Vortragsreihe „Meditation“, Teil XX
von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt (2012)
zuletzt geändert am 8. Oktober 2019
Ein
halbes Jahr lang haben hier einige Ordensmitglieder der buddhistischen
Gemeinschaft Triratna und ich Vorträge zum Thema Meditation gehalten.
Daraus könnte man folgern, dass dies ein sehr komplexes Gebiet mit
allerlei technischen Finessen sei, die man beherrschen muss. Dem ist
jedoch nicht so. Die wichtigste Regel lautet: sei achtsam! Meditation
bedeutet Konzentration auf ein einziges Objekt. Bleibe bei diesem
Meditationsobjekt und lass Dich nicht ablenken.
Im
Prinzip ging es bei all diesen 20 Vorträgen genau darum. Das heißt
nicht, dass diese Vorträge nutzlos waren, nein. Im Gegenteil bin ich
der Meinung, dass in diesen Vorträgen eine Menge sehr nützlicher
Anregungen gegeben wurden. Und ich würde durchaus empfehlen, hin und
wieder noch einmal in den einen oder anderen hineinzusehen oder
hineinzuhören. Die Vorträge finden sich fast alle auch auf unseren
Internetseiten zum Nachlesen und die meisten auch zum Anhören. Wenn man
alle paar Tage, vielleicht einmal pro Woche, einen dieser Vorträge
anhört oder liest, so kann das durchaus äußerst nutzbringend sein.
Und
ich will diesen ganzen Vorträgen heute eigentlich keinen weiteren
hinzufügen, sondern eine Geschichte erzählen, natürlich eine
Geschichte, in der es um Meditation geht – und um die Früchte der
Meditation. Diese Geschichte ist über 1600 Jahre alt – und doch höchst
aktuell, denn so ähnlich wie dem armen Asanga, der Hauptfigur dieser
Geschichte, geht es uns auch immer mal. Wir meditieren zwar nicht so
viel wie dieser, haben aber durchaus ähnliche Probleme. Hier also die
Geschichte von Asanga:
Asanga
war einer von drei Brüdern, die alle im SarvastivadaOrden (einem Orden
des Mahayana) Mönche waren, er lebte etwa von 310 bis 390 u. Z. im
Königreich Gandhara (etwa heutiges Afghanistan). Asanga gilt als einer
der Gründer der Yogachara-Schule.
Er studierte die Prajnaparamita Sutten, die Lehren der vollkommenen
Weisheit, verstand sie aber nicht. Also bat er seine Lehrer um
Erläuterung. Auch dies führte jedoch nicht dazu, dass sie sich ihm
erschlossen. Also entschied er sich dafür, sich verstärkt um seine
Meditationspraxis zu bemühen.
Asanga
zog in eine einsame Höhle und nahm sich vor, so lange zu meditieren bis
Maitreya, der Buddha der Zukunft, ihm erscheinen würde. Er bemühte sich
wirklich eifrig: drei Jahre lang. Doch nach diesen drei Jahren war er
so frustriert, dass er seine Höhle verließ. Da traf er einen Mann, der
einen Eisenbolzen mit einem Stück Baumwolle rieb.
„Was machst du da?“ fragte er diesen.
„Ich stelle mir eine Nadel her.“
„Aber auf diese Art dauert das doch ewig!“
„Nicht ewig. Aber etwas Geduld muss man aber schon mitbringen.“
Tief
beeindruckt kehrte Asanga um und nahm seine Meditationspraxis wieder
auf, denn ihm war klar geworden, dass es ihm offensichtlich an Geduld
mangelte. So meditierte er weitere sechs Jahre in der Hoffnung, dass
Maitreya ihm erscheinen würde. Dieser ließ sich jedoch nicht blicken.
Tief enttäuscht gab er abermals auf und verließ seine Höhle. Auf seinem
Weg kam er durch eine Sandwüste.
„Wo
kommt denn nur der ganze Sand her?“ fragte er sich. Möglicherweise
hatte er sich in den Jahren der Einsamkeit angewöhnt, laut mit sich zu
reden, denn der Sand schien ihn gehört zu haben - er antwortete ihm
sogar!
„Ich
war nicht immer Sand, sondern einst ein riesiger Fels. Doch dann sind
Vögel an mir vorbei geflogen, und manchmal haben sie mich mit den
Spitzen ihrer Flügel berührt. Wenn diese Praxis lange genug geübt wird,
so zerfällt auch Fels allmählich zu Sandkörnern.“
Abermals
war Asanga tief beeindruckt von dem, was ihn der Sand da lehrte. Er
kehrte wieder in seine Höhle zurück und meditierte für weitere drei
Jahre. Doch noch immer erschien ihm Buddha Maitreya nicht. Nun hatte er
sich zwölf Jahre bemüht – ohne jedes Resultat. Völlig verzweifelt
verließ er endgültig seine Höhle und beschloss, wieder unter Menschen
zu gehen. Der zuvor eingeschlagene Weg schien ihm, offensichtlich eine
Sackgasse zu sein.
Als
er an den Rand der Stadt Peschawar kam, sah er eine Hündin, deren
Hinterteil vereitert war, zahlreiche fette Maden saßen in ihrem
Fleisch. Er fühlte Mitleid mit der Hündin und wollte ihr helfen,
andererseits war es mit seinem Ethos nicht zu vereinbaren, die Maden zu
töten. Die Maden aber brauchen Fleisch zum Leben. Also schnitt er sich
ein Stück Fleisch aus dem Oberschenkel und legte es neben die Hündin.
Dann kniete er sich hinter die Hündin und nahm die Maden einzeln, ganz
vorsichtig, um sie nicht zu verletzen, mit der Zunge aus dem Hinterteil
der Hündin. Der Anblick dieser Wunde war so ekelerregend, dass er dabei
die Augen schließen musste, um sich nicht zu erbrechen.
Plötzlich
hatte er ein lautes Rauschen in den Ohren, und erstaunt öffnete er die
Augen. Vor ihm stand – inmitten eines Strahlenkranzes – Maitreya. Trotz
seiner übergroßen Freude platzte es aus Asanga hervor: „Warum jetzt und
nicht in all den zwölf Jahren, da ich meditierte?“
„Aber
Asanga, ich war all die zwölf Jahre bei dir, aber du konntest mich
nicht sehen, weil du bisher noch nicht genug Mitgefühl entwickelt
hattest.“
Ungläubig
sah Asanga den Buddha an. Doch dieser wollte Asanga gerne zeigen, dass
es tatsächlich so war: „Asanga, nimm mich auf die Schultern und trage
mich durch die Stadt, damit alle Leute mich sehen können.“
Gesagt, getan. Doch merkwürdigerweise konnte niemand in der ganzen Stadt Maitreya sehen. Und nur einer alten Frau gelang es, wenigstens die Hündin zu sehen. ENDE der Geschichte. Diese Geschichte illustriert etwas ganz Entscheidendes.
Der Pfad, den der Buddha aufgezeigt hat, der Pfad der Vervollkommnung,
besteht aus drei wichtigen Abschnitten, die aufeinander aufbauen: sila
– samadhi – prajna. In dieser Reihenfolge: Ethik – Meditation –
Weisheit. Weisheit kann sich erst vollständig entfalten, wenn unsere
Meditation vollkommen ist. Und Meditation kann sich erst vollständig
entfalten, wenn wir ein sehr hohes Maß an Ethik verwirklicht haben.
Am
Anfang der Geschichte strebt Asanga nach Weisheit, dem dritten Schritt
des dreifachen Pfades. Er versuchte sich an den Prajnaparamita Sutten,
den Lehrreden von der vollkommenen Weisheit. Er versteht sie aber
nicht. Dann begreift er, dass er erst seine Meditation vervollkommnen
muss. Und so übt er in einem Maße Meditation, wie wir das heute für
schier unglaublich halten: Jahre um Jahre in einer abgeschiedenen
Höhle. Doch auch die vollkommene Meditation will ihm nicht gelingen.
Erst
als er den grundlegenden ersten Schritt (Ethik) in einem hohen Maße
verwirklicht, werden ihm die gewünschten Früchte der Meditation (das
Erscheinen Maitreyas) zuteil. Und erst dadurch gewinnt er die Einsicht
und sieht die Dinge, wie sie wirklich sind, als einziger in der ganzen
großen Stadt.
Und
der Grund, warum ich den Meditationszyklus meiner Donnerstags- vorträge
genau hiermit beende, liegt in dieser zentralen Botschaft: erst wenn
wir bereit sind vom Pfad der unregelmäßigen Schritte (ein bisschen
meditieren, ein bisschen spirituelle Schriften lesen, ein bisschen
sonst was machen), erst wenn wir diesen Pfad verlassen haben und auf
dem Pfad der regelmäßigen Schritte, dem Dreifachen Pfad aus Ethik,
Meditation und Weisheit angekommen sind, erst dann sind wir so weit,
die systematische Grundlage zur Überwindung unserer Unvollkommenheit zu
legen. Ich hoffe, die Geschichte von Asanga hat uns vom Tenor her
inspiriert, auch wenn wir sie, wie alle diese Geschichten, natürlich nicht wortwörtlich nehmen dürfen.
Und
genau das ist es, was gute Geschichten in uns bewirken sollen: sie
sollen uns inspirieren. Und wenn Buddhisten die drei Juwelen verehren
(Triratna, der Name der buddhistischen Gemeinschaft, der ich angehöre,
heißt „Drei Juwelen“), wenn wir diese drei Juwelen, den Buddha, seine
Lehre und die Gemeinschaft der systematisch Praktizierenden verehren,
dann hat das ganz viel mit Inspiration zu tun.
Natürlich
kann eine Lehre inspirierend wirken, aber in der Regel sind es Personen
und ihr Handeln, was unsere Inspiration besonders entfacht. Und daher
verehren Buddhisten das Buddhajuwel, die Person des Buddha, die so
inspirierend ist wie vielleicht keine andere Person in der Menschheits-
geschichte. Dafür spricht jedenfalls, dass keiner anderen Person
weltweit so viele Denkmäler gesetzt wurden, wie dem Buddha. Und
Inspiration steckt auch im Sanghajuwel. Ich habe Sangha vorhin
übersetzt mit „Gemeinschaft der systematisch Praktizierenden“, und das
ist was Sangha eigentlich bedeutet: die Gemeinschaft der systematisch
und damit erfolgreich den Dharma Praktizierenden.
Und
wenn ich im letzten Teil meines heutigen Vortrages ganz oft das Wort
„Inspiration“ verwendet habe, so hat das einen besonderen Grund. Dieses
Bild, das hier vor mir im Raum steht und das ihr auch vorn im Leseraum
findet, ist der Inspirationsbaum der buddhistischen Gemeinschaft
Triratna. Darauf sind Personen aus der Sangha, der Gemeinschaft der
systematisch und erfolgreich Praktizierenden, abgebildet. Alle diese,
ihre Schriften und ihr Handeln können uns inspirieren. Und daher wird
hier im nächsten halben Jahr, also vom 16. August an jede Woche im
Rahmen ein Vortrag über eine dieser Personen auf dem Inspirationsbaum
gehalten.
Und
über eine dieser Personen habe ich heute bereits gesprochen, über
Asanga, den Gründer der Yogacara Schule oder des Vijñānavāda
(Bewusstseinslehre), einer Richtung des Mahayana-Buddhismus.
Die
zentrale Lehre dieser Schule besagt, dass alle wahrnehmbaren Phänomene
nur auf Grundlage des Geistes entstehen und als solche substanzlos
sind. Infolgedessen werden alle Wahrnehmungen als geistige Projektionen
eingestuft.
Es ist das was im ersten Vers des Dhammapada so beschrieben wird: „Den Dingen geht der Geist voran; der Geist entscheidet: Kommt aus getrübtem Geist dein Wort und dein Betragen, So folgt dir Unheil, wie dem Zugtier folgt der Wagen.“ Zu Meditation am Obermarkt