Liebe und Freundschaft
Vortrag von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt am 15. Dezember 2014
zuletzt bearbeitet am 15. Oktober 2019
Liebe Freundinnen und Freunde,
da ist es schon, in meiner üblichen Anrede an euch, da sind beide
Begriffe enthalten: „Liebe“ und „Freundschaft“. Es ist offensichtlich
ein ganz zentrales Thema, wenn ich diese Worte hier seit Jahren jeden
Donnerstag verwende, und doch habe ich sie noch nie zum Gegenstand
eines Vortrages gemacht. Heute tue ich es aus einem besonderen Anlass:
das Weihnachtsfest steht vor der Tür.
Nun kann man sagen, das sei ein christliches und kein buddhistisches
Fest. Darüber habe ich mich in den vergangenen Jahren verschiedentlich
Ende Dezember ausgelassen und unter anderem auf die vorchristlichen
Quellen verwiesen, auf die Sonnwendfeier und auf die mit der
Wintersonnenwende verbundene germanisch-keltische Göttin Hel, die unter
anderem für Karma und Wiedergeburt steht. Darauf werde ich heute nicht
eingehen.
Als ich mich gefragt habe, wie man in dieser Zeit, in der der
konsumistische Weihnachts-Geschenkorgien-Terror um sich greift und in
der Tat alle von uns beeinflusst, egal ob wir uns als Christinnen,
Muslime, Buddhisten oder Atheistinnen verstehen, habe ich mir gesagt,
ich möchte an dem häufig verwendeten Untertitel von Weihnachten,
nämlich „Fest der Liebe“ anknüpfen. Und wenn man das in Pali übersetzt,
heißt es metta chaṇadivasa. Chaṇadivasa ist Festtag oder Feiertag und das Wort metta kennen wir alle aus der metta bhavana, die wir heute hier wieder geübt haben, auch wenn wir metta
meist nicht mit „Liebe“ übersetzen, weil dies im Deutschen sehr
unterschiedliche Konnotationen, sehr unterschiedliche Nebenbedeutungen,
hat, von Vaterslandsliebe über Mutterliebe bis zu käuflicher Liebe, die
alle nicht das sind, was metta ausmacht.
Ich habe einmal dort nachgeschaut, wo man recht neutral informiert wird, nämlich bei Wikipedia, was dort unter metta steht, und dort habe ich am vergangenen Montag diesen Eintrag gefunden:
Metta
(pali mettā; sanskrit maitrī ‚Freundschaft‘; engl. loving kindness) ist
eines der 40 vom historischen Buddha Siddharta Gautama gelehrten
Meditationsobjekte. Übersetzungen für metta sind: Freundlichkeit,
aktives Interesse an Anderen, Liebe, Freundschaft, Sympathie.
Liebe ist – trotz der oben von mir genannten Problematik mit den
Konnotationen eine der Übersetzungsmöglichkeiten, eine andere ist aber
eben auch Freundschaft, und das ist die klassische.
Und bei meinen Recherchen bin ich auch auf einer Internetseite
gelandet, wo ich vorher noch nie war, nämlich auf der Seite
http://www.predigtforum.de, wo eine Pfarrerin Dorothea Zager aus Worms
zum Fest der Liebe ausführt:
„Das
ist das Wichtigste an Weihnachten: Dass wir das Geheimnis der Liebe
spüren. Und darum kämpfen wir in der Vorweihnachtszeit – das wollen wir
erreichen mit all der Mühe und den Vorbereitungen, die wir uns mit
diesem Fest machen. Wir wollen anderen unsere Liebe zeigen – und hoffen
inständig, dass uns andere zeigen, dass sie uns lieben.“
Und ich glaube an dieser Predigtstelle wird ganz deutlich, was metta
von dem Begriff „Liebe“ unterscheidet, wie wir ihn gewöhnlich
verwenden. Wenn wir andere lieben, dann erwarten wir gewöhnlich, dass
die anderen uns auch lieben. Ich gebe dir ein Geschenk, damit du mir
auch ein Geschenk gibst, wobei es natürlich gar nicht wirklich um das
Geschenk geht, sondern eben um die Hoffnung auf einen gegenseitigen
Liebesbeweis. Und wenn wir wissen, dass zu keiner anderen Jahreszeit
die Selbstmordrate so hoch ist wie an Weihnachten, so liegt das eben
daran, dass sehr viele Menschen an Weihnachten feststellen, dass sie
nicht geliebt werden oder dass sie sich nicht geliebt fühlen. Dann wird
Weihnachten zum Fest programmierter Enttäuschung. Metta hingegen ist definitionsgemäß „uneigennützige Liebe“ wir geben in der metta bhavana
Liebe, ohne zu erwarten, von diesen anderen wieder geliebt zu werden –
also völlig uneigennützig. Dahinter steckt nicht die Maxime des
merkantilen, des kaufmännischen Wirtschaftssystems, die auf Latein „do ut des“ heißt: Ich gebe, damit du gibst. Leider haben wir in unserem kapitalistisch-konsumistischen Wirtschaftssystem den Gedanken des do ut des so verinnerlicht, dass wir kaum noch anders als in Leistung und Gegenleistung denken können.
Anders der Buddha, er hat die metta bhavana
in fünf Phasen gelehrt. Eben nicht nur auf sich selbst und den Freund
oder die Freundin bezogen, sondern auch auf neutrale Personen, auf
schwierige Personen oder „Feinde“ und in der letzten, der fünften,
Phase auf alle fühlenden Wesen, Menschen, Tiere, körperhafte Wesen,
körperlose Wesen. Das ist Liebe im Sinne von metta.
Und das ist übrigens in ähnlicher Weise auch eine Aufforderung von
Jesus, der sich damit in der Bergpredigt ausdrücklich vom Alten
Testament distanzierte (Mt 5,43-44):
„Ihr
habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben
und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde,
segnet, die euch fluchen, tut Gutes denen, die euch hassen, bittet für
die, die euch beleidigen und verfolgen“.
Es ist nicht überliefert, ob Jesus etwas Ähnliches gelehrt hat wie die metta bhavana.
Es wäre auf jeden Fall gut, wenn er es getan hätte, denn ein so
anspruchsvoller Imperativ lässt sich nicht ohne beharrliche Übung
umsetzen, deshalb gehört die metta bhavana
neben der Achtsamkeitsmeditation zu den beiden Meditationen, die hier
bei der Buddhistischen Gemeinschaft Triratna immer und immer wieder
geübt werden. Erst wenn uns die metta bhavana
zur zweiten Natur geworden ist, können wir ein effektives spirituelles
Leben führen, erst dann werden wir den Ansprüchen genügen, die die
großen liebevollen Religionsgründer wie Buddha, Jesus oder Mahavira, an
ihre Jünger, Anhänger und Gefolgsleute stellen.
Ein Zitat von Buddha ist das bei Triratna am häufigsten zitierte. Einst
gingen der Buddha und sein Freund Ananda eine indische Straße entlang
und Ananda sagte zum Buddha: „Weißt Du, ich glaube spirituelle
Freundschaft macht das halbe spirituelle Leben aus.“ Es ist eines
der wenigen Male, wo der Buddha seinem Freund Ananda heftig
widerspricht, er antwortete: „Sag das nicht, Ananda, sag das nicht. Es
ist vielmehr so, dass Freundschaft das ganze spirituelle Leben
ausmacht.“
Und deshalb ist neben Wesak metta chaṇadivasa,
das „Fest der Liebe“ oder das „Fest der Freundschaft“ sicher das
wichtigste buddhistische Fest. Nun werdet ihr vielleicht einwenden,
dass es dieses buddhistische Fest gar nicht gibt und dass ich den
Eindruck nur eingeführt habe, um Weihnachten irgendwie
umzufunktionieren.
Das ist nur teilweise richtig. Richtig ist, dass der Ausdruck metta chaṇadivasa im
Buddhismus keineswegs eingeführt ist. Richtig ist aber auch, dass der
Tag, an dem man spirituelle Freundschaft und die Gemeinschaft der
spirituellen Freunde feiert sehr wohl ein klassischer Feiertag ist, er
heißt nur gewöhnlich nicht „Fest der Liebe“ oder „Fest der
Freundschaft“ sondern Sangha-Fest. Das ist der Tag, an dem ich im
letzten Monat einen Ausflug zu Triratna Essen machte.
Der große Britische Rundfunk- und Fernsehsender BBC beschreibt es in seiner Internetpräsentation bbc.co.uk so:
„Sangha
Day is the second most important Buddhist festival. It is a celebration
in honour of the Sangha, or the Buddhist community.”
Und warum ich das alles hier erzähle, hat nur mittelbar mit Weihnachten
zu tun. Weihnachten ist für mich nur der Anlass, auf etwas hinzuweisen,
was für den Buddhismus so wichtig ist, wie Weihnachten für das
Christentum. Es ist Freundschaft und es ist die Gemeinschaft der
Freunde der spirituellen Praktik, der Sangha. Das ist auch der Grund,
warum Triratna bis vor wenigen Jahren FWBO (Freunde des Westlichen
Buddhistischen Ordens hieß, eben um Freundschaft zu betonen. Nicht
umsonst gibt es im Buddhismus drei Symbole für das Höchste, für die
drei Juwelen, die alle praktizierenden Buddhistinnen und Buddhisten in
aller Welt in den Mittelpunkt ihrer Praxis stellen, wir haben das
Zeichen der drei Juwelen hier auch an der Wand unseres
Meditationsraumes.
- Es ist das Buddha-Juwel, das für denjenigen steht, der in historischer Zeit als erster diesen spirituellen Pfad beschritt.
- Es ist das Dharma-Juwel, der Dharma ist die Sammlung von Übungen und Methoden, die man auf diesem Weg praktiziert.
- Und es ist das Sangha-Juwel, das für die Freundesgemeinschaft derjenigen steht, die diesen Pfad beschreiten.
Und wenn ich diesen Vortrag zu Liebe und Freundschaft heute
halte, so hat das nicht nur etwas mit dem Weihnachtsfest zu tun,
sondern es soll so etwas wie ein Programm für die Menschen bei
Meditation am Obermarkt für das kommende Jahr sein. Lasst uns endlich
das werden, was im ersten Satz auf unserer Webseite
gelnhausen-meditation.de seit Dezember 2008 fettgedruckt steht: „Der Freundeskreis für Meditation und Buddhismus“.
Wenn wir diesen Anspruch nicht endlich realisieren, dann sind wir kein
Freundeskreis, wir sind nicht einmal spirituell praktizierende, denn
Freundschaft, mein lieber Freund Ananda, macht das ganze
spirituelle Leben aus. Ja, wir praktizieren nicht einmal die metta bhavana richtig,
wenn wir nicht endlich Freundschaft mit denen, die hier auch
praktizieren, schließen. Eine Sangha ist ein Freundeskreis, der
sich gegenseitig auf dem spirituellen Pfad unterstützt. Ohne Sangha
kein Buddhismus, keine spirituelle Gemeinschaft, ja ohne Sangha nicht
einmal ein spirituelles Leben.
Ich möchte am Ende meines Vortrages den Mann zitieren, der mich – nach
dem Buddha – am stärksten spirituell beeinflusst hat, es ist
Sangharakshita, dessen Bild hier im Meditationsraum gleich zweimal
hängt. Sangharakshita schreibt:
Für
uns steht der Buddha nicht persönlich zur Verfügung. Aber wir haben
einander. Wir können einander helfen und uns gegenseitig in unserer
Praxis ermutigen. Wir können einander unsere Schwächen und Fehler
eingestehen. Wir können uns gegenseitig für unsere Qualitäten loben.
Und genau auf diese Weise können wir spirituelle Freundschaft zu
unserer Praxis machen. Niemand kann den Dharma für uns praktizieren,
das müssen wir schon selber tun, aber wir müssen es keineswegs allein
machen. Wir können in Gesellschaft anderer gleichgesinnter Leute
praktizieren, die versuchen, das gleiche zu tun, das ist die beste Art
und – wirklich – die einzig effektive. Wie sagte der Buddha doch zu
seinem Schüler und Cousin Ananda … bei einem Ort namens Sakka:
„Spirituelle Freundschaft macht das ganze spirituelle Leben aus.“ Aber
wie sollen wir das auffassen? … Daher lasst uns diese Sache noch etwas
genauer untersuchen. Das Paliwort, das ich mit Freundschaft übersetzt
habe, lautet brahmacariya, … es besteht aus zwei Bestandteilen. brahma heißt
hoch, nobel, bestens, sublim oder auch wirklich; es bezeichnet auch das
Göttliche, allerdings nicht in einem theistischen Sinn, sondern im
Sinne der Verkörperung der besten und nobelsten Qualitäten oder
Tugenden. Und bedeutet gehen, reisen, praktizieren, erfahren auch
leben. Demnach bedeutet brahmacariya
so etwas wie „das Beste ausführen“ oder „das Idealbild umsetzen“; wir
könnten es auch übersetzen mit „das göttliche Leben“ oder einfach
„spirituelles Leben“…. Und auf diese Weise kommt die enge Verbindung
von spiritueller Freundschaft und dem spirituellen Leben in den Fokus
unserer Betrachtung. Spirituelle Freundschaft ist eine Übung in
Selbstlosigkeit, in Egolosigkeit. Du teilst alles mit deinen Freunden.
Du sprichst mit ihnen freundlich und gütig und du zeigst Interesse an
ihrem Wohlergehen. Du behandelst sie in der gleichen Art, in der du
dich behandelst – das bedeutet, du behandelst sie mit dir gleich. Du
hast mit ihnen eine Beziehung auf der Basis von metta unabhängig davon,
wie euer Machtverhältnis austariert ist. Das ist natürlich alles andere
als einfach; es geht uns gegen den Strich, denn unsere Natur ist
selbstsüchtig. Das Entstehen spiritueller Freundschaft ist etwas sehr
Schwieriges. Das spirituelle Leben zu führen ist schwer…. Da brauchen
wir Hilfe. Und diese Hilfe können wir nicht nur von unserem Lehrer
bekommen, sondern auch voneinander. Wir können nicht immer mit unserm
spirituellen Lehrer zusammen sein, aber mit unseren spirituellen
Freunden – jedenfalls die meiste Zeit. Wir können sie regelmäßig
treffen, vielleicht zusammen wohnen, vielleicht sogar zusammen
arbeiten. Und wenn wir auf diese Art Zeit mit unseren spirituellen
Freunden verbringen, lernen wir sie besser kennen, und sie uns auch.
Wir lernen offener zueinander zu sein, ehrlicher; wir werden dadurch
gegen unsere Schwächen gefeit und vor allem werden wir dazu erzogen,
gegen unsere natürliche Tendenz vorzugehen, im Machtmodus zu agieren.
Wenn wir spirituelle Freunde haben, dann werden sie sich ebenso
bemühen, nicht in diesem Modus zu arbeiten und sie werden auch von uns
erwarten, dass wir im Liebesmodus handeln, mit ihnen auf der
Beziehungsebene von metta
in Kontakt zu sein. Und indem wir lernen, mit unseren Freunden in
dieser Art umzugehen, werden wir auch graduell dahin kommen, mit der
ganzen Welt auf der Basis von metta zu interagieren, selbstlos. Und
deshalb ist es wirklich so, dass spirituelle Freundschaft das ganze
spirituelle Leben ist."
Soweit mein spiritueller Lehrer Sangharakshita. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Zu Meditation am Obermarkt
Zurück zu den Artikeln und Vorträgen
Zu den Audio-Vorträgen