Die Rechte Vision
und: Was kann ich jetzt tun, um an mir zu arbeiten
letzte Änderungen: 2. September 2011


Liebe Freundinnen und Freunde,

im vergangenen halben Jahr habe ich euch die Bilder hier an dieser Wand euch gegenüber erläutert. Ich habe gezeigt, wie unser reaktiver Geist arbeitet, durch den wir uns nicht weiterentwickeln, das waren die zwölf zyklischen Kettenglieder (oder nidanas) des Bedingten Entstehens, und ich habe euch gezeigt, welche Alternative es gibt, wie man sich durch die zwölf progressiven Kettenglieder zu Vollkommenheit entwickeln kann. Wer das nicht gehört hat und sich dafür interessiert, kann das auf unserer Internetseite nachlesen oder wahlweise anhören, es ist der sog. Evolutionskurs.

Das letzte Mal habe ich dann darüber gesprochen, wie wir unser Verhalten in Abhängigkeit von unseren Zielen und zur Erreichung unserer persönlichen Ziele optimieren können. Von heute an möchte ich in einigen Vorträgen erläutern, wie das ganz konkret aussehen kann. Ihr werdet von mit heute z. B. etwas über die Vier Rechten Bemühungen erfahren, mit denen wir uns auf den Weg zur Optimierung unserer Person begeben können. Und gleichzeitig steigen wir ein in eine Betrachtung dessen, was auf der Wand hinter euch zu sehen ist, des Rades der Lehre.

Die vielleicht bekannteste Lehrdarlegung des Buddha ist die des Edlen Achtfachen Pfades. Sie wird dargestellt durch ein Rad mit acht Speichen, wie ihr es an der Wand hinter euch seht.

Wenn wir heute an den Buddha oder an seine Lehre denken, assoziieren wir meist ein Bild vom Buddha, in etwa so wie die rupa, also die Buddhafigur, hier auf dem Schrein. Buddhafiguren sieht man heute ja allenthalben: in fast jedem Fernsehkrimi steht irgendwo eine herum, in den Schaufenstern dienen sie als Dekoration oder man stellt sie sich als Springbrunnen in den Garten. So wie vor 100 Jahren Gartenzwerge Mode waren, so sind es heute Buddhafiguren. Und meist ist dies völlig sinnentleert, oder zumindest fast völlig sinnentleert. So ein ganz klein bisschen Inhalt steckt doch noch drin, denn diese Buddhafiguren strahlen, wenn sie einigermaßen gut gemacht sind, Ruhe, friedvolle Gelassenheit, Freundlichkeit und Mitgefühl aus.

In den ersten 500 Jahren nach der Zeit des Buddha gab es jedoch überhaupt keine Buddhafiguren, sondern stattdessen ein anderes Symbol, eines, das für die Lehre des Buddha, den Dharma, stand und eben dieses Symbol war das achtspeichige Rad, das Rad der Lehre, das dhamma cakra. Dadurch wurde vielmehr als mit den heutigen Buddhafiguren Bezug genommen auf den Inhalt dessen, was der Buddha gelehrt hatte. Aber was ist nun dieser Inhalt?

Der Buddha hat keine Theorie verbreitet, keine Philosophie und auch keine Botschaft eines Gottes. Wenn man den Buddha fragte: „Was ist Deine Lehre?“ So sagte er gewöhnlich: „Ich beschreibe dukkha und die Überwindung von dukkha.“ Dukkha bedeutet Unvollkommenheit, Unzufriedenstellendes, vielleicht sogar Leiden.

Und wenn man heute Buddhisten in aller Welt fragt, was denn eigentlich die Lehre des Buddha sei, so kann man aus den einzelnen buddhistischen Schulrichtungen die unterschiedlichsten Antworten bekommen, aber in einem sind sich alle diese Schulrichtungen einig, nämlich dass der Buddha die Vier Edlen Wahrheiten und den Edlen Achtfachen Pfad gelehrt hat. Das ist unumstrittene Tatsache zwischen allen buddhistischen Schulrichtungen. Diese Vier Edlen Wahrheiten heißen

1. Die Edle Wahrheit von der Unvollkommenheit.
Sie besagt: alles abhängig Entstandene ist unvollkommen und nicht letztendlich zufriedenstellend (das gilt für alles: ein EDV-Programm, eine Währungsunion, eine Partei oder ein Kleidungsstück).

2. Die Edle Wahrheit von der Ursache.
Sie besagt, dass diese Empfindung des Letztendlich-Nicht-Zufriedenstellenden auf eine oder mehrere Ursachen zurückzuführen ist, nämlich auf Gier, Hass und Verblendung.

3. Die Edle Wahrheit von der Überwindung.
Sie besagt, dass dieses Empfinden, dass Dinge unvollkommen sind, nicht zufriedenstellend oder sogar leidvoll sind, überwunden werden kann, nämlich dann, wenn man seine Ursachen beseitigt, also Gier, Hass und Verblendung überwindet.

4. Die Edle Wahrheit vom Pfad.
Sie besagt, dass es einen Weg dahin gibt, nämlich zur Überwindung von Gier, Hass und Verblendung, und dieser Weg ist der Edle Achtfache Pfad.

Das also ist der unter allen Buddhisten unumstrittene Kern der Lehre des Buddha. Dabei ist dieser Edle Achtfache Pfad nur eine mögliche Darlegung des Pfades zur Vollkommenheit. Mitunter, insbesondere in seinem letzten Lebensjahr, hat der Buddha auch eine gewissermaßen abgespeckte Version geliefert, den Dreifachen Pfad. Ich habe letzten Monat über ihn gesprochen, es ist der Pfad aus Ethik, Meditation und Weisheit. Und mitunter hat der Buddha auch über die Kette der zwölf progressiven nidanas gesprochen, die ich im ersten Halbjahr dieses Jahres in den Mittelpunkt meiner Vorträge gestellt hatte.

Wenden wir uns also nunmehr der Darstellung des Edlen Achtfachen Pfades zu. Dabei werden wir uns heute insbesondere mit dem ersten Pfadglied beschäftigen, mit samma ditthi. Dieser Begriff aus der altindischen Sprache Pali wird häufig mit Rechter Ansicht übersetzt, aber die wohl bessere Übersetzung wäre Rechte Vision.

Man kann sagen, der Edle Achtfache Pfad zerfällt in zwei Teile, nämlich einmal das erste Pfadglied, samma ditthi, Rechte Vision, und dann in die restlichen sieben Pfadglieder, die sich alle mit Transformation beschäftigen. Warum das?

Nun, wir werden uns nur dann veränderten wollen, wenn wir den Eindruck haben, dass das Ziel dieser Transformation die Mühen des Pfades wert ist. Nur wenn wir also ein ganz kleines Fünkchen von Einsicht, eine erste Vision davon, wo es hingehen soll, haben, dann sind wir vielleicht bereit, diese Transformation anzustreben, an uns zu arbeiten, uns zu vervollkommnen. Ich habe in den vergangenen Monaten versucht euch einen kleinen Eindruck zu vermitteln von dem, was erreichbar ist. Ich möchte hier nur noch einige der Zwischenetappen, der Etappenziele auf dem Pfad benennen, es sind dies
 
 
Saddha ein Vertrauen, das Leiden überwindet
Pamojja Freude
Piti Extase
Passadhi tiefer innerer Friede
Sukkha Glückseligkeit
Samadhi tiefe Befriedigung durch Meditation
Yathabhuta-nana-dassana Einsicht in die Natur der Dinge
Vimutti absolute Freiheit

Wenn wir also einen Eindruck, eine Vision, eine Vorstellung davon haben, dass das erstrebenswerte, tolle Ziele sind, und wenn wir weiterhin darauf vertrauen, dass diese durch den aufgezeigten Pfad erreichbar sind, sollten wir ermutigt sein, einmal auf diesem Pfad hereinzuschnüffeln.

Und jetzt möchte ich ganz praktisch werden. Was bedeutet es denn, uns zu transformieren?

Transformation bedeutet, unseren Geist zu verändern. Und da gibt es etwas, was der Buddha gelehrt hat, das "Die Vier Rechten Bemühungen" heißt. Wenn wir diese hören, dann werden wir vermutlich sagen: „Das ist doch ganz klar, ganz logisch. Natürlich, das macht uns glücklicher!“ Dennoch ist es so, dass wir vermutlich von allein nicht darauf gekommen sind, geschweige denn, dies gezielt geübt haben.

Und dies sind die Vier Rechten Bemühungen:

1. Die hilfreichen Geisteszustände, die noch nicht entstanden sind, zum Entstehen bringen.
2. Die hilfreichen Geisteszustände, die bereits entstanden sind, festigen.
3. Die unheilvollen Geisteszustände, die bereits entstanden sind, schwächen.
4. Die unheilvollen Geisteszustände, die noch nicht entstanden sind, vermeiden.

Eigentlich ein ganz logisches Unterfangen. Da kann man nun allerdings fragen: Wie soll denn das gehen? Nun, eine der Methoden daran zu arbeiten habt ihr bereits kennen gelernt. Es gibt viele Methoden am Geist zu arbeiten, die meisten sind indirekt, eine ist direkte Arbeit am Geist, nämlich Meditation.

Und jetzt nehmen wir uns einmal einen der wichtigsten Gründe für dukkha, für Leiden und das Verursachen von Leiden vor, ich habe ihn oben bereits erwähnt, nämlich Hass, ein sehr unheilvoller Geisteszustand.

Ein gegenteiliger Geisteszustand, also ein sehr heilsamer, wäre Freundlichkeit, Wohlwollen, Güte, Zuneigung, mit einem Wort: metta. Und da haben wir bereits eine Technik kennen gelernt, die metta fördert und damit das Gegenteil, also Hass, schwächt. Das Wort bhavana im Begriff metta bhavana heißt: dienliche Bedingungen schaffen, dass ein Gefühl entstehen kann. Und genau das ist es, was wir in der metta bhavana machen sollen: günstige Bedingungen schaffen, dass metta aufkommen kann.

Bin ich also in keiner freundlichen Stimmung und schaffe die Bedingungen, dass metta entstehen kann, dann übe ich die erste Rechte Bemühung: Die hilfreichen Geisteszustände, die noch nicht entstanden sind, zum Entstehen bringen.

Bin ich bereits in einer freundlichen Stimmung und übe die metta bhvana, dann übe ich die zweite Rechte Bemühung: Die hilfreichen Geisteszustände, die bereits entstanden sind, festigen.

Bin ich frei von jedem Hass und übe die metta bhavana, dann übe ich die vierte Rechte Bemühung: Die unheilvollen Geisteszustände, die noch nicht entstanden sind, vermeiden.

Ist jedoch ein Element von Hass, oder milder ausgedrückt, von Aversion, von Abneigung, von Ablehnung in mir, nun dann übe ich mit der metta bhavana die dritte rechte Bemühung: Die unheilvollen Geisteszustände, die bereits entstanden sind, schwächen.

Und das, was ich jetzt an dem Geisteszustandpaar Wohlwollen und Hass aufgezeigt habe, kann entsprechend bei allen Geisteszuständen in der Meditation angewendet werden. Ist der Geisteszustand positiv (wie im Falle von metta), dann übe ich eine entsprechende bhavana. Ist der Geisteszustand negativ (wie im Fall von Hass) dann kultiviere ich das Gegenteil.

Genauso wichtig wie die direkte Arbeit am Geist, also die Meditation, ist jedoch auch die indirekte Arbeit. Nehmen wir das Beispiel eines aggressiven Menschen. Wenn der sich im Internet vor allem auf Hassforen herumtummelt, wenn er aggressive Musik hört, wenn er entsprechende Filme sieht, einschlägige Schriften liest und dazu noch die dem entsprechenden Videospiele spielt und Hasspredigern lauscht, dann arbeitet er an genau dem Gegenteil der Vier Rechten Bemühungen. Und auch das wird Konsequenzen haben. Nicht notwendiger Weise so verheerende wie im Falle des Norwegers Anders Breivik, aber es wird auf jeden Fall Konsequenzen haben.

Auch hier gilt:
Hüte deine Gedanken, denn sie werden deine Worte.
Hüte deine Worte, denn sie werden deine Taten.
Hüte deine Taten, denn sie werden deine Gewohnheiten.
Hüte deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Karma.


© Copyright 2011 by Horst Gunkel, Gelnhausen
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