Vom Ende (m)einer Karriere Horsts Vortragsreihe „Das Gute leben“ Teil X Vortrag von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt
zuletzt bearbeitet 10.10.2019
In
meinem Vortrag „…und nichts als die Wahrheit“ habe ich erläutert, welch
hohe Anforderungen man im Rahmen einer Ethik, wie sie der Buddhismus
vertritt, an die wahrheitsgemäße Rede stellen sollte. In diesem Punkt
ist sich der Buddhismus mit den meisten anderen ethischen Regelwerken
einig.
Ich
selbst habe von meiner Eltern und auch von meiner Großmutter das
wahrheitsgemäße Sprechen als absolutes Muss vermittelt bekommen.
Stehlen und Lügen waren die beiden schlimmsten Vergehen, die ich mir
vorstellen konnte. Ich weiß noch, wie ich einmal in einem Kinderbuch –
ich muss damals etwa neun Jahre alt gewesen sein - den Satz las:
„´nein, davon weiß ich nichts´, log er“. So etwas Ungeheuerliches stand
da tatsächlich! Und das war nicht einmal ein ganz schlimmer Verbrecher,
von dem das gesagt wurde, sondern der Held der Geschichte. Ob dieser
Ungeheuerlichkeit durchlief mich ein merkwürdiger wohliger Schauer. Und
ich merkte mir die Seitenzahl, um immer wieder dorthin
zurückzublättern, um diesen extrem perversen Ausdruck wieder und wieder
zu lesen, so wie andere Jungs vielleicht ein irgendwo gefundenes
pornografisches Bild immer einmal wieder hervorkramen würden. Natürlich
blätterte ich nur heimlich dahin zurück, wenn ich sicher war, dass mich
niemand dabei erwischte, wie ich mich an dieser Obszönität heimlich
ergötzte.
Selbstverständlich
war es für mich absolut tabu zu lügen. Da die Wahrheit jedoch mitunter
zu unangenehm war, gewöhnte ich mir an, formal die Wahrheit zu sagen,
auch wenn ich damit versuchte, einen anderen Eindruck zu erwecken. Ich
will das an einem Beispiel erläutern. Wenn zum Beispiel die Tulpen im
Hof umgeknickt waren und mich meine Mutter rief und fragte:
„Sag
mal, Horst, kann das sein, dass du beim Fußballspielen die Tulpen
umgetreten hast?“ Dann sah ich meine Mutter mit entsetztem Blick an,
als sei ich völlig ungerechtfertigt getadelt worden, und antwortete
entrüstet: „Wie kannst du nur glauben, dass ich so etwas getan hätte,
ohne dir gleich Bescheid zu sagen.“ Und vermutlich lief ich auch noch
zu meiner Großmutter und beschwerte mich lauthals: „Oma, die Mama
meint, ich hätte die Tulpen umgetreten und ihr nichts davon gesagt, sie
meint ich hätte das beim Fußballspielen gemacht, dabei habe ich doch
gar nicht Fußball gespielt.“ Und warf mich – die verfolgte Unschuld
spielend – meiner Großmutter schluchzend in die Arme. Hinterher war ich
dann stolz, dass ich formal die Wahrheit gesagt hatte und wieder einmal
nicht erwischt worden war, schließlich war es ja kein Fußball sondern
eine Kegelkugel.
Vielleicht
erscheint euch das jetzt absurd, aber ich war mir sicher, richtig
gehandelt zu haben, ich hatte ja nicht gelogen, sondern formal die
Wahrheit gesagt. Und mitunter übte ich sogar in Gedanken logisch
geschickte Dialoge ein, mit denen ich zwar die Wahrheit vergewaltigte,
aber ich bestand darauf: das war keine Lüge.
Auf
diese Weise kam ich vier Jahrzehnte lang durchs Leben und war stolz ein
so ungemein wahrheitsliebender Mensch zu sein. Ja auch in den
anderthalb Jahrzehnten, in denen ich in der Politik war, habe ich
niemals gelogen, sondern immer – zumindest formal – die Wahrheit
gesagt.
Anfang
der 90er Jahre kam ich dann zum Buddhismus. Ich hatte ein Buch gefunden
und darin über die Vier Edlen Wahrheiten gelesen, die der Buddha
formuliert hatte, und über den Edlen Achtfältigen Pfad, den ein
spiritueller Mensch gehen solle. Und ich hatte festgestellt:
sechseinhalb der acht Übungsfelder, die darin beschrieben waren,
praktizierte ich bereits. Das eine, was ich nicht
praktizierte, das war Meditation. Okay, das war kein Problem, damit
konnte ich ja jetzt, wo ich Buddhist war, anfangen.
Aber das andere, das ich nur halb gemacht hatte, war das Pfadglied, das sammavaca
heißt, Rechte Rede. Und zu meinem Erstaunen musste ich feststellen,
dass Rechte Rede mehr war als nur die Wahrheit zu sagen. Rechte Rede im
buddhistischen Sinn sollte vielmehr vier Kriterien genügen
1.
Sie soll wahr sein – und zwar nicht nur formal wahr, sondern auch in
dem Eindruck, den sie erweckt – rhetorische Tricks waren damit
ausgeschlossen. Aber damit nicht genug, die Rechte Rede sollte auch
2. freundlich sein, sie sollte
3. harmoniefördernd sein und sie sollte darüber hinaus auch noch
4. hilfreich und zweckdienlich sein.
Das
war harter Tobak. Ich war damals mit meinen rhetorischen Tricks recht
gut gewesen. Ich war geschätzt, teilweise auch gefürchtet. Ich war im
Kreistag der scharfzüngigste Redner meiner Fraktion, immer bereit,
verbal die Klinge zu führen, mal grobschlächtig wie mit einem Schwert,
mal rhetorisch brillant wie mit einem Florett. Ich war in der
Regionalversammlung von Südhessen zehn Jahre Oppositionsführer gewesen
und ich genoss es, wenn die Frankfurter Rundschau anrief und sagte:
"Herr Gunkel, der Landrat hat soundso gesagt, bitte zwei scharfe Sätze,
mit denen Sie das zerpflücken." Oder wenn der Hessische Rundfunk anrief
und sagte. "Der Wirtschaftsminister hat gerade folgendes Statement
abgeben, wir rufen Sie in 10 Minuten zurück, sie haben dann genau 23
Sekunden, um geschliffen zu antworten."
Und jetzt sollte meine Rede plötzlich harmoniefördernd sein? Hat man jemals von der harmoniefördernden Rede eines Oppositionsführers
gehört? Meine Rede sollte freundlich sein? Ich dessen Lebensmotto war
„Viel Feind, viel Ehr´!“ Und zweckdienlich??? Meine Rede war nicht nur
spirituell nicht zweckdienlich, sie war sogar politisch oft genug nicht
zielführend, da ich mir viel zu viele Feinde gemacht hatte.
Und
natürlich sah ich mich ganz realistisch im Reiz-ReaktionsSchema
gefangen. Nicht erst in der Politik hatte ich gelernt, Sprache als ein
Kampfmittel einzusetzen, das hatte ich in Freundschaften, in
Beziehungen in Vereinen und Bürgerinitiativen immer getan. Mir war
klar, wenn ein Reporter den Stift zückt, wenn mir ein Mikrofon
hingehalten wird oder ich in Sichtweite eines Rednerpultes komme,
würden die bekannten Reize die zwangsläufigen Reaktionen auslösen.
Natürlich hatte die Presse Erwartungen an mich, hatten die anderen
Parteien Erwartungen an mich und hatten nicht zuletzt die eigenen
FraktionskollegInnen Erwartungen an mich.
Ich
war gerade vierzig geworden und stand plötzlich an einem Scheideweg:
politische Karriere oder buddhistisch praktizieren. Es war die
einfachste Entscheidung meines Lebens. Ich brauchte gar nicht darüber
nachzudenken. Natürlich würde ich alle meine politischen Ämter
niederlegen müssen, um den Dharma zu praktizieren.
Meine
Stellvertreterin sagte mir zwar: „Unsinn, Horst, dass schaffst du doch
nie, du bist doch mindestens genauso auf der Droge Machtpolitik, wie
wir alle. Das hältst du keine sechs Wochen durch.“ Die Frankfurter
Rundschau wunderte sich: Das enfantterrible des Kreistages verlässt die Politik, um sich als Buddhist der Rechten Rede zu widmen.
Ja,
ich habe die Zeit in der Politik genossen. Es war schön Wahlkampf zu
machen. Ich habe es genossen, damals im hessischen Wahlkampf 1989 bei
der Abschlusskundgebung des Wahlkampfes einer von zwei Redner vor einem
großen Auditorium
gewesen zu sein. Dann haben sich unsere Wege getrennt. Ich bin den
spirituellen Pfad gegangen, den der Buddha aufgezeigt hat. Der andere
von uns beiden Rednern bei dieser Abschlusskundgebung des Wahlkampfes
hingegen, der hat die Kurve nicht gekriegt und damit sein wertvolles
menschliches Leben nicht wirklich genutzt. Er war leider weiter
machtgeil und ist daher nur Vizekanzler und Außenminister geworden, und
das, wo doch ein ungemein höheres Ziel in diesem menschlichen Leben
erreichbar ist, nämlich das, was wir als Stromeintritt bezeichnen:
Sicht und Erkenntnis der Dinge, wie sie wirklich sind. Armer Joschka!
Wir
sollten aber jetzt nicht den gleichen Fehler machen und in unserer
anschließenden Diskussion nicht über Sinn und Zweck der Politik reden,
sondern darüber, was Rechte Rede ausmacht, denn sie soll vier Kriterien
erfüllen:
1. Wahrheit
2. Freundlichkeit
3. Harmonieförderung und
4. soll sie hilfreich und zweckdienlich sein, kusala, also dem Fortkommen auf dem spirituellen Pfad dienen.