Zwei Strategien: Verbieten oder Überzeugen
Vortragsreihe „Meditation“
, Teil IX
von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt
zuletzt geändert am 8. Oktober 2019
Liebe Freundinnen und Freunde der Meditation, an jedem Donnerstag in diesem Jahr habe ich bislang einen Vortrag über Meditation gehalten, und auch diesmal, an unserem 100. Offenen Meditationsabend in Gelnhausen, möchte ich das so halten.
 

Manchmal habe ich über Meditationstechniken gesprochen, mitunter, z. B. beim letzten Mal, über Ziele der Meditation, häufig aber auch über die Meditationshindernisse und den Umgang damit. Wir haben in der Vergangenheit gehört, dass es fünf Gruppen von Meditationshindernissen gibt, nämlich

1. Alles, was mit sinnlichem Verlangen zu tun hat,
2. Alles, was mit Abneigung, Ärger, Wut zu tun hat,
3. Müdigkeit und Trägheit,
4. Unruhe und Besorgtheit und 
5. Skeptizismus und Unentschlossenheit


Und schon in drei Vorträgen habe ich mich mit dem Umgang, mit der Bekämpfung von Meditationshindernissen beschäftigt. Ein Vortrag hieß „Zwei Anker“, in dem haben wir erfahren, wie hilfreich es sein kann, immer wieder auf die Achtsamkeit auf den Atem und die Achtsamkeit auf den Körper zurückzukommen, in einem zweiten haben wir die „Methode des blauen Himmels“ kennen gelernt und in einem dritten mit dem schönen Titel „Die Quelle aller Meditationshindernisse beseitigen“ haben wir erfahren, wie wichtig das, was wir außerhalb der Meditation machen, für unsere Meditation ist. Alle diese Vorträge könnt ihr auch auf unseren Internetseiten nachlesen oder anhören. 


Heute lernen wir gleich zwei Strategien kennen, wie wir mit Meditationshindernissen umgehen können, nämlich Verbieten und Überzeugen.

Die einfachste Methode ist das Verbieten. Wann immer uns etwas in den Sinn kommt, sei es Verlangen, sei es Abneigung oder sei es ein Gedanke der Besorgtheit, können wir sagen: jetzt nicht! Das heißt wir unterdrücken diesen Gedanken im Moment. Unterdrückung ist prinzipiell zwar eine suboptimale Strategie, denn alles, was wir unterdrücken, was wir versuchen, unter den Teppich zu kehren, ist nicht weg, es ist bestenfalls in den Bereich des Unbewussten abgewandert und treibt dort sein Unwesen oder kommt früher oder später wieder an die Oberfläche. Das ist der Grund warum ich das Verbieten nicht einfach mit dem Wort: Nein! beschrieben habe, sondern mit „jetzt nicht!“, was bedeutet, dass wir uns damit zu einem anderen Zeitpunkt beschäftigen werden, das gilt insbesondere für alles, was mit Unruhe und Besorgtheit zu tun hat.

Wir müssen die dahinter liegenden Probleme anerkennen und lösen, aber eben nicht in der Meditation, sondern zu einem anderen Zeitpunkt. Auch hier gilt der Dreiklang, den der Buddha lehrt: Hören – Reflektieren – Meditieren, also
(1.) höre auf das, was dich besorgt macht,
(2.) reflektiere darüber, und zwar sowohl über die Ursachen der Sorgen, über die Folgen der Sorgen und über die geeignete Strategie, mit diesem Problem umzugehen, und dann kannst du auch wieder
(3.) gut meditieren.

Aber vermische die drei Dinge nicht: wenn du reflektierst, dann reflektierst du, und wenn du  meditierst, dann meditierst du. Das sind zwei verschieden Dinge. Genau wie essen und atmen zwei verschiedene Dinge sind. Wenn du versuchst gleichzeitig zu essen und einzuatmen, verschluckst du dich, dann hast du weder angenehm und erfolgreich gegessen noch angenehm und erfolgreich geatmet. Beides findet zwar im Hals statt, aber du solltest es nicht durcheinander bringen. Und ähnlich unangenehm ist es, wenn du Reflektieren und Meditieren durcheinander wirfst. Beides findet zwar im Geist statt, aber du solltest
es nicht durcheinanderbringen, denn das ist weder angenehm noch erfolgreich.

Also verbieten heißt: dich dem, was dich in deiner Meditation stört, nicht jetzt zu widmen, sondern zu einem anderen Zeitpunkt. Häufig funktioniert das. Aber leider nicht immer. Was ist, wenn es nicht funktioniert?

Nun, dann greift die zweite Strategie: du musst dich überzeugen, dass es jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für das Hindernis ist, indem du dir klar machst, wohin die Beschäftigung mit diesem Hindernis führt. Nehmen wir an, das Hindernis sei sinnliches Verlangen nach XY. Dann kannst du jetzt erwägen, wohin dich diese Ablenkung führen wird, nämlich zu weiteren Ablenkungen und zur Zeitverschwendung, du wolltest doch meditieren, dazu hast du dich hingesetzt, jetzt vergeudest du die Zeit mit etwas anderem.

Außerdem kann das sinnliche Verlangen während der Meditation zu einer schlechten Angewohnheit werden, d. h., wann immer du ihm nachgibst, verstärkst du diese schlechte Angewohnheit und vergrößerst damit das Problem, und das wiederum verstärkt den Widerstand gegen die Meditation. Außerdem gilt für dieses sinnliche Verlangen, dass es unbeständig ist, du rennst also gedanklich hinter etwas Unbeständigem her. Kein sinnliches Verlangen vermag dich letztendlich völlig zu befriedigen, du wirst also hinterher nur wieder enttäuscht sein, z. B. weil du die Zeit für Meditation vertan hast.


Dieses Erwägen, dieses innere Überzeugen, hat natürlich auch eine Gefahr. Wenn du nämlich die ganze oder einen großen Teil der Meditationszeit mit dem Erwägen verbringst, dann hast du nicht meditiert, sondern nur über Meditationshindernisse reflektiert. Und du sollst ja meditieren und nicht reflektieren. Also achte darauf, dass du diese Phasen des Erwägens, des Überzeugens kurz hältst. Wenn du während unserer 40-minütigen Meditation auf ein Hindernis von sinnlichem Verlangen stößt, dann erwäge kurz vielleicht eine Minute lang, wohin dich das führen wird, und komme dann wieder zum Meditationsobjekt zurück. Und wenn 10 Minuten später vielleicht Besorgtheit auftritt, dann erwäge kurz, wohin Besorgtheit führt und dann komme wieder zum Meditationsobjekt zurück. Dieses Erwägen wird jetzt vermutlich sogar kürzer sein, du brauchst dich vielfach nur an deine früheren Erwägungen zu erinnern, um diese Erkenntnis wieder ins Bewusstsein zu rufen. Natürlich kannst du dann auch eine der anderen Methoden der Hindernisbekämpfung anwenden, sei es der Blaue Himmel oder vielleicht der Anker der Körperachtsamkeit.

Ich habe bisher nur davon gesprochen, wie wir das Erwägen, das Überzeugen unserer Selbst beim Hindernis von sinnlichem Verlangen einsetzen können, aber es funktioniert bei anderen Hindernissen ebenso, nehmen wir das Hindernis von Abneigung, Wut, Ärger, Zorn an. Hierzu einige kurze Gedanken:

Auch hier gilt: du musst dir nicht alle diese Dinge in epischer Breite durch den Kopf gehen lassen. Ein oder zwei Punkte davon reichen, mach es kurz! Vielleicht hast du nach einiger Zeit herausgefunden, welche dieser – oder vielleicht anderer – Überlegungen bei dir besonders gut funktioniert; voila – nutze sie!

Vielleicht noch einige Tipps zum Überzeugen, wenn das Hindernis Besorgtheit ist:

O. k. – Heiterkeit beiseite. Was ist, wenn sich nicht die Sorgen schlafen legen, sondern ich schläfrig werde? Wenn das Hindernis also Trägheit und Schlappheit ist?

Hier könnte man erwägen: das Leben ist kostbar und kurz, vergeude es nicht! Oder: stelle dir die Tatkraft eines anderen, inspirierenden Wesens dar, z. B. die des Buddha, oder irgendeiner anderen Person, für deren Energie du Bewunderung hegst. 

Sollte dein Hindernis Skeptizismus oder Unentschlossenheit sein, dann überlege, was dir wirklich unklar ist. Wenn Du nicht gleich darauf kommst, dann nimm dir vor, nach der Meditation darüber zu reflektieren und kehre zum Meditationsobjekt zurück oder besinne dich auf deine beiden Anker. Aber reflektiere dann außerhalb der Meditation wirklich darüber, was dir unklar ist. Und dann schreibe dir deine Fragen auf. Wenn Du sie nicht lösen kannst, dann frage einen, von dem du glaubst, er könne dir helfen.

Mich zum Beispiel.  -  Und wenn ich es auch nicht weiß? - Nun dann gehen wir einfach zusammen zu einem, der klüger ist als wir beide.

Noch eine Bemerkung zum Abschluss. Wenn wir oft genug mit der Methode des Überzeugens, des Erwägens, gearbeitet haben, dann haben wir genügend Routine darin gewonnen haben, dann wird die Methode des Überzeugens der des Verbietens ganz ähnlich.

Wenn ich mir z.B. oft genug, wann immer in meiner Meditation Ärger auf jemanden hochkam, gesagt habe:
- Der Blödmann wird die Früchte seines Karma schon ernten oder
- Manchmal bin ich auch ein ziemlicher Blödmann oder
- Supergelegenheit Geduld zu üben!
dann langt das winzigste Aufkeimen von Ärger, um mich an diese Sprüche zu erinnern und ein Schmunzeln tritt auf meine Lippen, denn ich weiß, dass ich diesen Ärger besiegen kann.

Glaubt ihr nicht? Ein Beispiel dazu. Früher habe ich mich immer um halb sechs morgens zur Meditation hingesetzt und genau 10 Minuten später ging die Heizung an, was dazu geführt hat, dass die Heizungsrohre unregelmäßig klopften.

Anfangs habe ich mich furchtbar darüber aufgeregt: jedes Mal, wenn ich meditieren will, dieser Terror! Nach zwei Wochen habe ich begonnen mich darüber aufzuregen, dass ich immer noch nicht daran angedacht hatte, die Heizung so einzustellen, dass sie zu einer anderen Zeit hochfährt. Dann endlich habe ich die Heizung umgestellt. Sie sprang jetzt eine halbe Stunde früher an. Doch das Klopfen begann nach wir vor um 20 vor sechs. Beim ersten Mal ist ziemliche Wut in mir aufgestiegen. Alles ist gegen mich! Ein böses Schicksal will mich an der Meditation hindern! Die Heizung ist mein Feind!

Am nächsten Tag das Gleiche! Doch diesmal kam mir eine neue Idee. Wenn es mich doch so ärgert, dass ich mich über die Heizung ärgere, warum höre ich nicht einfach auf damit. Diese Heizung ist gar nicht mein Feind, sondern mein Lehrmeister! Diese Heizung ist ein mindestens so großer Lehrmeister wie der große tibetische Guru Marpa, der seinen Schüler Milarepa Jahrzehnte lang quälte. Diese Heizung will mir Geduld lehren. Ist der Schüler reif, dann erscheint der Lehrer. Wow, ich bin reif genug! Mir ist die Heizung erschienen! Danke großer Guru Heizung! 

An diesem Tag war ich richtig begeistert von meinem Glück einen so hervorragenden Lehrer zu haben!

Und vom nächsten Tag an, wann immer ich mich zur Meditation niedersetzte und das Ticken der Heizung begann, erschien ein flüchtiges Lächeln auf meinem Gesicht und in meinem Geist nur ein einziges Wort: Danke, großer Guru! Und dann wandte ich mich wieder in tiefer Freude meinem Meditationsobjekt zu: metta – mögen alle Wesen glücklich sein, mögen alle Wesen das Glück haben, mit einer tickenden Heizung gesegnet zu sein!

Zu Meditation am Obermarkt

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