Mit Großzügigkeit gebend
Vortragsreihe „Das Gute Leben“ Teil VII (2013)
von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt, Gelnhausen
zuletzt bearbeitet 2019
Lieben Freundinnen und Freunde, vor zwei Wochen habe ich hier über das zweite sila, das zweite ethische Übungsfeld gesprochen, das in seiner traditionellen Formulierung auf Pali heißt:
„Adinnādānā veramaṇī sikkhāpadaṃ samādiyāmi“,
"Ich nehme Abstand vom Nehmen des Nichtgegebenen“. Aber schon von allem
Anfang in der buddhistischen Tradition an wurde nicht nur gesagt, wovon
man Abstand nimmt, sondern auch, was man stattdessen tun möchte. Die
positive Formulierung dieses Vorsatzes heißt in unserer Sprache: „Mit
Großzügigkeit gebend läutere ich meinen Körper“. Statt Nehmen steht
hier also Geben im Vordergrund.
Auch in der westlichen spirituellen Tradition heißt es „Geben ist
seliger denn Nehmen“, dieses bekannte Sprichwort stammt vom Apostel
Paulus, der es in der Apostelgeschichte auf Jesus zurückführt. Es ist
einer der ganz vielen Fälle, in denen buddhistische und christliche
Ethik ganz ähnliche Ansätze haben. Es ist aber auch so, dass die
buddhistische Ethik dieses Prinzip sehr detailliert erläutert und
darüber möchte ich heute sprechen, um euch zu zeigen, welche Facetten
in diesem knapp formulierten Vorsatz enthalten sind.
Man kann das Geben auf verschiedene Arten untersuchen
1. nach dem Empfänger der Gabe
2. nach der Art der Gabe
3. nach der Art und Weise des Gebens
4. und nach der Motivation des Gebenden
Betrachten wir zunächst das (1) Geben nach dem Empfänger, da kommen in Betracht
a) Freunde und Verwandte
b) Arme, Kranke, Hilflose, Bedürftige
c) Mitglieder der Sangha
(a) Freunde und Verwandte.
Wohltätigkeit beginnt zuhause, sagt man. Die Betonung liegt dabei aber
wohlweislich auf dem Wort „beginnt“. Alle fühlenden Wesen sind für
Buddhisten ein Ziel, denn jedes Wesen ist in einem der unendlich vielen
früheren Leben dein Vater oder deine Mutter gewesen. Hier liegt einer
der großen Vorteile der Lehre von der sog. Wiedergeburt: sie hilft uns,
Solidarität mit allen empfindenden Wesen zu üben, so wie wir das auch
in der metta bhavana tun.
(b) Der Bereich der Bedürftigen,
Hilflosen, Armen und Kranken wird in den meisten zivilisierten Ländern
und in allen höheren Religionen mit Spenden bedacht. Im Gegensatz zu
den semitischen Religionen werden im Buddhismus jedoch nicht nur
Menschen bedacht, sondern auch Tiere. Der erste buddhistische Kaiser
Indiens, Asoka, richtete daher Krankenhäuser für Menschen und für Tiere
ein. Auch das Freilassen von Vögeln und Schildkröten gehört zur
buddhistischen Tradition.
(c) Das Dana – also die Spende, daher heißt unsere Spendenschale Danaschale – für die Mitglieder der Sangha gehörte zur indischen Sitte des sramana-brahmana,
der Unterstützung umherziehender spiritueller Menschen. Dabei war es
üblich nicht nur die Anhänger der eigenen Schulrichtung zu
unterstützen. Traditionell waren die Mönche und Nonnen darauf
angewiesen, ihre vier Grundbedürfnisse, also Nahrung, Kleidung, Obdach
und Medizin, durch Dana zu decken.
Soweit zum Geben hinsichtlich der Empfängergruppen, betrachten wir nun (2) das Geben nach der Art der Gabe, wir unterscheiden hier:
• Materielle Gaben
• Gabe der Furchtlosigkeit
• Erziehung
• Leben und Glieder (?)
• Verdienste
• Gabe der Lehre
Wobei damit eine Steigerung vom Einfacheren zum Höherwertigen gemeint ist. Die einfachste Art zu geben ist das Geben materieller Gaben
für die Bedürftigen, also Nahrung, Kleidung, Obdach, Medizin oder was
eben gebraucht wird. In unserer Gesellschaft gehört hierzu
selbstverständlichlich die Gabe von Geld, denn dieses kann in die
benötigten Gegenstände eingetauscht werden. Das ist eine sehr einfache
Art, das Geben zu üben: das Geben von Geld beispielsweise für Opfer
einer Katastrophe, für wohltätige Organisationen oder auch das Dana zum
Erhalt und der Unterstützung einer Organisation wie Meditation am
Obermarkt.
Die Gabe der Furchtlosigkeit
ist da schon etwas anspruchsvoller und sie ist in dieser Formulierung
meines Wissens eine speziell buddhistische Ausprägung. Die Gabe von
Furchtlosigkeit klingt ziemlich abstrakt, doch sie ist ganz konkret,
wenn man sie auf aktuelle Probleme anwendet. Ein typisches Beispiel ist
Asyl. Nehmen wir die jüngste Flüchtlingskatastrophe vor der Insel
Lampedusa, wo über dreihundert Flüchtlinge auf der Flucht aus Afrika
nach Europa in ihrem gekenterten Boot ertrunken sind. Wie groß muss die
Furcht dieser Menschen vor Krieg, Ausbeutung, Hunger und Elend gewesen
sein, dass sie diese risikoreiche Flucht auf sich genommen haben? Ich
habe dazu gestern zwei Statements von Politikern gehört, die beide in
der christlichen Tradition stehen, aber zu sehr unterschiedlichen
Ergebnissen kamen, von Bundesinnenminister Zimmermann und von Katrin
Göring-Eckart.
Und ich muss sagen, dass ich ein gewisses Maß an Verständnis für beide
Positionen habe. Ja, es tut weh, Zuwanderung von Bedürftigen zu
erlauben und das wird auch zu Problemen führen. Aber wenn man es unter
dem Aspekt „Gabe der Furchtlosigkeit“ sieht, ist die ethisch korrekte
Antwort recht eindeutig. Das zeigt aber auch, wie viel schwerer die
Gabe von Furchtlosigkeit umzusetzen ist als eben einmal Geld für „Brot
für die Welt“ zu spenden.
Kommen wir zur Gabe der Erziehung.
Diese ist aus zwei Gründen aufgeführt. Einerseits ermöglicht es dem
Individuum so, seine Rechte und Pflichten in einer Gesellschaft
wahrzunehmen. Andererseits ist ein gewisses Maß an Allgemeinbildung
nötig, um praktizieren zu können. Es geht also nicht um ein abstraktes
Bildungsideal, sondern um eines das vom Ziel her, vom Aspekt der
Befreiung her gedacht ist. Viele Personen die Eltern, Lehrer oder
Erzieher geworden sind, taten dies auch aus dem Wunsch, die Gabe der
Erziehung weiter zu geben.
Das „Geben von Gliedern und Leben“
ist gewiss noch etwas anspruchsvoller – und es klingt ausgesprochen
erschreckend. Es erinnert an das, was man Soldaten abverlangt – für
gewöhnlich sehr viel fragwürdigere Ziele. Ich möchte jedoch – ohne
weiter darauf einzugehen – nur drei Beispiele für die großherzige
Anwendung dieses Aspektes von Geben von Gliedern und Leben erwähnen:
- Knochenmarkspende
- Spende einer Niere für den Bruder
- Der katholische Priester, der im KZ statt eines jüdischen Familienvaters in den Tod ging.
Als
letztes Objekt des Gebens wird das Weitergeben der Lehre genannt, des
Dharma, dessen was der Buddha und unzählige buddhistischen MeisterInnen
gelehrt haben. Das ist ein ganz wesentlicher
Grund, warum ich das Projekt „Meditation am Obermarkt“ gestartet habe.
Und mit eurer finanziellen Unterstützung in Form von Dana nehmt ihr
auch an diesem Projekt teil. Um dieses Projekt umzusetzen, um den
Dharma zu leben und weiterzugeben, bin ich auf eine Teilzeitstelle
gegangen, ich verzichte dadurch monatlich auf 1.200 Euro. Das ist nicht
schlimm, ich kann auch so ein recht gutes Leben führen - jedenfalls auf
den durchschnittlichen Weltstandard bezogen. Aber wenn das Projekt dann
auch noch weitere finanzielle Beiträge von mir verlangt, dann ist das
leider etwas, was meine Ersparnisse für meine alten Tage aufbraucht.
Daher finde ich es gut, wenn dieses Projekt kostendeckend arbeitet. Ob
es das tut, könnt ihr allmonatlich auf unserer Internetseite verfolgen.
Der dritte Aspekt, nach der wir das Geben betrachten können, ist (3) nach der Art und Weise des Gebens.
Es ist gut, mit Respekt
und Ehrerbietung zu geben, also nicht nach der Art. „Da Hund, friss.“
Es ist vielmehr wichtig, auch die Würde des Gabenempfängers
unangetastet zu halten.
Es ist gut und wichtig, frohen Herzens
zu geben. Das Geben sollte uns mit Freude erfüllen, wir sollten es
nicht missmutig als „ethische Pflicht“ ansehen. In diesem Zusammenhang
möchte ich darauf hinweisen, dass der Begriff „dana“
wörtlich übersetzt „Gebefreude“ oder „freudiges Geben“ heißt. Wir
sollten ohne Reue geben. Angenommen wir geben einem Bettler Geld und
sehen dann, dass er sich davon Schnaps kauft, und bereuen dann unser
Geben, dann haben wir nicht wirklich gegeben. Wir haben nicht wirklich
losgelassen. Dann empfinden wir so, als sei es noch unser Geld und
jener würde es missbrauchen. Nein: wenn Du gibst, dann gib, dann lass
los.
Wir sollten außerdem uns nicht mit unserer Großzügigkeit brüsten,
denn sonst ist in unserer scheinbaren Selbstlosigkeit der egoistische
Wunsch nach Anerkennung vorhanden, wir haben also dann aus sehr
gemischten Motiven gegeben. Und wenn wir erkennen, dass wir aus
gemischten Motiven gegeben haben, dann sollten wir uns dafür nicht
verurteilen, sondern einfach feststellen, dass es so ist. Das ist
Buddhismus: Sehen, wie die Dinge sind – und dabei die Absicht hegen,
sie allmählich zum Besseren zu verändern, das ist das Gute leben.
Wir sollten spontan geben.
Jedes längere Darübernachgrübeln, jedes lange Abwägen bringt uns von
„Gebefreude“ weg. Freudiges Handeln ist spontanes Handeln, Handeln vom
Herzen aus. Besonders herausfordernd ist es, beim Geben keinen
Unterschied zwischen Freunden und Gegnern zu machen.
Es ist auch gut, beim Geben die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Übertrieben hohe Spenden bewirken oft nichts wirklich Gutes, sie können sogar kontraproduktiv sein.
Und noch etwas: wir sollten nicht in Robin-Hood-Manier
geben. Viele Organisationen berichten von außerordentlich hohen
anonymen Spenden. Es ist nichts dagegen zu sagen, einer Organisation
hohe Spenden zu geben. Es ist auch absolut nichts dagegen einzuwenden,
anonym zu spenden, schließlich ist das ein Zeichen davon, dass der
Spender sich nicht mit seiner Spende brüsten will. In ganz vielen
Fällen handelt es sich aber dabei aber um unehrlich erworbenes Geld,
sei es durch Steuerhinterziehung, durch Ausbeutung, durch Betrug. Der
Spender spendet also einen Teil seines unehrlich erworbenen Vermögens
letztendlich, um sein Gewissen zu beruhigen. Das ist Rationalisierung.
Und besonders schlimm ist es dann, wenn er sich dadurch gerechtfertigt
sieht, mit seiner ausbeuterischen Praxis fortzufahren. Das ist übrigens
auch
einer der Gründe, warum die Mafia in der Vergangenheit eng mit der
Vatikanbank zusammenarbeitete. Und es sollte nur keiner glauben, dass
Unsitten der katholischen Kirche im Umfeld buddhistischer
Organisationen nicht vorkämen. Wo immer unerleuchtete Menschen sind,
ist egoistisches und schein-altruistisches Handeln prädestiniert.
Kommen wir zum letzten Aspekt, der der (4) Motivation fürs Geben.
Die sog. „Abgabe der Verdienste“ ist ein typischer Ansatz der
buddhistischen Mahayana-Schule und er beruht auf dem Karma-Gedanken.
Der Karma-Gedanke besagt bekanntlich, dass unser Handeln Folgen hat und
dass egoistisches Handeln zu negativen, ethisches Handeln aber zu
positiven Folgen führt. Nun wäre es aber egoistisch, wenn unsere
Motivation ethischen Handelns in erster Linie die wäre, für uns selbst
gutes Karma zu erzeugen. Daher
bittet der Mahayana-Buddhist darum, dass die Früchte der guten Taten
nicht nur ihm oder ihr selbst zugutekommen, sondern allen Wesen nützen
mögen. Ich werde die traditionelle Formel hierzu an Ende der heutigen
Veranstaltung sprechen und werde euch bitten sie – wenn ihr das wollt –
mir nachzusprechen.
Zum Abschluss noch eine kleine philosophische Überlegung: Wenn wir das Geben mit –
mit Weisheit – üben, dann ist es transzendentes Geben, andernfalls
mondänes, weltliches. Beim mondänen Dana nimmt der Gebende sich selbst,
den Beschenkten und die Gabe wahr. Im transzendenten Geben sind der Akt
des Gebens, die Gabe, der Geber und der Beschenkte nicht getrennt
voneinander.
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