Mahakassapa
Vortragsreihe Inspirationsbaum – Teil IV
 von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt, Gelnhausen (2012)
letzte Änderungen Oktober 2019

Mahakassapa (= Kassapa der Große) ist einer der ganz wichtigen Jünger Buddhas. Auf dem Inspirationsbaum der Buddhistischen Gemeinschaft Triratna befinden sich fünf seiner Jünger und Jüngerinnen, einer davon ist Mahakassapa (die anderen sind Sariputra, Mahamoggallana, Ananda und Dhammadinna). Er leitete das erste buddhistische Konzil, das auf sein Betreiben hin einberufen wurde, und gilt in China und Japan als erster Patriarch des Ch´an- bzw. Zen-Buddhismus.

Der bürgerliche Name Mahakassapas war Pipphali. Er wurde als Kind reicher brahmanischer Eltern im Lande Maghada geboren und zeigte schon als Jugendlicher asketische Züge. Seine Eltern sahen dies nicht gerne und wollten ihn verheiraten, was auf wenig Gegenliebe Pipphalis stieß. Da die Eltern jedoch drängten, ließ er bei einem Goldschmied eine Statue von unglaublicher Schönheit anfertigen: „Nur wenn es euch gelingt ein Mädchen zu finden, das dieser gleicht, bin ich bereit zu heiraten.“
Die Eltern ließen ein solches Mädchen suchen und es wurde tatsächlich in einem Nachbarland gefunden. Glücklicherweise war diese junge Frau – ihr Name war Bhadda Kapilani – ebenso asketisch und auf der Suche nach Weisheit, sodass beide zwar formal heirateten aber die Ehe nie vollzogen wurde.

Nach dem Tod der Eltern weigerten sich die beiden, die Landwirtschaft zu übernehmen, da beim Ackerbau zwangsläufig Wesen vernichtet würden: Würmer und Insekten. Sie gaben ihren Sklaven die Freiheit und verließen ihren Hof, um in die Hauslosigkeit zu ziehen. Da sie der Auffassung waren, es werde als unschicklich angesehen, wenn eine Frau und ein Mann zusammen umherzögen, trennten sie sich. Sehr viel später, als es bereits den Nonnenorden gab, wurde Bhadda Kapilani im buddhistischen Nonnenorden ordiniert, sie erreichte die Erleuchtung und wurde eine der Lehrerinnen des Nonnenordens.

Nach der Trennung von Bhadda ging Pipphali zunächst einige Meilen allein, aber der Buddha, der sehr wohl wusste, dass ein bedeutender Jünger auf dem Weg zu ihm war, ging ihm entgegen. Pipphali erkannte sofort, dass es sich bei dem Buddha um einen großen Meister handeln müsse, und er warf sich dem Erhabenen zu Füßen:

„Der Gesegnete, Herr, ist mein Lehrer und ich bin sein Schüler!“


Der Erhabene aber gab dem Novizen den Namen Kassapa und sogleich eine dreifache Belehrung:

„So sollst du dich üben:
Kassapa tat, wie ihm aufgetragen und nach sieben Tagen erreichte er die Arahatschaft. In diesen sieben Tagen ging Kassapa zusammen mit dem Buddha auf Almosengang. Einmal wollte sich der Buddha auf einem umgestürzten Baum niedersetzen, da nahm Kassapa sein Obergewand, faltete es zusammen und bot es denn Buddha als Sitz an.

„Sehr weich ist dein Gewand, ein guter Stoff,“ sagte der Buddha.

„Möge der Vollendete diese Robe von mir als Geschenk annehmen“, bot Kassapa daraufhin den Kleidertausch an.

„Aber Kassapa, kannst du denn auf deiner zarten Haut meine abgenutzten Kleider aus Hanf tragen?“

„Gewiss, Meister“, antwortete Kassapa. Es war das einzige Mal, dass der Buddha mit jemandem die Roben tauschte. Das Tragen einfacher, aus Fetzen bestehender Kleidung, maximal drei Roben, galt als ausgemachte Tugend der Askese auf dem Mittleren Pfad.

Wie aber erreichte Kassapa die Arahatschaft, also die Erleuchtung dank der Belehrungen des Buddha?

Es begab sich, dass  - nur eine Woche nachdem Kassapa seine Zuflucht zu Buddha, Dharma und Sangha genommen hatte – eine große Zahl Mönche, es heißt, es wären etwa 500 gewesen, sich versammelte, um einer Lehrrede des Buddha zu lauschen.

Der Buddha betrat die Versammlung, die sich im Schatten einer bewaldeten Lichtung eingefunden hatte, und er nahm seinen erhöhten Ehrenplatz auf einem kleinen Hügel am Rande der Lichtung ein. Das Gemurmel unter den Mönchen erstarb, und die Gemeinschaft war bereit, den Worten des Erhabenen zu lauschen, doch dieser schwieg zunächst. Allen war bewusst, dass dies etwas Ungewöhnliches war, und sie sahen sich um, ob irgendwer oder etwas die Versammlung oder den Buddha störte, konnten jedoch nichts ausmachen. Der Buddha räusperte sich vernehmlich.

Alle Augen richteten sich erneut auf den Erhabenen, auf dessen Gesicht ein freundliches, mildes Lächeln lag. Nun griff der Buddha nach rechts, nahm eine Blume und zeigte sie dem Auditorium. Doch noch immer kam kein Wort über des Buddhas Lippen; dieser blickte nur seelenruhig mit seinem unnachahmlichen Lächeln in die Sangha, wo tief atmend, mit übergroßen Augen und begeisternd lächelnd Kassapa saß. Da zeigte der Buddha auf diesen frisch ordinierten Mönch und freute sich laut und vernehmlich: „Kassapa hat verstanden, Kassapa hat es wirklich begriffen.“ Und tatsächlich war in diesem Moment die volle Erleuchtung, der Moment des Eintritts in die Arahatschaft, in die Heiligkeit, mit Kassapa vor sich gegangen.


Natürlich lässt sich nicht in Worten fassen, was es war, das hier in Kassapa vor sich ging, dennoch möchte ich versuchen einige spärliche Hinweise darauf zu geben. Das Streben der Mönche war auf Vollkommenheit gerichtet. Und nichts konnte deutlicher als diese Blume in ihrer Ebenmäßigkeit und vollen Blüte von dieser Vollkommenheit Zeugnis  ablegen.   Doch  gleichzeitig  ist  die  Blume  ein  Symbol  der  Vergänglichkeit. In unserer Puja, unserer Ritualfeier, rezitieren wir: „unsere Körper werden - wie Blumen - vergehen“.

Vergänglichkeit ist auch eines der drei laksanas, eine der drei Einsichten, die im Moment der
Erleuchtung nicht nur intellektuell verstanden, sondern gefühlt werden, Einsichten, die sich in diesem Moment mit jeder Faser unseres Körpers und in die tiefsten Tiefen unseres Bewusstseins verbindet: anicca, Vergänglichkeit. Und natürlich ist diese Vergänglichkeit, das Verwelken der Blumen, der eigene Tod gar, etwas nicht Zufriedenstellendes, etwas Unerfreuliches, etwas Suboptimales, ja ich möchte sogar sagen, etwas Leidvolles, er ist dukkha.

Dukkha ist das zweite der laksanas. Das dritte dieser drei Erkenntnisse ist anatta, Nicht-Ich, Nicht-Getrenntsein von Ich und Ander, von meiner Person und der Umwelt, der Mitwelt, der Natur, des All-Geistes. Und damit ist weder im Verwelken der Blume noch im Tod des Menschen ein definitives Ende, es handelt sich vielmehr um eine Transformation. So wie in der Physik keine Materie, keine Energie verloren geht, so gehen auch die geistigen Komponenten nicht verloren. Wir alle sind Teil eines viel größeren Prozesses, eines grandiosen Prozesses, eines göttlichen Prozesses, den mein Lehrer Sangharakshita als die gewaltige „Dramaturgie der kosmischen Erleuchtung“ bezeichnet. Das ist Evolution auf der höchsten Ebene, nicht nur biologische, quasi-automatische Evolution, sondern auch durch unser Zutun ausgelöste höhere Evolution, geistige Evolution, spirituelle Evolution, eine Evolution, die in diesem Augenblick in
Kassapa ihren Kulminationspunkt erreichte, ihren Höhepunkt dessen, was ein Mensch erreichen kann: Vollkommenheit, Buddhaschaft.

Und dies geschah durch diesen wunderbaren Kommunikationsprozess zwischen dem Buddha und Kassapa, in welchem diese Erkenntnis vermittelt wurde. Das war möglich, weil der Buddha ein großer begnadeter und achtsamer Lehrer war, und weil Kassapa aufgrund seiner früheren Wandels, seiner Ethik, seiner Meditation und seiner bereits erreichten relativen Weisheit weit genug war, diese Kommunikation zu verstehen und so absolute Weisheit, Buddhaschaft, zu erreichen. 


Und fortan wurde Kassapa „Makakassapa“, genannt, Kassapa der Große, was ihn von mindestens drei weiteren Mönchen, die auch den Namen Kassapa trugen, unterschied. Nur selten belehrte Kassapa die Mönche. Er hatte große Erreichungen, so beherrschte er nicht nur die vier feinkörperlichen, sondern auch die vier unkörperlichen Vertiefungen, wann immer er es wünschte. Seine ganz große Zeit jedoch kam nach dem Tod des Buddha.

Von den fünf bedeutenden Jüngern, die sich auf dem Inspirationsbaum von Triratna befinden, war beim Tod Buddhas nur einer anwesend: Ananda. Sariputra und Moggalana waren kurz zuvor gestorben und Dhammadinna befand sich als Nonne natürlich nicht bei den Mönchen. So erhält Kassapa erst etwas nach dem Hinscheiden des Buddha die Todesnachricht. Wie alle Arahats ist er gefasst, als er dies vernimmt, denn was entstanden ist, muss auch vergehen. Die Verbrennung der Leiche Buddhas hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht stattgefunden, denn der ehrwürdige Anuruddha hatte erklärt, man wolle noch das Eintreffen Mahakassapas abwarten. Kaum war dieser eingetroffen, konnten die sterblichen Überreste des Buddha angezündet werden. 

Hinterher kam es zu einem heftigen Streit zwischen verschiedenen Anhängergruppen um die Reliquien. Die ehrwürdigen Mönche hielten sich dabei zurück und schließlich teilte einer der anwesenden Brahmanen die Reliquien in acht Teile, damit jede der Gruppen das ihre erhielt. Mahakassapa überbrachte dem König seines Heimatlandes Maghada, Ajatasattu, höchstselbst dessen Anteil an den Reliquien. Dies trug sich vor etwa 2500 Jahren zu, vermutlich etwa im Jahre 480 v. u. Z.

Mahakassapa sorgte sich allerdings viel mehr als um die Reliquien um den Erhalt des geistigen Potentials des Buddha. Er hatte nämlich mitbekommen, wie einige jüngere Mönche den Tod des Buddha kommentierten: „O.k., o.k., er ist tot. Aber sehen wir es doch einmal so: jetzt sind wir den großen Asketen los mit all seinen Vorschriften und Anweisungen. Endlich können wir das tun, was wir wollen, ohne dass uns einer immer dreinredet.“

Mahakassapa stellte Subhadda, der das gesagt hatte, nicht zur Rede. Er betrieb auch nicht dessen Ausstoß aus dem Orden. Mahakassapa war der Meinung, solches Denken sei nicht nur bei einem Mönch vorhanden. Er wusste nur zu genau, dass alles vergänglich ist, auch das Erbe Buddhas. Allerdings bedeutet „Entstehen in Abhängigkeit“ auch, dass man dem nicht fatalistisch ergeben sein muss, sondern dass man dem allzu raschen Verfall vorbeugen kann.

Er trat mit seiner Idee eines buddhistischen Konzils an andere einflussreiche Mönche heran, wobei zweierlei festgelegt werden müsse: das, was zu Dharma gehört, und der Vinaya, der u.a. die Regeln für Mönche und Nonnen, damit die Laxheit, wie sie Subhadda vorgetragen hatte, sich nicht ausbreitete. Auf Antrag Mahakasspas wurden 500 Arahats gewählt, die das Konzil bilden sollten. Um die Teilnahme Anandas gab es noch heftige Diskussionen, denn dieser war zu dem Zeitpunkt noch nicht erleuchtet. Dieses Problem war jedoch bis zum Beginn des Konzils behoben.

So kam es zum Ersten Konzil in Rajagaha, dessen Präsident Mahakassapa war. Er soll damals bereits 120 Jahre alt gewesen sein. Das Konzil trat drei Monate nach Buddhas Tod erstmals zusammen und tagte neun Monate lang.

Gemäß dem Anlass, aus dem das Konzil zusammengerufen worden war, wurde zuerst der Vinaya, der Kodex der Mönchsregeln festgelegt, für diesen Teil war der Mönch Upali verantwortlich, ein Vinaya-Experte. Zwar hatte der Buddha gesagt, die unwichtigeren dieser Regeln könnten entfallen, doch er hatte nicht festgelegt, welche dies waren. Daher  entschied man sich auf Mahakassapas Vorschlag hin, alle Regeln beizubehalten, um eine Erosion der Mönchsdisziplin zu unterbinden.

Anschließend wurden die Lehrreden des Dharma kanonisiert, hierfür wurde der Ehrwürdige Ananda, von dem ich demnächst berichten werde, zum Garanten. Mahakassapas Ansehen war jetzt auf dem Höhepunkt seines Ansehens. Zwar hatte der Buddha keinen Nachfolger, kein Ordensoberhaupt, bestimmt, aber allgemein wurde Mahakassapa als solches angesehen, wozu sicher auch sein Alter beitrug.

Eines Tages übergab Mahakassapa Ananda die Bettelschale des Buddha und ging zurück ins Nachbarland Maghada. Die Übergabe der Almosenschale wurde von den Mönchen so interpretiert, dass Ananda jetzt der spirituelle Leiter der Sangha sei, auch wenn es offiziell weiter keinen Nachfolger des Buddha, keinen buddhistischen Papst gab und bis heute auch nicht gibt.

Kassapa aber stieg nach der Übergabe auf den Berg Kukkatapada, so sagt die Legende, setzte sich in eine Höhle mit untergeschlagenen Beinen, um zu warten. Die Legende besagt weiter, dass König Ajatasattu und Ananda einige Zeit später Mahakasspa in seiner Höhle aufsuchten, wo dieser augenscheinlich tot in Meditationshaltung saß. Der König wollte den leblosen Körper einäschern lassen, aber Ananda klärte den König auf: Mahakassapa müsse dereinst die Robe des Buddha Shakyamuni dem Buddha der Zukunft, Maitreya, überreichen.

In vielen chinesischen Legenden wird davon erzählt, wie Mönche auf diesem Berg zur Pilgerreise waren und die sitzende Leiche Mahakassapas gesehen hätten, der dort noch immer auf das Eintreffen Maitreyas wartet.

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