Die Quelle aller Hindernisse abstellen
oder:
Wie man außerhalb der Meditation die Meditation verbessert
Vortragsreihe „Meditation“, Teil VI
von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt, Gelnhausen
zuletzt geändert am 8. Oktober 2019
Wer
kennt das nicht. Man setzt sich in Meditation, um den Geist zu
beruhigen – und was macht der: er beruhigt sich nicht, stattdessen kommt alles
Mögliche und Unmögliche hoch. Du hattest den Vorsatz gefasst, dass dich
deine Meditation beruhigen soll und du dann in deinen Alltag die
meditative Ruhe und Weisheit eines spirituellen Menschen bringen
kannst, aber es scheint genau anders herum zu laufen: Die geistige
Verwirrtheit, die Überfüllung des Alltages, setzt sich auch noch in der
Meditation fort. Frustriert gibst du auf oder wartest darauf, dass dir
endlich der richtige Meditationslehrer erscheint, der dir den
entscheidenden Hinweis gibt – und dann geht plötzlich alles wie von
selbst. Mit anderen Worten: du gibst auf oder wartest auf ein
Wunder.
Beides
sind deutlich suboptimale Strategien. Buddhismus heißt, die Dinge
sehen, wie sie sind. Du hast vielleicht erwartet, dass du dich täglich
eine halbe Stunde in Meditation setzt und du dadurch zu einem anderen
Mensch wirst und den Rest des Alltages dadurch besser in den Begriff
bekommst. Du wolltest durch eine halbe Stunde 23,5 Stunden täglich
ändern, stark beeinflussen. Aber Beeinflussung geht in beide
Richtungen. Natürlich beeinflussen die 23,5 Stunden Alltag die 0,5
Stunden Meditation. Das Verhältnis steht also etwa 50:1 gegen
Meditation. Das ist so, als würde in einem Kampf ein Kämpfer erwarten,
50 Gegner besiegen zu können. Das kommt mitunter in manchen Filmen vor,
ist jedoch sehr wirklichkeitsfremd.
Was
du brauchst sind Verbündete. Deine meditative Haltung darf nicht im
Gegensatz zu der fünfzigfachen anderen Zeit stehen, du musst den Geist
des spirituellen Lebens in die Zeit außerhalb der Meditation bringen.
Was aber macht den Geist des spirituellen Lebens aus?
- Großzügigkeit macht das spirituelle Leben aus und nicht etwa Geiz und Besitzstreben.
- Freundlichkeit macht das spirituelle Leben aus und nicht etwa Abneigung, Ärger, Wut und Zorn.
- Ethik macht das spirituelle Leben aus und nicht etwa Ichbezogenheit.
- Geduld macht das spirituelle Leben aus und nicht etwa Hetze und Zeitdruck. Tatkraft macht das spirituelle Leben aus und nicht etwa hasenfüßige Unentschlossenheit.
- Konzentration macht das spirituelle Leben aus und nicht etwa Multitasking. Weisheit macht das spirituelle Leben aus und nicht etwa bloßes Bücherwissen.
Wie
komme ich aber dazu, großzügiger, freundlicher, ethischer, geduldiger,
tatkräftiger, konzentrierter und weiser zu sein? Nun eben indem ich
Großzügigkeit (auf Pali dana) einübe, indem ich Freundlichkeit (metta) einübe, indem ich Ethik (sila) einübe, indem ich Geduld (ksanti) einübe, indem ich Tatkraft (virija) einübe, indem ich Konzentration (jhana) einübe, indem ich Weisheit (panna)
einübe. Wir sehen, der Dharma, die Lehre des Buddha ist eigentlich
weniger eine Religion, weniger ein Glaubenssystem als vielmehr ein
Übungssystem, eine Trainingseinheit. Und so, wie wir unseren Körper
trainieren müssen, wenn wir an einem Marathonlauf teilnehmen wollen, so
müssen wir unseren Geist trainieren, wenn wir uns spirituell entwickeln
wollen, wenn wir zum entscheidenden Zwischenziel kommen wollen, wenn
wir ein happy healthy human being sein wollen.
Für
alle die genannten Fähigkeiten, die für den Pfad des Dharma typisch
sind, also Großzügigkeit, Freundlichkeit, Ethik, Geduld, Tatkraft,
Konzentriertheit und Weisheit gibt es Übungsmethoden – allgemeine und
spezifische. Eine spezifische Übungsmethode zur Entwicklung von
Freundlichkeit haben wir alle schon kennen gelernt, es ist die metta bhavana.
Heute möchte ich über einige allgemeine Übungsmethoden sprechen,
Verhaltensregeln, auf die wir in den 23,5 Stunden täglich achten
sollten, in denen wir nicht meditieren. Und das Entscheidende ist
Achtsamkeit. Betrachte, ob das, was du jeweils tust, spirituell gesehen
geschickt (kusala) oder ungeschickt (akusala) ist. Also frage dich:
- Führt das, was ich gerade praktiziere tendenziell zu Großzügigkeit oder zu Besitz?
- Führt das, was ich gerade praktiziere, tendenziell zu Freundlichkeit oder zu Abneigung?
- Führt das, was ich gerade praktiziere, tendenziell zu Ethik oder zu Egoismus?
- Führt das, was ich gerade praktiziere tendenziell zu ksanti, oder zu Hippeligkeit?
- Führt das, was ich gerade praktiziere, tendenziell zu Tatkraft oder zu Unentschlossenheit?
- Führt das, was ich gerade praktiziere tendenziell zu Konzentriertheit oder zu Oberflächlichkeit?
- Führt das, was ich gerade praktiziere, zu Weisheit oder zu verblendeten Projektionen?
Mein erster Ratschlag an euch ist heute also (wieder einmal):
(Ratschlag 1): Seid achtsam!
Eine
ganze entscheidende Übung außerhalb der Meditation ist das Hüten der
Sinnespforten. D. h. achte darauf, was du an deine Sinnesorgane zu
kommen erlaubst. Nehmen wir das Sehorgan. Was sehe ich mir an. Welche
Filme sehe ich? Dienen diese dazu, Verlangen zu erzeugen, oder Stille,
Schlichtheit und Genügsamkeit? Und ich meine gar nicht einmal nur, dass
wir uns bei der Auswahl des Filmtitels
eher für den Titel „Sieben Jahre in Tibet“ als für den Titel
„Kettensägenmassaker“ entscheiden sollten. Die Einflüsse sind viel
subtiler. Wir sehen vielleicht gerne romantische Filme. Und hinterher
sind wir unzufrieden, weil unser Partner so viel weniger vollkommen ist
als die Idealgestalt des Filmes. Seit dem Zeitalter der Romantik,
seitdem die romantische Liebe durch Literatur und später Film verklärt
wurde, steigen die Scheidungsraten, gehen Beziehungen häufiger und
schneller durch Enttäuschung zu Ende. Enttäuschung ist das Ende von
Täuschung. Diese Täuschung, wie Beziehungen zu sein haben, haben wir
aber durch entsprechende Konditionierung durch die Art von Büchern und
Filmen, die wir uns reinziehen, verursacht.
Dies ist nur ein winziger Ausschnitt dessen, was mit „Hüten der
Sinnespforten“ gemeint ist. Aber entscheidend ist, dass ihr diesen
altmodisch-fremden Ausdruck „Hüten der Sinnespforten“ nicht vergesst,
und dass ihr euch tatsächlich immer öfter fragt: hüte ich meine
Sinnespforten in der richtigen Weise? Was sollte ich meinen Augen,
meinen Ohren, meiner Haut, meinen Gechmackspapillen, meiner Nase und
vor allem meinem Geist zumuten, was sollte ich an diese Sinnesorgane
heranlassen? Also der zweite Ratschlag heute ist:
(Ratschlag 2): Hüte deine Sinnespforten!
Beim Hüten der Sinnespforten ging es um den qualitativen Aspekt des
Inputs. Entscheidend ist aber nicht nur der qualitative, sondern auch
der quantitative Aspekt des Inputs. In
unserer Informationsgesellschaft nehmen wir immer mehr Input auf. Ein
großer Teil davon ist total irrelevant und das Zweitbeste, was wir
damit machen können, ist ihn gleich wieder zu vergessen. Das Beste wäre
natürlich gewesen, diesen Unfug gar nicht erst an uns heran zu lassen.
Wenn es sich aber nicht um Unfug handelt, wenn es um wesentliche Dinge
geht, dann führt diese Überfütterung mit Input dazu, dass dies alles
unverdaut in uns hereingefressen wurde. Und dann ist es kein Wunder,
wenn diese Vielzahl an Eindrücken dann nach oben drängt, wenn der Geist
nicht allzu intensiv mit einer anderen Denktätigkeit beschäftigt ist,
also im Schlaf oder in der Meditation.
Bhante
hat einmal gesagt das Verhältnis von Inputzeit zu Reflexionszeit sollte
100:1 sein. Also wenn ich eine Minute einen Text lese oder höre, wäre
es angemessen, 100 Minuten, immerhin mehr als eineinhalb Stunden,
darüber zu reflektieren. Wenn also so ein Vortrag von mir wie dieser
wirklich inhaltlich sinnvoll wäre, und wir ihn uns ganz erschließen
wollten – diese Vorträge sind etwa 20 Minuten lang, dann müssten wir
darüber 2000 Minuten reflektieren, also rund 36 Stunden, um ihn
tatsächlich so durchdrungen zu haben, dass er bei uns angekommen ist,
dass wir beginnen, ihn umzusetzen, dass wir dabei ankommen, unser
Verhalten zu ändern. Daher mein dritter Ratschlag an euch heute:
(Ratschlag 3): Nehmt euch Zeit zum Reflektieren!
Wenn
wir also die Quantität unseres Inputs reduzieren und die Qualität
verbessern wollen, ist eine entscheidende Frage, mit wem wir Umgang
pflegen. Wie sind die Leute drauf, mit denen wir gewöhnlich zusammen
sind? Sind das notorische Schwätzer oder Personen mit denen wir auch
einmal verständnisinnig schweigen können? Das betrifft den
quantitativen Aspekt, dann kommt der qualitative Aspekt: tragen die
Gespräche mit dieser Person dazu bei Großzügigkeit, Freundlichkeit,
Ethik, Geduld, Tatkraft, Konzentriertheit und Weisheit zu steigern?
Oder führen die Gespräche mit unseren bisherigen Freunden dazu, eher
Verlangen, Ärgerlichkeit, den Greifreflex, die Ungeduld, die
Unentschlossenheit, das Plappern anzuspornen. Daher mein vierter
Ratschlag heute an euch: pflegt spirituelle Freundschaften.
Noch
etwas Weiteres ist wichtig, wenn wir unser Leben in spiritueller Weise
umgestalten wollen. Und das habe ich euch gegenüber an die Wand gemalt,
damit ihr es nie übersehen sollt und ich habe es fast jedem, fast jeder
von euch hier schon einmal erläutert. Und ich habe es auch eben schon
angesprochen, es ist der Greifreflex.
Es
geht wieder einmal um die Punkte 5 bis 9 in unserer Kette des bedingten
Entstehens, um unser animalisches Verhalten im Rahmen des
Reiz-Reaktions- Schemas: wir haben unsere sechs Sinnestore (salayatana, Bild 5) daher kommen wir ständig in Kontakt mit etwas (phassa, Bild 6), unmittelbar darauf haben wir eine Empfindung, eine Bewertung (vedana,
Bild 7), wir sehen das Wahrgenommene als positiv, negativ oder neutral
an. Ist es negativ, dann regieren wir mit Aversion, ist es positiv,
reagieren wir gewöhnlich mit Verlangen (tanha, Bild 8) und schon ist unser Greifreflex angesprochen Zugreifen, Ergreifen Festhalten, Speichern (upadana, Bild 9).
Dies ist das animalische Reiz-Reaktionsschema der niederen Evolution.
Wir können aber auch anders handeln, nicht animalisch, sondern als homo sapiens sapiens, als weiser Mensch, wir können kreativ handeln statt reaktiv. Daher mein fünfter Ratschlag an euch:
(Ratschlag 5): Emanzipiere dich von deinem Greifreflex,
emanzipiere dich von deiner animalischen Konditionierung, werde zum
wahren Menschen, beschreite den Pfad der Höheren Evolution, entwickle
dich schrittweise zum Zwischenziel, dem happy healthy human being – und
wenn du willst, auch noch weiter. Und das eben ist mein fünfter
Ratschlag an euch.
Ich
fasse zusammen. Nicht nur wirkt die Meditation in unser Leben hinein,
auch unser Leben wirkt - meist in stärkerem Maße - in unsere Meditation
hinein. Wenn wir das wissen, können wir außerhalb der Meditation üben,
die Bedingungen zu schaffen, dass unsere Meditation
effektiver wird, dass wir uns in Richtung happy healthy human being und
Vollkommenheit entwickeln und dazu habe ich euch fünf Ratschläge
gegeben:
- 1. Seid achtsam!
- 2. Hütet eure Sinnenpforten!
- 3. Nehmt euch Zeit zum Reflektieren!
- 4. Pflegt spirituelle Freundschaften!
- 5. Evolviert!