Aksobhya  
Vortragsreihe „Inspirationsbaum“ von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt, Teil XIX
zuletzt überarbeitet am 7. Oktober 2019

 
Liebe Freundinnen und Freunde, heute greife ich wieder eine Person unseres Inspirationsbaums heraus, über die ich vor zwei Jahren in einem etwas anderen Zusammenhang schon einmal sprach. Ihr mögt es mir also nachsehen, wenn euch das verdächtig bekannt vorkommt, was ich heute sage, denn ich habe natürlich meine alten Unterlagen verwendet, um diesen Vortrag vorzubereiten, allerdings habe ich sie an der einen oder anderen Stelle ergänzt oder abgeändert, es ist also nicht der gleiche Vortrag, sondern er hat sich, wie jede und jeder von uns, in dieser Zeit verändert.

Veränderung, Unbeständigkeit, annicca, ist ja eines der drei Wesensmerkmale, die laut dem Buddha alles abhängig Entstandene ausmachen. Und dieser Vortrag ist natürlich in Abhängigkeit von Bedingungen entstanden, Bedingungen die bei der Erstellung 2013 etwas anders sind als 2010. Soweit die Vorrede.

Im Buddhismus gibt es neben historischen Personen auch nichthistorische, also Wesen, die nach herkömmlicher Vorstellung nicht „wirklich“ existieren. Im Buddhismus existieren aber auch diese Personen. Ganz ähnlich wie in unseren Mythen auch Personen vorkommen, die ahistorisch sind, da wären z. B. die Frau Holle zu nennen, der Weihnachtsmann, der heilige Geist oder Superman. Manche von diesen Figuren haben einen äußerst zweifelhaften Wert, sind Projektionen unreifer Wunschvorstellungen, Superman beispielsweise; andere sind Figuren aus alten Mythen, so z. B. die Frau Holle hinter der sich die germanisch-keltische Gottheit von Wiedergeburt und Karma, Hel, verbirgt.  Im Buddhismus haben wir zum Beispiel das Mandala der fünf Buddhas oder auch Mandala der fünf jinas. Jina heißt Sieger; es handelt sich also offenbar um buddhistische Helden, und die größte Heldentat, die ein Buddhist vollbringen kann, ist natürlich Vollkommenheit, Erleuchtung, Nirvana, zu erreichen. Die Darstellung der fünf jinas findet sich übrigens gleich drei Mal in unserem Gelnhäuser Meditationsraum,
einmal hier über mir als Symbol für Nirvana, dann auf dem Bild am Schrein und natürlich, sonst würde der Vortrag nicht in diese Reihe gehören, schließlich hier oben auch auf dem, was in der Buddhistischen Gemeinschaft Triratna „Inspirationsbaum“ genannt wird und so etwas wie eine Zusammenstellung der Wesen ist, die wir besonders verehren. 
 
Nun kann man sich natürlich fragen, warum man denn fünf ahistorische Buddhas braucht, wenn wir doch einen geschichtlichen und ausgezeichnet dokumentierten historischen Buddha haben.  Der Grund dafür ist, dass der Buddha, wie wir alle, ein sehr komplexes Wesen ist und daher die unterschiedlichsten Eigenschaften hat. Darum hat man gewissermaßen den historischen Buddha analysiert und in fünf verschiedene Aspekte aufgespalten. Und für jeden dieser fünf Aspekte steht einer dieser jinas. Das heißt nun nicht etwa, dass der Buddha genau fünf hervorragende Eigenschaften hatte. Jede solche Abbildung hat vielmehr Modellcharakter, will uns auf etwas Bestimmtes hinweisen.  Häufig spricht man z. B. von den beiden Hauptaspekten von Buddhaschaft, also von Erleuchtung, von Vollkommenheit, und diese beiden Hauptaspekte sind Weisheit und Mitgefühl. Auch diese beiden Aspekte habe ich hier im Meditationsraum dargestellt. Sie befinden sich hinter euch: da ist einerseits Manjushri, der Buddha mit dem flammenden Schwert, er symbolisiert Weisheit, und andererseits – ganz wörtlich, auf der anderen Seite – die Grüne Tara, sie symbolisiert den Mitgefühlsaspekt der Vollkommenheit. 

Doch zurück zu unserem Mandala der fünf jinas, genauer zu Aksobhya, unserem heutigen Stargast. Aksobhya steht für Unerschütterlichkeit, also dafür, dass buddhistisches Streben, Streben nach Vollkommenheit, Streben nach Erleuchtung, nichts Halbherziges ist, sondern dass sie unseren völligen Einsatz, den Einsatz aller Kräfte braucht, und dass, wann immer sich uns Widrigkeiten in den Weg stellen, wir nicht hasenfüßig die Flinte ins Korn werfen, sondern vielmehr die Ärmel hochkrempeln, um die 

Widrigkeiten aus dem Weg zu räumen – unerschütterlich auf das große Ziel, auf Erleuchtung, auf Vollkommenheit, ausgerichtet. 

Wenn wir uns diese fünf Figuren ansehen, so fällt als erstes auf, dass sie in verschiedenen Farben dargestellt sind, das macht es einfach, sie zu unterscheiden. Wenn wir etwas genauer hinsehen, können wir erkennen, dass sie sich in der Handhaltung unterscheiden und dass jeder mit einem bestimmten Attribut, einem für ihn typischen Utensil, dargestellt wird.  Die typische Handhaltung Aksobhyas ist die Erdberührungsgeste: wir sehen, dass er mit der rechten Hand die Erde berührt. Diese Mudra, diese Geste, die bhumisparsa, die Erdberührungsgeste, finden wir mitunter auch bei Buddhafiguren. Sie erinnert nämlich an eine bestimmte Begebenheit aus dem Leben des historischen Buddha, von Shakyamuni. Sie erinnert an eine Episode während seiner Erleuchtungserfahrung.  Der Buddha saß damals in Nordindien nahe der Ortschaft Gaya unter einem Baum, dessen wissenschaftlicher Name ficus religiosa ist; ein Blatt dieses Baumes befindet sich hier im Meditationsraum zwischen den Fenstern.

Als der werdende Buddha sich hinsetzte, hatte er noch nicht die vollkommene Erleuchtung, und in einer dramatisch langen Meditationssitzung erreichte er sie dann.  In Meditation, das wissen wir alle aus unseren spärlichen Meditationserfahrungen, treten unterschiedliche Hindernisse auf, das kann sinnliches Verlangen sein, z. B. der Einfall, man sollte hinterher noch ein Glas Bier trinken gehen, das kann Abneigung sein (oh, nein, erst der zweite Gong, und mir tun die Beine schon so weh), das kann Müdigkeit sein oder auch Abgelenktheit (ich muss unbedingt noch den XY anrufen), es kann auch Unentschlossenheit sein, also etwa die Frage „Bringt mir das Meditieren eigentlich etwas?“ oder „Also das ist hier nix, vielleicht sollte ich doch lieber eine Mantrameditation machen“ oder auch „Mag ja sein, dass der Buddhismus etwas Tolles ist, aber ob dieser Meditationslehrer das wirklich so vermitteln kann, ich weiß ja nicht…“). All das sind Ausprägungen des Meditationshindernisses 
vicikicch
a, Unentschlossenheit.

Offensichtlich kam auch dem Buddha in seiner Meditation Zweifel, zumal er vorher gesagt haben soll: „Jetzt setze ich mich hier hernieder und gelobe nicht mehr aufzustehen, bevor ich die volle Erleuchtung erreicht habe.“  Also wenn man sich mit solcher Entschlossenheit hinsetzt und dann Stunde um Stunde in Meditation arbeitet, dann kann ich schon verstehen, dass einem da durchaus Zweifel aufkommen können. Aber der Buddha überwand diese Zweifel dank seiner unbeugsamen Unerschütterlichkeit. Und der Buddha beschrieb später in einer sehr bildhaften, mit mythologischen Figuren arbeitenden Weise, was da geschah, und ich will hier diesen Auszug aus dem Mythos von der Erleuchtungserfahrung kurz vortragen, denn dabei wird deutlich, wie es zur bhumisparsa, zur Erdberührungsgeste, kam.  Der Buddha saß also da und dann trat Mara an ihn heran. Mara ist eine mythologische Figur, die das Negative verkörpert, so etwas wie „der Versucher“, von dem Jesus berichtet, als er vierzig Tage in der Wüste fastete und meditierte. Jesus verwandte dafür die Figur des Satan, um in mythologischer Weise darzustellen, was geschah, Buddha bedient sich der in Indien bekannten mythologischen Gestalt des Mara, den man durchaus auch als „den Versucher“ bezeichnen könnte.  


Dieser Mara, der hier der personifizierte Zweifel ist, tritt also an den Menschen Gotama, denn ein Buddha, ein Erwachter, ein Erleuchteter, war die Person Siddharta Gotama zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Und er sagt zu ihm: „Das ist äußerst vermessen von dir, zu glauben, du würdest hier sitzen und Erleuchtung erreichen können. In ganz Indien gibt es keinen einzigen Erleuchteten und du willst das erreichen? Du bist anmaßend, das schaffst du nie. Geh lieber ins nächste Dorf und erbettle dir etwas zu essen, damit tätest du dir einen größeren Gefallen.“  Doch der Buddha weißt Mara zurück: „Nein, Mara, ich weiß es, ich bin ganz nahe dran. Vom dreifachen Pfad aus Ethik, Meditation und Weisheit habe ich fast alles erreicht, nur das letzte, entscheidende
Stück der Weisheit, die Erleuchtung, die fehlt mir noch, und die werde ich hier erreichen.“ 

Nun war Gotama sicher schon von ziemlicher Weisheit, und er hatte es auch in der Meditation weiter gebracht, als irgend ein anderer zu seiner Zeit in Indien, also setzte Mara bei der Ethik an: „Nun, Siddharta, ich kenne deine große Erreichungen in der Meditation, man erzählt sich landauf landab davon, und auch deine Tugendhaftigkeit ist wohl bekannt. Nicht eine Untugend aus deinem ganzen Leben ist mir ans Ohr gedrungen, aber was ist schon ein Leben? Du hast unzählige Male gelebt und in früheren Leben gutes, aber auch schlechtes Karma angesammelt. Letzteres ist noch nicht völlig abgetragen, du wirst die Sache mit der Erleuchtung nicht schaffen.“ 

Siddharta aber antwortete: „Du irrst, Mara, oder du lügst, denn schon seit unzähligen Leben habe ich nur Tugendhaftes getan, nichts Lasterhaftes, ich bin jetzt so weit, ich kann und ich werde die Erleuchtung hier noch in dieser Nacht erreichen.“  Siddharta scheint also schon ganz schön unerschütterlich zu sein, er pariert alle diese aufkommenden Zweifel, aber sein Widersacher versucht einen letzten Trumpf auszuspielen, und so sagt Mara: „Siddharta, du kannst viel erzählen von deiner Tugendhaftigkeit in früheren Leben. Das ist doch nichts als eine leere Behauptung! Kannst du denn irgendwelche Zeugen dafür benennen, irgend jemanden, der hier und jetzt bezeugen kann, dass das in deinen früheren Leben so war, wie du das behauptest?“ Und nun kommen wir an die entscheidende Stelle, denn Siddharta nimmt seine rechte Hand, berührt damit die Erde und antwortet: „Die Erde ist mein Zeuge, ich rufe Mutter Erde als Zeugin auf.“ 

Und tatsächlich, so berichtet der Mythos weiter, tut sich die Erde auf und Mutter Erde erscheint selbst, um für Siddharta Zeugnis abzulegen. Diese Figur der Mutter Erde kennen wir ja aus unserem Kulturkreis auch, sei es die griechische Gaia, die germanisch-keltische Demeter oder Wagners Mutter Erda aus dem Ring des Nibelungen. Damit war auch Maras dritter Versuch, den Buddha an
der Erleuchtung zu hindern
gescheitert (über die ersten beiden habe ich nichts berichtet, die beziehen sich auf andere Meditationshindernisse). Mara ist endgültig gescheitert, Siddharta gelingt der Durchbruch, er wird zum Buddha, und die bhumisparsa-mudra, die Erdberührungsgeste, wird dadurch berühmt und eben auch im Mandala der fünf jinas dargestellt. 

Damit wäre die Sache mit der Geste Aksobhyas geklärt, bleibt noch sein Attribut, der vajra, das ist das komische Ding, das hier im Meditationsraum auch auf dem Schrein liegt. Der vajra ist das Diamantzepter, das Aksobhya in der linken Hand hält, es ist ein Gegenstand, der in der indischen-tibetischen Mythologie – auch außerhalb des Buddhismus – als Symbol der stärksten Kraft im Universum gilt, absolut alles durchdringend und gleichzeitig hart wie ein Diamant. Ins Deutsche übersetzt heißt vajra sowohl Diamant als auch Donnerkeil.

Gehen wir einmal kurz in die Mythologie unseres Kulturkreises; da begegnen wir diesem Utensil in leicht abgewandelter Form ebenfalls, so schleudern in der griechischen Mythologie Zeus und Athene ebenfalls mit Donnerkeilen. Und wenn wir noch näher zu uns kommen, ins Germanische, da haben wir ebenfalls einen solchen Gegenstand als Attribut eines Gottes, dessen Namenstag wir jede Wochen begehen: Donnerstag.  Die germanische Gottheit Donar, im nördlichen Germanien auch als Thor bekannt – deshalb sagen die Schweden zum Donnerstag Thorsdag und die Angelsachsen Thursday – hat diese Waffe auch, sie heißt dort Thors Hammer. Wer übrigens nicht weiß, wie er sich Thor vorzustellen hat: der Werbezeichner von Coca-Cola hat ihn 1931 zum Vorbild für eine von ihm gezeichnete Figur genommen, die heute jeder kennt, nämlich den Weihnachtsmann, aber das nur am Rande.

Auf jeden Fall können wir feststellen, dass durchaus auch unsere Kultur auf Mythen zurückgreift.  Was wir in der Darstellung auf den Bildern hier im Meditationsraum nicht sehen können, ist, dass der Lotusthron, auf dem Aksobhya sitzt,
von Elefanten getragen wird. Und Elefanten stehen natürlich auch für Unerschütterlichkeit: große, mächtige Tiere, die man nicht eben einmal zur Seite schieben kann. Es sind Tiere, die beharrlich sind, die nie vergessen. 

Nun kann man durchaus fragen, wozu das alles gut sein soll, wozu wir diese Aufspaltung des historischen Buddha in fünf verschiedene Aspekte brauchen. Ich will, anstatt eine langatmige theoretische Erläuterung zu geben, lieber auf eine praktische Erfahrung hinweisen, auf eine Erfahrung, die ich selbst gemacht habe, hier in diesem Raum, im Meditationsraum am Obermarkt, im Dezember 2009. Im Oktober, also etwa zwei Monate zuvor, ist ein Ereignis eingetreten, das meine Lebensplanung so stark beeinflusste, wie nichts anderes in den letzten zwei Jahrzehnten, auch nicht die Trennung von meiner Familie. Es wurde von mir etwas verlangt, das mein Leben in einer Weise umkrempeln würde, dass ich das in den nächsten Jahren nicht mehr ausführen könnte, was mir das Wichtigste war, ja, dass ich es vielleicht nie mehr könnte. Es wurde von mir verlangt – nur Monate nachdem ich nach Gelnhausen gekommen war und gerade einmal zwei Monate nachdem ich unter großem Aufwand und Mühen das Projekt „Meditation am Obermarkt“ gestartet hatte, dieses aufzugeben, bzw. für einige Jahre zurückzustellen.  Es schien aber die einzige Möglichkeit zu sein, um das zu bekommen, wonach ich in den letzten 15 Jahren strebte, wie nach nichts anderem, nämlich nach Ordination im Triratna-Orden. Es war ungefähr so, als müsste ich einem Inhalt abschwören, um einen Status zu erreichen.

Dieses Ereignis war so plötzlich über mich hereingebrochen, so von einem Tag auf den anderen, dass ich äußerst verunsichert war, dass mir Zweifel aufkamen: ist denn das richtig, was ich mache, wenn es so starke Kräfte im Triratna-Orden gibt, die das anders sehen. Es war letztendlich das klassische Dilemma: standhaft bleiben und die große Belohnung versagt bekommen oder sich anzupassen und diese Belohnung einzuheimsen. Ich hatte einige sehr unangenehme Wochen. 


Ende Dezember 2009 saß ich dann des Morgens hier auf meinem Meditationssitz und versuchte wieder zu meditieren, versuchte mich auf den Atem zu konzentrieren und das andere, das mich doch so heftig beschäftigte, freundlich aber bestimmt zur Seite zu schieben. Und da geschah es: plötzlich sah ich den Buddha vor mir, klar und deutlich. Nicht hier im Meditationsraum, wir waren draußen in freier Natur, vermutlich dort, wo der Buddha zu Lebzeiten war: in Nordindien. Er saß in Meditationshaltung in einiger Entfernung vor mir, sein Gesicht strahlte Weisheit und Freundlichkeit aus.  Ich ging langsam auf ihn zu. In diesem Bild war so viel Ruhe, so ungeheuer viel erhabene Sanftheit, die ich in den letzten Wochen doch so schmerzlich vermisst hatte. Da saß der Buddha, und er saß vor dem Bodhi-Baum, vor dem Baum der Erleuchtung. Ehrfurchtsvoll näherte ich mich ihm.

Der Buddha sah mich an und ich wusste: er kann in meinen Geist sehen, er kann in mir lesen wie in einem Buch. Und, als er mich so ansah, zeigte sich ein ebenso verstehendes wie auch gütiges Lächeln auf seinem Gesicht.  Und dann geschah etwas, womit ich niemals gerechnet hätte: der Buddha verfärbte sich, ganz allmählich, dann immer deutlicher - und schließlich saß er in einem tiefen Blau vor mir. Und noch während er die Farbe wechselte, bewegte er seine rechte Hand langsam nach vorne und zeigte die Erdberührungsgeste. Er sagte kein einziges Wort. Mitunter kommuniziert ein Buddha mit Worten, mitunter durch Mythen, manchmal durch Gesten, gelegentlich durch Schweigen. An diesem Tage kommunizierte er nicht durch Worte, sondern durch eine Sprache, die viel klarer und viel subtiler war.  Er sah mich weiter an und lächelte.

Auch ich sprach nicht, das war auch gar nicht nötig, denn er konnte in meinem Geist lesen. Und ich dachte: er will mir sagen, ich solle standhaft bleiben, unerschütterlich, nicht nach Status und Anerkennung streben. Und wie zur Bestätigung traten aus dem Dschungel rechts und links vom Buddha zwei mächtige Elefanten hervor, Symbole der Unerschütterlichkeit. Die ganze Szene war so lebensecht, dass ich mich wirklich wie in Indien vor 2500 Jahren fühlte. 

 
Aber dennoch stiegen in mir erneut Zweifel auf: wenn andere, meine Freunde, eine Änderung von mir verlangten, wäre es dann nicht furchtbar unsensibel, das nicht zu beachten. Das mit der Unerschütterlichkeit wie ein Elefant mag ja ganz nett sein, aber eigentlich wollte ich Weisheit und Mitgefühl entwickeln - und nicht so ein Dickhäuter werden.  Der Buddha, der mir noch immer in die Augen blickte, sah nicht nur meinen Zweifel, er bemerkte auch welche Metapher ich verwendet hatte: unsensibler Dickhäuter – und nun musste er wirklich breit lächeln. Der Elefant rechts vom Buddha hatte den Erleuchteten die ganze Zeit aus den Augenwinkeln betrachtet, nun nickte der Erleuchtete ihm zu und das große Tier schien verstanden zu haben, was der Buddha ihm – in völligem Schweigen – gesagt hatte.

Der Elefant kam langsam auf mich zu. Nun stand er direkt vor mir, er erhob seinen Rüssel und mit dem fingerartigen Teil an seiner Rüsselspitze strich er mir so zärtlich über meine Wange, wie ich noch nie zuvor eine Zärtlichkeit empfunden hatte.  Und ich verstand: Unerschütterlichkeit muss keineswegs mit unsensibler Dickfelligkeit einhergehen, sie kann auch äußerst feinfühlig sein. Und während sich auf meinem Gesicht der Ausdruck des Verstehens breit machte, ließ das Bild vor meinen Augen, der Buddha unter dem Bodhi-Baum und die beiden Elefanten, allmählich an Kraft nach, verblasste und verschwand schließlich ganz.  Und hätte ich vorher noch nicht gewusst, wozu das Mandala der fünf jinas da ist, wieso man den historischen Buddha in verschiedene Aspekte aufgliedert, spätestens seit diesem Tage wäre es mir klar gewesen. 

Am nächsten Tag schrieb ich dem Mann, der mir den Entschluss des Triratna-Gremiums, nämlich ich könne wegen meiner derzeitigen Aktivitäten in Gelnhausen nicht ordiniert werden, weil ich dadurch zu viel Kraft von meinem Ordinationsprozess abzöge, ich müsse viel mehr an mir selbst arbeiten als zu unterrichten. Ich schrieb dem Mann, der mir diese Botschaft überbracht hatte und der mein Begleiter im

Ordinationsprozess ist – und mein Freund – eine lange E-Mail. Ich beschrieb in der Mail diese meine Meditationserfahrung, meine Begegnung mit Aksobhya. Eigentlich hatte ich erwartet, dass jetzt eine umständliche Erklärung seinerseits folgen würde, warum ich die Sache falsch sehe. Doch die Mail, die ich daraufhin von ihm erhielt, war sehr kurz, sie lautete: „…gegen Ashobya kann man nichts einbringen. Deshalb verneige ich mich für den Buddha und antworte auf deinen Brief mit (Vimalakirtis) Schweigen. Alles Gute“.

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