Der Buddha war inzwischen etwa 70 Jahre alt, das heißt es war etwa das Jahr 490 v. u. Z. Infolge der strengen Askese, die der Buddha in jungen Jahren - vor seiner Erleuchtung – betrieben hatte, erfreute er sich leider nicht bester Gesundheit. Sein Körper war geschwächt und häufig litt er an Kreuzschmerzen. Einladungen zu Eröffnungsveranstaltungen von staatlicher oder privater Seite, die der Buddha erhielt, wurden ihm zunehmend lästig, und es geschah inzwischen nicht selten, dass der Buddha Lehrvorträge, die er abhalten sollte, nicht abhielt oder wegen Rückenschmerzen abbrach und sie von seinen wichtigsten Jüngern, etwa Sariputra oder Moggallana, zu Ende vortragen ließ. Einer der Personen, die ihn bei solchen Gelegenheiten vertraten war auch Mahakassapa, mit dem der Buddha das folgende Gespräch führte.„Es ist gut Kassapa, dass du mich gestern Abend vertreten hast, mein Körper ist verschlissen und schmerzt, ich fühle mich wie ein alter Karren, der nur noch von Stricken zusammengehalten wird.“
„Gerne werde ich euch vertreten, Erhabener, wann immer ihr dies wünscht und mir dies möglich ist.“
„Ich fürchte allerdings, Kassapa, es wird nicht immer und überall möglich sein. Es scheint mir, dass auch du, ebenso wie ich, geringeren Einfluss auf die jüngeren Mönche hast als dies früher der Fall war.“
„Ihr habt recht, Erhabener, auch mir ist aufgefallen, das es früher genügte, wenn ihr euch in einer bestimmten Weise verhalten habt, die Mönche haben sich dann bemüht dem nachzueifern. Nicht einmal grundlegende Regeln waren damals nötig, die Mönche bemühten sich mit höchstmöglicher Achtsamkeit.“
„Genau so ist es, Kassapa, heute genügen jedoch nicht mehr die grundlegenden zehn Regeln für Mönche, nein, ich habe inzwischen 300 Vorschriften erlassen müssen, denn gar groß ist die Dummheit vieler Mönche.“
„Ebenso ist es mit dem Lebenswandel, Erhabener. Vor 20, 30 Jahren lebten die meisten Mönche zurückgezogen als Waldeinsiedler, haben sich in Roben aus Stofffetzen gekleidet und nur vom Almosensammeln ernährt. Heute nehmen viele Einladungen zu Mahlzeiten an. Meines Erachtens, Erhabener, fehlt es einem großen Teil der jungen Mönche an vier Tugenden. Ihnen fehlt es an sraddha (an gläubigem Vertrauen), es fehlt an nibbida (Zurückhaltung), an vayama (Eifer) und an drsti (Einsicht).“
„Kassapa, ich stimme dir vollkommen zu, all dies sind Zeichen des Rückschrittes, des Verfalls, auf diese Weise wird der Dharma unvollkommen praktiziert. So werden immer weniger Menschen zur Erleuchtung kommen, auch das Ziel des Stromeintritts wird damit für die meisten Mönche unerreichbar.“
Aber es war nicht nur der Verfall der Sitten, der die Sangha bedrohte, sondern auch Intrigen und Machtspiele, wie wir sie aus der Welt der Politik, der Welt der Gruppen- und Einzelinteressen kennen. Dies wird häufig in Verbindung gebracht mit einer Person, nämlich Devadatta, der sich allmählich zum Gegenspieler des Buddha innerhalb der Sangha entwickelte. Nicht alles, was man sich von Devadatta berichtet, ist unbedingt wörtlich zu nehmen, vielmehr könnte es sein, dass in den ersten Jahrhunderten nach Buddhas Tod diesem in den Erzählungen die Rolle des Schurken zugewiesen wurde. Wie viel von dem Folgenden damit authentisch ist und wie viel spätere Hinzufügungen sind, sei dahingestellt. Eines zeigt diese Geschichte jedoch mit Sicherheit: Dass keine Organisation vor Verfallserscheinungen, vor Gruppenegoismen und vor Einzelinteressen sicher ist. Man kann versuchen Mechanismen einzubauen, die gröbsten dieser Erscheinungen zu beschränken. Da jedoch jede Organisation, auch buddhistische Organisationen, in Samsara operieren, passiert all das, was für bedingtes Entstehen typisch ist, auch hier.
Devadatta war vor mehr als 30 Jahren zusammen mit sechs anderen Personen vom Buddha ordiniert worden (Vergleiche „Die Prinzen und der Barbier“). Devadatta war sowohl der Schwager als auch ein Vetter des Buddha und dünkte sich über diese familiären Beziehungen näher am Buddha. Er war gut 20 Jahre jünger als der Buddha und sah den körperlichen ebenso wie den autoritativen Verfall des Buddha mit Interesse. Devadatta versuchte mächtige Verbündete zu bekommen, so den ehrgeizigen Kronprinzen Ajatasattu, den Sohn des Königs Bimbisara von Maghada.
Moggallana, der über große magische und intuitive Fähigkeiten verfügte, warnte den Buddha vor dieser Allianz, aber der Buddha wiegelte ab: „Es ist richtig, Devadatta ist sehr ehrgeizig. Aber was soll dabei herauskommen? Es ist wie überall. Die ehrgeizigste Pflanze ist die Bananenpflanze: sie trägt die größten Fruchtstauden. Und was kommt dabei heraus? Sind die Früchte reif, so stirbt die Bananenstaude, die sich übernommen hat, ab. Ebenso wird es mit Devadatta sein.“
Allerdings muss man Devadatta zugute halten, dass er sein Ziel, die Sangha statt des Buddha anzuführen, nicht nur mit Intrigen verfolgte, sondern offensiv zu diesem Ziel stand. So legte der Buddha eines Tages unter sichtbar großen Schmerzen die Lehre einer großen Versammlung dar, auch König Bimbisara war darunter. Da erhob sich Devadatta, als der Buddha eine schmerzbedingte Pause einlegte, verbeugte sich vor ihm und sprach: „Meister, ihr seid alt, ein Greis, beschwerlich ist euer Leben, es macht euch Mühe solche Versammlungen zu leiten. Zieht euch zurück und lebt in Ruhe, bescheidet euch darin, den Dharma entdeckt und verkündet zu haben. Es ist nicht länger nötig, dass ihr den Mönchsorden führt, ich bin bereit diese Aufgabe zu übernehmen.“
Der Buddha lehnte dieses Ansinnen rundweg ab, jedoch ließ Devadatta nicht locker. Jetzt oder nie dachte er sich. Er forderte den Buddha ein zweites und ein drittes Mal mit unterschiedlichen Argumenten auf, ihm die Leitung der Sangha zu übertragen, bis der Buddha schließlich sehr deutlich wurde:
„Ja, Devadatta, ich bin alt. Aber nicht einmal so vollkommenen Jüngern wie Sariputra oder Moggallana würde ich die Leitung des Mönchsordens übergeben. Einem wie dir, der Intrigen mit dem Sohn des Königs gegen den König schmiedet, schon gar nicht.“
Diese sehr heftige Erklärung des Buddha führte nicht nur dazu, dass Devadatta augenblicklich den Platz verließ, er fühlte sich vielmehr in der Öffentlichkeit bloßgestellt. Der Buddha hatte sich einen Mönch zum Feind gemacht.
Der Buddha wusste allerdings sehr genau, dass die Sache damit nicht ausgestanden war und daher berief er eine Versammlung des Ordenskapitels ein, um Devadatta das Misstrauen auszusprechen. Sariputras Aufgabe war es, öffentlich zu verkünden, dass Devadatta, wo immer er auftrete, nicht im Namen der Sangha sprechen könne.
Sowohl Devadatta als auch Ajatasattu standen in ihrem Ehrgeiz jeweils eine Person im Wege. Es ist daher nicht verwunderlich, dass diese Beziehung begann Verschwörungscharakter anzunehmen und dass die beiden bereit waren, alle Mittel anzuwenden, um zu ihrem Ziel zu kommen, Mord eingeschlossen.
Als erstes handelte Ajatasattu, er schlich mit einem Dolche bewaffnet des nachts in das Schlafgemach Bimbisaras um ihn zu töten. Er war der festen Überzeugung, das die Leibwächter seines Vaters ihn passieren ließen. Am nächsten Tag würde er sich selbst zum König ausrufen, damit wäre er oberster Gerichtsherr und somit von jeder Strafverfolgung ausgeschlossen. Es wird behauptet, Devadatta habe diesen Plan entwickelt. Allerdings wurde er von den Leibwächter festgehalten, durchsucht und – nachdem man den Dolch sichergestellt hatte – verhört. Ajatasattu gestand alles, auch dass er sich mit Devadatta in einer Verschwörung befunden habe.
Als oberster Gerichtsherr war nun der König aufgefordert ein Urteil über seinen Sohn zu fällen, denn das ordentliche Gericht erklärte sich in der Frage des Hochverrates vorsichtshalber für nicht zuständig. König Bimbisara also saß über seinen eigenen Sohn zu Gericht. Er entschied sich für eine eigentümliche Strafe. Ajatasattu müsse statt seiner nunmehr König sein und sei vor der Geschichte aufgefordert zu zeigen dass er, Ajatasattu, ein besserer und weiserer Herrscher sei, als es sein Vater je gewesen sei. Damit trat König Bimbisara zurück.
Ajatasattus Bild vor der Geschichte ist bis zum heutigen Tage eindeutig geprägt. Er, dem sein Vater so viel Gnade erwiesen hatte und das Leben ein zweites Mal geschenkt hatte, ging als kaltblütiger, gnadenloser Herrscher in die Geschichte ein. Er versuchte auf höchst unwürdige Weise aus dem Schatten seines Vaters herauszutreten. Ajatasattu ließ seinen Vater in den Kerker werfen und verhungern.
So war der König beseitigt, Ajatasattu hatte sein Ziel erreicht, Devadatta nicht. Es heißt nun hätten sich Devadatta und Ajatasattu einen Plan ausgedacht, den Buddha zu beseitigen. Ein Soldat solle den Buddha mit einem Schwert enthaupten. Zwei andere Soldaten wurden damit beauftragt, diesen Soldaten zu töten, damit die Verantwortung für das Attentat verschleiert bliebe. Weitere Soldaten würden dann diese im Auftrag des Königs umbringen und auf diese Weise die Ursache des Gemetzels zu verdecken.
Der erste Soldat, der den Mordauftrag erhalten hatte, ging ängstlich auf den Buddha zu. Dieser sah die Bewaffnung und die Angst des Soldaten und rief ihn lächelnd an: „Komm näher, mein Freund, fürchte dich nicht. Deine Lage ist nicht ausweglos. Du kannst einfach darauf verzichten, mich zu töten.“ Da fiel der Soldat weinend auf die Knie und bat den Buddha um Verzeihung. Dieser riet ihm, nicht zu seiner Einheit zurückzukehren, wenn ihm sein Leben lieb sei. So rettete der Buddha das Leben des Soldaten.
Ein zweites Attentat, dessen Urheber ebenfalls Devadatta gewesen sein soll, übergehe ich, denn dass der Buddha in einem für Steinschlag bekannten Gebiet von einem Steinschlag getroffen und nur leicht verletzt wurde, hat vermutlich keine verschwörerischen Hintergründe gehabt.
Zu einem dritten Attentat soll es in der Stadt Rajagaha gekommen sein. Devadatta hatte dort einen Freund, der Elefantenführer war. Eines Tages erzählte dieser – so wird behauptet – Devadatta, dass sein mächtigster Arbeitselefant, Nalagiri, einmal einen Menschen getötet hatte, weil er in Panik geraten sei. Er könne deshalb nicht mehr mit Nalagiri in enge Gassen gehen, dort könne sich der Elefant nicht umdrehen und wenn er ein Feuer hinter sich fürchte, gerate er in Panik. Devadatta bestach den Elefantenführer, ihm Nalagiri auszuleihen. Es kommt zu dem, was kommen muss. Als der Buddha auf Almosengang in eine enge Gasse geht, veranlasst Devadatta den Elefanten dem Buddha entgegen zugehen und wahrscheinlich senkt er mit einer Fackel den Schwanz des Elefanten an, worauf dieser in Panik gerät und mit erhobenem Rüssel, die Stoßzähne nach vorn auf den Buddha zurennt. Der Buddha ist sich der Gefahr bewusst. Aber der Buddha hat lange in der Wildnis gelebt. Damals hatte er oft Angst vor wilden Tieren, aber er meisterte sie. Und er hatte auch gehört, wie Elefantenmütter die Jungtiere anriefen, wenn diese in Panik kamen. Diesen Schrei imitierte der Buddha und der Elefant blieb verdutzt stehen. Dann entfaltete der Buddha Metta – universelle Güte – ging auf den Elefanten zu, streichelte seinen Rüssel, sprach ruhig auf ihn ein.
Der Elefant ließ sich anstandslos in seinen Stall führen.