Der zweite Anker
Vortragsreihe „Meditation“
, Teil IV
 von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt (2012)
zuletzt geändert am 8. Oktober 2019
 
Wenn wir meditieren, wenn wir zu meditieren versuchen, treten häufig Hindernisse auf. Ich habe die fünf Gruppen von Hindernissen, die in Meditation auftreten, die fünf Hindernisse, die schon der Buddha beschrieben hat, in einem meiner letzten Vorträge benannt. Es sind dies
 
 
Ich habe in meinem letzten Vortrag diese Hindernisse erläutert und darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, diese Hindernisse, diese Feinde der Meditation, zu identifizieren. Ich werde in den nächsten Wochen über verschiedene Techniken sprechen, wie man diese Feinde bekämpfen kann.
 
Heute habe ich vor, über zwei Anker zu sprechen, an denen wir unsere Meditation fester verankern können, wann immer die Wogen der fünf Hindernisse unser Schiff der Meditation zum Kentern bringen wollen. 
 
Den ersten Anker kennen wir schon. Es ist unser Atem. Die Atembetrachtung dient dazu, unseren Geist zu beruhigen, daher üben wir Atemmeditation. Die Vergegenwärtigung des Atems kann uns aber auch ansonsten helfen, uns zu beruhigen. Nicht umsonst heißt es, dass wir, wenn uns etwas erschüttert, verunsichert, erregt, dass wir dann erst dreimal tief durchatmen sollen, bevor wir agieren, ganz gleich, ob dieses Agieren ein Agieren durch Handeln, ein Agieren durch Reden oder ein Agieren durch Denken ist. Es ist immer gut, zunächst tief durchzuatmen, auf den Atem zurück zu kommen und so klarer zu werden.

Das Gleiche gilt natürlich auch in unserer Meditation. Wann immer ein Hindernis auftritt, können wir es dadurch bekämpfen, dass wir zu unserer festen Verankerung im Atem zurückkommen. Das ist der Grund, warum ich in geleiteten Meditationen gewöhnlich mit der Anweisung beginne, erst einige Atemzüge den Atem zu betrachten. Das ist auch der Grund, warum ich in vielen geleiteten Meditationen die Anweisung gebe, dass du – was immer ich sage – auf deinen Atem achten sollst. Und das ist auch der Grund, warum viele geleitete Meditationen den Hinweis haben: einatmend, weiß ich das und das, ausatmend tue ich dieses und jenes.

 
Wir können also in jeder Meditation, also auch in der metta bhavana, auf unseren Atem zurückkommen, wenn ein Hindernis auftritt. Wir betrachten einfach einige wenige Atemzüge lang den Atem und wenden uns dann wieder unserem spezifischen Meditationsobjekt zu. Das ist kein „Verrat am Meditationsobjekt“, denn wir machen das ja nur, wenn ein Hindernis auftritt und auch nur in der Absicht, das Hindernis abzustellen. Der Atem ist also unser erster Anker.
 
Im anapanasati sutta, der Lehrrede, in welcher der Buddha die Atemachtsamkeit erläutert, bezeichnet er den Atem als Körpergestalter, weil wir mit dem Atem unseren Körper beeinflussen können, weil wir ihn also letztlich damit gestalten können. 
 
Natürlich gestalten wir den Körper auch mit anderen Tätigkeiten, zum Beispiel durch Essen oder durch Trinken, vielleicht auch durch Piercing oder Frisieren. In der Meditation gestalten wir den Körper aber nur durch den Atem, denn da essen wir nicht, trinken wir nicht und lassen uns auch keinen Bolzen durch irgendein Körperteil treiben. 
 
Atmen wir in der Meditation flacher und schneller, dann putschen wir uns auf, dann bekämpfen wir Müdigkeit. Atmen wir bewusster im Kopfbereich, dann hat das auch den Effekt, Mattigkeit zu bekämpfen. Atmen wir hingegen mehr im Bauchbereich, dann bekämpfen wir damit Unruhe und Aufgeregtheit. Das gleiche gilt, wenn wir langsam und tief atmen. Der Atem ist also der Körpergestalter.

Ein Grund, warum Menschen mit Übergewicht – wie ich – häufig an hohem Blutdruck leiden, ist, dass sie aufgrund ihrer Körperfülle gepaart mit beengender Kleidung und einer Körperhaltung, die den Körper dazu bringt, beim Einatmen nicht so tief atmen zu können, eben flach atmen und dadurch ihren Blutdruck unwillkürlich nach oben treiben. Als ich von dem Satz hörte, dass der Atem der Körpergestalter sei, habe ich begonnen damit zu experimentieren und festgestellt, dass ich allein durch verändertes Atmen meinen oberen Blutdruckwert relativ einfach um 30 Punkte und den unteren um 20 Punkte verändern kann. Und einmal mehr zeigte sich mir, dass der Buddha recht hat: der Atem ist der Körpergestalter.

 
Im anapanasati sutta spricht der Buddha aber noch eine zweite Interdependenz an, er sagt auch, dass der Körper der Geistgestalter sei. Das gilt natürlich auch in die andere Richtung, daher spreche ich von Interdependenz, nämlich der Geist ist auch der Körpergestalter. Das ist der Grund für viele psychosomatische Erkrankungen. Psychosomatische Interdependenz also Geist-Körper- Interdependenz, heißt übrigens in pali nama-rupa und ist auf dem Bild im Meditationsraum der zwölf zyklischen nidanas, der Kettenglieder bedingten Entstehens, als viertes dargestellt, worauf ich heute jedoch nicht näher eingehen möchte, denn unser Thema ist ja Meditation.
 
Und in der Meditation haben wir mit einem unruhigen Geist, mit unserem Affengeist – übrigens in dem Bild der zwölf Glieder bedingten Entstehens mit Nr. 3 vinnana (Bewusstsein) bezeichnet – zu tun, und Ziel ist es, unseren Affengeist zu beruhigen, aus dem Affengeist einen homo-sapiens-Geist zu machen, den Geist eines weisen Menschen, in der Meditation also an unserer Evolution zu arbeiten. Und daher ist die Feststellung aus dem anapanasati sutta, dass der Körper der Geistgestalter sei, so wichtig. Und jetzt sollte auch deutlich werden, warum der Titel meines Vortrages „Der zweite Anker“ heißt. Wir haben nämlich außer dem Atem noch einen zweiten Anker, unser Schiff der Meditation in den Wogen der Hindernisse fest zu verankern und vor dem Kentern zu bewahren, und dieser zweite Anker ist der Körper.
 
Ebenso wie wir in der Meditation immer wieder auf den Atem zurückkommen können, können wir auch immer wieder auf den Körper zurückkommen. Daher benennt der Buddha im satipatthana sutta, der Lehrrede von den Grundlagen der Achtsamkeit, den Körper als erste Grundlage, als Fundament für die Achtsamkeit. Und daher ist neben der Atembetrachtung und der metta bhavana, die unseren Emotionen positiv beeinflussen soll, das sog. body-scanning eine häufig geübte Meditation.
 
Heute geht es mir jedoch nicht um die Übung einer eigenen Meditationsform, eben dem body-scanning, sondern um die Integration der Körperachtsamkeit in jede beliebige Meditationspraxis, also z. B. in die Atembetrachtung und die metta bhavana. Wann immer Hindernisse auftreten, kannst du neben dem Zurückkommen auf den Atem zur Beruhigung auch auf den Körper zurückkommen. Vergewissere dich deiner Körperhaltung. Allerdings nicht in dem Sinne, jetzt eine andere Körperhaltung einzunehmen, das würde ja gerade Unruhe und Nervosität Vorschub leisten, sondern eben nur, um achtsam zu sein. 
 
Und damit sind wir dabei zu untersuchen, inwiefern unsere Körperhaltung unsere Meditation unterstützen kann. Und das wiederum bedeutet, dass wir vor Beginn unserer Meditation die größtmögliche Achtsamkeit darauf lenken müssen, eine gute Sitzhaltung zu haben. 
 
In einer guten Sitzhaltung ist der Körper gerade aufgerichtet. Wir sitzen auf drei Punkten auf, die möglichst weit voneinander entfernt sein sollten, das gibt uns Stabilität. Die Arme sind so positioniert, dass der Brustkorb geöffnet ist und ein tiefes Durchatmen möglich ist. Die Hände liegen auf. Alle unsere Muskeln sind entspannt. Wir haben durch Polsterung dafür gesorgt, dass keine Druckstellen uns während der Meditation unnötig behindern. Wir haben durch angemessene Bekleidung, gegebenenfalls durch Decken, dafür gesorgt, dass unser Atem gut fließen kann, kein Körperteil unnötig eingequetscht wird und eine der Meditation zuträglich Temperatur herrscht, also ein kühler Kopf und ein angenehm warmer Rest des Körpers.
 
Ziel ist es, sowohl relativ schmerzfrei, als auch ganz stabil zu sitzen. „Sitzen wie ein Berg“ nennen wir das. Ein Berg ist etwas ungemein Stabiles, er steht felsenfest, unbeweglich. Zwar gibt es hin und wieder Bergrutsche, aber doch höchst selten. Genau so selten sollten wir uns in der Meditation bewegen müssen.
 
Wenn wir in der Meditation also unsere Achtsamkeit auf den Körper richten, und wenn wir dann sehen, wie unser Körper tatsächlich all diesen Kriterien entsprechend gut ausgerichtet sitzt, so gibt uns das nicht nur physische, sondern auch psychische Stabilität. Somit ist der Körper ein positiver Geistgestalter. Du kannst dich an deiner guten Sitzhaltung erfreuen. Solltest du feststellen, dass deine Kopfhaltung etwas suboptimal ist, weil dein Kinn vielleicht etwas zu weit Richtung Brustbein gesunken ist, wäre es an der Zeit, deinen Kopf sehr langsam und achtsam wieder in die richtige Haltung zu bringen. Solltest du feststellen, dass deine Wirbelsäule etwas eingesackt ist und du einen Rundrücken bekommen hast, so wäre es jetzt an der Zeit langsam und achtsam den Rücken wieder etwas aufzurichten – und dir zu merken, woran dieses Zusammensacken gelegen haben kann, vielleicht an einem zu niedrigen oder zu wenig schrägen Kissen. Dann solltest du die Lehre daraus ziehen, vor deiner nächsten Meditationssitzung diesen Mangel zu beheben. 
 
Diese klar aufgerichtete Körperhaltung kannst Du auch dadurch unterstützen, dass du dir vorstellst, oben an deiner Schädeldecke sei eine Art Gummiband befestigt, das ganz nach hoch oben zur Decke, vielleicht sogar zum Himmel geht und das dich in deiner Körperhaltung unterstützt. Dann sitzt du noch stabiler, du bist dann nicht nur beim Sitzen wie ein Berg geerdet, verbunden mit diesem wunderbaren Planeten, der all dieses Leben hervorgebracht hat und sich ständig weiter entwickelt, du bist auch verbunden mit dem Himmel, mit einem höheren Bewusstsein, du hast also Wurzeln nicht nur in der Erde, du hast auch Wurzeln im Himmel, und diese Wurzeln versorgen dich mit den Nährstoffen, die du zum spirituellen Wachstum brauchst. Damit wirst du mehr und mehr zu einem himmlischen Wesen. Fest sitzend auf der Erden und verwoben im Himmel, so doppelt gestützt schreitest du in deiner Meditation voran, emanzipierst dich mehr und mehr aus der niederen Evolutuion, aus der du kommst, und richtest dich auf das Ziel der Höheren Evolution aus, auf spirituelles Wachstum, auf Vollkommenheit, auf Buddhaschaft.

Ähem. Zurück auf die Erde und zu meinem Vortrag. Vermeide nach Möglichkeit andere als die genannten Bewegungen, also die des Kinnaufrichtens und des Rückenstraffens. Sitze also wie ein Berg und hample nicht wie ein Affe. Lass dein Affengeist nicht deinen Körper gestalten – denn du brauchst keinen Affenkörper. Lass vielmehr deinen Körper – durch Sitzen wie ein Berg und durch die Wurzeln im Himmel – deinen Geist gestalten, deinen Geist ruhig und achtsam werden, denn du brauchst den Geist des homo sapiens sapiens, wenn du dich weiter entwickeln möchtest, wenn du evolvieren möchtest, wenn du dich auf der Evolutionsachse zwischen Affe und Buddha, dem Vollkommenen, in Richtung auf den Letztgenannten hinbewegen möchtest.
 
Was ist aber, wenn da ein unschönes Gefühl ist, nehmen wir an ein Jucken an der Nase oder eine Druckstelle am Bein? Nun das erste, was du machen musst, ist Feststellen, dass da ein Hindernis ist. Also: da ist Greifen nach Sinnenseindrücken in mir, gepaart mit Abneigung gegen diese Empfindung. In leichten Fällen tritt nun der Rumpelstilzchen-Effekt ein: das Hindernis, der „Dämon“ ist erkannt und benannt, der Dämon kann verschwinden. 
 
In vielen Fällen ist er aber hartnäckiger als Rumpelstilzchen und tut es nicht. Dann akzeptierst du einfach, dass er da ist. Also: da ist ein Jucken in der Nase oder eine Druckstelle am Bein – und das ist in Ordnung. Du hast einen Körper, also gibt es auch Körperempfindungen, manche sind angenehm, manche unangenehm. So ist das eben. Und dann wendest du dich wieder deinem Meditationsobjekt zu. 
 
Manchmal meldet sich die Empfindung jetzt aber sehr hartnäckig, so hartnäckig, dass sie dich von deinem Meditationsobjekt ablenkt. Dann solltest du auch das akzeptieren. Wenn die Empfindung stärker ist als dein Meditationsobjekt, dann mache sie eben zu deinem Meditationsobjekt. Betrachte die Druckstelle am Bein mit Achtsamkeit. Erforsche dein Gefühl dort ganz genau: wie fühlt es sich an? Ist es ein pochendes Gefühl, ist es ein taubes Gefühl, ein kratzendes Gefühl ein kribbelndes oder was auch immer. Sei ganz achtsam! Erforsche die Qualität dieses Gefühles in allen Nuancen. Und achte auch darauf, wie sich das Gefühl verändert. Ändern sich die Schattierungen dieser Nuancen? Ändert sich die Intensität dieses Gefühles? Viele derartige Empfindungen nehmen zunächst zu und dann wieder ab, schließlich verschwinden sie. Und dann kannst du wieder zum ursprünglichen Meditationsobjekt zurückkehren. 
 
Was ist aber, wenn der Schmerz nicht nachlässt, wenn er immer stärker wird, wenn er sich in Richtung unerträglich verändert? Nun dann solltest du zunächst die Bedingungen untersuchen, aufgrund derer diese Empfindung entstanden ist. Was an deiner Sitzhaltung, an deiner Kleidung hat diese Empfindung entstehen lassen. So kannst du daraus lernen, dich vor der nächsten Meditation so zu setzen, dass dieses Gefühl nicht mehr entsteht. Und wenn du das herausgefunden hast, dann überlege dir, wie du deine Sitzhaltung möglichst mit wenig Aufwand so verändern kannst, dass du in eine Haltung kommst, bei der das Problem beseitigt ist, ohne dass ein anderes entsteht. Sei dir also der Risiken und Nebenwirkungen deiner kommenden Bewegung bewusst. Und wenn du ganz sicher bist, welche Körperveränderung das gewünschte Resultat haben wird, dann warte bis zum nächsten Schlagen der Meditationsglocke, um sie auszuführen.
 
Auf diese Art machst du auch den Schmerz zu deinem Lehrmeister. Also vergiss nicht, dich bei deinem Schmerz zu bedanken, dass er dir die Möglichkeit gegeben hat, etwas zu lernen.
 
Um es noch einmal knapp zusammen zu fassen: wann immer dein Schiff der Meditation in Seenot ist, bringe es in die schützende Bucht deiner Achtsamkeit und setze ein oder zwei Anker. Deine beiden Anker sind die Atemachtsamkeit und die Körperachtsamkeit. Und wann immer die schützende Bucht der Achtsamkeit und zwei starke Anker vorhanden sind, kann kein Schiff in Seenot geraten.
Zu Meditation am Obermarkt

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