stimmte zu, sieben Tage zu warten.

Nach sieben Tagen gingen Bhaddiya und Anuruddha zusammen mit vier weiteren Prinzen, denen sie unter dem Siegel der Verschwiegenheit ihren Plan wegzugehen anvertraut hatten, von Kapilavatthu an der Spitze einer Kompanie Soldaten weg. Die anderen vier, die sich entschlossen hatten, sich ihnen anzuschließen, waren Ananda, Bhagu, Kimbila und Devadatta. Der Anblick der Prinzen an der Spitze der Truppen auf dem Weg zu einem Manöver war für die Einwohner Shakyas ein gewohnter Anblick. Dies bedeutete nichts anderes, als dass das Leben seinen normalen Gang ging. Als sie ein ganzes Stück von der Hauptstadt entfernt waren, stoppten sie den Fußmarsch. Sie befahlen den Soldaten kehrt zu machen und nach Kapilavatthu zurückzumarschieren. Einzig einen Diener, den Barbier Upali, nahmen sie mit. Sie reisten weiter, bis sie den Grenzfluss des Shakya-Gebietes erreichten.

Dort entledigten sich die Prinzen ihrer königlichen Insignien und rollten sie in einen Mantel ein. Sie übergaben den Mantel Upali und trugen ihm auf, ihn nach Kapilavatthu zurückzubringen und den Bürgern von Shakya zu sagen, dass sie sich entschlossen hätten, in die Hauslosigkeit zu ziehen und sich dem Buddha anzuschließen. Dann verabschiedeten sie sich vom Barbier und wechselten über in das benachbarte Königreich. Upali war höchst erstaunt über die plötzliche Wende der Dinge, doch – da er Gehorsam gewöhnt war – schulterte er das Bündel und ging gemäß den Weisungen der Prinzen in Richtung Kapilavahttu. Als er so ging, dachte er über die unerwarteten Geschehnisse nach.

„Die Shakyer sind ein unbändiges Volk“, dachte er. „Wenn sie herausfinden, was vorgefallen ist, kann es sein, dass sie mich töten, weil ich den Prinzen zur Flucht verholfen habe. Ich wäre besser dran, wenn ich mich ihnen anschlösse.“

Kaum hatte er dies überlegt, hängte er die königlichen Insignien an den Ast eines Baumes, machte kehrt und eilte den Prinzen nach. Er holte sie ein, und sie begrüßten seinen Entschluss mit warmem Lächeln.

Gemeinsam zogen sie weiter auf der Suche nach dem Buddha. Wo immer dieser entlang gekommen war, war er das zentrale Gesprächsthema der Menschen, und so war es nicht schwer, auf seiner Fährte zu bleiben. Als sie ihn schließlich eingeholt hatten, baten die sechs Prinzen und der Barbier um Aufnahme in den Orden und wurden als Schüler abgenommen. Als der Buddha ihrem Aufnahmeantrag zustimmte, hatten die Prinzen eine weitere Bitte: sie wollten, dass Upali zuerst ordiniert würde. Der Buddha lächelte. Er verstand sehr gut die Bedeutung ihrer Bitte, also ordinierte er Upali zuerst und danach die sechs Prinzen.

Upali war bislang der Diener der Prinzen, doch da die später Ordinierten gegenüber den Älteren Respekt zeigen müssen, wäre es für ihren ungezügelten Shakya-Stolz nur gut, wenn sie künftig zu dem Barbier aufblicken müssen.



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Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.