Was ist Meditation?
Vortragsreihe Meditation Teil I
 von Horst Gunkel, Meditation am Obermarkt, Gelnhausen (2012)
letztmals geändert am 08.10.2012


Die meisten Menschen, die sich für Meditation interessieren, die meisten Leute, die hier erstmals auftauchen, wissen nicht, was Meditation ist. Sie haben zwar irgendeine Vorstellung von dem, was sie für Meditation halten, aber das ist ihre eigene Projektion, mitunter bedingt durch falsche Information, aber immer bedingt durch eigene Projektionen, eigene Wunschvorstellungen. Natürlich gibt es auch negative Projektionen, also falsche Vorstellungen von Meditation, die keine Wunschvorstellungen sind, sondern eher als Bedrohungen gesehen werden. Wer solche Ideen von Meditation hat, wird jedoch eher hier gar nicht erst auftauchen. Wer herkommt, hat bestimmte Vorstellungen, bestimmte Wünsche, und wenn diese nicht oder kaum bedient werden, wird er oder sie nicht wiederkommen.

 
Sehen wir uns daher zunächst einige der häufigsten falschen Vorstellungen über Meditation an, damit wir zunächst wissen, was Meditation nicht ist, bevor wir uns der eigentlichen Frage zuwenden, nämlich was Meditation wirklich ist.
 
Meditation ist keine Realitätsflucht
 
Die Annahme, dass Meditation Realitätsflucht sei, ist weit verbreitet. Es ist ein Grund, warum viele Menschen Meditation ablehnen. Sie glauben, wer in Meditation sitzt würde versuchen, sich vor der Realität zu verstecken. Aber diese falsche Annahme ist für einige Menschen auch ein Grund, hierher zu kommen. Denen muss gesagt sein, dass sie hier falsch sind.

Es gibt viele Möglichkeiten der Realität zu entfliehen: Fernsehen, Beschäftigung mit Mode (vielleicht eher für Frauen) oder mit Fußball (bei Männern weiter verbreitet), und die ganz vielen Angebote der modernen Unterhaltungsindustrie. Meine liebste Realitätsflucht war früher das Reisen. Ich habe mir vorgemacht, dass Reisen bildet. Aber ich musste inzwischen feststellen, dass ich in zwei Wochen Sri Lanka, in zwei Wochen Japan, in zwei Wochen Ladakh weniger über den Dharma, die Lehre des Buddha, gelernt habe als an einem Tag des Rückzuges in meinen Meditationsraum.

 
Meditation ist keine Realitätsflucht, sondern sich der Realität zu stellen. Wenn wir die metta bhavana üben, dann üben wir einen besseren Umgang mit anderen Wesen ein. Wenn wir unseren Atem betrachten, dann betrachten wir Vergänglichkeit, betrachten Loslassen, betrachten unsere Verbindung mit anderen Wesen, betrachten das, was Thich Nath Hanh „Intersein“ nennt. Letztendliches Ziel von buddhistischer Meditation ist Einsicht, ist Erkenntnis der Dinge, wie sie wirklich sind, ist Erwachen aus der Traumwelt unserer irrigen Projektionen.
 
Was ist Meditation auch nicht?
 
Meditation ist kein schneller Problemlöser
 
Und bei dieser Aussage liegt die Betonung auf „schneller“. Schnell ist das Gegenteil von nachhaltig. Unsere heutigen Verhaltensweisen in dieser kurzlebigen Zeit neigen eher zu Schnelligkeit als zu Nachhaltigkeit. Wenn wir krank sind und den Arzt rufen, erwarten wir schnell die Beseitigung der Krankheit. Wenn der Arzt uns kein Medikament verschreibt, gehen wir lieber zu einem anderen, denn wir suchen das Wundermittel, das unsere Probleme schnell beseitigt und dabei keinerlei Nebenwirkungen hat. Wir suchen etwas, das es nicht gibt.

Viele Krankheiten haben die Ursache in erster Linie in unserem Verhalten. Hier wäre Verhaltensänderung angebracht, z. B. eine Ernährungsumstellung, regelmäßigeres Leben oder ein stressfreierer Beruf, eine andere Einstellung bezüglich unserer Wünsche, Bedürfnisse und Ansprüche. Aber häufig drücken wir uns vor den wirklichen Problemlösern und suchen nach Wundermitteln. Meditation ist kein Wundermittel. Sie kann aber ein, wenn nicht der Problemlöser sein, aber nur, wenn wir ihr die Chance geben, sie so einzusetzen, wie sie helfen kann: langfristig, regelmäßig, angepasst.

 
Ein japanisches Sprichwort erläutert, wie nachhaltige Entwicklung funktioniert: Oh Schnecke, erklimme den Fujijama – aber langsam.
 
Meditation ist eine billige Droge
 
Richtig gelesen, ich habe nicht „keine“ billige Droge gesagt, sondern eine billige Droge. Tatsächlich habe ich mit einem Ordensmitglied des Triratna-Ordens gesprochen, der gesagt hat, genau aus diesem Grunde sei er zu Triratna gekommen. Er sei auf einem Rockfestival gewesen und irgendwann habe er kein Geld mehr für Drogen gehabt. Und auf diesem Festival sei ein Zelt der Buddhistischen Gemeinschaft Triratna gewesen, genauer gesagt von deren Unterorganisation Buddhafields, an dem stand: Hier gibt es eine kostenlose Droge: Meditation. 
 
Und dieser junge Mann ist genau deswegen in dieses Zelt gegangen und hat festgestellt, dass Meditation ihn high macht, oder technisch korrekter ausgedrückt, dass sie Gefühle von piti (Verzückung, Ekstase) und sukha (Glückseligkeit) hervorruft. Er ist dann bei Triratna geblieben, hat sich für sechs Jahre in ein Tal, das der Triratna-Gemeinschaft in Spanien gehört, es hießt Guhyaloka (geheimer oder verborgener Ort), zurückgezogen und wurde dort ordiniert.
 
Also: man kann Meditation wie eine Droge benutzen, aber das ist nicht Sinn der Sache. Viele Menschen meditieren aber genau aus diesem Grunde. Sie gelangen in diese glückliche Stimmung und das war dann auch schon alles, was sie wollten. Das ist genau so sinnvoll, wie autofahren zu lernen, um dann immer nachts auf der Autobahn von Gelnhausen nach Wächtersbach und zurück zu fahren und sich dabei am Rausch der Geschwindigkeit zu ergötzen, die Möglichkeiten der Mobilität jedoch nicht zu nutzen.
 
Ist Meditation selbstsüchtig?
 
Nun das wäre eher ein Grund, Meditation abzulehnen. Die Variante, die Meditation anziehend macht, jedoch den gleichen Gedanken zu Grunde liegen hat ist: ICH will MIR etwas Gutes tun. Wahre Meditation aber trägt dazu bei, die Grenzen zwischen Ich und Ander aufzuheben, daher kann sie gar nicht selbstsüchtig sein. Würden wir in der metta bhavana nur die erst Stufe pflegen, dann wäre dies selbstsüchtig. Das wäre dann allerdings keine Meditation, sondern Selbstbeweihräucherung.
 
Und zum Schluss der beliebteste Irrtum:
 
Meditation ist einfach eine Entspannungstechnik  

Das ist nur halbfalsch. Meditation ist zwar eine Entspannungstechnik, aber sie ist nicht wirklich einfach. Es gibt einfachere, z. B. sich mit einem Glas Rotwein in der Hand in die Badewanne legen, das entspannt auch, führt aber nicht wirklich zu Einsicht.

 
Allerdings gibt es offensichtlich sog. Meditationsangebote, die zwar keine Meditation sind aber Wellnessangebote. So hat eine Frau, die sich hier zur Meditation anmelden wollte, zwar verwundert festgestellt, dass es hier keine Teilnehmergebühren gibt, dann jedoch entsetzt gefragt: Wie – ihr meditiert ganz ohne Musik? Ja, das machen wir, denn bei der Meditation kommt es darauf an, sich von äußeren Ablenkungen frei zu machen, sich nach innen zu konzentrieren, nicht sich von außen einlullen zu lassen. 
 
Eine andere Teilnehmerin, die einmal hierher kam, habe ich gefragt, ob sie Meditationserfahrung habe, und sie meinte, sie hätte schon drei Meditationskurse gemacht, sogar „schon Traumreisen“. Dabei handelt es sich um von außen geleitet angeregte Fantasy-Trips. Also ungefähr so wie Fantasy-Filme-Gucken ohne Film. O. k., wenn man sich ein Video reinziehen will, dann soll man sich ein Video reinziehen, aber sich nicht vormachen, das habe etwas mit Meditation zu tun.
 
Vor vielen Jahren habe ich bei uns in der Schule im Rahmen einer Projektwoche Meditation angeboten. Es gab zu jeden der rund 100 Projekte einen Aushang, auf dem sich die Schüler informieren konnten. Ich habe darin ausführlich erläutert, was wir machen werden. Die Kollegin, die die Aushänge aushängen sollte, fand das jedoch zu lang und hat es nach den ersten drei Sätzen abgeschnitten.

„Mer waaß doch wohl was des iss, Medidadion“, war ihre Begründung dafür. Offensichtlich waren die Schülerinnen, die sich dazu anmeldeten jedoch genau so dumm wie die Kollegin. Als ich zu Beginn der Projektwoche erläuterte, was Meditation sei, liefen drei Viertel der Anwesenden unter Wehgeschrei davon. Ein Viertel blieb, ob aus Interesse oder aus Trägheit sei dahin gestellt, aber auch diese wunderten sich: Mit uns hat früher eine Lehrerin mal Meditation gemacht, das war aber ganz anders. Was denn dort gemacht wurde, fragte ich: „Naja, normale Meditation eben“, war die Antwort, „also einfach rumhängen, ein bisschen geile Musik hören, chillen eben.“

 
Um es ganz klar zu sagen: Das ist nicht Meditation!
 
Was aber ist denn dann Meditation? 
 
Meditation ist die bewusste, gezielte, selbstgesteuerte Transformation suboptimaler Geisteszustände in positivere Geisteszustände. 
 
Wir werden uns diese Definition genauer ansehen müssen. Es geht also um Geisteszustände, die geändert werden sollen. Unsere Geisteszustände werden beständig geändert. Alles, was wir sehen, hören, riechen, schmecken, ertasten oder denken beeinflusst unsere Geisteszustände. Eine Bachkantate wirkt auf meinen Geist anders als ein Hit wie „Ich will Spaß, ich geb´ Gas“ oder als „Es zittern die morschen Knochen“.

Häufig setzen wir uns unbewusst oder aus Langeweile irgendwelchen Einflüssen aus. Wir sehen im Fernsehprogramm einen Filmtitel und denken: das könnte interessant/ lustig/ spannend/ thrilling sein und schalten ein. Und das hat dann eine Auswirkung auf unsere Geisteszustände. Ich habe festgestellt, dass ein vergleichsweise harmloser Film wie die Serie „Tatort“ in meiner Meditation etwa vier Tage lang Nachwirkungen hat. Und in der Meditation fällt mir das nur besonders auf, weil ich da meinen Geist betrachte. Wenn ich nicht meditieren würde, wenn ich meinen Geist also nicht betrachten würde, hätte es die gleichen negativen Einflüsse, es fiele mir allerdings nicht auf. Dann wäre ich also diesbezüglich mit Blindheit geschlagen, verblendet. Wir arbeiten also beständig an unseren Geisteszuständen, meist unbewusst. Um nicht unbewusst in eine unerwünschte Richtung zu arbeiten, empfiehlt der Buddha: Hüte deine Sinnestore, also: achte darauf, was Du hörst, siehst, denkst, trinkst…

 
Neben diesen vielfach unbewussten Beeinflussungen unserer Geisteszustände, also der indirekten Arbeit am Geist, gibt es aber eine Art, direkt am Geist zu arbeiten, und das ist Meditation. Damit haben wir uns einen Teil der obigen Definition erarbeitet, nämlich: Meditation ist die bewusste Transformation von Geisteszuständen.
 
Unsere Definition ging aber weiter, indem sie sagte, das suboptimale Geisteszustände in positivere verwandelt werden sollen. Was sind suboptimale Geisteszustände? Nun, alles, was uns unzufrieden macht, ist suboptimal. Das Gegenteil von unzufrieden ist zufrieden. Und das heißt vom Wort her: zum Frieden kommen, was augenscheinlich positiver ist als Unzufriedenheit. Aber was heißt das, Unzufriedenheit? Wir sind unzufrieden, wenn wir etwas nicht haben, was wir haben wollen. Egal ob das ein Lutscher ist, ein Auto, ein Arbeitsplatz, ein Partner oder ein Lottogewinn. Verlangen, Habenwollen, Greifen, Festhalten wollen, Sehnsucht, Gier ist also eine Ursache von Unzufriedenheit. 
 
Unzufrieden sind wir aber auch, wenn wir etwas haben, was wir nicht wollen, sei es der blöde Nachbar, Zahnschmerzen, ein Computer, der dauernd abstürzt, die Dusche, deren Wärme sich nicht richtig regulieren lässt oder der Ehepartner. Die zweite Art von Unzufriedenheit ist also die, die mit Abneigung, Aversion, Groll, Wut, Zorn, Hass zu tun hat.
 
Und die dritte Art von Unzufriedenheit beruht auf etwas, was ganz am Anfang meines Vortrages mehrfach vorkam: Projektion. Wir erwarten etwas von einem Gegenstand oder einer Person, das diese nicht leisten kann. Wir erwarten von Meditation, das sie ein schneller Problemlöser ist, ist sie aber nicht. Wir erwarten von unserem Arbeitsplatz, von unserem Auto, von unserem Partner, dass er uns dauerhaft glücklich macht. Wir projizieren Erwartungen darein, die dieses Ding, diese Person oder diese Methode unmöglich erfüllen kann. Und dann sind wir enttäuscht – also am Ende unserer Täuschung – wenn dieses Ding, diese Person, diese Methode tatsächlich das nicht erfüllt, was sie nicht erfüllen kann. Die Enttäuschung ist Produkt unserer Täuschung, unserer Projektion, unserer Verblendung.
 
Demnach sind die drei wichtigsten suboptimalen Geisteszustände diejenigen, die in Verlangen, Abneigung und Selbsttäuschung wurzeln, oder, um in der traditionellen Terminologie zu bleiben, in Gier, Hass und Verblendung. Und positiver sind alle Geisteszustände, bei denen diese Kernübel weniger stark ausgeprägt sind.
 
Und damit haben wir auch das Wort „gezielt“ in unserer Definition „Meditation ist die bewusste, gezielte, selbstgesteuerte Transformation suboptimaler Geisteszustände in positivere Geisteszustände“ hinreichend erläutert, Ziel ist der Abbau von Gier, Hass und Verblendung.
 
Bleibt noch das Wort „selbstgesteuert“, was bedeutet, dass ich das selbst mache, eigenverantwortlich in die Hand nehme. Dazu muss ich erkennen, welche Ausprägungen von Gier, Hass und Verblendung bei mir besonders virulent sind und ich muss ausprobieren, welche Methoden zu deren Transformation besonders geeignet sind. Hier gilt, wie gewöhnlich: Patentrezepte gibt es nicht. Deshalb ist genaues Beobachten wichtig. Und deshalb ist auch Erfahrungsaustausch hilfreich. Und genau dazu soll diese Vortragsreihe dienen. 
 
Warum arbeiten wir aber dann mit zwei von außen vorgegebenen Techniken, den Vergegenwärtigungen des Atems und der metta bhavana? Ist das nicht das Gegenteil von selbstgesteuert? Nun, der Grund ist, dass wir alle, um genau Beobachten zu können, unsere Achtsamkeit schulen müssen. Dem dient die Atemachtsamkeit, Atem ist dabei das Trainingsobjekt. Und ein wichtiges Gegenmittel zu Abneigung – diese wurzelt in uns allen – ist die metta bhavana.
 
In den nächsten Vorträgen dieser Reihe werde ich jedes Mal einen Teilbereich aus dem Arbeitsfeld Meditation herausgreifen und beleuchten, und das soll für uns Anlass sein darüber in einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch einzutreten.
 
Und genau das sollten wir auch jetzt, im Anschluss an diesen Vortrag tun: in einen Erfahrungsaustausch darüber eintreten, was ich heute hier über Meditation gesagt habe, und welche Erfahrungen wir selbst diesbezüglich in Meditation gemacht haben.

Zu Meditation am Obermarkt

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