Die Buddhas der drei Zeiten: Dipankara - Shakyamuni - Maitreya Vortragsreihe "Inspirationsbaum", Teil XVII
von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt (2013)
zuletzt geändert am 8. Oktober 2019
Als
ich im letzten Sommer hier mit den Vorträgen über den Inspirationsbaum
der Buddhistischen Gemeinschaft Triratna begann, war die erste Person,
über die ich sprach, der historische Buddha, was irgendwie naheliegend
ist. Er ist natürlich die wichtigste Person auf diesem Bild, denn ohne
ihn hätten wir den Dharma nicht, die Lehre, die im Westen Buddhismus
heißt, obwohl Dharma so etwas wie "ewiges Gesetz", "Wahrheit" oder
"Naturgesetz" bedeutet.
Das Wort Naturgesetz kennen wir normalerweise in einem anderen
Zusammenhang, nämlich aus den Naturwissenschaften. Und wenn wir da
versuchen in unserem Hirn zu kramen, fällt uns vielleicht ein: da war
doch etwas mit Newton, Sir Isaac Newton - hat der nicht die Gesetze der
Schwerkraft entdeckt, als ihm ein Apfel auf den Kopf fiel? Ich bin -
ehrlich gesagt - auch nicht besonders bewandert auf dem Gebiet der
Naturwissenschaften; aber ich glaube, die Sache mit Newton stimmt. Er
hat die Naturgesetze natürlich nicht erfunden. Schwerkraft gab´s auch
schon vorher, aber er hat etwas entdeckt, was andere vor ihm auch schon
irgendwie bemerkt hatten. Es war nicht so, dass die Leute vorher nicht
wussten, dass die Äpfel vom Baum fallen. Niemand hätte damals gedacht,
dass sie etwa nach oben fallen und im Weltall verschwinden, oder dass
sie in einer Umlaufbahn um die Erde kreisen, als Apfelsatelliten. Jeder
wusste: wenn die Äpfel reif sind, fallen sie vom Baum. Es war eine
Beobachtung, die jeder machen konnte. Was die Leistung von Newton und
anderen Naturwissenschaftlern war und ist, besteht in der Tatsache,
dass sie fragten: warum eigentlich? Dass sie nicht nur die Wirkung
erkannten, sondern auch die Frage nach der Ursache stellten. Und das
Entscheidende: dass sie so lange suchten, beobachteten,
experimentierten, bis sie nicht nur die Ursache kannten, sondern auch
das Wirkgefüge genau beschreiben konnten. So
ist das nicht nur in der Physik, das gleiche haben Chemiker gemacht und
Biologen. Mindestens genauso bekannt wie Sir Isaac Newton ist Charles
Darwin, der die Gesetzmäßigkeiten der biologischen Evolution erkannte
und beschrieb. Und ein ganz ähnlicher Naturwissenschaftler war auch der
aus der kleinen nordindischen Republik Shakya stammende Siddharta
Gotama, der auch grundlegende Phänomene beobachtete und nach
ausführlicher Beobachtung Gesetzmäßigkeiten formulierte. Dieser
indische Gelehrte interessierte sich aber nicht dafür, warum Äpfel vom
Baum fallen, sondern warum es Leiden gibt - meiner Meinung nach eine
eklatant viel wichtigere Frage. Und er interessierte sich auch nicht
für die niedere Evolution, also letztendlich die Frage: wie hat sich in
der Biologie etwas zum Menschen entwickelt? Ihn interessierte vielmehr:
wie kann ich das Projekt Evolution weitertreiben, nicht durch Züchtung,
sondern durch das, was den Menschen zum Menschen macht, durch
Entwicklung des Geistes. Wie kann man den Menschen so weiterentwickeln,
dass er geistig nicht mehr zu 90 % oder noch mehr wie ein Tier denkt,
fühlt, handelt, sondern wie ein voller 100%iger Mensch, ein
Vollendeter.
Das Großartige ist: ebenso wie viel später nach ihm Newton, Darwin und
viele andere war dieser jungen Wissenschaftler erfolgreich! Er erkannte
nicht nur das Leiden, er erkannte auch die Ursache des Leidens, er
erkannte, welche Stellschraube man ändern muss, um das Leid zu
überwinden, und er erkannte auch eine achtstufige Therapie, wie dies
bewerkstelligt werden könne, unternahm einen Selbstversuch und sah
seine Theorie bestätigt. Und viele Tausende, die von seiner Erkenntnis
überzeugt waren, machten es ihm nach und waren ebenso erfolgreich.
Natürlich scheiterten auch viele bei dem Versuch, diejenigen nämlich,
die entweder halbherzig vorgingen oder vor Ende des wirklich recht
langwierigen Transformationsprozesses starben. Dieses
Naturgesetz, das Siddharta Gotama da erkannte, nennt man seitdem die
Vier Edlen Wahrheiten und den Transformationsprozess nennt man den
Edlen Achtfältigen Pfad. Das Rad an der
Wand unseres Meditationsraumes ist die bildnerische Darstellung dieser
Therapie, die acht Speichen stellen die acht Therapieelemente dar und
sind mit ihren wissenschaftlichen Bezeichnungen in Pali daneben
angegeben.
Über den Inhalt sage ich heute nichts, das würden den Rahmen dieses
Vortrags sprengen. Seit seiner großen Entdeckung - und deren
erfolgreicher experimenteller Umsetzung im Selbstversuch - nannte man
den Siddharta Gotama einen Vollendeten, oder - weil er gewissermaßen
aus dem Schlaf der Unkenntnis erwacht war - einen Erwachten, das heißt
auf Pali: Buddha. Und weil er ja nicht der einzige war, der fortan
diesen Transformationsprozess durchmachte, Erwachte liefen bald zu
Hunderten in Nordindien herum, nannte man ihn und nennt man ihn noch
heute Buddha Shakyamuni. Shakya, wir erinnern uns, war der Name der
kleinen Republik in Nordindien, aus welcher der Buddha stammte, und muni heißt Weiser. Buddha Shakyamuni
ist also der erwachte Weise aus dem Lande Shakya. Und so wie
Wissenschaftler seit wenigen Jahrhunderten das anwenden, was ihnen
Newton und Darwin als wissenschaftliche Grundlage zur Verfügung
gestellt haben, so wenden seit 2500 Jahren praktizierende Buddhistinnen
und Buddhisten - ich unterscheide wohlgemerkt zwischen praktizierenden
und nominellen Buddhisten - die Lehre des Buddha seither an.
Wenn wir uns daran erinnern, dass diese Lehre zur Überwindung des
Leidens führt, wird auch deutlich, warum manche Bücher über den
Buddhismus solche merkwürdigen Titel tragen wie "Der Buddha und die
Wissenschaft vom Glück". 2500 Jahre sind eine lange Zeit. Aber die
Menschheit existiert seit etwa einer Million Jahren. Offensichtlich
benötigt man für das Experiment, das der Buddha unternahm, keine
komplizierten technischen Geräte - es genügt die wachsame
Beobachtungsgabe, ein äußerst scharfer Verstand und der Mut, ein
langwierigen Selbstversuch durchzuführen. Sollte denn auf dem ganzen
Planeten Erde innerhalb von einer Million Jahren niemand außer dem
Siddharta Gotama die für die Menschen doch so entscheidende Frage, woher das Leid kommt und wie man es überwinden kann, gestellt haben? Das ist doch sehr unwahrscheinlich.
Also nehmen wir einmal an, da habe eine weise Neolithin, also eine
jungsteinzeitliche Frau, in Süddeutschland in einer Höhle nahe der
Donau nach langer Suche und in einem erfolgreichen Selbstversuch, genau
wie der Buddha, Erleuchtung erlangt. Gäbe es irgendeine Chance, dass
wir heute noch davon wüssten? Vermutlich nicht. Einfachere
Fertigkeiten, wie die Produktion von Wurfspeeren oder Tonkrügen, die
mit vergleichsweise kurzen Zeitaufwand herzustellen und von
unmittelbarem praktischen Gebrauchswert waren, sind sicher mündlich
weitergegeben und eingeübt worden. Aber selbst die vergleichsweise
recht einfachen Naturheilverfahren des Neolithikums sind uns nicht
überliefert oder höchstens völlig rudimentär. Vielleicht ist der
Rat an jemanden, der in Wut gerät: "Setz dich erst mal ruhig hin und
atme dreimal tief durch" alles, was von einer europäischen
neolithischen anapanasati-sutta,
einer Lehrrede von den Vergegenwärtigungen des Atems, übrig geblieben
ist. Wir können also mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen,
dass das, was der Buddha entdeckte, vorher schon einmal entdeckt wurde
und wieder in Vergessenheit geriet. Vermutlich wurde es nicht nur
einmal entdeckt, sondern desöfteren.
Es gab also neben dem Buddhas, der gegenwärtige noch bekannt ist, dem
Buddha der Gegenwart, Buddha Shakyamuni, aller Wahrscheinlichkeit nach
Buddhas der Vergangenheit, die uns nicht mehr bekannt sind. Und
stellvertretend für diese Buddhas der Vergangenheit sehen wir auf dem
Inspirationsbaum von uns aus links neben Shakyamuni den Buddha Dipankara, den Buddha der Vergangenheit. Und natürlich gibt es auch zu Dipankara einen Mythos. Vermutlich wurde er vom Buddha Shakyamuni
selbst erzählt, denn der Buddha kleidete, wie damals üblich, das was
ich euch eben erzählt habe, gerne in Mythen. In diesem Mythos, der vor
vielen Weltzeitaltern spielte, soll der erste Buddha mit Namen Dipankara, d. h. der Lichtbringer, gelebt haben. Zu dieser Zeit habe es auch einen Asketen namens Sumedha gegeben. Als Sumedha von diesem Buddha hörte,
dass er bald hier vorbeikomme, begab er sich sofort zur Landstraße, um,
wie viele andere auch, die Landstraße in einen guten Zustand zu
bringen, zu säubern, zu fegen für die Ankunft des großen Weisen.
Allerdings hatte Sumedha seinen Straßenabschnitt noch nicht vollständig gesäubert, als der Buddha Dipankara kam, da war noch ein Schlammstück mitten auf dem Weg. Also warf sich Sumedha
nieder, breitete sein üppiges Haar über dem Schlamm aus, damit der
Erleuchtete trockenen Fußes weiterschreiten konnte. Er übte also dana,
freudiges Geben in der höchstmöglichen Form und bezeugte gleichzeitig
seinen Respekt vor dem Buddha und damit auch vor seiner Lehre. Und wie
er so auf dem Boden lag, stieg in Sumedha der Gedanke auf, er wolle eines Tages, genau so wie Dipankara ein voll Erleuchteter sein, der den Menschen den Dharma bringt. Dipankara war natürlich in der Lage, Gedanken zu lesen und so sprach er zu Sumedha: "Wahrhaft, Sumedha, du bist ein wirklich Tugendhafter, du wirst in ferner Zukunft in einem Lande namens Shakya in einer Familie namens Gotama
geboren, du wirst in die Hauslosigkeit ziehen und zu einem Buddha, der
den Dharma verkündet, werden." Soweit zum Mythos des Vorzeitbuddhas Dipankara. Im Pali-Text Buddhavamsa,
was die "Genealogie der Buddhas" heißt, wird von insgesamt 24 Buddhas
vor Shakyamuni berichtet, das würde ich allerdings nicht allzu wörtlich
nehmen. Wann immer der Dharma also in Vergessenheit gerät, wird früher
oder später wieder ein Buddha auftreten, also ein Entdecker, der dieses
Naturgesetz entdeckt. - Klingt irgendwie logisch. Was bedeutet
das aber für die Zukunft?
Ein Buddha, oder eigentlich jeder Erleuchtete erkannte drei Dinge,
eines ist die Tatsache, dass alles, was bedingt entstanden ist,
unvollkommen ist, ein zweites, dass es vergänglich ist. Und natürlich
gilt das auch für buddhistische Organisationen und damit für die
Überlieferung der Lehre. Der Buddha war vollkommen davon überzeugt,
dass mit der Dekadenz buddhistischer Organisationen auch
der Dharma im Laufe der Zeit sinnentleert würde, bis nur noch hohle
Rituale ohne tiefere Bedeutung übrig blieben, die den Menschen nicht
wirklich weiterhelfen. Und wenn man sich das ansieht, was insbesondere
in Asien in vielen buddhistischen Klöstern abgeht, kann man dieser
pessimistischen Einschätzung nur zustimmen. Daher ging der Buddha davon
aus, dass dann, wenn der von ihm verkündete Dharma so sinnentstellt und
sinnentleert sein, dass diese sinnentleerte Religion niemandem mehr
helfe, dass dann ein neuer Buddha auftreten werde. Diesen Buddha der
Zukunft nannte Shakyamuni BuddhaMaitreya. Maitreya ist von dem Wort Sanskritwort maitri, das auf Pali metta heißt, abgeleitet; und dieses Wort kennen wir ja aus der metta bhavana, der Entfaltung von Güte. Maitreya heißt also "der Gütige".
Der Legende nach wartet der Bodhisattva, also der künftige Buddha,
unter dem Namen Natha derzeit noch im Tusitahimmel auf sein Erscheinen
auf der Erde. Das bedeutet natürlich, dass ihn viele Menschen schon
heute verehren und anbeten, denn er existiert ja irgendwie schon, wenn
auch an diesem merkwürdigen Ort namens Tusitahimmel. Wir sollten diesen
Legenden aber, so meine ich, nicht allzu viel Gewicht beimessen.
Wichtiger erscheint mir die Tatsache, dass der Dharma als ein
Naturgesetz verstanden wird, das existiert, unabhängig davon, ob es
bekannt ist oder nicht. Ist es bekannt, ist uns die Wirkweise von
Geistesereignissen bekannt, so können wir steuernd und/oder prägend
darauf einwirken. Ziel des Dharma ist nicht deskriptiv zu erklären, was
früher war, also woher der Mensch kommt, sondern perspektivisch
darzustellen, wohin er gehen kann (nämlich zur Vervollkommnung) und
aufzuzeigen, wie man dorthin gelangt, wie man an seinem Geiste arbeiten
kann, um diesen Weg erfolgreich zu beschreiben. Und das ist eine
unerhört tolle Vorstellung. Das ist - so finde ich - etwas
Inspirierendes. Und genau daran sollen uns die Buddhas der drei Zeiten
auf dem Inspirationsbaum erinnern, und sie sollen uns dazu
inspirieren zu sagen: der Pfad aus dem Leid heraus, zu Glück und
letztendlich zur Befreiung ist aufgezeigt und er ist gangbar - so will
ich auch tun! Zu Meditation am Obermarkt