Buddhas Sohn Rahula
eine Geschichte aus dem Pali-Kanon, den ältesten buddhistischen Schriften
erzählt von Horst Gunkel
(c) Copyright Horst Gunkel - letzte Änderungen 2015-01-27
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Als Prinz Siddharta, der spätere Buddha, im Alter von etwa 28 Jahren in die Hauslosigkeit ging, ließ er seine Frau und sein Baby, ein Kind mit Namen Rahula, zurück (vgl. Gang in die Hauslosigkeit). Sieben Jahre später, nach seiner Erleuchtung, kehrte der Buddha als Bettelmönch erstmals wieder in seine Heimatstadt Kapilavattu, die Hauptstadt des Kleinstaates Shakya, zurück. Zunächst waren die Bewohner, insbesondere die Oberschicht, ihm gegenüber sehr reserviert, hatte er sich doch außerhalb der etablierten Gesellschaft gestellt. Andererseits gab es viele Sadhus, viele der heiligen Männer Indiens, die durch die Gegend zogen, ihre Almosenspeise erbettelten und den Menschen ihre philosophischen Erkenntnisse vortrugen. Diese Sadhus waren nicht nur respektiert, sondern teilweise sehr hoch angesehen, je nachdem, wie die Bevölkerung ihre philosophischen Erkenntnisse einschätze. So erhielt auch der Buddha seine Almosenspeise und auch ihm lauschten die Menschen.

Er beeindruckte die meisten Bewohner von Kapilavattu weit mehr als irgendein anderer Sadhu, denn er überzeugte durch die Klarheit seiner Lehre, die eine tiefgründige Weisheit ausstrahlte, ebenso wie durch die Wärme und die Güte, die er mit jeder Handlung, mit jedem Wort, mit jeder Geste ausdrückte. Schon bald baten Leute, als seine Laienanhängerinnen und Laienanhänger akzeptiert zu werden. Das sind Personen, die sich zwar nicht in die Hauslosigkeit begeben, also nicht Besitz und Familie hinter sich lassen, aber den Buddha als ihren spirituellen Lehrer ansahen. Wir würden heute sagen, sie bekannten sich zum „Buddhismus“. (Das Wort „Buddhismus“ ist eine westliche Erfindung des 19. Jahrhunderts.) Einzelne Männer aus gutem Hause entschlossen sich sogar bereits, dem Buddha zu folgen und als Mönche ordiniert zu werden.

Als die Nachricht, dass der ehemalige Prinz Siddharta als Bettelmönch in der Stadt sei, den Palast erreichte, war König Suddhodana (eigentlich war er kein König, sondern als Raja auf Lebenszeit gewählter Staatschef) außer sich. Sein einziger Sohn ein Bettler – in Lumpen gekleidet! Einst hatte er gehofft, aus Siddharta den nächsten Raja von Shakya zu machen - und jetzt das!

Suddhodana war einerseits entrüstet, andererseits aber auch liebender Vater. So eilte er sofort aus dem Palast auf die Straße, um seinen Sohn zu suchen. Als die Menschen sahen, dass ihr Raja ziemlich aufgelöst und in Hauskleidung die Straße entlang lief, wollten sie ihm helfen, denn sie wussten sehr genau, was den Vater umtrieb. Wenn er in eilendem Schritt ratlos an den Leuten vorbeieilte, wiesen diese mit dem Finger in eine Richtung, in die Richtung, wo der Buddha zuletzt gesehen worden war. Und der Raja folgte diesen Fingerzeigen.

Am Stadtrand endlich sah der Vater eine Bettelmönch, der mit gefüllter Almosenschale gerade die Stadt verließ. Dieser Mönch, den er nur von hinten sehen konnte, strahlte mit jedem Schritt, mit jeder Bewegung eine Würde aus, die nur wenige Könige hatten – kein Zweifel, das war sein Sohn Siddharta. Aber gleichzeitig entstand in Suddhodana auch Wut – Wut über den Aufzug, in dem er seinen Sohn sah: barfüßig auf der steinigen Straße, in einer groben Flachsrobe, bedeckt vom Staub der Landstraße.

„Siddharta,“ rief er, „mein Sohn, warum läufst du wie ein Bettler herum? Du kannst in den Palast kommen und speisen, wie es deiner würdig ist, und dich kleiden, wie es sich für einen Prinzen gebührt. Kehre zurück! Du hast doch gefunden, was du gesucht hast, man sagt du habest die höchste Erleuchtung erreicht. Jetzt komme zurück und übernimm einen Teil der Staatsgeschäfte, wie es sich für einen Mann deiner edlen Abstammung und mit deinen großen Fähigkeiten gebührt!“

Der Buddha hatte sich umgewandt als er seinen früheren Namen gehört hatte. Er blickte seinen Erzeuger mit gütigem aber festen Blick an. Alt geworden war Suddhodana in den wenigen Jahren, und er schien tatsächlich zu glauben, ein Buddha würde in einen Palast zurückkehren und Staatsgeschäfte erledigen können, als gäbe es nicht ungleich Wichtigeres zu tun!

„Seid gegrüßet, König Suddhodana“, antwortete der Buddha, „es freut mich, euch bei guter Gesundheit zu sehen. In der Tat gehören große spirituelle Fähigkeiten dazu, zum vollkommenen Erwachen zu kommen; über meine edle Abstammung aber gehen unsere Ansichten deutlich auseinander. Ihr scheint dies auf die körperliche Abstammung zu beziehen. Ich aber habe eine weitaus höhere Abstammung geistiger Natur. Ich teile den Geist aller Buddhas vergangener Zeiten. Ich bin in ihre Nachfolge eingetreten, dies ist meine EDLE Abstammung. So wie ihr königlicher Abstammung seid, Suddhodana, und daher redet und handelt, wie es ich für einen Raja gebührt, so bin ich in spiritueller Abstammung früherer Buddhas, so rede und handle ich wie ein Buddha. Ein König herrscht, befiehlt und führt Krieg. Ein Buddha hingegen meditiert, lehrt und führt die Menschen zum Frieden! - Der Friede sei mit Euch, König Suddhodana.“

Dann setzte der Buddha seinen weg fort, um in Ruhe seine Almosenspeise verzehren zu können. König Suddhodana aber ging nachdenklich zurück in seinen Palast.

Dort hatte auch Yasodara, die ehemalige Ehefrau Siddhartas, von der Anwesenheit des Buddha gehört. Sie war früher davon ausgegangen, dass auch ihr Mann, wie sein Vater, vom großen Rat zum König auf Lebenszeit gewählt würde, denn er hatte die Fähigkeiten dazu und als Sohn des Rajas einen bedeutenden - wenn nicht uneinholbaren - Vorteil gegenüber möglichen Konkurrenten. Nach Siddhartas Verschwinden musste sie sich daran gewöhnen, nicht die erhoffte Rolle zu spielen. Ihr ermangelte es zwar materiell an nichts, denn sie lebte im Luxus des Palastes, aber der erhoffte Ruhm, die ganz große Reputation als First Lady von Shakya, blieb ihr versagt.

Allmählich hatte sie sich mit dieser Realität abgefunden. Sie liebäugelte inzwischen mit einer anderen Rolle, der Ersatztraumrolle für dieses Leben, der Rolle der Königinmutter. Wenn Siddharta schon nicht Raja von Sakya werden würde, dann sollte dies ihr Sohn Rahula werden. Rahula war jetzt sieben Jahre alt. Das war das späteste Alter mit dem normalerweise mit der Vorbereitung eines Kindes, das einmal die Herrscherfunktion ausüben sollte, auf seine künftigen Aufgaben begonnen wurde. Allerdings hatte Suddhodana bislang noch kein größeres Interesse daran gezeigt, Rahula eine entsprechende Bildung angedeihen zu lassen. Noch ein oder zwei Jahre, dann  würde das auch den anderen Familien der Oberschicht von Shakya aufgefallen sein, und das würde bedeuten, dass dann das Gerangel um die Nachfolge Suddhodanas einsetzen würde. Wenn sich Suddhodana hingegen rasch entschließen könne, Rahula zum künftigen Raja aufzubauen, dann wäre dessen Erfolg bei der Wahl nur eine Formsache – und ganz nebenbei Yasodaras Rolle als Königinmutter gesichert.

Das waren die Überlegungen, die Yasodara beschäftigten, als sie hörte, Prinz Siddharta sei in der Stadt. Ob sie dieses Ereignis wohl nutzen konnte, um ihren Plänen den nötigen Schub zu geben? Ob es wohl möglich wäre, Suddhodana jetzt dazu zu bringen, Rahula zu protegieren? Schließlich war Rahula Suddhodanas leiblicher Enkel! Wenn es ihr gelänge, dass der Buddha zu seinen Gunsten intervenierte... Er war schließlich Rahulas Vater und hatte die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, sich um seinen Sohn zu kümmern, wenigstens dieses eine entscheidende Mal! Und wie Suddhodana auf ihn hören würde! Er war nicht nur der von Suddhodana geliebte hochintelligente Sohn, er war jetzt auch der Buddha, einer der größten Weisheitslehrer ganz Indiens! Wenn der sich für Rahula einsetzte!

Sie war sich ihrer Sache jetzt ganz sicher. Es würde so kommen müssen. Sie müsste nur den Buddha dazu veranlassen, denn der schien ja inzwischen so weltfremd zu sein, dass er von allein nicht auf diese nächstliegende Idee käme! Aber dass sie zum Buddha ginge, um für ihren Sohn zu bitten? Zu dem Mann, der sie bei Nacht und Nebel verlassen hatte? Unmöglich! Dazu war ihr Stolz denn doch zu groß.

Aber irgendwie musste sie es einfädeln. Nur wie?

Halt! Wäre es nicht das Beste, Rahula selbst zu seinem Vater zu senden? Klar doch, der Bitte seines eigenen Sohnes würde sich auch der Buddha nicht verschließen können! Der einzige Nachteil dieses Planes lag darin, wie man einem siebenjährigen Knaben dazu veranlassen könnte, dies dem Buddha mitzuteilen. Derart komplexe Gedankengänge konnte man dem Kind nicht beibringen, schon gar nicht, es dazu veranlassen, sie einem Dritten gegenüber auch noch argumentativ vertreten zu können. Also musste es eine einfache Botschaft sein, die Rahula seinem Vater überbringen muss. Ein einziger Satz, den der Kleine lernen und gegenüber dem Buddha notfalls oft genug wiederholen müsste. Ein Satz, der den Buddha die richtigen Schlüsse ziehen ließ. Man konnte über ihren Ex-Mann ja alles Mögliche sagen, aber nicht dass es ihm an Intelligenz mangele. Vergnügt klatschte Yasodara in die Hände. Jetzt wusste sie, was sie tun musste. „Rahula“, rief sie, „Rahula, komm doch einmal her.“

Am nächsten Tag war der Buddha wieder auf Almosengang in Kapilavattu. Kaum dass er mit seiner Almosenrunde begonnen hatte, folgte ihm ein etwa siebenjähriger Knirps. „Gib mir mein Erbteil, Mönch.“ Der Buddha kümmerte sich nicht sonderlich darum, was Kinder ihm auf der Straße nachriefen, er war voll und ganz mit seinem Almosengang beschäftigt, immer einmal liefen ihm Straßenkinder nach und riefen irgend etwas. Wenn man sie nicht weiter zur Kenntnis nahm, wurde ihnen das bald zu langweilig und sie suchten sich ein anderes Spiel.

Dieser Kleine aber war hartnäckig. „Gib mir mein Erbteil, Mönch“, sagte er, und als der Buddha nicht reagierte, zog er ihn an seiner Robe und schrie: „Gib mir mein Erbteil, Mönch! Gib mir mein Erbteil, Mönch!“

Dem Buddha kam ein unheimlicher Gedanke. Er drehte sich herum und sah den penetranten Bengel an. Das war kein Straßenkind! Dieser Junge hatte noble Kleidung an, und diese Worte waren auch kein Spiel. Dem Jungen standen Tränen in den Augen. Zweifelsohne wusste er zwar nicht, was er da sagte, aber irgend jemand musste ihm eingebläut haben, diesen Satz so lange zu wiederholen, bis der unbekannte Mönch sich um ihn kümmerte.

„Heißt“, fragte der Buddha, „heißt du vielleicht Rahula?“

„Ja,“ sagte der Knabe, sichtlich erleichtert, dass sich der fremde Mönch endlich seiner annahm, „ich heiße Rahula und meine Mama hat gesagt, du sollst mir endlich mein Erbteil herausgeben.“

„Weißt du denn, was das ist, ein Erbteil?“

„Nein, aber wenn es mir gehört, musst du es mir geben, alles andere wäre gemein!“

„Weißt du, Rahula, ich bin dein Vater. Normalerweise geben die Väter ihren Söhnen von dem ab, was sie haben. Das ist ihr Erbteil. Ich habe wenig Besitz. Diese Schale hier, um mein Essen zu erbetteln, diese Robe hier, das ist alles. Mein einziger wirklich großer Besitz ist meine Weisheit und meine Güte. Aber ich habe keine „Sachen“. Im Palast hast du viele schöne Sachen, gute Kleidung, leckeres Essen und Leute, die mit dir spielen. Das ist der Erbteil, den dir dein Großvater und deine Mutter geben können. Bei mir gibt es keine Spielkameraden, nur solches Essen wie in dieser Schale hier und solch raue Kleidung wie diese Robe hier. Aber bei mir kann man etwas lernen, was man im Palast nicht lernen kann: Weisheit, Güte und Mitgefühl. Das ist das Erbteil, was ich dir geben kann. Wenn du das möchtest, kannst du mit mir kommen, das ist das Schönste, was ich dir geben kann, aber es ist nicht sehr lustig.“

„Wenn dein Erbteil Weisheit, Güte und Mitgefühl ist, dann will ich eben das habenI“

„Weißt, du Rahula, du kannst es ja einfach erst einmal ein paar Tage ausprobieren, vielleicht gefällt es dir ja gar nicht. Du kannst zum Beispiel nicht in einem Haus oder einem Bett schlafen, sondern im Wald unter den Bäumen.“

„Wie die Räuber?“

„Ja, Rahula, wie die Räuber - und die Heiligen.“

„Da komme ich mit.“

Der Buddha hatte sich mit seinem Sohn so unterhalten, wie es für den Jungen angemessen war. Aber obwohl diese Begegnung auch für den Buddha ein bewegender Moment war, hatte er sich doch aufmerksam umgeschaut, wo die zu erwartende absolut unverdächtige Person stand.

Bei Rahulas letzten Satz merkte die gut gekleidete Frau, die unentwegt an ihrer Einkauftasche herumhantiert hatte, auf und eilte von hinnen. Der Buddha lächelte - in wenigen Minuten würde es einige Aufregung im Palast geben.

„Er hat ihn mitgenommen! Der Buddha hat ihn mitgenommen!“ die Frau war vom Rennen zwar erschöpft, rief aber den Satz so laut sie konnte, als sie den Palast betrat.

„Wie? Hat ihn mitgenommen?“

„Na, Rahula, hat gesagt, was er sagen sollte, dann haben sie geredet, und dann wollte Rahula leben wie ein Räuber und ist mit dem Buddha mitgegangen.“

Die Zofen bemühten sich mit Riechsalz darum, Yasodaras Ohnmacht zu vertreiben, während sich König Suddhodana von der Spionin wörtlich wiederholen ließ, was die beiden geredet hatten.

Mit einem kräftigen Ausdruck des Missfallens – den ich hier nicht wiederholen möchte – und einem wütenden Blick zu der wieder erwachten Yasodara verließ Suddhodana den Palast.

„Jetzt geht er wirklich zu weit! Erst verschwindet er bei Nacht und Nebel, dann läuft er zum Gespött der Leute in Bettelkleidung durch die Hauptstadt, danach überredet er edle junge Männer aus gutem Haus mit ihm zu ziehen, und jetzt fängt er auch noch an, Kinder zu entführen!“ Der König war außer sich. Wütend verließ er schnellen Schrittes die Stadt. Er hatte nicht einmal ein Pferd anschirren lassen. Er musste die Sache mit Rahula jetzt selbst erledigen – da hat es keine Zeit darauf zu warten, dass das königliche Ross bereit ist. Dort, am Waldrand, sah er die Mönche. Unter ihnen der Buddha und sein Enkel. Rahula schien die Attraktion des Tages für die Mönchsgemeinde zu sein. Alle waren im angeregter Unterhaltung.

„Das geht nicht!“ ereiferte sich Suddhodana, „Das dulde ich nicht, der Junge kommt augenblicklich wieder hierher und mit mir in den Palast!“ Rahula griff nach der Hand des Buddha und nahm hinter diesem Deckung – so wütend hatte er den Großvater noch nie gesehen, und offensichtlich war er die Ursache. Dabei hatte er doch nur gemacht, was er sollte, sein Erbteil abgeholt.

„Es ist absolut unmöglich, dass du den Eltern ihre Kinder wegnimmst, du gibst Rahula sofort heraus, sonst ...“ er sah in die ablehnenden Gesichter der Mönche die eindeutig in der Überzahl waren – die sind doch hoffentlich alle so friedfertig wie es heißt – „... sonst sehe ich mich gezwungen, mit meinen Soldaten wiederzukommen, um meinen Enkel in den Palast zu seiner Mutter zurückbringen zu lassen.“

„König Suddhodana, ich weiß sehr wohl, dass alle Staatsgewalt in Shakya in Eurer Hand liegt. Aber seid Ihr nicht auch der Oberste Gerichtsherr des Landes? Ich kann mich sehr gut erinnern, wie ich unter Eurer Anweisung in den Rechtswissenschaften ausgebildet wurde. Ihr habt zweifelsohne Recht, dass es nicht angeht, dass die in die Hauslosigkeit gezogenen Mönche minderjährige Kinder gegen den Willen ihrer Eltern als Novizen aufnehmen – und dies ist ab sofort auch eine Regel in meiner Mönchssangha, aber, erlaubt mir eine Frage: Wer hat in Shakya, wie überall in Indien, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ein Kind?“

„Das ... das hat der Vater,“ antwortete der König betreten.

„Dann sind wir uns ja einig,“ sprach der Buddha und wandte sich von seinem Vater ab.


Rahula zog mit den Mönchen umher. Der Buddha brachte ihm mit sehr viel Einfühlungsvermögen all das bei, was in Ethik, Meditation und Weisheit zu erlernen und einzuüben war. Allerdings kümmerte sich der Buddha nicht ausschließlich um seinen Sohn, denn er war schließlich der Weisheitslehrer aller Menschen, und selbst die Götter sollen immer wieder gekommen sein, um sich von ihm belehren zu lassen.

Um noch einen kleinen Eindruck von der Erziehung zu bekommen, die Rahula zuteil wurde, belauschen wir ein Lehrgespräche des Buddha, vier Jahre nachdem Rahula in die Sangha aufgenommen war, der Knabe war also damals elf, sein Vater etwa vierzig Jahre alt.

Der Buddha und Rahula sitzen an einem Wildbach in den Ausläufern des Himalaya. Rahula hat eine Wasserkelle, mit der er Trinkwasser schöpft und immer wieder einmal spielt.

Der Buddha lässt sich die Kelle geben.

„Weißt du Rahula, mit diesem Wasser in der Kelle ist es wie mit der Wahrheit?“

„Wie mit er Wahrheit???“

Der Buddha nimmt ein wenig Wasser in die Kelle. „Siehst du das bisschen Wasser in der Kelle, Rahula?“

„Ja, Herr.“

„Weißt du, wenn jemand nicht vorsichtig beim Reden ist, nicht richtig vorsichtig, um immer bei der Wahrheit zu bleiben, dann ist nur so wenig Gutes in ihm wie in dieser Kelle Wasser.“

Dann schüttet der Buddha das Wasser mit einer heftigen Bewegung aus und fragt den Knaben, ob er gesehen habe, was er da eben gemacht habe.

„Ja, Herr.“

„Und wenn sich die Leute nicht bemühen, immer die Wahrheit zu sagen, dann schütten sie das Gute in sich gerade so aus, wie ich eben das Wasser.“ Dann stülpte der Buddha die Kelle um. „Und wenn sich die Leute nicht um die Wahrheit bemühen, dann behandeln sie das Gute so wie diese Kelle: es kann nicht rein.“

Der Buddha drehte die Kelle wieder richtig herum. „Siehst du, das sie jetzt ganz leer ist?“

„Ja, Herr.“

„So leer von jedem Guten ist das Herz derer, die sich nicht um die Wahrheit bemühen. – Sag mal, Rahula, ihr hattet doch große, starke Kriegselefanten in Kapilavattu?“

„Ja, Herr, mächtig große und ungeheuer starke.“

„Stell dir den königlichen Kriegselefanten vor. Stell dir vor, er wird in einer Schlacht eingesetzt, er kämpft dort, indem er seinen Kopf einsetzt und seine Stoßzähne, seinen mächtigen Körper und seine Beine. Macht der alles richtig, oder hat man ihm vergessen etwas beizubringen, ist da noch etwas, das er einsetzen müsste?“

„Klar, Herr, der hat ja seinen Rüssel überhaupt nicht eingesetzt! Ein Elefant hat einen ganz starken, muskulösen Rüssel, den hat er überhaupt nicht eingesetzt!“

„Prima, Rahula, so ist es, man ist nur dann richtig einsatzfähig, wenn man all seinen Kräfte und Fähigkeiten, die man hat, voll und ganz einsetzt. Genauso muss man auch all seine Kräfte einsetzen, niemals zu lügen, auch nicht zum Scherz. – Ach sag einmal, hattet ihr eigentlich auch Spiegel in eurem Palast?"

„Ja, Herr, natürlich waren da Spiegel.“

„Ja, wozu denn das?“

„Na, damit man sich sehen kann, damit man sieht ob man sich richtig schön angezogen und frisiert hat.“

„Ja, Rahula, es ist ganz wichtig sich selbst zu beobachten, aber man kann sich auch ohne einen Spiegel beobachten!“

„Wie denn das?“

„Nun, das Wichtigste, wenn man sich betrachtet ist nicht, ob man sich richtig schön angezogen hat und ob man richtig frisiert ist, das Wichtigste ist vielmehr, dass man alle seine Handlungen beobachtet: Handlungen mit dem Körper, Handlungen mit der Sprache und Handlungen im Geiste. Die muss man beobachten.“

Auf diese Weise unterrichtete der Buddha Rahula.

Rahula erreichte so die volle Erleuchtung bereits mit einundzwanzig Jahren. Das war gut so, denn er starb noch in relativ jungen Jahren, lange vor seinem Vater.




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Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.