Der Baum als Symbol im Buddhismus
Vortragsreihe „Inspirationsbaum“
, Teil XXXIII
 von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt, Gelnhausen
zuletzt geändert am 19. Oktober 2015
 
Liebe Freundinnen und Freunde,
 
wir haben soeben die metta bhavana geübt, die Meditation, die ich übersetze mit: „Öffnung des Herzens“. Und als ich heute hier zum Obermarkt ging und das Flüsschen Kinzig passierte, ging es mir so, dass sich mein Herz öffnete, ganz ohne formale Meditation. Was war geschehen? Die Sonne schien auf das mittelalterliche Stadtbild, das Flüsschen floss ruhig dahin und Enten schwammen darauf, ein sehr schönes, ein friedliches Bild. Aber was es wirklich war, das mir das Herz aufgehen ließ, war die Tatsache, dass sich an den Weiden am Kinzigufer nach der Wärme der letzten Tage erstes Grün zeigte, junge, frische Blätter begannen sich zaghaft zu entfalten. Und das war der Anlass für die Öffnung meines Herzens. Eine alte Menschheitserfahrung, nein, eine Erfahrung, die älter ist als die Menschheit, ein Aufsteigen von Frühling, verbunden mit der Baumsymbolik eröffnete sich mir. Und die Baumsymbolik ist eng verbunden mit dem Dharma, mit der Lehre des Buddha. So dichtet Hermann Hesse:
 
Bäume sind wie Heiligtümer. Wer mit ihnen zu sprechen, wer ihnen zuzuhören weiß, der erfährt Wahrheit. Sie predigen nicht Lehren und Rezepte, sie predigen, um das Einzelne unbekümmert,  das Urgesetz des Lebens.
 
Das „Urgesetz des Lebens“ heißt im Buddhismus Dharma. Es ist eine der Drei Vollkommenheiten, die wir heute bei der Schreinbegrüßung verehrt haben:
(1) den Buddha, der dieses Gesetz entdeckt hat,
(2) den Dharma, das Urgesetz des Lebens, und (
(3) den Sangha, die Gemeinschaft derer, die ihr Leben an diesem Urgesetz ausrichten.

 
In alten Zeiten war die spirituelle Bedeutung des Baumes weltweit eine Selbstverständlichkeit. Die Bäume galten als Mittler zwischen Himmel und Erde: verwurzelt im Boden, stabil, bodenständig, doch ihre Ästen recken sich nach oben, himmelwärts. Und der Wind in ihren Blättern, das Raunen in ihren Zweigen künden von der wahren Realität der Dinge, von Göttern, Geistern, Dämonen und von unseren Ahnen.
 
In germanischen, keltischen, indianischen und anderen Schöpfungsmythen kommt dem Baum eine tiefe spirituelle Bedeutung zu. Die Bäume sind heilige Wesen, Orte, in denen das Göttliche sich manifestierte, ja als Metapher für das Nichtsichtbare schlechthin galt. Der Baum, das ist unser eigner Stammbaum, von dem wir abSTAMMen – in wahrsten Sinne des Wortes, auf jeden Fall evolutionsgeschichtlich.
 
Das scheinbare Absterben der Bäume im Herbst, ihr Verharren in der winterlichen Starre und ihre Wiedergeburt im Frühling zeigen den Kreislauf des Lebens auf.  
 
Und wenn wir uns hier im Meditationsraum umsehen, dann werden wir feststellen, dass die Baumsymbolik auch hier vorhanden ist. In diesem Meditationsraum stehen Bäume. Natürlich nur relativ kleine, aber immerhin Bäume. Im Mittelpunkt dieses Schreinraumes steht natürlich die Gelnhäuser Rupa, diese Figur dort auf dem Schrein, die den Buddha darstellt. Und diese Figur ist aus Holz, ist aus Baum. 
 
Und worauf steht diese Rupa in unserem Meditationsraum? Auf einem Schrein. Unter dem Stichwort „Schrein“ findet sich bei Wikipedia: „Das Herzstück von Tempeln, sei es ein Möbelstück oder ein Bauwerk zur Aufbewahrung kultischer und heiliger Gegenstände oder Aufenthaltsort göttlicher Wesen kann als Schrein bezeichnet werden.“  Wir haben hier einen sehr schönen Schrein, einen handgeschnitzten Schrein aus Holz, aus Baummaterial, geschnitzt im 19. Jahrhundert von einem Mann, der mit Holz, mit Wald sehr verbunden war, dem Oberförster Fuhrmann hier aus dem Forsthaus in Biebergemünd, meinem Urgroßvater, also einem Mann aus meinem Stammbaum.
 
Und den Baum, gewissermaßen den Stammbaum der Buddhistischen Richtung, der ich angehöre, haben wir hier auf diesem Bild dargestellt: dem Inspirationsbaum von Triratna.
 
Auch im Leben des Buddha haben Bäume eine nicht zu überschätzende Bedeutung gehabt. Das beginnt schon beim Namen Buddha Shakyamuni. Shakyamuni bedeutet, wie die meisten von euch sicher wissen, „Weiser aus dem Stamm der Shakya“. Was euch aber vielleicht unbekannt ist, ist was „Shakya“ bedeutet, was das für ein Totem ist, das dem Stamm aus dem der Buddha stammt, seinen Namen gab. Shakya heißt „Eichbaum“.
 
Schon bei der Geburt des Buddha hat ein Baum eine Rolle gespielt. Der Buddha kam unter freiem Himmel zur Welt, da seine Mutter, die Gemahlin des Herrschers von Shakya mit einer Kutsche auf dem Weg zu ihren Eltern war, als die Wehen einsetzten. Es ist nicht sicher, ob der spätere Buddha auf natürliche Weise zur Welt kam oder durch Kaiserschnitt, wofür einiges spricht. Sicher ist aber, dass seine Mutter bei der Geburt den Ast eines Baumes fest umklammert hielt. Sie suchte während der schmerzhaften Geburt Sicherheit, Kraft und Unterstützung bei einem Baum, einem starken älteren Verwandten des Menschengeschlechts und insbesondere der Shakyer, dem Geschlecht mit dem Totem eines Baumes.
 
Seine erste meditative Vertiefungserfahrung hatte Siddharta, der spätere Buddha, bereits als Knabe, während er unter einem Rosenapfelbaum meditierte. Und genau an diese Meditation erinnerte er sich zurück bevor er sich dreißig Jahre später zu seiner wichtigsten Meditationssitzung unter einen Baum setzte. Unter den Bodhi-Baum, den Baum, unter dem er die Erleuchtung erlangte. Diesen Baum, unter dem sich das Erwachenserlebnis vor 2600 Jahren zutrug, gibt es heute nicht mehr, er wurde von islamischen Invasoren gefällt. Aber einen 2300 Jahre alten Ableger dieses Baumes gibt es heute noch, er steht im ceylonesischen Anuradhapura und wird dort als ein besonderes Heiligtum verehrt. Das Blatt, das ich heute an unserem Schrein aufgestellt habe, stammt von diesem Baum.
 
Der Bodhibaum war eine wichtige Bedingung dafür, dass das Erwachen des Buddha möglich wurde. Ein Baum steht für Schutz, Geborgenheit und Kraft, und diese drei Elemente steuerte der Bodhibaum zum Erwachen des Buddha bei. Der Buddha erzählte später, dass er nach seiner Erleuchtung diesem Baum gedankt habe und ihn für sein Beisteuern zum Erwachen verehrt habe – in einer siebentägigen Dankbarkeitszeremonie. 
 
Und ich denke, der Buddha hat dabei so ähnlich empfunden, wie Hermann Hesse das beschrieb, ich rezitiere nochmals:
 
Bäume sind wie Heiligtümer. Wer mit ihnen zu sprechen, wer ihnen zuzuhören weiß, der erfährt Wahrheit. Sie predigen nicht Lehren und Rezepte, sie predigen, um das Einzelne unbekümmert,  das Urgesetz des Lebens.
 
Auch weiterhin blieb der Buddha Bäumen verbunden. Er meditierte unter Bäumen, und er schildert im SatipatthanaSutta wie man meditiert, diese Schilderung beginnt so: „Da begibt sich der Mönch unter einen Baum, an den Fuß eines Baumes und setzt sich dort nieder.“ Aber der Buddha meditierte nicht nur unter Bäumen, er schlief auch unter Bäumen, nahm statt eines Kopfkissens eine Baumwurzel als Unterlage. Und immer dann, wenn der Buddha Ruhe brauchte, weil die Mönche sich vielleicht wieder einmal ziemlich nervig verhielten, dann zog sich der Buddha in den Wald zurück.
 
Auch in einer Jataka-Geschichte, einer Geschichte, in der der Buddha von einem früheren Leben erzählte, spielt ein Baum eine zentrale Rolle. Dort ist der Baum sein Freund. Der Buddha zeigt sich in dieser Geschichte als der kleine Freund seines alten, verehrten, weisen Freundes, des Baumes. Offensichtlich sieht der Buddha in Bäumen unsere älteren Brüder und Schwestern, unsere Vorfahren, und ich denke, es wäre gut daran, auch in diesem Punkte dem Buddha zu folgen.
 
Und damit sind wir dabei, uns zu fragen, was es eigentlich ist, das  das Symbol des Baumes ausmacht. Ich will hier – weitab von jedem Anspruch erschöpfend zu sein – einige Elemente aufführen. Eines haben wir gerade betrachtet: die Bäume sind unsere älteren Geschwister. Der Baum ist auch ein Symbol des Lebens, wir sprechen vom Lebensbaum, oder wie Goethe es im Faust formuliert:

„Grau, treuer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum.“  

Der Baum trägt auch Früchte, ein im Buddhismus ganz wichtiger Begriff, er stellt nämlich Buddhas Interpretation der Karma-Lehre dar. Intentionales Handeln, absichtliches Handeln, bezeichnet der Buddha dann, wenn es ethisch bewertbar ist, als karma – und karma, so sagt der Buddha, führt unweigerlich zu vipaka, den Früchten unseres Handelns. Damit wird der Baum auch zu einem Symbol der buddhistischen Karmalehre.

 
Ein Baum ist kräftig, er ist stark, denn er hat einen kräftigen Stamm und große starke Wurzeln. Wenn wir nicht bodenständig sind, nicht fest verwurzelt, dann haben wir keine Stabilität, keine Basis für Beständigkeit, die notwendig ist, um den spirituellen Pfad zu beschreiten. Auch diese Symbolik ist in dem Bild des unter dem Baum meditierenden Buddha enthalten. Fest verwurzelt, in Bodenkontakt mit dem Körperteil, den man in Indien als muladhara, als unser Wurzelcakra bezeichnet, ist ein Ethik, Meditation und Weisheit übendes Wesen während seiner Übung. Dennoch ist das nichts rein Statisches, die Dynamik eines Baumes zeichnet sich durch sein Wachstum aus. Damit ist der Baum auch ein Symbol für

Entwicklung, für Wachstum. Ein Baum wächst der Sonne, dem Lichte entgegen, einem Symbol für Erleuchtung. Aber ein Baum ist in seinem Wachstum weiser als so ziemlich alle Wirtschaftswissenschaftler unserer Zeit. Bäume wachsen nicht in den Himmel, Bäume sind damit Symbole für Wachstum, sie zeigen aber den einfältigen Menschen auch die Grenzen von Wachstum auf.
 
Bäume, gerade jetzt im Frühling, wenn sie ausschlagen, sind natürlich auch ein Beispiel für zyklisches Wiederholen, für Wiedergeburt, also dafür, dass wir immer wieder eine neue Chance haben, Tag für Tag. Es gibt immer wieder neue Gelegenheiten, weise zu handeln, Ethik zu üben, zu meditieren, du hast immer die Chance, dich weiter zu entwickeln.
 
Und Bäume sind tatsächlich unsere wichtigsten Freunde, sie sind unsere Partner in einer Symbiose, in der lebensermöglichenden Symbiose des Stoffwechsels. Sie versorgen uns mit dem molekularen Sauerstoff, den es ohne sie, ohne die Pflanzen, auf diesem Planeten nicht gäbe. Und wenn wir in der Atembetrachtung unser Einatmen und Ausatmen achtsam betrachten, dann ist das auch ein Betrachten unserer Partnerschaft mit den Bäumen: Nehmen und Geben, Einatmen und Ausatmen. Einatmend, weiß ich, dass ich einatme und der Baum ausatmet, ausatmend weiß ich, dass ich ausatme und der Baum einatmet.
 
Und schließlich steht der Baum auch noch für etwas Grundfestes, für etwas Solides, für etwas Hartes. Der Baum ist damit Erdelement, das Element, das für Festigkeit, für Härte, für Stabilität, für Solidität steht. Doch dazu heute nicht mehr, denn das ist ja mein Vortrag für nächste Woche, wenn ich über ein weiteres Element buddhistischer Symbolik spreche: das Erdelement und unsere Verbindung mit dem Erdelement.
 
Bäume sind Heiligtümer. Wer mit ihnen zu sprechen, wer ihnen zuzuhören weiß, wie der Buddha, erfährt Wahrheit. Bäume predigen nicht Lehren oder Konzepte, sie predigen das Urgesetz des Lebens, sie predigen  den Dharma. 

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