Ananda Vortragsreihe „Inspirationsbaum“, Teil X
von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt
zuletzt geändert am 7. Oktober 2019
Heute
erzähle ich wieder etwas über einen der Jünger des Buddha, also über
eine historische Figur, nämlich über Ananda, den wir auf dem rechten
Lotus unseres Inspirationsbaumes finden. Von Zeit zu Zeit liebte es der
Buddha, weg zu gehen und den Frieden und die Einsamkeit des Waldes zu
genießen. Aber als sein Ruhm sich mehrte und die Anhängerzahl wuchs,
kamen immer mehr Leute zu ihm, um in seiner Gegenwart zu sein und ihn
lehren zu hören. Meist hatte der Buddha einen Assistenten, dessen
Aufgabe es war, sich um seine persönlichen Belange zu kümmern und die
verschiedenen Anfragen entgegenzunehmen, aber nicht alle dieses
Assistenten erwiesen sich als zuverlässig. Daher sagte der Buddha
bei einer Gelegenheit, als eine große Menge von Mönchen, darunter sehr
viele erfahrene, schon seit langem ordinierte Mönche, versammelt waren.
„Ich bin jetzt fünfundfünfzig Jahre alt und brauche einen zuverlässigen
und vertrauenswürdigen Assistenten.“
Selbstverständlich
erboten sich eine ganze Reihe der älteren Mönche, diesen Dienst
auszuüben, doch der Buddha wollte keinen von diesen. Dann sagte Ananda
an, der bis dahin geschwiegen hatte: „Der Buddha weiß mit Sicherheit,
wer für ihn am geeignetsten wäre.“ Darauf antwortete der Buddha,
er wäre sehr froh, wenn Ananda sein Assistent würde und dass er der
Geeignetste für diese Aufgabe sei. Doch nun geschah etwas ganz
Unerhörtes. Ananda erbat sich Bedenkzeit, gerade so als sei das nicht
ein ganz außerordentliches Angebot. Nachdem die Bedenkzeit um war,
machte er noch etwas, was den anderen Mönchen die Sprache verschlug: er
stellte Bedingungen, insgesamt acht Bedingungen, unter denen er bereit
wäre, die ihm angebotene ehrenvolle Aufgabe zu übernehmen. Dies waren
die ersten vier Bedingungen:
Der Buddha dürfe ihm keine Nahrung abgeben, die dieser erhalten habe.
Der Buddha dürfe ihm kein Obdach überlassen, das dieser angeboten bekam.
Der Buddha dürfe ihm keine Gewänder abgeben, die dieser erhalten habe.
Wenn der Buddha eingeladen würde, dürfe er selbst, Ananda, nicht automatisch mit eingeladen sein.
Diese
vier Bedingungen waren offensichtlich dazu da, dass niemand sagen
konnte, dass Ananda die Stelle um eines persönlichen Vorteils wegen
angenommen habe, einen Vorwurf, den Ananda offensichtlich fürchtete,
denn da viele Mönche keineswegs erleuchtet waren, wäre auch hier - wie
überall - mit Neid, Missgunst und Eifersucht zu rechnen. Aber Ananda
stellte noch vier weitere Bedingungen:
Er wollte jede Einladung, die er selbst bekam, an den Buddha weitergeben dürfen.
Er wollte, dass er die Menschen, die von weit hergekommen seien, um den Buddha zu hören, bei ihm einführen dürfe.
Er forderte, dass ihm der Buddha alle Fragen, die er selbst bezüglich der Lehre habe, beantwortete.
Schließlich
verlangte er, dass, wann immer der Buddha in seiner Abwesenheit
Belehrungen erteilte, er diese hinterher wortwörtlich wiederholt
bekäme.
Diese
letzten vier Bedingungen haben offensichtlich einen doppelten Effekt,
sie sind also aus gemischten Motiven hervorgegangen, die einerseits
einen egoistischen, andererseits einen altruistischen Anteil hatten.
Unsere meisten Handlungen, die wir für altruistisch halten, sind von
solcher Art gemischten Motiven geprägt. Einerseits stellen vor
allem die letzten beiden Bedingungen sicher, das Ananda selbst die
meisten Belehrungen erhielt und er darüber hinaus auch noch alle Fragen
dazu an den Buddha richten und diese von ihm beantwortet bekäme. Das
erscheint auf den ersten Blick recht eigennützig zu sein.
Allerdings hatte Ananda offensichtlich eine Fähigkeit, die nur sehr
wenige Menschen haben, er hatte nämlich ein phänomenales Gedächtnis,
wie es manchmal bei autistischen Menschen vorkommt. Vermutlich handelte
es sich bei Ananda um das, was die Wissenschaft heute unter
hyperthymestisches Syndrom bezeichnet. Ananda konnte nämlich alle
Vorträge des Buddha, auch wenn er sie nur ein einziges Mal gehört
hatte, wortwörtlich wiedergeben.
Er konnte sogar noch die Betonung nachahmen und außerdem angeben, bei
welcher Begebenheit der Buddha diese Belehrung gegeben hatte und wer
dabei anwesend war. Das heißt. er hatte die Fähigkeit als Buddhas
USB-Stick zu wirken, was von unschätzbarem Wert für den Erhalt der
Lehrreden des Buddha war.
Vermutlich
war das auch der Grund, warum Buddha, die übrigen Angebote ablehnte und
augenscheinlich ganz bewusst Ananda im Sinne hatte. Und dieser wiederum
zeigte durch seinen letzten Wunsch, dass er dieses Ansinnen des Buddha
erkannt hatte und ihm in der Tat als Backup dienen wollte. Und so
stimmte der Buddha diesen Bedingungen freudig zu, und Ananda wurde der
ständige Begleiter des Buddha in den letzten 25 Jahren seines Lebens;
einer, der sich um die Bedürfnisse und Wünsche des Buddha mit nicht
nachlassender Freundlichkeit und Sorgfalt kümmerte. Er brachte dem
Buddha das Waschwasser und die Stäbchen zum Zähneputzen, er bereitete
ihm den Sitz und massierte ihm den Rücken, fächerte ihm Luft zu, nähte
seine Roben und kümmerte sich um Medizin, wenn er krank war. Neben
dieser Zuständigkeit für die Alltagsbedürfnisse kanalisierte er die
Kommunikation zwischen Buddha und seinen Schülern, und zwar sowohl den
Mönchen als auch den Laienanhängern und erledigte diese Pflichten
äußerst taktvoll und freundlich, so dass er von allen geliebt und
geschätzt wurde.
Obwohl der Buddha so viel weiter entwickelt war als Ananda, und obwohl
Ananda ein äußerst gehorsamer und pflichtbewusster Mann war, zeigte er
offensichtlich ein ungeheures Selbstvertrauen, als er dem Buddha
Bedingungen für die Übernahme der Assistentenstelle stellte. Ein Buddha
braucht keine unterwürfigen Speichellecker, sondern jemanden der klar
denken kann und selbstbewusst ist. Jemanden der klare
Vertragsbedingungen einfordert, aber auch genauso bereit ist
seinerseits Abmachungen einzuhalten. Es gibt übrigens noch ein
Ereignis, wo Ananda ganz erstaunliches Selbstbewusstsein gegenüber dem
Buddha zeigte.
Der buddhistische Orden war anfangs ein reiner Männerorden. Der Buddha
sah, die Gefahren, die Ordination von Frauen, für diese Selbst, für die
Mönche und für das öffentliche Ansehen und somit auch für die
Unterstützung der Sangha durch die Laienanhänger und wichtige
gesellschaftliche Kräfte bedeutete. Als eine Reihe engagierter Frauen
um Aufnahme in den Orden bat, setzte dies Ananda gegen den anfänglich
heftigen Widerstand des Buddha durch, was eine Meisterleistung an
Einfühlungsvermögen und Argumentationskraft seitens Anandas zeigt. Wer
sich dafür näher interessiert, findet die Antwort auf unseren
Internetseiten in der Geschichte „Frauen in den Orden?“
Der Buddha und Ananda hatten aber nicht nur eine geschäftsmäßige
Beziehung wie zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder zwischen Herr
und Vasall, die beiden verband auch eine echte und tiefe Freundschaft,
etwas dass in buddhistischen Kreisen als kalyana mitratabekannt
ist. Dies war zwar keine Freundschaft auf spiritueller Augenhöhe, denn
Ananda war im Gegensatz zu vielen der anderen Mönche nicht erleuchtet,
aber es gibt eben nicht nur diese horizontale Freundschaft, sondern
daneben auch die vertikale Freundschaft zwischen Personen
unterschiedlicher spiritueller Entwicklung. Es ist von größter
Wichtigkeit für jede Person, die sich spirituell weiterentwickeln
möchte, spirituelle Freundschaften zu pflegen, und zwar sowohl
horizontale als auch vertikale. Dies macht ein kurzes Zwiegespräch
zwischen dem Buddha und Ananda deutlich. Die beiden wanderten
nebeneinander her und waren recht schweigsam, Ananda reflektierte
offensichtlich über Freundschaft. Dann teilte er dem Buddha das
Ergebnis seiner Überlegungen zur Begutachtung mit: „Weißt Du, Buddha,
ich glaube, dass spirituelle Freundschaft die Hälfte des spirituellen
Lebens ausmacht.“ Dieser jedoch antwortete: „Sag, das nicht, Ananda,
sag das nicht! Es ist vielmehr so, dass spirituelle Freundschaft das
ganze spirituelle Leben ausmacht.“ Damit machte der Buddha deutlich,
dass man spirituelle Freundschaft gar nicht hoch genug einschätzen
kann. Und es ist genau das, was dahinter steht, wenn unsere
Internetseite im allerersten Satz damit beginnt…
Weiß
jemand von euch, wie der allererste Satz unserer internet-Homepage
beginnt? Der ist ganz wichtig und wir sollten ihn uns viel mehr zu
Herzen nehmen. Er beginnt (Stand 2012) nämlich so: „Der Freundeskreis
für Meditation und Buddhismus führt wöchentlich Offene
Meditationsabend“ usw. Wenn wir uns wirklich spirituell
entwickeln wollen, dann ist es ganz wichtig, nicht nur hier zu den
Meditationsabenden zu kommen, sondern auch spirituellen Freundschaften
untereinander (horizontale Freundschaften) zu entwickeln, und
insbesondere auch vertikale Freundschaften. Und wenn ihr euch
vielleicht wundert, dass hier relativ häufig mitunter sehr erfahrene
Ordensmitglieder herkommen, dann liegt das daran, dass ich vertikale
spirituelle Freundschaften pflege, Freundschaften zu Personen die
augenscheinlich deutlich weiter entwickelt sind als ich. Es ist ganz
wichtig, Kontakt und Freundschaft auch zu weiter entwickelten Personen
zu pflegen.
Doch zurück zu Ananda, dem unerleuchteten Freund des Buddha. Obwohl
Ananda bereits viele Jahre, bevor er zu Buddhas Freund wurde, in den
Orden eingetreten war, er war übrigens ein Vetter des Buddha, und
obwohl er dann als Freund und Begleiter des Buddha noch 25 Jahre die
allerbesten Bedingungen zum spirituellen Wachstum hatte, erreichte er die volle Erleuchtung zu Buddhas Lebzeiten nicht.
Selbstverständlich war Ananda auch in der letzten Stunde des Buddha
zugegen. Er stand abseits an einem Türrahmen und weinte bitterlich. Und
er beklagte laut: „Der Mann, der so überaus freundlich ist, muss
sterben!“ Dabei ist interessant, dass er den Buddha mit einem einzigen
Adjektiv belegte. Er lobte nicht die Weisheit, die Spontaneität oder
die Fähigkeit, die Lehre zu vermitteln, nein, für ihn stand etwas
anderes im Mittelpunkt: die übergroße Freundlichkeit des Buddha. Und so
kam es, dass der sterbende Buddha den weinenden Ananda zu sich an sein
Sterbelager rief, um ihn zu trösten: „Aber Ananda, ich habe immer
gelehrt, dass das, was entstanden ist, auch vergehen muss,
selbstverständlich gilt das auch für den Buddha.“ Und weiter: „Du
brauchst mich nicht mehr, sei dir selbst eine Insel. Der Dharma ist
jetzt dein Lehrer.“ Und zu allen Anwesenden gewandt sprach er noch:
„Wenn ihr den Dharma erblickt, dann erblickt ihr den Buddha. Strebt mit
Eifer weiter.“
Was wurde nach Buddhas Tod aus Ananda? Wer meinem Vortrag über
Mahakassapa hörte, weiß, dass drei Monate nach dem Tode des Buddha ein
Konzil einberufen wurde, auf dem unter anderem festgelegt wurde, welche
Lehrreden des Buddha kanonisch seien. Hier war natürlich Anandas
phänomenales Gedächtnis gefragt. Dumm nur, dass an dem Konzil 500
Mönche teilnehmen sollten, die die Erleuchteten aus ihrer Mitte
wählten. Ananda jedoch war nicht erleuchtet, sodass ausgerechnet der
wichtigste Mann zur Bezeugung der Authentizität der Lehrreden nicht
anwesend sein könnte.
Und nun zeigte sich Anandas ganze Selbstlosigkeit. Er, der 25 Jahre in
Begleitung des Buddha nicht die Erleuchtung erreichte, wohl weil er zu
viel mit weltlichen Dingen befasst war, dem Buddha zu dienen, seine
Gesprächstermine zu koordinieren und all das zu tun, wofür ein Sekretär
nötig war, er bemühte sich jetzt mehr denn je um die entscheidenden
spirituellen Fortschritte. In der Nacht vor dem Beginn des Konzils
schließlich, so wird berichtet, erreichte er die Erleuchtung. Und damit
kein Zweifel daran aufkäme, dass Ananda jetzt dem Kreise der
Erleuchteten angehörte, begab er sich auf unübliche Art in die
erlauchte Versammlung: er schwebte ein.
Wenn ihr übrigens die Schriften des Pali-Kanon lest, so werdet ihr
feststellen, dass diese mit den Worten beginnen: „So habe ich gehört“,
das sind Anandas Worte, der damit die Authentizität der Lehrrede
bezeugt und die Geschichten wiedergibt.