Dhammadinna
Vortragsreihe „Inspirationsbaum“, Teil XVI
von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt
zuletzt geändert am 9.Oktober 2019
Dhammadinna
war die Ehefrau von Visakha, einem reichen Kaufmann aus Rajagrha, der
Hauptstadt von Maghada. Visakha war sogar mit dem König von Maghada,
Bimbisara, befreundet.
Als
der Buddha wieder einmal im Bambushain von Rajagrha weilte, ging
Visakha dorthin, um einer Lehrrede des Erleuchteten zu lauschen.
Visakha war nicht nur ungeheuer beeindruckt von diesem Vortrag, er
wurde vielmehr völlig aus seiner bisherigen Bahn geworfen. Am Ende der
Lehrrede hatte Visakha die dritte Stufe der Heiligkeit erreicht, er war
zum Nichtwiederkehrer geworden.
Visakha
berichtete seiner Frau von der Unerhörtheit seines Erlebnisses und auch
Dhammadinna war beeindruckt. Sie entschloss sich, dem weltlichen Leben
zu entsagen und nach Erleuchtung zu streben. Visakha respektierte den
Entschluss seiner Frau. Er ging zu König Bimbisara, um ihn vom
Entschluss Dhammadinnas zu unterrichten, und dieser war so erfreut über
die Entscheidung Dhammadinnas, dass er einen goldenen Pavillon aufbauen
ließ, in dem die buddhistischen Nonnen Dhammadinna ordinierten. Der
Buddha war selbstverständlich nicht zugegen, denn der Nonnenorden
regelte alle seine Geschäfte in völliger Unabhängigkeit von den Mönchen
und auch vom Buddha. Dann zog die Frischordinierte mit dem Nonnenorden
weiter. Dhammadinna praktizierte eifrig und erlangte schon bald die
Arahatschaft, die vierte und höchste Stufe der Heiligkeit.
Einige
Zeit später kehrte Dhammadinna in den Bambushain von Rajagrha zurück,
denn dort weilte der Buddha, dessen Lehrreden Dhammadinna lauschen
wollte. Visakha war natürlich gespannt, Dhammadinna wiederzusehen und
war interessiert daran, ihre spirituellen Fortschritte zu sehen.
Eigentlich glaubte Visakha nicht, dass seine Frau besonders weit
gekommen war, vielmehr wollte er nur hören, ob sie irgendetwas
begriffen hatte. Aber schon nach wenigen Sätze wurde
ihm klar, dass das, was sie sagte, tiefgründig war und dass sie – eine
Frau! – dabei war, ihn zu belehren. Das war im damaligen Indien völlig
ungewöhnlich, aber Dhammadinna war durch ihre Zeit im Nonnenorden nicht
nur zur vollen Erleuchtung gekommen, sie war auch selbstbewusst genug,
es sich wie selbstverständlich herauszunehmen, auch Männer zu belehren,
wenn diese ihr Fragen stellten.
Und
so stellte Visakha ihr tiefgründige Fragen: „Was, meine liebe
Dhammadinna, ist wohl die Natur des Selbst?“ Und dann lehnte er sich
zurück, um zu hören, ob sie denn etwas von der Lehre begriffen habe.
„Das
Selbst, werter Visakha, besteht aus fünf Konglomeraten, den skanddhas,
und dass es entsteht kommt durch unser Verlangen, also vergeht es, wenn
unser Verlangen schwindet. Nur so kann man zur Selbstlosigkeit kommen,
zu anatta, was die unabdingbare Voraussetzung zur Erleuchtung ist.“
Dann
erläuterte Dhammadinna ihrem Ex-Mann den Edlen Achtfachen Pfad und
schließlich kam sie auf zwei unterschiedliche Arten von Bedingtheit zu
sprechen:
„Nun
ist Bedingtheit nicht immer von gleicher Art, werter Visakha. Es gibt
zwei Grundformen der Bedingtheit, die im Universum wie im menschlichen
Leben wirken. Die erste können wir als die „kreisförmig verlaufende"
oder „reaktive" Art der Bedingtheit bezeichnen. Die zweite ist
gewissermaßen aufwärtsgerichtet, weiterführend, fortschreitend. Im Fall
der kreisförmigen Form von Bedingtheit läuft ein Prozess nach dem
Schema Aktion-Reaktion zwischen Gegensatzpaaren ab: Freude wechselt mit
Leid, Glück mit Unglück, Verlust mit Gewinn und - im größeren
Zusammenhang einer ganzen Reihe von Leben - Geburt mit Tod. In diesem
Zusammenhang ist auch die Lehre von der Wiedergeburt zu sehen:
Geisteszustände vergehen nicht dauerhaft, sondern kehren wieder, man
sagt, sie werden wieder-geboren.
Demgegenüber
zeichnet sich die aufwärtsgerichtete Art der Bedingtheit durch eine
allmähliche Entwicklung aus, wie zwischen Faktoren, die einander
fortschreitend steigern. Hier verstärkt der folgende Faktor die Wirkung
des vorhergehenden, statt ihm entgegenzuwirken oder ihn aufzuheben. In
Abhängigkeit von Freude (pamojja) entsteht beispielsweise nicht Leid, sondern Extase (piti). In Abhängigkeit von solcher Extase entsteht nicht etwa Unglück, sondern Glückseligkeit (sukha). In Abhängigkeit von sukha entsteht samadhi - tiefe Meditation, die letztlich zur Einsicht führt.
Da
gibt es mit anderen Worten eine samsarische, zyklische, reaktive
Tendenz innerhalb der konditionierten Existenz, in der die einzelnen
Geisteshaltungen sich mit ihrem Gegenteil abwechseln und andererseits
gibt es da eine nirvanische, kreative und aufwärtsgerichtete Tendenz,
in der sich die positiven Geisteszustände gegenseitig verstärken. Dies
auf der Basis von sraddha,
von Zufluchtnahme zum Buddha, zu seiner Lehre und zur Gemeinschaft der
Heiligen zu entwickeln, das ist die Aufgabe des spirituellen Lebens. So
erreicht man letztendlich Nirwana.“
„Und wohin“, fragte Visakha verwundert weiter, „führt dann Nirwana?“
„Nein,
nein, damit gehst du einen Schritt zu weit, mein lieber Visahka. Du
übersiehst, dass es eine Grenze für solcherlei Fragen gibt. Der
Kulminationspunkt des spirituellen Lebens ist Nirwana – das ist das
Ende.“ Und als sie seinen ungläubigen Blick sah, ergänzte Dhammadinna:
„Geh´ hin zum Buddha, er ist in der Stadt, frage ihn und merke dir gut,
was er dir sagt.“
In
der Tat ging Visakha zum Buddha, denn neben der letzten Aussage
verwunderte ihn insbesondere die Darstellung des zyklischen Pfades und
des Spiralpfades. Er hatte schon viel vom Dharma gehört, jedoch diese
Darstellung war ihm – wie auch heute den meisten Buddhisten – noch
nicht zu Ohren gekommen. Und er fragte sich besorgt, ob das wirklich
die Lehre des Buddha war, oder vielleicht etwas, was sich diese Nonnen ausgsponnen hatten? Also begab sich Visakha zum Buddha.
„Erhabener,
ich habe lange eure Lehre studiert. Heute habe ich mit einer Nonne
gesprochen, mit Dhammadinna, die im früheren Leben meine Frau war. Sie
hat mir eine sehr eigentümliche Auslegung des Dharma gegeben.“
„So, Visahka, du hast mit Dhammadinna gesprochen, das ist eine außergewöhnlich kluge Nonne, was hat sie dir denn gesagt?“
Und
dann wiederholte Visakha die gesamte Darstellung Dhammadinnas,
insbesondere die Darstellung des zyklischen Pfades, also des
Lebensrades, einerseits und des merkwürdigen aufwärtsgerichteten
Pfades, von dem Dhammadinna gesprochen hatte, andererseits. Und Visakha
endete mit den Worten: „Genau so hat Dhammadinna es geschildert,
Erhabener, wie beurteilt ihr diesen Sachverhalt.“
„Mein
lieber Visakha, Dhammadinna ist eine ganz außerordentliche Bhikkhuni.
Genauso wie Dhammadinna es euch erläuterte, mit genau denselben Worten
hätte auch ich es euch erläutert. Dhammadinna verkündet in der Tat
Buddhavacana, das heißt, ihre Worte sind von der Weisheit eines Buddha.
Sie ist eine Erleuchtete - und ist darüber hinaus nicht nur mit einem
scharfen Verstand, sondern auch mit einer bewundernswerten
Lehrfähigkeit begabt."
Soweit
der Kommentar des Buddha. Und wenn denjenigen unter euch, die schon
länger zu Meditation am Obermarkt kommen, das, was Dhammadinna da
gesagt hat, irgendwie bekannt vorkam, so ist das nicht sehr
verwunderlich. Es ist letztendlich das, was ich hier an dieser Wand
hinter mir bildlich dargestellt habe, die Lehre vom zyklischen Leben im
Samsara und vom Spiralpfad,
der zur Erleuchtung führt. Es ist das, was wir bei Triratna lehren. Die
Lehre des Buddha, angelehnt an eine Formulierung der ehrwürdigen
Bhikkhuni Dhammadinna und für uns in zeitgemäßen Begriffen formuliert
von Sangharakshita.
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