Atisa
und der tibetische Buddhismus
Vortragsreihe
„Inspirationsbaum“, Teil
XXII
von
Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt (2013)
zul.
geändert am 2024
Wenn man vom Buddhismus spricht, denken die meisten Leute im Westen
heute an Tibet. Aber das asiatische Land, das dem Buddhismus am
längsten Widerstand entgegenbrachte, war nicht etwa eines der damals
längst vom Buddhismus durchdrungenen heutigen Länder Indonesien,
Usbekistan oder Afghanistan sondern ausgerechnet Tibet. Allerdings
hatte es vereinzelt Versuche gegeben, buddhistische Lehren durch
engagierte Interessierte in Tibet anzusiedeln, am bekanntesten sind
Marpa und sein berühmter Schüler Milarepa, über den ich in dieser
Reihe
hier schon sprach.
Und auch die tibetischen Herrscher taten sich
schwer, in das rückständigste Land Asiens die buddhistische Lehre zu
bringen, erst der dritte königliche Anlauf hatte nachhaltigen
Erfolg.
Den ersten Anlauf unternahm in der ersten Hälfte des 7. Jhd.
Songtsen
Gampo, dessen Vater ganz Tibet unterworfen hatte. Gampo fiel die
Königswürde nach dem Tod seines Vaters schon mit 13 Jahren zu.
- Natürlich hatte ein König damals mehrere Ehefrauen: Einheimische,
die
er sich aussuchte, und ausländische, wenn es die Politik gebot,
Nachbarreiche durch Heirat freundlich zu stimmen.
Und genau das war der Weg,
auf dem Gampo mit dem Buddhismus in Berührung kam, denn zwei seiner
Frauen, die Prinzessinnen von Nepal und von China, waren fromme
Buddhistinnen. Gampo war von der Überlegenheit der buddhistischen
Religion gegenüber dem tibetisch-schamanischen Bön-Kult beeindruckt
und
ließ buddhistische Tempel errichten. Allerdings blieben sowohl der
Adel
als auch das Volk bei dem alten Kult und standen dem Buddhismus mit
offener Ablehnung gegenüber, sodass der Buddhismus sich nicht halten
konnte, als der König nur 35-jährig verstarb. Es vergingen 100 Jahre
bis
ein anderer König, Trisong Detsen, im Rahmen seiner
Eroberungspolitik mit
dem Buddhismus
in Kontakt kam.
Tibet war unter ihm zur größten Macht Mittelasiens geworden – und er
war sogar mächtig genug die damalige
chinesische
Hauptstadt Changan zu besetzen, als sich die Chinesen
weigerten Tribut zu zahlen.
Er, der Machtpolitiker, erkannte, dass eine geistige
Großmacht wie der Buddhismus seinem Tibet besser zu Gesichte stünde
als
der archaische Bön-Kult. Daher lud er den Abt Professor
Santarakshita
von der weltgrößten Klosteruniversität Nalanda (15.000 studierende
Mönche) nach Tibet ein. Doch, die Dämonen wehrten sich gegen
ihn
und beschworen heftige Unwetter heraus, wie sie Tibet nie zuvor
erlebt
hatte, so jedenfalls die Lesart der Bön-Priester. Nach nur vier
Monaten
musste Santarakshita auf Anraten des Königs Tibet wieder verlassen,
nicht ohne ihm einen Tipp zu geben: es gäbe in der Welt nur einen
Meister, der es mit dem Bön und der Dickköpfigkeit der Tibeter
aufnehmen könne, nämlich den höchst umstrittenen exzentrischen Guru
Padmasambhava, von dem ich bei einer früheren Gelegenheit
berichtete.
Und wirklich, der äußerst selbstbewusste Guru Padmasambhava, der
gern
damit kokettierte, er habe größere magische Fähigkeiten als selbst
der
Buddha Gotama, konnte die magiesüchtige Bevölkerung beeindrucken,
sodass der Buddhismus neben dem Bön-Kult zur zweiten Religion Tibets
wurde. Im beginnenden 9. Jhd. jedoch kam König Langdarma nach
der
Ermordung seines Bruders an die Macht, und Langdarma war der
Bön-Priesterschaft und dem Adel verpflichtet. Es setzte eine
Buddhistenverfolgung ein, sodass der Dharma nur noch im Verborgenen
von
einzelnen padmasabhava-buddhistischen Gruppen praktiziert werden
konnte. Allerdings muss auch gesagt werden, dass ein buddhistischer
Mönch den König schließlich erschoss, um ihn, wie er beim Verhör
zugab,
„von der weiteren Anhäufung schlechten Karmas zu bewahren“ – nun ja,
Verbledung geht mitunter merkwürdige Wege und macht auch vor einer
Mönchskutte nicht Halt.
Nach Langdarma zerfiel das tibetische Reich. So war zweimal,
einmal im 7. Jhd. unter Songtsen Gampo und dann 150 Jahre später
unter
Trisong Detsen die Einführung des Buddhismus gescheitert.
Doch
im
Jahre 1042 nahm zum dritten Male ein bekannter ausländischer Lehrer,
Dipankara Srijinana, eine königlich-tibetische Einladung an. Dieser
Name ist allerdings so kompliziert, dass man ihm den viel leichter
zu
merkenden Beinamen Atisa, d. h. „der Hervorragende“, verlieh. Atisa
wurde als Sohn einer Adelsfamilie im heutigen Bangla Desh geboren.
Und
natürlich begann er die Religion zu praktizieren, die seine Eltern
hatten, nämlich den tantrischen Buddhismus. Er stellte jedoch fest,
dass diese Form des Buddhismus, das Vajrayana, ihn nicht weiter
brachte, daher wandte er sich wieder dem Pali-Kanon, also der
Literatur
des Theravada zu. Und nachdem er diese Lehren durchdrungen hatte,
fühlte er ein starkes Verlangen, die dritte Hauptrichtung des
Buddhismus, das Mahayana, zu studieren, allerdings gab es dafür in
Bengalen und den umliegenden Ländern keine geeigneten Lehrer, also
machte er sich zu einer dreizehnmonatigen Reise auf, bis er endlich
einen kompetenten Meister in fand – in Sumatra, was ziemlich weit
weg
ist, ungefähr so weit wie von Gelnhausen nach Mekka – und das war
vor
1000 Jahren sehr weit.
Zu dieser Zeit war der König von
Westtibet – das frühere tibetische Reich war ja nach Langdarmas Tod
zerfallen – von Erpressern entführt wurden, die für seine Herausgabe
dessen Gewicht in Gold forderten. Sein Neffe, der inzwischen Regent
war, bemühte sich das Gold durch Steuern einzutreiben, doch das war
in
diesem armen Land schwierig. Schließlich – nach etlichen Jahren –
hatte
er fast das ganze Gold zusammen, das dem Gewicht des Königs
entsprach,
jedoch nicht das von dessen Kopf. Da ereichte eine Botschaft des
Königs
den Hof: „Macht euch keine Sorgen um mich, ich bin inzwischen alt
und
gebrechlich. Macht euch lieber Sorgen um Tibet, in dem der Dharma
nicht
existiert. Nehmt das Gold und versucht damit Atisa, den
weltbekannten
Hervorragenden, nach Tibet zu holen.
Atisa, im warmen, flachen Bengalen
zu Hause, war alles andere als begeistert, ins eisig kalte
tibetische
Gebirge zu gehen, und das mit immerhin inzwischen 60 Jahren.
Allerdings
beeindruckte ihn die Haltung
des
entführten Königs, und daher meditierte er mit seiner
Meditationsgottheit Tara, die für aktives Mitgefühl steht, und
erfuhr
so, dass ihn der Gang nach Tibet zwar ein bis zwei Jahrzehnte seines
Lebens kosten würde, er aber dort den Dharma etablieren würde.
Also
ging er nach West-Tibet und missionierte dort erfolgreich im
königlichen Auftrag, ja er begab sich auch in andere Teile des
tibetischen Hochlandes, so nach Zentraltibet, wo Lhasa liegt.
Allerdings hatte er in seiner Dharmaverbreitungstätigkeit sogar
gegen
zwei Seiten zu kämpfen, einerseits natürlich gegen den Bön-Kult,
andererseits musste er den teilweise mit bedenklichen Praktiken
arbeitenden tantrischen Buddhismus des Padmasambhava
zurückdrängen. Atisa stellte die Zufluchtnahme in den Mittelpunkt
seiner Lehrtätigkeit und machte wieder klar, dass Ethik die Basis
des
Pfades sei. Seinen Mönchen ist zwar weiterhin erlaubt, tantrische
Studien zu betreiben, aber nur so weit diese nicht gegen den Zölibat
verstoßen.
Damit trat er vor allem gewissen erotischen tantrischen
Einweihungen entgegen, die Padmasambhava wohl eingeführt hatte.
Allerdings gab es auch Mönche, die an den bisherigen Praktiken
festhalten wollten, wofür ihr vielleicht ein gewisses Verständnis
aufbringen könnt. Diese Mönche organisierten sich in der Schule
Nyingmapa, d. h. „Anhänger der alten Schule“, das sind die heutigen
Rotmützen,
während Atisa als Gründer der Kadampa-Schule (Regelgetreue) gilt,
diese
(sie trugen gelbe Mützen) ging später in der Gelugpa auf, eine der
heutigen vier Richtungen de tibetischen Buddhismus, nämlich
derjenigen,
der auch der Dalai-Lama angehört.
Atisa starb nach 13 Jahren in
Tibet 73jährig, nicht ohne einen Nachfolger zum geistlichen
Nachfolger
benannt zu haben – einen Laienbekenner. Und genau das ist einer der
Gründe, warum ich Atisa so inspirierend finde. Nicht der Status, ob
jemand ordiniert ist oder nicht, ist für Atisa entscheidend, sondern
die Frage, ob er ein ethisches Leben führt und geeignet ist, den
Dharma
zu verbreiten. Ethik als Basis schien im tibetischen Buddhismus vor
Atisas Zeit etwas aus der
Mode
gekommen zu sein, dabei besteht doch der Dreifache Pfad, den der
Buddha gelehrt hat
1.
aus Ethik (als Basis),
2.
aus
Meditation, die auf dieser Basis gründet und
3.
aus Weisheit, die
nur auf Grundlage dieser beiden entsteht.
Und
das ist etwas, was für
uns auch heute ganz wichtig ist. Nicht alles, was sich gut anfühlt,
ist
gut. Gut, d. h. heilsam, zielführend, ist das, was zu unserer
spirituellen Entwicklung auf dem Dreifachen Pfad beiträgt. Und
genau in diesem Zusammenhang ist auch Atisas zweites Anliegen zu
verstehen, die Zentralität der Zufluchtnahme. Zufluchtnahme
ist
nicht, einfach mal die Zufluchtsformel "Buddham
saranam gacchami - Dhammam saranam gacchami -
Sangham saranam gacchami" zu sagen. Zufluchtnahme ist auch
nicht, sich
öffentlich als Buddhist/in zu outen. Zufluchtnahme ist es nicht
einmal,
die gelbe Robe anzuziehen und Mönch zu werden.
Zufluchtnahme
drückt sich vielmehr in Verhalten aus. Und deshalb rezitieren wir
bei Triratna
nicht einfach die Zufluchtnahmeformel, sondern – ganz in der
Tradition
Atisas, des Hervorragenden – die Zufluchten und die ethischen
Vorsätze
im Doppelpack. Und wir rezitieren die Vorsätze sogar zweimal, einmal
in
der negativen Formulierung auf Pali und einmal in der positiven
Formulierung auf Deutsch. Daher möchte ich meinen Vortrag heute mit
diesen ethischen Vorsätzen schließen:
- Mit
Taten liebevoller Güte läutere ich
meinen Körper.
- Mit
Großzügigkeit gebend läutere ich meinen Körper.
- Mit
Stille,
Schlichtheit und Genügsamkeit läutere ich meinen Körper.
- Mit
ehrlicher
und wahrhaftiger Sprache läutere ich meine Rede.
- Mit
hellwacher
Achtsamkeit läutere ich meinen Geist.
Zu Meditation
am Obermarkt
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