Ethik  – warum dazu eine Vortragsreihe?
Dharma - Horsts Vortragsreihen - Ethik: "Das Gute leben" - Teil 1
Vortrag bei Meditation am Obermarkt, Gelnhausen
zuletzt überarbeitet 2019

In den letzten zwölf Monaten habe ich hier über Personen auf dem Inspirationsbaum gesprochen, berühmte buddhistische Meister oder Meisterinnen und auch Figuren, die für Projektionen unseres Geistes stehen. Das hatte augenscheinlich mit Buddhismus zu tun. Davor habe ich eine Vortragsreihe über Meditation gehalten. Das kann man bei „Meditation am Obermarkt“ schließlich auch erwarten. 

Aber über Ethik??? Noch schlimmer wird es, wenn man Synonyme für Ethik verwendet: Tugend, Moral, Sittlichkeit. Das klingt alles irgendwie abturnend, absolut mega-out. Und dennoch biete ich diese Vortragsreihe an. Ich weiß sie wird kein Blockbuster werden, sie wird nicht dazu führen, dass wir größere Räume für unsere Veranstaltungen benötigen. Sie kann aber zu etwas sehr viel Wichtigerem führen. Sie kann dazu beitragen, dass wir alle – ihr und ich auch - uns verändern, uns entwickeln, evolvieren, auf dem Pfad voranschreiten.

Wir alle, jede, jeder von uns ist ein sich beständig verändernder Prozess. Meistens haben wir auf die Ursachen dieser Veränderungen keinen Einfluss. Aber wir können Bedingungen schaffen, die eine Veränderung in eine gewünschte Richtung schaffen, hin zu mehr Bewusstheit, zu mehr Ausgeglichenheit, zu Liebe, zu Großzügigkeit, zu Weisheit.

Es besteht also die Möglichkeit, diesen Prozess, den jede einzelne Person unter uns ist, bewusst zu steuern. Dieses bewusste steuern des eigenen Prozesses nennt man „den Pfad gehen“.

Wie ihr wisst, war ich gerade auf Pilgerwanderung Richtung Bodh Gaya. Manche Leute haben mich gefragt: zu Fuß? Biste bekloppt? Warum fliegst Du denn nicht?

Wer so fragt, hat nicht wirklich verstanden, worum es geht. Es geht darum den Pfad bewusst, selbstgesteuert und aus eigener Kraft zu gehen. Der Pilgerpfad ist dabei nur eine äußere Metapher für einen inneren Prozess. Diesen Prozess gilt es zu gestalten, und zwar mit Körper, Rede und Geist. Nichts anderes machen wir, wenn wir Ethik einüben. Wir bemühen uns darum, mit Körper, Rede und Geist wegzukommen von selbstsüchtigen Denken, Reden und Handeln, wegzukommen von hasserfülltem Denken, Reden und Handeln, wegzukommen von verblendetem Denken, Reden und Handeln, und stattdessen immer mehr zu einem Denken, Reden und Handeln zu kommen, das von Liebe, von Großzügigkeit und von Weisheit geprägt. Ist. Das bedeutet „den Pfad gehen“.

Der Buddha hat den Pfad auf verschiedene Weise erläutert. Ein Bild ist das der progressiven Kettenglieder, das hier an der Wand neben dem Schrein aufgezeichnet ist. In zwölf Stufen geht der Pfad von dukkha (Unvollkommenheit, leidvolle Erfahrungen) bis hin zu höchsten Ziel Nirwana (Vollkommenheit, Erkenntnis der eigenen Befreiung). 

Ein anderes Modell, das der Buddha wesentlich häufiger verwendet hat, ist das des Edlen Achtfältigen Pfades, das durch das Rad der Lehre an der anderen Wand unseres Meditationsraumes symbolisiert wird. Hier werden gewissermaßen acht Baustellen benannt, an denen wir arbeiten müssen, um uns zu entwickeln. Über beide Modelle, das der progressiven Kettenglieder und das des Edlen Achtfältigen Pfades habe ich in der Vergangenheit hier bereits Vortragsreihen gehalten.

In seinen letzten Lebensjahren hat der Buddha allerdings, wenn er nicht zu Mönchen und Nonnen, sondern zu Laien sprach, immer ein anderes Modell gelehrt, den Dreifachen Pfad. Das ist natürlich gegenüber dem zwölfstufigen und dem achtfältigen Modell eine vereinfachte – man könnte auch sagen: eine didaktische reduzierte – Variante. Aber der Buddha hätte sie nicht am Ende seines Lebens in den Mittelpunkt seiner Lehrreden gestellt, wenn er nicht davon überzeugt wäre, dass sie das für Laien – also für Nicht- Berufs-Buddhisten – angemessene Modell wäre. 

Der Dreifache Pfad besteht aus Ethik – Meditation – Weisheit. In dieser Reihenfolge. Ethik als Basis, Meditation darauf aufbauend und Weisheit als das Ziel, das auf der Basis von Ethik und Meditation erreicht werden kann. Und Weisheit schließt hier auch vollkommene Weisheit, Erleuchtung, Buddhaschaft, Nirwana ein.

Mitunter spricht man auch vom Pfad der regelmäßigen und dem Pfad der unregelmäßigen Schritte. Was ist das?

Nun wenn wir von dem, wofür Meditation am Obermarkt steht, für Meditation und Buddhismus ein gewisses Interesse haben, wenn sich jemand entschließt hierher zu kommen, dann sind es gewöhnlich die besonders attraktiven Eigenschaften, die anziehend wirken – was nur natürlich ist. Es kommt öfter vor, dass hier Leute auftauchen, die sagen, dass sie vom Buddha oder vom Buddhismus sehr beeindruckt sind, von dieser Weisheit, dieser tiefen Ruhe und vollkommenen Gelassenheit. Das sind offensichtlich Leute, die vom Dreifachen Pfad am stärksten durch Weisheit angezogen werden. 

Am häufigsten allerdings kommen Leute her, die sagen, sie interessieren sich für Meditation, weil sie mehr Ruhe und Klarheit brauchen, weil sie gestresst sind, weil sie zu sich selbst kommen wollen. Diese Leute finden offensichtlich Meditation am interessantesten vom Dreifachen Pfad. Aber es ist mir noch nie passiert, in den mehr als zehn Jahren, in denen ich Buddhismus und Meditation unterrichte, dass jemand hier auftauchte und sagte: „Horst, ich möchte mich sittlich vervollkommnen.“ Noch kein einziges Mal.

Im Laufe der Zeit jedoch – wenn man so lange dabei bleibt – erkennt man, dass alle drei Elemente nötig sind, Ethik, Meditation und Weisheit. Allerdings sind in der Hitliste unserer Interessen Meditation gewöhnlich eindeutig an erster Stelle, der Dharma, die Lehre des Buddha an zweiter. Wenn wir das tun, gehen wir den Pfad der unregelmäßigen Schritte. Triebgesteuert, wie wir als unvollkommene Menschen, fest verwurzelt in unserer animalischen Natur, nun einmal sind, wollen wir die Rosinen aus dem Kuchen picken.

Wenn wir jedoch allmählich reifer werden, dann erkennen wir, dass dieses sprunghafte Hüpfen auf alles, was uns interessant erscheint – vielleicht doch lieber Yoga, oder transzendentale Meditation, Tai Chih wäre vielleicht auch nicht schlecht? Zen – und die Kunst des Bogenschießens! – dass dieses sprunghafte Herumhüpfen uns nicht wirklich weiter bringt. Und dann sind wir reif für den Übergang vom Pfad der unregelmäßigen zum Pfad der regelmäßigen Schritte. Dann sind wir reif für den Dreifachen Pfad, dann sind wir reif genug, die Bedeutung der Basis, der Ethik, für das Gehen des Pfades, für die bewusste, selbstgesteuerte Evolution zu erkennen. Und der Dreifache Pfad hat eine klare Reihenfolge: 1. Ethik, 2. Meditation, 3. Weisheit.

Das heißt nun nicht, dass ihr ab sofort nicht mehr meditieren sollt, weil ihr ja noch keine absoluten Tugendbolde seid. Das heißt auch nicht, dass ihr euch während meiner Vorträge die Ohren zuhalten sollt, damit um Himmels Willen kein Element von Weisheit zu früh in euer Gehirn dringt. Meditieren will ich euch ebenso wenig ausreden, wie Einsicht zu entwickeln. Aber was der Buddha mit dem Pfad der regelmäßigen Schritte meint, ist, dass eure, dass unsere Hauptbaustelle der Bereich von Ethik ist.

Meditation scheint vielleicht attraktiver zu sein. Aber wie häufig nehmen wir denn die Gelegenheit wahr zu meditieren? Wenn ihr hier jede Woche herkommt, ist das eine Stunde Meditation pro Woche, jetzt nehmen wir noch an, dass ihr an den anderen sechs Wochentagen durchschnittlich zwanzig Minuten meditiert – ich wette bei den meisten ist es weniger – dann kommen wir auf insgesamt drei Stunden Meditation von 168 Wochenstunden, also knapp zwei Prozent. Angenommen ihr besucht noch regelmäßigen einen meiner Kurse, und lest außerdem wöchentlich durchschnittlich eine Stunde ein Dharmabuch, dann kämen nochmal wöchentlich 2,5 Stunden für den Bereich Weisheit hinzu, also rund anderthalb Prozent.

Aber für den Bereich Ethik, oder wie es die Römer und Griechen in der Antike nannten, für „das Gute Leben“ habt ihr 168 Stunden Zeit, das könnt ihr immer üben. Wirklich 24 Stunden am Tag, denn wenn ihr Ethik mehr und mehr in den Mittelpunkt eures Denkens, Redens und Handelns stellt, dann werdet ihr auch im Schlaf, in euren Träumen, vom guten Leben, vom ethischen Denken und Handeln durchdrungen sein. 

Daher ist es so wichtig, vom Pfad der unregelmäßigen zum Pfad der regelmäßigen Schritte über zu gehen. Daher sagt der Buddha, Ethik ist die Basis auf der tiefe Meditation und Einsicht aufgebaut werden und reifen können. Und wenn ihr vielleicht bislang eure Meditationen ziemlich unbefriedigend fandet, so liegt das möglicherweise daran, dass das Fundament, der ethische Unterbau, noch etwas auf tönernen Füßen stand.

Diese Vortragsreihe über Ethik soll dem dienen, dass wir verschiedene Aspekte unseres Denkens, Redens und Handelns näher betrachten, die wir vielleicht so noch nie betrachtet haben. Hierzu werde ich versuchen, Denkanstöße zu geben. Und – ganz wichtig – in der anschließenden Diskussion sollen wir die Möglichkeit haben, das Gehörte zu vertiefen. Unsere eigenen Erfahrungen, Bedenken, Widerstände und vielleicht auch Erfolge auszutauschen und voneinander zu lernen.

Denn es gibt im Buddhismus neben dem Dreifachen Pfad noch etwas, das man den buddhistischen Dreiklang des Lernens, des sich Entwickelns nennen kann, und der heißt: Hören – Reflektieren – Meditieren. 

Zum Hören ist mein Vortrag da. Zum gemeinsamen Reflektieren habt ihr die Möglichkeit in der anschließenden Diskussion. Noch vertiefender wird das, wenn ihr in der folgenden Woche euch die Zeit nehmt, noch einmal über das von mir und in der Diskussion gehörte alleine zu reflektieren und in eurem Handeln umzusetzen. Und wenn ihr dann in Meditation sitzt und einfach nur die Vergegenwärtigungen des Atems oder die metta bhavana übt, dann wird das Gehörte und Reflektierte allmählich den Prozess, der ihr seid, durchdringen. So entsteht Weisheit. 

Das nennt man den Dreifachen Pfad aus Ethik, Meditation und Weisheit. Das ist der Pfad der mittelfristig zu Glück und langfristig zu Nirvana führt.

Zu Meditation am Obermarkt

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