Amoghasiddhi Vortragsreihe „Inspirationsbaum“ - Teil XXIV von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt
zuletzt überarbeitet am 7. Oktober 2019
Um
es gleich vorweg zu sagen, ich habe den Vortrag in ähnlicher Art schon
einmal gehalten, im Rahmen des Evolutionskurses. Wenn euch das also
irgendwie bekannt vorkommt, so wundert euch nicht. Andererseits ist
etwas, das wir ein zweites Mal hören, wenn wir uns – hoffentlich –
etwas weiterentwickelt haben und wenn wir es in einem anderen Kontext
hören, mitunter durchaus bereichernd. Diesmal
gehört mein Vortrag über Amoghasiddhi also zur Vortragsreihe über die
Wesen auf dem Inspirationsbaum, und tatsächlich ist Amoghasiddhi für
mich eine der allerinspirierendsten Persönlichkeiten dieses
Inspirationsbaumes. Er ist es, der mir die Kraft gibt zu wissen: der
Pfad zur Erleuchtung ist gangbar, auch für Dich, wirklich, gangbar bis
zum Ende, bis zur Erleuchtung. Zunächst
aber einmal: Amoghasiddhi ist keine historische Person, er ist Symbol
einer im Universum wirkenden Kraft, sollte man diese Kraft mit einem
modernen Wort beschreiben, so wäre die erste Wahl: Evolution. Genauer
gesagt, er steht für den aus unserer Sicht, aus Sicht des Menschen,
wichtigsten Evolutionsschritt. Der wichtigste Schritt ist natürlich
immer der nächste Schritt, und das ist aus menschlicher Sicht der
Schritt vom Menschen zum Buddha, die vollständige Emanzipation aus dem
Tierreich, eine Evolutionsschritt, den wir nicht kollektiv – als
Menschheit – gehen können, sondern nur individuell, als einzelne
Menschen. Wenn
wir uns den Inspirationsbaum betrachten, sehen wir, dass Amoghasiddhi
in einer Reihe von fünf verschiedenfarbigen Figuren dargestellt wird.
In dieser Reihe haben wir von links nach rechts Ratnasambhava in gelb,
dann in rot Amitabha, in der Mitte den weißen Vairocana, auf
halbrechter Position
sitzt Akshobhya in Blau und ganz rechts eben der grüne Amoghasiddhi.
Und die gleichen fünf Personen haben wir auch in unserem
Meditationsraum auf der Wand aufgemalt, dort allerdings kreisförmig
angeordnet, in einem Mandala, dem Mandala der fünf Jinas – jina heißt Sieger – oder auch Mandala der fünf Buddhas. Es
gibt natürlich historisch gesehen nur einen Buddha, Shakyamuni, der vor
2500 Jahren lebte. Aber letztlich wird jede Person, die den Pfad zu
Erleuchtung, den Buddhist/innen zu gehen sich vornehmen, bis zum Ende
beschreitet zu einem oder einer Erleuchteten, sie erreicht
Buddhaschaft. Und von daher stehen hier exemplarisch fünf Wesen, die es
geschafft haben, die den ganzen langen Weg bis zur Erleuchtung
siegreich beschritten haben. Daher nennen wir sie auch die fünf Jinas,
die fünf Sieger/innen. Das
Bild stellt gleichzeitig so etwas wie eine analytische Betrachtung von
Hauptaspekten des historischen Buddha dar, also von fünf zentralen
Aspekten dessen, was Buddhaschaft, was Vollkommenheit ausmacht. Und
daher auch ihre regenbogenfarbige Buntheit. So wie man das Licht in der
Spektralanalyse auseinandernehmen und in einzelne Farben zerlegen kann,
genau so wurde hier mit dem Buddha vorgegangen. Verkürzt könnte man
sagen,
die gelbe Figur steht für Großzügigkeit, daher zeigt ihre rechte Hand die Geste des Gebens, die varada-mudra;
der rote Buddha, der seine Hände in der dhyana-mudra, der Geste der Meditation, hält steht für metta, denn er praktiziert gerade die metta bhavana, die Meditation zur Entfaltung von grenzenloser Liebe gegenüber allen Wesen;
der weiße Vairocana, zeigt die Geste des Lehrens, er steht für die Ergründung des Dharmas, des ewigen Gesetzes;
der blaue Aksobhya zeigt die bhumi-sparsa-mudra,
die Erdberührungsgeste, die sich aus einem Ereignis im Leben des
historischen Buddha herleitet und für Unerschütterlichkeit auf dem Pfad
steht;
schließlich
der grüne Amoghasiddhi, der Buddha des Nordens, über den und über
dessen Geste ich mich jetzt zu sprechen anschicke.
Wenn
wir uns Amoghasiddhi auf dem Bild an der Wand unseres Meditationsraumes
ansehen, so stellen wir fest: er befindet sich im Mandala der fünf jinas
genau dort, wo der Pfad zur Erleuchtung in dieses Mandala führt. Und
das habe ich nicht von ungefähr so gemalt, es hat vielmehr eine
gewichtige Bedeutung. Jeder dieser jinas
stellt ja eine bestimmte Eigenschaft, einen bestimmten Aspekt von
Buddhaschaft dar. Eine bestimmte Eigenschaft, die dazu führt, dass man
befähigt ist, Erleuchtung zu erreichen. Es ist eine Eigenschaft, die
alle Wesen, insbesondere alle Menschen haben, auch wenn sie bei den
verschiedenen Leuten sehr unterschiedlich stark entwickelt ist. Und
der Aspekt, den Amoghasiddhi darstellt, das ist die Fähigkeit, sich zu
entwickeln, die Fähigkeit zu evolvieren, die Fähigkeit sich zu
emanzipieren. Evolution trägt das Streben nach Höherem, nach
Vollkommeneren in sich. Und die höchste Stufe der Entwicklung, der
Evolution, die wir kennen, ist die Entwicklung des Menschen aus dem
gewöhnlichen Dasein, aus dem Hamsterrad des samsara,
aus dem animalischen Reiz-Reaktions-Muster hinaus zu etwas Höherem, zur
Evolutionsstufe über dem Menschen, der Durchbruch zu
Buddhaschaft. Und
genau diese uns innewohnende Fähigkeit – häufig auch als Buddhanatur
bezeichnet – ist es, die Amoghasiddhi symbolisiert. Und deswegen sitzt
er auch in diesem Mandala genau dort, wo der Pfad, wo der oder die auf
dem Pfad Emporschreitende, ins Mandala der Vollkommenheit eintritt, wo
man gewissermaßen den Durchbruch in eine höhere Dimension schafft, wo
er oder sie zum Buddha wird. Das
Wort Amoghasiddhi bedeutet übrigens „unfehlbarer Erfolg“ oder
„ungehinderte Vollendung“ und so symbolisiert auch dieses Wort, dieses
Sprachzeichen, den Durchbruch zur Buddhaschaft. Wenn man zu etwas
durchbrechen will, den Durchbruch schaffen will, dann braucht man dazu
neben Tatkraft und Mut auch die entsprechenden Mittel, die
entsprechenden Werkzeuge. Solche
Werkzeuge höherer Wesen finden wir in den Mythologien aller Völker, in
den Göttersagen der Antike in den unterschiedlichen Kulturen. In der
griechischen Mythologie hat die größte Kraft der blitzeschleudernde
Zeus und eben diese Blitze sind seine Waffen im Kampf. In der
germanischen Mythologie hat die stärkste Waffe jener germanische Gott,
dessen Namenstag wir jede Woche feiern, immer donnerstags. Es ist
Donar, der bei den Nordgermanen unter dem Namen Thor erscheint, wieso
der Donnerstag in Schweden Thorsdag heißt und die Angelsachsen ihn
Thursday nennen. Und
die Waffe dieses Gottes ist natürlich Thors Hammer, der Hammer des
Donnergottes. In der indischen Mythologie ist diese größte Kraft,
dieses stärkste Werkzeug der Mythologie der Donnerkeil, der vajra,
von dem wir ein Modell auf unserem Schrein liegen haben. Und es ist
dieses Instrument, das einer der drei Hauptrichtungen des Buddhismus,
dem Vajrayana, also der Richtung, der auch der Dalai Lama angehört,
seinen Namen gegeben hat. Und wenn wir uns das Attribut ansehen, das Amoghasiddhi in Händen hält, so ist es eine spezielle Variante dieses vajra,
es ist der Doppelvajra, also etwas noch stärkeres als die stärkste
Kraft des Universums. Wir sehen in Amoghasiddhis linker Hand diesen
Doppelvajra, dieses geheimnisvoll mächtige Symbol zweier gekreuzter vajras. Und wenn ich sage, diese vajras
seien gekreuzt, so beschleicht sich unserer da möglicherweise eine
Assoziation an eine andere spirituelle Mythologie und ihrem Symbol,
nämlich zum christlichen Kreuz. Während
die normalen römischen Hinrichtungsbalken ja eher T-förmig waren, wird
der Tod Christi immer an einem Kreuz dargestellt, denn dem Querbalken,
den wir ja auch aus unserer Zeichensprache kennen, vom
Durchfahrt-Verboten-Schild etwa oder vom Stoppzeichen der
Straßenbahnampeln, wird beim Kreuz dadurch durchbrochen,
dass ein senkrechter Balken himmelwärts geht und eben nicht wie beim T
am Querbalken endet, sondern diesen durchbricht. So soll auch das
christliche Kreuz den Durchbruch zum Reich Gottes und nach christlicher
Überzeugung eben die Errichtung des Reiches Gottes auf Erden
symbolisieren. Und
die entsprechende Symbolik haben wir auch in dem gekreuzten vajra, auch
hier erfolgt der Durchbruch zu einer qualitativ ungemein höheren Ebene,
der Ebene der Vollkommenheit, zur Buddhaschaft, zum nirwana,
dem Reich des Nicht-Wähnens. Hier vollendet sich die Evolution eines
Wesens, hier hat sich der Mensch aus seiner Bedingtheit emanzipiert und
ist zu Buddha geworden. Und
natürlich ist das für uns etwas Unbekanntes, etwas Rätselhaftes, etwas,
das uns vielleicht Angst einjagen kann. Und wie hilft uns Amoghasiddhi
dabei? Nun, die Hilfe, die er uns bietet, sehen wir in der mudra, in der Geste, die er mit seiner rechten Hand ausführt, es ist die abhaya-mudra,
die Geste des Gebens der Furchtlosigkeit. Eine der höchsten Tugenden,
eines Bodhisattva, eines Erleuchtungswesens, ist, dass er jedem gibt,
wonach er oder sie bedarf. Und als vielleicht wichtigste Gabe gilt
dabei die Gabe der Furchtlosigkeit. Genau die gibt Amoghasiddhi: er
ermutigt uns, den Pfad zu beschreiten, bis ans Ende. Ja, wir werden uns
dabei so verändern, dass plötzlich alles anders ist, dass wir die Dinge
sehen, wie sie wirklich sind, gerade so, als würden wir aus einem
verrückten Traum aufwachen. Bodhi
heißt Erwachen, ein Buddha ist ein Erwachter, und Amoghasiddhi ermutigt
uns, wirklich zu erwachen, den Dingen in die Augen zu sehen. Auch dies
übrigens eine Darstellung, derer sich auch das Christentum bedient. Der
Ausdruck: „Fürchtet euch nicht!“ ist der Satz, den das Evangelium Jesus
so häufig wie keinen anderen in den Mund legt, insgesamt nicht weniger
als zwanzig Mal! Und ebenso wie in Lukas 2,10 ruft uns Amoghasiddhi zu:
„Fürchtet Euch nicht, denn ich verkünde
Euch große Freude!“ allerdings gibt es auch einen Unterschied zum
Lukas-Evangelium, dort wird nämlich der Grund dieser Freude genannt, es
heißt dort: "Heute ist euch der Retter geboren, er ist der Messias, der
Herr". Im Christentum ist es also eine äußere Person, die Rettung
bringt. Im Buddhismus ist es die Ermutigung: „Du kannst es selbst
schaffen. Der Buddha war ein Mensch, so wie wir Menschen sind. Was der
Buddha erreicht hat, das kannst auch Du erreichen.“ Es
liegt also in Deiner Hand. Das wird auch deutlich, wenn wir uns eine
Gruppe von mythologischen Figuren des Buddhismus betrachten, als deren
Oberhaupt Amoghasiddhi gilt, es ist die Karma-Familie oder auch
Tat-Familie. Denn durch Dein Handeln mit Körper, Rede und Geist kannst
Du Dich verwandeln, und das ist ja die eigentliche Bedeutung des Wortes
Karma: Handeln, ethisch bewertbares Handeln. Eine andere Figur aus
dieser Karma-Familie befindet sich übrigens auch hier im Raum
abgebildet. Man erkennt sie daran, dass sie, wie Amoghasiddhi, grüne
Haut hat. Es ist natürlich die Grüne Tara, die so dargestellt wird, als
wäre sie gerade am Aufstehen, man beachte nur ihr rechtes Bein, mit dem
sie sich gerade aus der Meditationshaltung erhebt, um den Wesen aktiv
zu helfen. Die rechte Hand hält sie in der varada-mudra, der Geste der Wunschgewährung. Und
abschließend möchte ich Euer Augenmerk noch auf etwas lenken, das man
auf diesem Bild hier gar nicht sehen kann, weil ich es nicht mit
aufgemalt habe. Es sind die Tiere, die den Thron Amoghasiddhis tragen.
Vielleicht erinnert ihr Euch daran, dass es bei Ratnasambhava Pferde
waren, Tiere die gleichermaßen ungestüm sein können aber auch von hoher
Disziplin und die den Menschen vorantragen können, Tiere die außerdem
andere Wesen respektieren: sie sind Vegetarier. Und auch bei Aksobhya
hatten wir ein mächtiges und intelligentes Tier: den Elefanten, er
steht – wie Aksobhya selbst – für Unerschütterlichkeit. Was aber sind
die Tiere Amoghasiddhis? Nun
es sind Garudas. Vielleicht kennt ihr keine Garudas. Das ist nur allzu
verständlich, es sind mythologische Tiere, ein bisschen, wie der
bayerische Wolpertinger, allerdings mit einem viel tieferen
Symbolgehalt. So
wie die griechischen Zentauren halb Pferd, halb Mensch sind, so sind
die Garudas Vogelmenschen, deren Unterkörper einem kräftigen Vogel
gleicht, der Oberkörper hat aber menschliche Gestalt. Sie zeigen also
gewissermaßen den Durchbruch von der Evolutionsstufe des Tieres zu der
des Menschen an. Und genau um einen entsprechenden Durchbruch geht es
auch hier, am Ende des Pfades, dem Durchbruch von der Evolutionsstufe
des Menschen zu der des Buddha, der endgültigen Emanzipation des
Menschen aus dem Bereich der niederen Evolution, den Durchbruch zur
Vollkommenheit. Und diese Garudas halten in ihren Händen Zimbeln,
Klanginstrumente, mit denen sie den Durchbruch freudig begrüßen, die
laute Töne machen, die aus dem Schlaf rütteln, die Erwachen
symbolisieren. Und
genauso wie Amoghasiddhi möchte ich Euch zurufen: Fürchtet Euch nicht!
Der Pfad ist dargelegt, er ist gangbar, euch stehen große Veränderungen
bevor, der Durchbruch ist möglich. Und ebenso wie sich die Menschheit
aus dem Tierreich emanzipiert hat und damit eine völlig neue Qualität
erreicht hat, so kannst auch Du Dich auf eine höhere Entwicklungsstufe
hocharbeiten – und Du wirst nie wieder so etwas spirituell Armseliges,
so etwas Verblendetes wie ein Mensch sein wollen. Der Pfad ist gangbar. Fürchte Dich nicht! Weck den Amoghasiddhi in Dir, denn Amoghasiddhi heißt: „unfehlbarer Erfolg“. Zu Meditation am Obermarkt