Das süße Leben der Buddhisten
pamojja – piti – passadhi – sukha
Wir haben uns in einigen Vorträgen mit dem Konditionalnexus beschäftigt, mit der Tatsache, dass alles in Samsara, also in der normalen, nicht-erleuchteten Welt, in Abhängigkeit von Bedingungen entsteht.

Wir haben gesehen, dass wir häufig etwas anstreben, ohne uns der Konsequenzen klar zu sein, oder dass wir in etwas Wünsche hineinprojizieren, die dieses nicht erfüllen kann. Das gilt für alles, für ein Produkt, für eine Dienstleistung, für eine Beziehung. Man nennt dies avijja, Verblendung.

Avijja steht am Anfang dieser kreisförmigen Darstellung hier an der Wand. Daraus entstehen alle unsere Probleme.

Und wir haben in einem weiteren Vortrag gehört, wie unser Reiz-Reaktions-Schema funktioniert: wir haben unsere fünf Sinne und das Denken, dargestellt in Bild 5 (salayatana), dadurch nehmen wir die Welt wahr, es kommt zu Kontakt (phassa, Bild 6) zwischen unserem Sinnenorgan und einem erkennbaren Objekt. Dadurch entsteht sofort eine Bewertung (vedana, Bild 7). Ist dieses vedana positiv, so reagieren wir mit Verlangen (tanha, Bild 8) und in Abhängigkeit von diesem Verlangen kommt es zu Ergreifen und Festhalten (upadana, Bild 9).

Wir haben auch gesehen, dass wir als Menschen Selbstgewahrsein haben und daher nicht notwendigerweise impulsiv reagieren müssen, sondern dass wir statt dessen auch kreativ agieren können. Und damit aus dem Rad des bedingten Entstehens ausbrechen können, also uns tendenziell auf den Pfad zur Erleuchtung, in unserem Bild gelb dargestellt begeben können.

Und wir haben festgestellt, dass am Anfang dieses Pfades die Erkenntnis steht, dass das abhängig Entstandene, das Weltliche, das Samsara, letztendlich unbefriedigend (dukkha) ist. Es ist dieser Wunsch, dass es etwas Größeres, etwas Höheres, etwas Vollkommeneres geben muss, als die letztendlich doch nicht dauerhaft zufriedenstellende tägliche Triebbefriedigung, die uns umtreibt.

Wenn wir daher nach diesem Besseren, nach Vollkommenheit, nach dem, was die antiken europäischen Philosophen als „das guten Leben“ bezeichnet haben, suchen, dann kommen wir irgendwann in Kontakt mit etwas Spirituellem, vielleicht sogar mit dem Dharma, der Lehre des Buddha. Und wenn wir dafür bereit sind, dann stellt sich saddha, Vertrauen, in den Pfad ein. Dieses saddha ist kein unkritischer Glaube, sondern die Erkenntnis, dass eine spirituelle Lehre, ein spiritueller Pfad uns weiterbringen kann. Wir prüfen diesen dann wohlwollend, aber kritisch und untersuchen so, ob er wirklich zu Liebe, Großzügigkeit und Weisheit führt, oder aber zu Elementen von Hass, Egoismus und Verblendung. Und wenn wir einen positiven Eindruck davon gewonnen haben, dass dieser Pfad zu Liebe, zu Großzügigkeit und zu Weisheit führt, dann wächst unser Vertrauen, unser saddha, und so lassen wir uns ein Stück weiter auf diesen Pfad ein, ohne unseren wohlwollenden aber kritischen Blick zu verlieren. So kommen wir auf dem spirituellen Pfad voran.

Über all das habe ich in früheren Vorträgen schon gesprochen, daher habe ich es hier nur ganz knapp dargestellt. Wer möchte, kann diese Vorträge auf unserer Internetseite nachlesen oder sich die Vorträge dort anhören.

Heute nun kommen wir zu dem, was ich „das süße Leben der Buddhisten“ genannt habe, natürlich auch der Buddhistinnen.

Wenn wir nämlich soweit gekommen sind, wenn wir angefangen haben, diesen Pfad zu beschreiten, einen Pfad der letztendlich zur Erleuchtung führt, wenn wir aus dem Gefühl von dukkha, der Erkenntnis, dass es noch etwas Größeres, etwas Besseres, etwas Spirituelles, ja vielleicht sogar etwas Transzendentes gibt, und das wir uns diesem annähern können, und wenn wir dann begonnen haben, Vertrauen, saddha, in den Pfad zu entwickeln, dann ist das wunderschön. Es kommt Freude auf.

Wir freuen uns, dass wir jetzt endlich weiter kommen, uns nicht mehr immer im Hamsterrad des Lebens drehen müssen. Wir erkennen erste Fortschritte. Wir bemerken, wie wir ethischer handeln. Wir bemerken, dass unsere Meditation konzentrierter wird, wir erkennen Elemente von Verständnis in uns, wir sehen mit anderen Worten, wie das Beschreiten des Dreifachen Pfades, des Pfades, der aus Ethik, aus Meditation und aus Weisheit besteht, beginnt, allererste Blüten zu tragen, und das lässt Freude aufkommen, das lässt in uns pamojja aufsteigen. Wir haben Erfolge auf dem Pfad und wir erkennen diese Erfolge – und was ist schöner, als eigene Erfolge zu bemerken.

Wir haben unsere Kampfzeit hinter uns gelassen, wir werden zufriedener und glücklicher. Es gelingt uns, etwas weniger egoistisch zu sein, dadurch werden wir etwas großzügiger, wir fangen an, uns weniger krampfhaft an die Dinge zu klammern. Unser Leben wird etwas schlichter und eben dadurch werden wir zufriedener. Bei uns im Westen erscheint das religiöse Leben traditionell immer etwas mit Verzicht, mit Entsagung, mit „du sollst nicht“ zu tun zu haben.

In vom Buddhismus geprägten Ländern wird das spirituelle Leben viel stärker mit Freude verbunden. Denken wir nur einfach einmal an den Dalai Lama, an einen Mann, der aus seiner Heimat geflohen ist, dessen Land okkupiert ist. Wirkt er wie ein wütender Kämpfer? Läuft er verbittert herum? Nein, er wirkt immer fröhlich, immer heiter. Es ist die fröhliche Gelassenheit eines spirituell praktizierenden Menschen. Eine fröhliche Gelassenheit, die man übrigens auch bei spirituell praktizierenden Menschen anderer Traditionen finden kann, zum Beispiel im Sufismus, der mystischen Richtung des Islam. Und ich kann mich noch gut erinnern, dass ich als Kind zur Erstkommunion ein Buch über den späteren Papst Johannes XXIII. bekommen habe, es hatte den Titel „Giovanni immer fröhlich, Giovanni immer heiter“. Es scheint sich um einen spirituell praktizierenden Menschen gehandelt zu haben.

Und die Erfolge, die wir auf dem Pfad haben, die Freude die dadurch aufkommt, kann uns natürlich anspornen, den Pfad noch mehr mit ganzem Herzen zu gehen. Und wenn das der Fall ist, dann steigt diese Freude noch weiter an.

Es kann natürlich auch immer sein, dass uns die Verlockungen des Samsara, der gewöhnlichen Welt wieder einfangen, dass wir vielleicht die Möglichkeit zu einem Karrieresprung haben und zugreifen (upadana) oder dass wir uns neu verlieben (und von ihr oder ihm Besitz ergreifen) und dass auf diese Weise viel Kraft vom Engagement, den Pfad zu gehen, abgezogen wird. Das ist eine ganz reale Gefahr. Und nur allzu leicht werden wir uns aufgrund unserer Konditionierung, unserer aus der biologischen Evolution herrührenden Ausrichtung auf Gewinn, auf Ruhm, auf Anerkennung und auf Sex wieder vom Samsara einfangen lassen. Eine solche Entwicklung, an der wir über die Evolutionsgeschichte seit Jahrmillionen beteiligt sind, lässt sich nicht ohne weiteres von heute auf morgen abstreifen. Und wann immer wir uns noch im Gravitationsfeld von Samsara befinden, das ist auf dem ganzen linken Bild hier an der Wand, also auch auf der Stufe von pamojja, an Punkt 15 und noch darüber hinaus, da kann uns Samsara auch immer wieder einfangen und zurückerobern, jedenfalls für eine gewisse Zeit.

Nehmen wir aber den positiven Fall an, nehmen wir an, wir stellen die Versuchungen des Samsara hinter unsere Erfolge auf dem Pfad zurück, wir genießen die spirituelle Freude am Beschreiten des Pfades, wir bemerken weitere Erfolge bei uns, dann wird dieses Gefühl von pamojja ansteigen, es wird anwachsen zu piti, zu brodelnder, überschäumender Freude, zu Begeisterung, zu Verzückung, ja zu Ekstase.

Wenn piti erstmals in der Meditation auftritt, dann kann es sein, dass uns heiße oder kalte Schauer den Rücken herablaufen, dass wir eine Gänsehaut bekommen, dass unsere Haare zu Berge stehen, dass wir in Freudentränen ausbrechen oder das Gefühl haben, leicht wie eine Feder zu sein und uns in die Lüfte erheben zu können. Und wenn wir dann hinterher auf dieses Erlebnis zurückblicken und feststellen: wow, das war deutlich besser als ein Orgasmus, dann wissen wir, dass wir piti erfahren haben.

Es gibt Menschen, die vom spirituellen Leben nicht mehr erwarten als das, die Meditation nur betreiben, um das Gefühl von piti zu erreichen. Allerdings gilt für piti wie für alles andere im Bereich des Gravitationsfeldes von Samsara auch, dass es vergänglich ist. Und man muss natürlich auch sagen, dass es doch eine recht grob geartete Form von Genuss ist. Deshalb wird, wenn man den Pfad weiter beschreitet das Gefühl von piti weniger dominant, dieses Aufgeregtsein geht vorbei, ohne dass das zugrundliegende Gefühl von Freude verloren geht, es kommt also zu einer Beruhigung, wir sind jetzt bei der Stufe von passaddhi, also einem Zur-Ruhe-Kommen der zuvor überschäumenden Begeisterung. Das heißt nicht, dass die Begeisterung jetzt weg ist, wir sind weiter vom Geist des Pfades be-geistert, aber auf eine ruhigere Form. Es ist so ähnlich, wie wenn eine wilde Verliebtheit zu Ende geht und wir in das ruhige Fahrwasser einer glücklichen, dauerhaft-harmonischen Beziehung geraten. Und dadurch bekommt die zugrunde liegende Freude einen etwas anderen Geschmack. Die anfängliche Freude von pamojja, die in piti sonderbare Blüten trieb, hat nun ihre Blütenblätter abgeworfen und lässt eine zuckersüße Frucht heranreifen, und tatsächlich ist das indogermanische Paliwort für dieses Stadium der Glückseligkeit, nämlich sukkha, in den europäischen Sprachen für diesen honigsüßen Ersatzstoff verwendet worden, der im Deutschen Zucker und auf englisch sugar und auf französisch sucre heißt. Eigentlich kommt der Begriff aus einer spirituellen Erfahrung. Und auch die Moslems nennen ihr höchstes Fest zum Ende des Fastenmonats Ramadan, der der spirituellen Läuterung dient, Zuckerfest, auf türkisch seker bayrami.

Das Gefühl von sukha umfasst natürlicherweise auch Elemente von Frieden, von Liebe, von Mitgefühl, von Freude und von Gleichmut. Der buddhistische Wirtschaftswissenschaftler Hans-Günter Wagner hat einen Aufsatz zum Thema buddhistische Wirtschaft geschrieben, der dieses Gefühl von sukha schon im Titel sehr gut beschreibt: „Das bescheidene Glück des einfachen Lebens“. Es zeigt, wenn man so will, den spirituellen Gegenentwurf zu unserer Gierwirtschaft auf, die immer mehr will und damit zu allem anderen, nur nicht zur Zufriedenheit führt. Es ist die Werbung, die uns immer und immer wieder suggeriert, was wir vermeintlich brauchen „xy – und mehr“. Hans-Günter Wagner setzt dagegen „das bescheidene Glück des einfachen Lebens“. Statt „und mehr“ haben zu wollen eben „einfach glücklich sein“.

Das „gute Leben“, das die antiken europäischen Philosophen suchten, es ist in der Tat das süße Leben geläuterten Genusses auf dem Pfad. Oder wie es der Dalai Lama einmal formulierte: Wenn der Buddhismus nicht glücklich machen würde, dann wäre er ja vollkommen nutzlos.



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