Hellwache Achtsamkeit
Vortragsreihe „Das Gute Leben“ Teil XI
von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt, Gelnhausen
zuletzt geändert Oktober 2019
Surameraya majja pamadatthana veramani sikkhapadam samdiyami
Mit hellwacher Achtsamkeit läutere ich meinen Geist.
Manchmal mache ich mir etwas vor. Manchmal halte ich mich für achtsam und bin das genaue Gegenteil. Was geht da schief?
Ich
will ein Beispiel nennen. Ich hatte mir vorgenommen, in diesem Monat,
im Dezember 2013, an drei Stellen meine Freunde auf etwas anzusprechen,
was mir sehr wichtig ist.
- 1.
meine Freunde aus dem EnergieWende-Verein, mit denen ich mich dreimal
jährlich treffe, denen wollte ich mein Anliegen am 6.12. erörtern
- 2. ebenso meinen Kinder bei einem von deren seltenen Besuchen am 7.12.
- 3.
zwei Mitras, die wie ich um Ordination gebeten haben, am letzten
Sonntag, also am 15. Dezember, an dem ich mit ihnen via Skype
verabredet war, wie etwa einmal monatlich
Um
19.00 h war diese Skype-Verabredung, die mir so wichtig war, um ihnen
mein Anliegen vorzutragen, was ich mir schon vor Wochen vorgenommen
hatte. Gegen 18 h verfiel ich in eine ungewöhnliche Unruhe, ich nahm
ein Buch und ging auf den Gelnhäuser Weihnachtsmarkt, wo ich heiße
Maroni aß, und ging dann ins Café Art, wo ich tatsächlich das ganze
Buch, das ich mir mitgenommen hatte, von vorn bis hinten durchlas. Und
ich kam mir wer weiß wie buddhistisch tugendhaft vor, trank ich doch
ganz brav alkfreies Weißbier. Gegen 22 h kam ich nach Hause zurück und
stellte fest, dass meine Freunde mir auf den AB gesprochen hatten und
verwundert über meine Abwesenheit waren.
Erstaunt,
verwundert, erschreckt analysierte ich, was vorgefallen war. Eben noch
wähnte ich mich besonders tugendsam, alkfreies Bier schlürfend, glaubte
mich im Einklang mit der negativen Formulierung des fünften Sila (ich
nehme mir vor Aufzuhören, bewusstseinstrübende Mittel zu nehmen) und
musste feststellen, dass ich in massivster Weise gegen die positive
Formulierung dieses Sila verstoßen hatte, nämlich „Mit hellwacher
Achtsamkeit läutere ich meinen Geist“.
Nein,
ich war nicht mit hellwacher Achtsamkeit eingedenk dessen, was mir
wichtig war, vorgegangen, um meine Freunde zu überzeugen, sondern ich
war von Blindheit geschlagen; verblendet hatte ich mich hinter einem
Buch verschanzt und hatte vermieden das zu tun, was mit wichtig war. Da
musste eine Kraft in mir wirken, die kontraproduktiv das torpedierte,
was mir wichtig war.
Sehen
wir uns dieses fünfte Sila zunächst in seiner negativen Formulierung
an, es heißt: „Ich nehme mir vor aufzuhören, bewusstseinstrübende
Mittel zu nehmen.“ Klar, damit ist Alkohol gemeint. Aber nicht nur.
Natürlich auch andere Drogen, auch Tranquilizer, auch Aufputschmittel
wie Speed oder Ecstasy, aber auch alles andere, was unseren Geist
gefangen nimmt. Manche Art von Musik gehört dazu, viele Arten von
Filmen, am offensichtlichsten ist es bei Actionfilmen, Thrillern und
Pornos, zu diesen Mitteln gehören aber auch Videospiele und Bücher,
Zeitschriften - nicht nur (aber ganz besonders) die yellow press .
Ich
möchte kurz auf Videospiele zu sprechen kommen. Diese scheinen mir
besonders gefährlich - und damit meine ich nicht nur die sog.
Ego-Shooter, sondern auch ganz harmlose Dinge. Ich, Horst, der ich mich
wähne ein achtsamer Buddhist zu sein, habe in den 90er Jahren
festgestellt, wie versessen ich zum Beispiel darauf war, bei einem
Kartenlegespiel (Solitaire) meine Kinder aus der Hi-Score-Liste
rauszuschmeißen. Und damit nicht genug, ich wollte auch meine eigenen
früheren Leistungen herausschmeißen. Einmal am Tag eine Bestleistung
aufstellen. Ha, das war etwas!
Irgendwann wurde mir die völlige
Idiotie meines Ansinnens deutlich: da verbrachte ich Stunden meiner
Lebenszeit, die sich unaufhörlich dem Moment des Todes nähert, mit
nichts anderem zu, als eine Zahl in einer Liste, die auf einer kleinen
Platine in einer Festplatte wohnt durch eine andere Zahl in dieser
Liste zu ersetzen - idiotischer geht's wirklich fast nicht. Dabei
könnte ich mir so große Zahlen, wie ich nur wollte auf einen Zettel
schreiben, was schließlich viel einfacher und weniger zeitraubend wäre.
Doch,
doch, es geht noch idiotischer, dann wenn nämlich dies nicht nur
Zeitverschwendung ist, sondern wenn es auf den Geist auch noch
kontraproduktiv wirkt. Da gab es zum Beispiel das Spiel Tetris, bei dem
man herunterfallende Steine so lenken musste, dass man einen Turm damit
bauen konnte. Dummerweise fielen die Steine allmählich immer schneller.
Und auch hierbei ging es darum, eine besonders große Zahl von Steinen
auf seiner Hi-Score-Liste zu verbuchen. Aber dabei geschah noch etwas
anderes. Während ich damals nämlich eine gute halbe Stunde täglich
damit verbrachte, mein Geist meditativ zu beruhigen, übte ich ihn hier
zwei Stunden täglich damit ein, dass Gegenteil zu tun, nämlich
hippeliger zu werden.
Und
während es im Buddhismus darum geht, sich vom Reiz-Reaktions-Schema zu
emanzipieren, übte ich hier genau dieses reaktive Verhalten ein -
Kreativität war keine gefragt.
Im
Prinzip macht die US-Army mit ihren GIs das gleiche, wenn sie junge
Männer an Computerspielen trainieren lässt. Wobei man der US-Army
zugute halten muss, dass sie dies bewusst einsetzt. Dadurch dass das
Reiz-Reaktions-Schema gedrillt wird, soll das Denken ausgeschaltet
werden, um die Tötungshemmung zu überwinden. Die vom Pentagon wissen
wenigstens, warum sie ihre Rekruten so etwas tun lassen. Ich hingegen
tat es aus purer Verblendung. Ich übte geschäftige Routine ein, statt
das Bewusstsein darauf zu schärfen, dass Handlungen Folgen haben.
Meine Anfälligkeit für diese Art bewusstseinstrübender Mittel erkennend, habe ich dann alle Videospiele von meinem PC gelöscht. Dummerweise
gibt es so etwas auch im Netz, wo es mich noch einmal kurzfristig
gefangen nahm, aber inzwischen habe ich das auch überwunden - - -
glaube ich.
Mit
hellwacher Achtsamkeit läutere ich meinen Geist. Das heißt, alles das
ist positiv, was dazu dient, meinen Geist zu verstehen, zu betrachten,
zu analysieren und zu integrieren. Ich muss mich also fragen, welche
dunklen Ecken gibt es in meinem Geist, wo regiert das Unbewusste,
hinter welchem Verhalten stecken meine Dämonen, meine dunklen Seiten.
Ich
zum Beispiel liebe es, möglichst alles unter Kontrolle zu haben, ich
will stark, selbstbewusst, unabhängig sein. Das bedeutet, z. B. auch
finanziell unabhängig. Es gibt da in mir eine gewisse Angst, plötzlich
ohne Geld dazustehen, finanziell impotent gewissermaßen. Das ist der
Grund, warum ich immer in meinem Portemonnaie in einer geheimen
Seitentasche 100 € in Reserve habe, fünf Scheine zu 20 €. Das ist
offensichtlich ein Zeichen von Unsicherheit, gepaart mit der
Verblendung, dass mir Geld Sicherheit geben könnte.
Anders
der Buddha, der ist in die Hauslosigkeit gegangen, d. h. er hat bewusst
die Illusion der Sicherheit hinter sich gelassen, sich von ihr
emanzipiert. Da gab es keine Sicherheit, keine Ersparnisse, kein
Eigentum, eben nur das, was er auf dem Leib trug. Täglich musste er
sein Essen erbetteln, um sich deutlich zu machen, dass alle Sicherheit
Illusion ist. Kein Wunder, dass praktisch nur Mönche und Nonnen, die in
die Haus- und Besitzlosigkeit gegangen waren, zur Erleuchtung kamen.
Als
ich vorigen Monat hörte, dass Kollege aus dem Netzwerk Engagierter
Buddhisten, der Zen-Meister Heinz-Jürgen Metzger, ein Retreat in
Frankfurt leitet, bei dem genau das eingeübt wird, nämlich zu lernen,
wie es ist, ohne Sicherheit zu leben - zwar nur für fünf Tage, aber
immerhin, da wusste ich, das wäre auch hilfreich für mich. Man lebt als
Obdachloser auf der Straße, ohne Geld. Wenn man Hunger hat, muss man
sich etwas erbetteln, wenn man Durst hat, etwas Trinkbares suchen, für
die Nacht einen Schlafplatz, vielleicht etwas Pappe zum Unterlegen, zum
Isolieren vor der Kälte der Nacht.
Als ich das las, da wusste ich, dass es das war, was ich brauchte, und
ich schrieb ihm sofort, dass ich bei diesem Retreat mitmachen
möchte.
Und
dann kam die Antwort. Die Retreatgebühr muss man sich erbetteln - nix
mit der Sicherheit auf das eigene wohlverdiente Geld zugreifen zu
können, nein, man muss vielmehr Menschen ansprechen, ob sie einem doch
bitte das Geld für dieses Retreat geben, schenken, man muss echt darum
betteln. 18 Leute müssen mir jeweils 18 € schenken und eine Person 108
€. Das ist herausfordernd, vor allem für einen so auf finanzielle
Sicherheit bedachten Kerl wie mich. Also entschied ich mich im ersten
Monat, im Dezember 2013, drei Personengruppen direkt anzusprechen, mit
denen ich genug Zeit hätte, mich darüber zu unterhalten
- mit meinen EnergieWendefreunde am 6.12.
- mit meinen Kindern am 7.12.
- mit meinen Freunden von der Skype-Sangha am letzten Sonntag
und was mache ich Idiot? Ich renne auf den Weihnachtsmarkt und ins Café Art, verschanze mich hinter einem Buch!
Ich
versuchte, als ich den Anruf meiner Ferunde auf dem AB geört hatte,
herauszufinden was da los war. Und plötzlich fiel mir ein, dass ich
auch bei den beiden anderen Gelegenheiten, bei den EnergieWende-Leuten
und bei meiner Familie nur über Belanglosigkeiten gesprochen hatte und
nicht über das, was mir wirklich wichtig war. Ich hatte es ganz einfach
vergessen. Oder wohl besser: verdrängt. Was war da los?
Mit hellwacher Achtsamkeit läutere ich meine Körper????
Von
wegen! Dunkle Seiten meines Bewusstseins wirken kontraproduktiv, wollen
mich daran hindern, so etwas Peinliches wie Betteleien zu machen. So
ist unser verblendeter Geist, meiner jedenfalls. Es zeigt mir einmal
mehr, wie wenig integriert ich bin. Wie verschiedene Seiten meines Ich kontraproduktiv gegeneinander arbeiten.
Bin ich ein Idiot?
Oder
bin ich jemand, der bereits so weit entwickelt ist, dass ihm diese
Desintegration bewusst wird? Dass er bereit ist, den Kampf um die
Integration aufzunehmen. Ja, es ist ein Kampf. Wie sagte doch der
Buddha: Tapfer ist nicht der, der 1000 Feinde in 1000 Schlachten
besiegt, tapfer ist der, der sich selbst besiegt. Und der Buddha
bezeichnete sich auch als der Lehrer der zur Selbstmeisterung bereiten
Menschen.
Und
genau da sehe ich mich, nämlich als einer, der bereit ist zur
Selbstmeisterung. Als einer, der dabei ist um seine Integration, um die
Integration der divergierenden Teile seines nichtvorhandenen Selbst zu
kämpfen.
Und
wenn ich jetzt am Ende dieser Vortragsreihe, am Ende der Reihe "Das
Gute leben" so weit bin, meine Fehler einzugestehen, Fehler, die ich
noch vor wenigen Tagen gar nicht wahr haben wollte, Verblendung, die
bis zum heutigen Tage in mir aktuell ist, dann ist das doch schon ein
kleiner Sieg. Ein Sieg über meine Eitelkeit.
Und
ihr könnt mir glauben es war nicht ganz leicht, sich das einzugestehen.
Und es war auch nicht leicht das hier und heute, vor euch
einzugestehen. Aber ich bin froh es getan zu haben. Denn es trägt dazu
bei, mich selbst zu meistern, mich zu verändern, mich zu emanzipieren,
zu evolvieren. Nichts anderes ist Buddhismus, nichts anderes ist das
spirituelle Leben. Die antiken Philosophen reflektierten darüber, was
"das gute Leben". Ich stelle feststellen:
Das Gute leben
ist das gute Leben.
Zu Meditation am Obermarkt
Zurück zu den Artikeln und Vorträgen
Zu den Audio-Vorträgen