Ich
habe diesen Vortrag „die erhabenen Geisteszustände“ genannt, häufig
werden sie von Buddhisten auf Deutsch auch als „göttliche Weilungen“,
oder die „Vier Göttlichen“ bezeichnet. Im Einklang mit meinem Lehrer
Sangharakshita werde ich sogar von insgesamt fünf erhabenen
Geisteszuständen sprechen.
Die
Bezeichnung „erhabene Geisteszustände“ oder „göttlichen Weilungen“
sagt, dass es sich um einen Geisteszustand handelt, also eine völlige
Ausrichtung unseres Geistes in einen bestimmten Zustand, in einen
Empfindens-, Denkens-, Sprech- und Handlungsmodus. Das Adjektiv
„erhaben“ sagt, dass es sich dabei um überaus positive Geisteszustände
handelt. Etwas vorsichtiger muss man mit dem Adjektiv „göttliche“ sein.
„Göttliche“ ist hier als Adjektiv nicht von „Gott“ abgeleitet und schon
gar nicht von dem Gott der abrahamitischen Religionen, wie wir ihn
vielleicht aus dem Religionsunterricht kennen. „Göttlich“ ist hier eher
als ein Synonym für „äußerst positive“ zu verstehen. Das Adjektiv „samma“,
das vor den Pfadgliedern des Edlen Achtfachen Pfades, wie wir sie an
dem Rad an der Wand hinter Euch sehen, immer vorkommt und z. B. aus vayama „Bemühung“ samma vayama
macht, was sowohl Rechte Bemühung, also in richtiger Weise ausgeübte
Bemühung, als auch Vollkommene Bemühung heißen kann, ist in etwa
gleichbedeutend mit dem, was wir hier „göttlich“ nennen. Dieses
Adjektiv wird hier in etwa so verwendet, wie in dem Beinamen der
schwedischen Filmschauspielerin Greta Garbo, die auch als „die
Göttliche“ bezeichnet wird.
Der Paliausdruck, der für „erhabene Geisteszustände“ verwendet wird ist brahmavihara. Das Wort „brahma“ bedeutet dabei „göttlich“ und vihara ist ein Aufenthaltsort, im buddhistischen Kontext häufig ein Synonym für Kloster. Im Wort brahmavihara ist aber kein physischer Ort gemeint, sondern ein mentaler Zustand.
Und
wenn wir uns überlegen, welcher mentale Zustand wohl der Wichtigste
ist, der in der Lehre des Buddha angestrebt wird, dann fällt das ganz
klar auf, denn es ist eine Geisteshaltung, die wir in einer unserer
beiden Meditationstechniken einüben, nämlich metta. Metta ist die grundlegende positive Emotion, die spirituell praktizierende Menschen anstreben. Metta ist vom Wort mitra abgeleitet, das bedeutet Freund. Metta ist also das Gefühl, das wir einem sehr guten Freund oder einer sehr lieben Freundin gegenüber haben.
Allerdings ist dieses Gefühl auf unserer Alltagsebene gewöhnlich ein
ausschließendes Gefühl, ein Gefühl, das wir nur wenigen Menschen
gegenüber empfinden, während uns die allermeisten Menschen völlig
gleichgültig sind und wir manche Leute vielleicht sogar hassen.
Nyanatiloka übersetzt in seinem buddhistischen Wörterbuch metta
mit Allgüte, was ausdrücken soll, dass wir dabei alle Wesen
einschließen und niemanden ausschließen. Das ist das, was z. B. Jesus
meint, wenn er nicht nur verlangt „liebe deinen Nächsten“, sondern
sogar fordert, man solle auch seine Feinde lieben. Leider steht im
Neuen Testament nichts davon, wie wir dieses Kunststück vollbringen
sollen.
Im
Gegensatz zu Jesus hat sich der Buddha nicht als Prophet oder
Religionsstifter gesehen, sondern als Praktiker, der Menschen, die sich
spirituell entwickeln wollten, praktische Anleitungen gab, wie sie das
bewerkstelligen könnten. Daher lehrte er die metta bhavana, das ist die Technik, mit der man die Bedingungen schafft, metta,
„Allgüte“, zu entwickeln. Der Buddha empfiehlt dabei in fünf Stufen
vorzugehen, eine Praktik, die auch wir hier jede zweite Woche üben. In
der ersten Phase verwenden wir Worte, Bilder oder Gedanken, die
positive Emotionen gegenüber uns selbst erzeugen sollen. Wir nehmen uns
– trotz aller unserer Fehler – an und erzeugen Wohlwollen, Zuneigung zu
dieser uns nächststehenden Person, zu mir selbst. Es ist genau das, was
auch Jesus meint, wenn er sagt „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“.
Wir müssen also zu allererst unser Herz für uns selber öffnen, bevor
wir andere mit einbeziehen können.
In den nächsten drei Phasen der metta bhavana
wird die Übung zunehmend anspruchsvoller. In der zweiten Phase
versuchen wir die bereits entstandene positive Zuneigung, die Öffnung
unseres Herzens, aufrechtzuerhalten und wenden dies auf einen guten
Freund oder eine edle Freundin an. In der dritten Phase – und diese ist
nochmals wesentlich anspruchsvoller – entfalten wir metta
gegenüber einer Person, gegenüber der wir normalerweise weder besondere
Zu- noch Abneigung verspüren. In der vierten Phase bemühen wir uns auch
einer schwierigen Person mit metta zu begegnen.
In
der fünften Phase schließlich stellen wir uns zunächst noch einmal
genau die vier Personen der vergangenen vier Phasen vor und bemühen uns
darum, diese in gleichem Maße mit metta zu bedenken; anschließend
nehmen wir immer mehr Wesen in unsere Meditation auf, was traditionell
als „die Grenzen durchbrechen“ bezeichnet wird, also der Übergang von
Wohlwollen oder Güte zu „Allgüte“. Sukzessiv, schrittweise, werden
immer mehr Wesen einbezogen, wobei alle empfindenden Wesen gemeint
sind. Hierzu gehören auf jeden Fall alle Menschen und Tiere, darüber
hinaus aber auch noch Wesen, an die wir selbst glauben oder deren
Existenz wir für wahrscheinlich halten, das können Gott oder Götter
sein, Engel, Geister, Feen, Extraterrestrische und, und, und.
Metta
ist die grundlegende positive Emotion. Die anderen erhabenen
Geisteszustände sind hiervon abgeleitet. Nehmen wir also an, unser sehr
guter Freund hätte eine berufliche Qualifikation erfolgreich bestanden,
eine Gehaltserhöhung bekommen oder eine neue Liebe gefunden, also
irgendetwas Positives erlebt, er wäre also glücklich. Was passiert
jetzt mit unserem metta? Nun, wenn unser metta einer glücklichen Person begegnet, so bekommt metta eine etwas andere Qualität, es wird zu mudita,
zu Mitfreude. Echte Mitfreude ist dabei ohne jeden Anklang von Neid und
Eifersucht, also ohne diese durch Egoismus gefärbten Emotionen, und das
bedeutet natürlich, dass mudita schwerer zu erzeugen ist als metta.
Das ist der Grund, warum wir hier niemals die mudita bhavana in Anfängerveranstaltungen üben, sondern immer die metta bhavana. Wenn ihr jetzt aber glaubt, die mudita bhavana hätte die gleichen fünf Phasen wie die metta bhavana, so irrt ihr, die mudita bhavana ist anders aufgebaut. Da die mudita bhavana schwieriger zu praktizieren ist als die metta bhavana bieten wir sie nur Personen mit genügend Erfahrung in der metta bhavana an. Ich meine, man sollte die metta bhavana
zeitnah mindestens 100 Mal gemacht haben, bevor man sich an die anderen
erhabenen Geisteszustände wagt. Also wenn jemand hier unsere beiden
Meditationstechniken erlernt hat und sie, wie ich das empfehle, täglich
im Wechsel übt, sagen wir jeweils mindestens eine halbe Stunde, dann
hat er in einem halben Jahr 90 Mal die metta bhavana eingeübt.
Angenommen aber jemand käme immer donnerstags hierher, würde sonst aber
nie meditieren, dann käme er pro Jahr auf 19 metta bhavana, in fünf Jahren auf 95, allerdings wäre das nicht zeitnah. In diesem Falle würde ich davon abraten, in die anderen brahma viharas
einzusteigen. In diesem Fall wäre es zielführender, zunächst einmal
eine tägliche Meditationspraxis aufzunehmen und dann zu einem späteren
Zeitpunkt damit zu beginnen.
Gut, das war der zweite der erhabenen Geisteszustände, hier traf unser metta auf ein Objekt, auf ein Wesen, das sich in glücklichen Umständen befindet. Nehmen wir hingegen an, unser mettaerfüllter Geist würde sich einem leidenden Wesen zuwenden, dann entstünde Mitgefühl, karuna.
Man beachte: ich sprach von Mitgefühl, nicht von Mitleid. Mitleid
bedeutet, dass ich mit einem anderen Wesen leide. Dadurch würde statt
ein Wesen dann zwei leiden: das wäre kontraproduktiv. Karuna, Mitgefühl, ist etwas ganz anderes. Ich begegne hierbei diesem Wesen mit metta,
mit Wohlwollen, sehe aber, dass es leidet und nun öffne ich mich diesem
Gefühl, aber nicht, um auch zu leiden, sondern im Wunsch, das Leiden
dieses Wesens zu lindern, im Idealfall: zu überwinden. Dazu ist nötig,
dass ich mir den Wunsch, dieses Leiden zu überwinden zu eigen mache und
– soweit mir das möglich ist – aktiv helfend eingreife. Absolut falsch
wäre es nun, wie Pseudobuddhisten das nur allzu gerne tun,
achselzuckend zu sagen „Jaja, Leben ist dukkha“, denn das ist alles andere als hilfreich. Vielmehr kommt es darauf an, durch genaues Beobachten, also sati und sampajanna, Achtsamkeit und Wissensklarheit, und durch yoniso manasikara, weises Erwägen, herauszufinden, wie ich diesem Wesen helfen kann. Und ich denke das macht deutlich, wie viel schwieriger die karuna bhavana ist als die beiden vorhergenannten erhabenen Geisteszustände.
Eine vierte erhabene Weilung, die allerdings klassischerweise nicht zu den brahma viharas gezählt wird, ist die bhakti bhavana. Wenn ich mich einem eindeutig spirituell höher entwickelten Wesen mit metta zuwende, so tritt bhakti
auf, Vertrauen, Verehrung, Inspiration. Traditionell werden hier die
Meditationen über den Buddha genannt, hierhin gehören aber auch
Betrachtungen anderer historischer oder mythologischer Figuren, die in
Form einer sadhana geübt
werden, also zum Beispiel gegenüber einer der Personen auf diesem
Inspirationsbaum unser buddhistischen Gemeinschaft Triratna. Die
Personen darauf werden übrigens Gegenstand meiner Vorträge im nächsten
Halbjahr sein. Und diesen Baum nennen wir Inspirationsbaum,
weil er uns inspirieren kann den Pfad zu gehen, diesen Wesen
nachzueifern, den Entschluss zu fassen: So will ich auch tun!
Schließlich gibt es noch die Königsdisziplin unter den brahmaviharas, nämlich die upekkha bhavana,
die Entfaltung von Gleichmut. Gleichmut darf nicht verwechselt werden
mit Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit ist Wurstigkeit, ist
Desinteresse am Wohl anderer Wesen, ist Ausdruck von Egoismus.
Gleichmut hingegen ist getragen von metta. Wenn ich irgendein Wesen betrachte, nehmen wir an meinen Schüler XY, und wenn ich das mit metta
tue und dann wirklich dieser Person ganz Gewahr bin, dann werde ich
seiner in glücklichen und in leiderfüllten Momenten Gewahr sein.
Dieses Glück und dieses Leid entsteht in Abhängigkeit von Bedingungen.
Einige dieser Bedingungen sind von ihm verursacht oder mitverursacht,
andere scheinen nur von außen zu kommen. Ich empfinde also tiefes
Wohlwollen, metta, für diesen
Schüler und gleichzeitig sehe ich sein Glück und sein Leiden in
Abhängigkeit von Bedingungen, ich empfinde also auch Mitfreude, mudita, und Mitgefühl, karuna,
und weiß um die Bedingtheit dieser Freude und dieses Leids und mache
dabei keinesfalls die Ungerechtigkeit der Welt verantwortlich oder
irgendjemanden zum Sündenbock, denn ich sehe auch deren Handeln in
ihrer Bedingtheit. Ich akzeptiere die Dinge wie sie sind, ohne mich zu
verweigern, hilfreich einzuwirken, wo immer ich es kann.
Es ist das, was gemeint ist, wenn jemand betet: "Gib mir die Kraft die
unerfreulichen Dinge, die ich ändern kann, zu ändern, die Dinge, die
ich nicht ändern kann, zu akzeptieren, und die Weisheit, das eine von
dem anderen zu unterscheiden." Die upekkha bhavana
ist also wieder so etwas, wo der Buddhist aktiv übt, um etwas zu
erzeugen, während der Christ darauf hofft, darum bittet, zu Gott betet,
dieser möge ihm das senden. Meiner Meinung nach ist der buddhistische
Weg zwar nicht einfacher, aber zielführender.
Das also sind die vier oder fünf erhabenen Geisteszustände, die „Unermesslichen“.
Zum
Abschluss noch ein Hinweis. Der erste bezieht sich auf einen Vortrag,
den ich hier vor einiger Zeit hielt, als es um die Vertiefungszustände
ging. Damals hatte ich gesagt, in der vierten Vertiefungsstufe sind von
den sechs Vertiefungsfaktoren nur zwei gegenwärtig, nämlich citt´ekagatta, höchste Konzentration auf das Meditationsobjekt und upekkha,
Gleichmut. Aber nicht mehr irgendeine Form von Denken oder von Freude
oder Glück wie in den früheren Vertiefungszuständen. Ja, mit der metta bhavana können wir in meditative Vertiefungen kommen, aber niemals in die vierte Vertiefung, denn in der metta bhavana ist immer Freude vorhanden, jedenfalls, wenn wir sie richtig üben. Mit der upekkha bhavana lässt sich auch die vierte Vertiefung erreichen. Der Umkehrschluss, dass sich nur durch die upekkha bhavana die vierte Vertiefung erreichen lässt, ist aber falsch, man kann diese z. B. auch durch die anapanasati, die Atembetrachtung, oder durch die kayannusati, die Körperbetrachtung, erreichen.
Zu Meditation am Obermarkt
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