Die Lehre der Vernunft
Vortrag I zum Wesakfest 2013 von Horst Gunkel
bei Meditation am Obermarkt am 25. Mai 2013, leicht überarbeitet 2019

Ich erzähle Euch jetzt erst einmal nix vom Buddha und von Religion. Ich erzähle jetzt, wie das in meiner Jugend so üblich war, lieber mal was von Karl Marx.

„Religion ist das Opium des Volkes“, sagte der olle Marx. Er meinte damit, dass sie dazu dient, die Leute aufs Jenseits zu vertrösten, dass sie ein Mittel der herrschenden Klasse und der mit ihr verbündeten Priesterschaft sei, die Leute davon abzuhalten, ihr Leben zu verändern. Nicht viel besser sei es mit der Philosophie bestellt, über sie sagt Marx: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt aber darauf an, sie zu verändern.“ Klare Worte, starke Worte. Ich werde jetzt einfach mal versuchen zu untersuchen; ob der olle Marx Recht hatte.

Nun hat jede, jeder von uns eigene Erfahrungen mit Religion gemacht. Vielleicht ist es euch so ähnlich gegangen wie mir, dass ihr einfach das Gefühl habt oder hattet, Religion sei irgendetwas Wischiwaschimäßiges, nicht Handfestes; Altkanzler Schröder würde es vielleicht „esoterisches Gedöns“ nennen. So etwas für nach Lavendel riechende alte Tanten und zahnlose Omas, die daran glauben, dass es Wunder gibt, dass einer übers Wasser gehen kann, mit ein paar Fischen Tausende speisen kann, Tote erwecken kann, in den Himmel auffahren kann, dass also Religion eine Flucht ins Märchenhafte ist. Vielleicht auch eine Flucht vor dem Tod, dass Menschen einfach glauben wollen, dass es nach dem Tod noch etwas gäbe, das Paradies vielleicht, himmlische Jungfrauen, die auf Märtyrer warten oder eben Wiedergeburt.

Kurz Religion könnte so etwas wie Weltflucht sein, eine Flucht in ein weichgezeichnetes Wolkenkuckucksheim, etwas für Omas, Märtyrer und Weicheier. Ehrlich gesagt, eine solche Einstellung hatte ich auch lange gegenüber Religion; Religion war für mich damals etwas von vorgestern, etwas das nicht in unsere moderne, rationale Welt passte. Ein gutes Haar jedoch ließ ich an Religion: sie vermittelt Menschen offensichtlich Werte, das zeigten mir meine Begegnungen mit überzeugten religiös Praktizierenden. Viele solche ethischen Werte sind uns heute in der postreligiösen Gesellschaft verloren gegangen. 

„Was bringt mir denn das?“ „Was kann ich mir denn dafür kaufen?“ „Hol Dir den Spaß!“ sind die Maximen unserer Zeit. Bei aller Fragwürdigkeit von religiösen Gesellschaften, haben diese den Menschen doch gewisse Werte vermittelt, die heute leider verloren gegangen zu sein scheinen. Dennoch gibt es bei vielen von uns die Sehnsucht nach ethischen Werten. Was da helfen könnte, wäre eine Religion oder noch besser eine ethische Lehre der Vernunft.

Ich bin überzeugt davon, dass es dies gibt. Der Dharma ist in meinen Augen die Lehre der Vernunft. Der Buddha hat diese Lehre entwickelt und sie ist klar formuliert, ethisch ausgerichtet, für jede und jeden gangbar, und sie führt letztendlich zu dauerhaftem Glück. Das ist jetzt ein sehr hoher Anspruch und ihr könnt mit Fug und Recht von mir verlangen, dass ich dies begründe.

Was der Buddha gelehrt hat sind keine Dogmen, nichts woran man glauben muss. Der Buddha hat die Leute aufgefordert: „Komm´ und sieh´ selbst“. Er hat die Menschen immer wieder aufgefordert, ihm nicht einfach zu glauben, sondern seine Lehren kritisch zu prüfen. Der Dharma, also das was im Westen „Buddhismus“ genannt wird, ist kein Dogmensystem sondern das sind praktische Übungsanweisungen, experimentelle Übungen, um uns selbst zu verändern, hin zu mehr Gelassenheit, Ruhe und Glück. Die Einstellung des Buddha ist – und da unterscheidet er sich offensichtlich leicht von Karl Marx – dass er uns mitteilt: die Philosophen und auch die Religionsstifter haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an sich selbst – und damit tendenziell auch die Welt – zu verändern.

Es gibt den Buddhismus in unterschiedlichen Ausprägungen, die so verschieden sind, dass man eigentlich von verschiedenen Buddhismen sprechen kann, aber der Kern ist in allen gleich, nämlich die Methode der Vier Edlen Wahrheiten. Es ist eine klare rationale Vorgehensweise:

1. Identifiziere ein Problem!
2. Suche nach den Ursachen!
3. Um das Problem zu beseitigen, musst du die Ursachen beseitigen.
4. Dazu ist es entscheidend die angemessenen Strategien zu wählen.

Da ist nichts Esoterisches dabei, da ist nichts Spökenkiekerhaftes dabei, da ist nichts Dogmatisches dabei, das ist ganz einfach klare, angewandte, praktische Vernunft.


Und der Buddha wird auch noch konkreter. Es gibt unterschiedliche Problemchen und Probleme in unserem Leben, aber es gibt etwas viel Entscheidenderes, das ist unsere essentielle Unzufriedenheit. Wir können zwar versuchen uns alle Wünsche, die wir haben, zu erfüllen, wir können den gewünschten Lebenspartner bekommen haben, den Job, den wir wollten, das Haus im Grünen, das wir uns immer wünschten, das Auto, das wir toll fanden und ein Computer mit dem neuesten Betriebssystem von Windows. Aber sind wir dann zufrieden?

Nein, es bleibt so etwas wie eine essentielle Unzufriedenheit. Das kann doch nicht alles sein. Das ist doch nicht das wahre Glück! Und außerdem ist unser Lebenspartner in vielen Punkten gar nicht so, wie wir das wollten, der Job macht uns nicht wirklich glücklich, das Auto hat auch seinet Mucken, das Haus verursacht Folgeprobleme und Kosten und dann erst die Probleme mit dem PC und Windows - schrecklich! Letztendlich ist das doch alles irgendwie unvollkommen, suboptimal, nicht völlig zufriedenstellend, oder um es in der altindischen Sprache Pali zu sagen: es ist dukkha. Daher formuliert der Buddha die Vier Edlen Wahrheiten in einer berühmten Lehrrede so


1. Die Wahrheit von dukkha
2. Die Wahrheit von der Ursache von dukkha
3. Die Wahrheit von der Überwindung von dukkha
4. Die Wahrheit von dem zur Überwindung von dukkha führenden Pfad
 
Also: erstens dukkha gibt es. Wir stellen dauernd fest, dass die Dinge nicht wirklich letztendlich zufriedenstellend sind. Aber was ist die Ursache von dukkha? Und da sagt der Buddha, diese Ursache liegt in dir selbst, es sind Verlangen, Abneigung und Verblendung. Wenn du dich ärgerst, dass der Drucker an deinem PC nicht funktioniert, dann liegt das daran,
Die dritte Wahrheit ist dann, dass du die Ursachen deiner Unzufriedenheit angehen musst, also deine Gier, deinen Hass und deine Verblendung. Hast du die überwunden, dann hast du deine Probleme überwunden. Das ist natürlich wesentlich leichter gesagt als getan. Denn wie soll das gehen, Gier, Wut und falsche Annahmen kommen doch dauernd auf?! 

Nun dafür gibt es die vierte Edle Wahrheit, nämlich den Pfad, der zur Überwindung von Gier, Hass und Verblendung führt, das sind acht Übungsfelder, man nennt das den Edlen Achtfachen Pfad.

Entwicklung, Evolution, ist also das Wesensmerkmal des Buddhismus. Evolution ist ein Begriff, der uns aus der westlichen Wissenschaft bekannt ist. Es gibt da erstens die physikalisch-chemische Evolution. Diese begann gewissermaßen mit dem Urknall, es formten sich aus Bausteinen wie Neutronen, Elektronen und Protonen zunächst Radionuklide, diese zerfielen und wurden zu stabilen Atomen, diese organisierten sich dann zu Molekülen und fanden zueinander, es entstanden größere Einheiten: Planeten, Fixsterne, Monde, auch unsere Erde. 

In einer weiteren Stufe der Evolution bildeten sich Lebewesen: erst Einzeller, später Pflanzen und Tiere, letztlich der Mensch. Das ist die biologische Evolution.

Der Mensch ist nun keineswegs die Krone der Schöpfung, sondern er ist ziemlich suboptimal, vor allem in psychischer, in spiritueller Hinsicht. Hier kommt nun die nächste Stufe der Evolution ins Spiel, die spirituelle Evolution. In dieser entwickeln sich nicht ganze Planeten, auch nicht ganze Spezies wie z. B. die Menschheit, sondern einzelne Individuen. Sie tun dies selbstgesteuert. Sie tun dies, indem sie Einsicht in die zuvor beschriebenen Vier Edlen Wahrheiten haben, indem sie den zuvor dargelegten Achtfachen Pfad gehen, indem sie den Stufenweg der progressiven Schritte zur Erleuchtung, zur Vollkommenheit, zu Buddhaschaft gehen, unserem nächsten großen Ziel in der Evolution. 


Der Buddha war ein Mensch, so wir Menschen sind. Was der Buddha überwunden hat, das können auch wir überwinden. Was der Buddha erreicht hat, das können auch wir erreichen. Wir können individuell, jede/jeder für sich, die nächste Evolutionsstufe über dem Menschen erreichen, wir können zu Buddha werden. Den Weg im Einzelnen lege ich übrigens in einem Kurs dar, er heißt: Der spirituelle Weg.

Das ist für mich ein ganz klar aufgezeigter, logischer, nachvollziehbarer und überprüfbarer Weg, den ich gehe, und den zu gehen ich auch andere ermuntere. 

Und es gibt ein im Buddhismus weit verbreitetes Bild, um den an sich spirituell arbeitenden, den auf rationaler Basis selbstgesteuerte evolvierenden Menschen zu beschreiben, darzustellen, und das ist Manjusri, die Figur mit dem flammenden Schwert in der Hand, die in unserem Meditationsraum dargestellt ist. Das flammende Schwert steht dabei einerseits für Schärfe im Sinne von Scharfsinn, von scharfem intellektuellen Verstand. Die Metapher des Schwertes bedeutet natürlich auch Kampf, aber nicht Kampf gegen andere, sondern Kampf gegen den inneren Feind, gegen Gier, Hass und Verblendung in uns. Die Flammen an dem Schwert stehen für Transformation, für Veränderung, für Evolution. 

Und in der anderen Hand - auf einer Lotospflanze liegend - hält Manjusri ein Buch. Ein Buch, dessen Etikett wir nicht sehen. Vielleicht ist es der Dharma, die Lehre des Buddha. Vielleicht ist es aber auch die Bibel, der Koran oder der Talmud. Vielleicht sind es aber auch die Schriften von Marx, Lenin und Mao Zedong. Egal was es ist: Manjusri prüft es mit dem flammenden Schwert der Weisheit, mit seinem klaren, nüchternen Verstand, mit seiner intellektuellen Rationalität: führt das, was darin steht, zu Liebe oder zu Hass? Führt es zu Gier oder führt es zu Großzügigkeit? Führt es zu Verblendung oder zu Erkenntnis der Dinge, wie sie wirklich sind? 

Und wenn diese Schrift zu Gier, zu Hass, zu Verblendung führt, so magst du sie verwerfen. Führt sie aber zu Liebe, zu Großzügigkeit, zu Erkenntnis der Dinge, wie sie wirklich sind, dann magst du sie annehmen und einüben, denn dann kann dDeine individuelle Entwicklung, deine persönliche Evolution fortschreiten, dann kannst du evolvieren, dann kannst du zu einer oder einem Buddha werden, zu einem vollkommenen Wesen.

Und daher sage ich, den ollen Karl Marx leicht modifizierend: „Die Philosophen und Religionsstifter haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an sich selbst – und damit tendenziell die Welt – zu verändern.“ Das nennt man Evolution, selbstgesteuerte Evolution. Das kann ich machen, das kannst du machen. Es ist allerdings nix für Halbherzige und nix für Hasenfüße, es ist etwas für ganze Kerle und für starke, selbstbewusste Mädels.

Der Pfad ist dargelegt, er ist klar zu verstehen und vernünftig. Nur gehen, gehen müssen wir ihn schon selbst. Daher rufe ich allen ganzen Kerlen und allen starken, selbstbewussten Mädels zu: packen wir´s an! Was der Buddha überwunden hat, das können auch wir überwinden, was der Buddha erreicht hat, das können wir auch erreichen: Glück und Befreiung, die Emanzipation des Menschen!

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