Frauen in den Orden?
eine Geschichte aus dem Palikanon - nacherzählt von Horst Gunkel
© Copyright by Horst Gunkel - letzte Änderungen 2016-04-26
Es war schon eine lange Zeit vergangen, seit der in die Hauslosigkeit gezogene Prinz Siddharta zum Buddha geworden war, gewiss schon zwanzig Jahre. Die Zahl der buddhistischen Mönche betrug viele Tausende, vermutlich Zehntausende. Neben diesen Mönchen gab es zahlreiche Laienanhänger und Laienanhängerinnen, also Männer und Frauen, die den Buddha als ihren spirituellen Lehrer ansahen und von diesem als Schülerinnen und Schüler angesehen wurden, jedoch ein eher konventionelles Leben in Häusern und Familien führten. Was es jedoch nicht gab - noch nicht gab - waren ordinierte Frauen.

Die buddhistische Mönchssangha hatte sich entwickelt aus einer Gruppe von Sramaneras, also von in die Hauslosigkeit gezogenen sozialen Aussteigern, die auf der Suche nach spiritueller Verwirklichung waren. Diese Bewegung zählte damals in Indien nach Hunderttausenden, es war gewissermaßen neben dem Brahmanismus - dem heutigen Hinduismus - die zweite große religiöse Bewegung Indiens.

Eine immer bedeutender werdende Gruppe dieser Sramaneras waren die Mönche der Sangha, der spirituellen Gemeinschaft derer, die dem Weg des Buddha, dem Buddha-Dharma, folgten.

Indien war damals nicht nur nach Kasten eingeteilt, sondern es gab auch, wie in den meisten traditionellen Gesellschaften, eine klare Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern, und natürlich war auch Indien, wie praktisch alle entwickelten Staaten der damaligen Zeit, eine patriarchalische Gesellschaft.

War es inzwischen gesellschaftlich akzeptiert, dass spirituell Suchende in die Hauslosigkeit zogen, so war es ganz und gar undenkbar, dass Frauen solches tun könnten.

Neben der sozialen Stellung der Frau, die, wenn sie denn in die Hauslosigkeit hätte ziehen wollen, ihre Eltern oder ihren Ehemann hätte um Erlaubnis bitten müssen, und neben den auch für die Männer in der Hauslosigkeit existierenden Gefahren, gab es für die Frauen offensichtlich die zusätzliche Gefährdung, dass - wenn sie allein in die Wälder gezogen wären - sie wie selbstverständlich als Freiwild für Vergewaltiger gegolten hätten.

Sich aber männlichen religiös Suchenden anzuschließen, wäre ganz unmöglich gewesen, suchten diese doch gerade Freiheit vom "Luxusleben", und Frauen waren in der patriarchalischen Gesellschaft - natürlich ein besonderer "Luxusartikel", eine beständige Bedrohung für die sexuelle Enthaltsamkeit, die als hohes Gut galt. Und selbstverständlich waren sie ebenso eine Bedrohung für den Ruf der jeweiligen spirituellen Gemeinschaft. Während einzelne Sramaneras - oder auch Gruppen von ihnen - als religiöse Sucher galten, deren Unterstützung z. B. durch Essensspenden verdienstvoll ist, wären gemischtgeschlechtliche Gruppen als sittenlose Vagabunden verschrien gewesen, so dass dergleichen für spirituell Suchende schlicht unmöglich gewesen wäre.

Dennoch muss es wohl einige Frauen gegeben haben, denen diese strenge Einteilung nicht einleuchtete. Im Brahmanismus, der damals herrschenden Religion, heute würden wir Hinduismus dazu sagen - war die Rolle der Frau ebenso klar definiert wie die Rolle der Tiere oder der unteren Kasten und der Kastenlosen, der Unberührbaren. Entsprechend deiner Taten im vergangenen Leben - so glaubten die Brahmanen - bist du in diesem Leben sozial gebunden, du bist entweder Tier, oder du bist Angehöriger einer niederen Kaste, du bist möglicherweise Angehöriger einer höheren Kaste, oder du bist Frau. Jeder und jede hat so ihre klar definierte soziale Stellung, und ein Wunsch nach Änderung wäre nichts anderes als ein Aufbegehren gegen die göttliche Ordnung, so lehrten es die Brahmanen. Also hatte die Frau nicht aufzubegehren, sondern sich demutsvoll der göttlichen Ordnung zu unterwerfen, eine angemessen dienende Rolle zu spielen und, wenn sie denn ihrem Mann Söhne gebar und ordentlich alle Pflichten erfüllte, so winkte ihr eine bessere Wiedergeburt, vielleicht sogar als Mann.

Genauso unüberwindlich wie die Geschlechtsschranke war die Kastenschranke. Auch hier war der einzige Ausweg in der hinduistischen Gesellschaft die Wiedergeburt in einer höheren Kaste aufgrund guter Verdienste in diesem Leben.

Gegen diese Lehre der Brahmanen stand die Lehre des Buddha. Sie besagt: entscheidend ist nicht, wo du herkommst, sondern wo du hingehst. Das heißt nichts anderes, als dass man in jedem Augenblick seines Lebens in der Hand hat, wie man sich verhält. Durch ethisches Leben und geschicktes Handeln ist man jederzeit in der Lage, sein Schicksal vom nächsten Moment an mitzugestalten, nicht erst nach einer Wiedergeburt. Aus genau diesem Grund konnten Männer aller Kasten und auch Kastenlose in die Sangha des Buddha ordiniert werden, selbst Verbrecher, wie z. B. Angulimala konnten aufgenommen werden, wenn sie denn ihren Lebenswandel tiefgreifend und nachhaltig geändert hatten.

Eigentlich, so könnte man meinen, lag die Frage in der Luft, warum das, was für Angehörige niederer Kasten und für Kastenlose sowie für Verbrecher gelten sollte, dann nicht auch für Frauen Geltung haben müsste. Lange schien jedoch niemand diese Frage zu stellen bis...

Ja, bis der Buddha eines Tages wieder in Kapilavattu weilte, der Hauptstadt der Republik Shakya, aus der er stammte. Er war der Sohn des Herrschers von Shakya, und man hatte ihm nach langer Zeit verziehen, dass er seine Familie verlassen hatte. Allerdings folgten ihm, wann immer er in seine Heimatstadt kam, angesehene Männer aus gutem Hause in die Einsamkeit um nach Erleuchtung zu suchen, so u.a. sein Sohn Rahula sowie Ananda, Nanda und viele andere.

Daher waren die Gefühle der herrschenden Schicht durchaus gemischt, wann immer der Buddha die Hauptstadt betrat. Schon wenn man nur hörte, der Buddha sei nur noch wenige Tagesmärsche entfernt, er nähme Kurs auf Kapilavattu - sofort gab es Spekulationen, wer denn diesmal dem Buddha folgen würde. Aber auch diejenigen, die dafür in Frage kamen, meist junge Männer ohne familiäre Verpflichtungen, fragten sich, ob sie denn dem Buddha folgen sollten. Inzwischen waren jedoch praktisch keine ungebundenen jungen Männer mit spirituellen Tendenzen mehr übrig, so dass das Establishment von Sakya dem Besuch des Buddha gelassen entgegen sehen konnte.

In den vornehmen, gebildeten Kreisen von Kapilavattu gab es damals einen gewissen Frauenüberschuss, was nicht verwunderlich war, denn zahlreiche Männer aus gutem Hause waren in den vergangenen Jahren dem Buddha in die Haus- und Ehelosigkeit gefolgt.

Diese Frauen, nicht von Männern behütet, untereinander in Kommunikation und häufig ohne eheliche Pflichten, waren empfänglich für vermeintlich dumme, völlig unakzeptable Gedanken. Die angesehenste unter den  Frauen aus gutem Hause war Mahaprajapati Gotami. Mahaprajapati Gotami war die Schwester von Prinz Siddhartas leiblicher Mutter Maja, die nur wenige Tage nach der Geburt des Knaben, des späteren Buddha, starb. Sie war außerdem eine der Nebenfrauen des Raja (des Herrschers) von Sakya, dieser hieß Suddhodana. Und was in diesem Zusammenhang vielleicht noch wichtiger ist, Mahaprajapati Gotami war die Amme Siddhartas, die ihn nach dem Tod seiner Mutter säugte und ihm zur sozialen Mutter wurde.

Der Buddha war, wie üblich, wenn er in Sakya weilte, im Palast eingeladen, man speiste miteinander und tauschte Höflichkeiten aus, man erzählte sich, was inzwischen vorgefallen war, und oft wurde der Buddha auch gebeten, eine  Dharma-Geschichte zu erzählen. Als die Feierlichkeiten sich dem Ende zuneigten, wuchs die Spannung: wenn der Buddha nun gehen würden, würden wieder junge Männer aus gutem Hause aufstehen und um Aufnahme in die Mönchssangha bitten? Und wenn ja - wer? Eine knisternde Spannung lag über der Festgesellschaft, allein einer schien völlig entspannt zu sein: der Buddha. Wusste er noch nicht, dass wenige Augenblicke später etwas geschehen sollte, das selbst einen großen Weisheitslehrer aus der Fassung bringen könnte?

Als die Zeit gekommen war, verabschiedete sich der Buddha vom Herrscher und von den Edelmännern, und er wollte sich dann Mahaprajapati Gotami zuwenden, als diese aufstand, dem Buddha fest in die Augen blickte und laut und vernehmlich, so dass jeder es hören konnte, sprach: "Erhabener, viele edle Menschen sind mit Euch in die Hauslosigkeit gezogen, folgen dem Dharma, der Lehre, die Ihr verkündet habt und befinden sich auf dem Pfad der Erlösung oder sind bereits erlöst. Herr, auch ich möchte in die Hauslosigkeit ziehen, nehmt mich in die Sangha der edlen Menschen auf!"

Das war unerhört! Das war praktisch die traditionelle Formel, mit der sich in der Vergangenheit an gleicher Stelle Männer offenbart hatten, die dem Buddha folgen wollten - und immer akzeptiert wurden - nur dass diesmal statt des Ausdrucks "Sangha edler Mönche" der Terminus "Sangha edler Menschen" verwendet wurde, gerade so, als ob es rechtlich und tatsächlich nicht gewaltige Unterschiede zwischen Männern und Frauen gäbe! Trotz der großen Festgesellschaft: jetzt hätte man eine Stecknadel fallen hören können.

"Das ist absolut unmöglich!" entgegnete der Buddha und war sich bei diesem Urteil erstmals des Beifalls aller Anwesenden sicher - zumindest aller anwesenden Männer. Jeder erwartete jetzt, dass sich Mahaprajapati Gotami kleinlaut hinsetzen müsse oder heulend weglaufen, doch sie tat nichts dergleichen, sondern noch etwas mindestens genauso Unerhörtes wie ihre erste Rede. Diesmal jedoch war es nur ein Wort, das sie an den Buddha richtete: "Warum?"

Wohl die Tatsache, dass sie ihn gesäugt hatte, so nahmen die Anwesenden an, verlangte vom Buddha ihr gegenüber überhaupt zu antworten. Er sprach klar und vernehmlich: "Es ist unmöglich für die Reputation der Sangha, wenn Frauen ihr folgen, und es ist ebenso unmöglich, eine Frau allein in die Hauslosigkeit ziehen zu lassen. Männer und wilde Tiere würden dir gefährlich werden."

Das war´s, der Buddha wollte sich gerade zum Gehen wenden, doch Mahaprajapati Gotami war noch nicht fertig: "Haltet ein, Buddha, mit dem ersten Argument mögt Ihr Recht haben, aber das zweite zieht nicht. Nicht, wenn ich nicht allein bin!" Sprach´s und wandte sich um: "Edle Frauen von Kapilavattu, wer von euch ist bereit, mit mir gemeinsam auf dem Pfad des Buddha zu wandeln und in die Hauslosigkeit zu ziehen, um nach Erleuchtung zu suchen?"

Eine weitere Frau erhob sich, eine zweite, dann noch eine - schließlich waren es Dutzende von Frauen, die sich erhoben hatten, und von überall tönte es selbstbewusst. "Ich."-  "Ich!"- "Ich auch!" "Ich bin dabei."

Nicht wenigen Männern lief es eiskalt den Rücken herunter, sie bekamen Gänsehaut und ihre Haare sträubten sich: eindeutig eine Verschwörung, ein Weiberaufstand, das konnte nicht spontan sein, das musste abgesprochen sein! Ein Skandal ohnegleichen!

"Schluss damit, das ist unmöglich, definitiv unmöglich!" sagte der Buddha und wandte sich an seinen Sekretär: "Komm Ananda!" Dieser machte eine achselzuckende Bewegung in Richtung der Frauen und folgte dann dem Buddha. Ohne sich noch einmal umzublicken reiste der Buddha ab und wanderte die ganze Nacht hindurch. Schweigend. In angemessenem Abstand folgte Ananda.

Doch sehen wir uns an, was inzwischen in Kapilavattu geschah, wo der "Weiberaufstand" der Festgesellschaft die Sprache verschlagen hatte.

"Edle Frauen," rief jetzt Mahaprajapati Gotami, "folgt mir zur Beratung!" Das Entsetzen der Männer und natürlich auch der vielen Frauen, die sich nicht an dem "Weiberaufstand" beteiligt hatten, war groß. Herrschte vorher beklemmende Stille, so entstand jetzt ein erhebliches Palaver, genug Gesprächsstoff für die halbe Nacht. Der Likör floss reichlich, und man echauffierte sich mehr und mehr.

Aber auch bei den ausstiegswilligen Frauen ging es hoch her.

"Es war gut so, gemeinsam aufgetreten zu sein, wir Frauen sind nichts Schlechteres als die Männer, wir haben genau so das Recht, Sramaneras zu werden", war eine Meinung.

"Es war ausgesprochen ungeschickt", so argumentierten andere, "der Buddha lässt uns nicht in die Sangha und die anderen zerreißen sich jetzt über uns die Mäuler. Die nächsten Tage, Wochen, ach, was sag´ ich: die nächsten Jahre werden für uns die Hölle sein. Wir haben die Männer in ihrem Selbstverständnis angegriffen und müssen uns jetzt wieder demütig unter ihre Herrschaft begeben."

Schließlich ergriff Mahaprajapati Gotami das Wort: "Schwestern, ihr habt Recht. Du hast Recht, Mala, wenn du sagst, es war an der Zeit ein Zeichen zu setzen, dass wir nichts Schlechteres sind als die Männer und dass wir das gleiche Recht auf spirituelle Entwicklung haben. Und auch du, Schwester Purima, hast Recht, dass es die Hölle für uns wäre, wenn wir jetzt kleinlaut an Heim und Herd zurückkehren würden. Genau das dürfen wir nicht tun. Ist euch eigentlich aufgefallen: der Buddha hat zweimal abgelehnt. Erst eine dreifache Ablehnung ist nach alter Väter Sitte rechtsgültig. Nach alter Mütter Sitte übrigens auch! Außerdem hat der Buddha Bedenken, wir seien zu schwach für das Leben auf der Straße. Beweisen wir ihm das Gegenteil! Ich habe mit Ananda gesprochen und weiß, wohin der Buddha von hier aus gehen wird. Er will eine große Gruppe Mönche flussabwärts treffen, das ist ein weiter Weg: 120 Meilen. Lasst uns ihm folgen und ihm dann nach 120 Meilen erneut fragen. Dann, wenn er sieht, dass wir den Strapazen des Lebens in der Hauslosigkeit gewachsen sind."

Es gab noch weitere Argumente für und wider, aber schließlich setzte sich allgemein die Erkenntnis durch, dass Mahaprajapati Gotamis Vorschlag der einzige sei, bei dem das Selbstbewusstsein und die Entschlossenheit der Frauen keinen Schaden nehmen würde, und außerdem der einzige Weg, auf dem die Verwirklichung, die Erleuchtung, noch in diesem Leben möglich sei. Beim Morgengrauen verließen die Frauen die Stadt - unbemerkt, denn die Festgesellschaft schlief ihren Rausch aus.

Einige Tage später saßen der Buddha und die Mönche, die er 120 Meilen flussabwärts besuchte, beisammen und er sprach gerade mit ihnen über den Dharma, als einige Unruhe durch die hinteren Reihen der sonst so schweigsamen Mönchsversammlung ging. Auch der Buddha sah auf. Das konnte nicht wahr sein! Hier, nur wenige Tage nach dem Zwischenfall in Kapilavattu, erschien Mahaprajapati Gotami, 120 Meilen von seiner letzten Begegnung mit ihr entfernt, offensichtlich ohne männliche Begleitung, ohne Pferd und Wagen und ohne Elefanten, verschwitzt und vom Staub der Landstraße bedeckt und mit ihr Dutzende weiterer Frauen, gezeichnet von den Strapazen des ungewohnten Marsches, aber auch von einer wilden Entschlossenheit.

Keine der Frauen sagte etwas. Auch das Raunen der Mönche war jetzt verstummt, jeder war sich der Ungeheuerlichkeit des Augenblickes bewusst. Mahaprajapati Gotami blickte den Buddha an, als wolle ihr Blick ausdrücken: "Und was sagst du jetzt?" - aber ihre Lippen bewegten sich nicht.

Auch der Buddha sagte nichts. Er stand auf, drehte sich um und ging in den Wald.

"Jedenfalls hat er nicht zum dritten Mal `Nein´ gesagt", flüsterte eine der Frauen Mahaprajapati Gotami zu. Diese aber nahm Ananda beim Arm und ging mit ihm in eine andere Richtung.

"Hier geschieht Ungeheuerliches", war es den Mönchen bewusst. Erst das Auftreten dieser Frauen im Lager der Mönche, dann nimmt eine von ihnen den ehrwürdigen Ananda am Arm - man stelle sich vor: sie berührt ihn! Und er lässt sich das gefallen und geht dann sogar mit ihr in den Wald. Das schien das Ende der Mönchskultur! Der Verlust aller Sitten und Moral! Diese Frauen waren drauf und dran, alles kaputt zu machen, was der Buddha in all den Jahren aufgebaut hatte. Einige der jüngeren Mönche schielten sogar zu den Frauen herüber, die sich dort auf dem Boden niederließen und deren nicht gerade für weitere Wanderungen gemachten Kleider teilweise von den Strapazen der Reise in sengender Sonne durchgeschwitzt und eingerissen waren, hier und dort in Fetzen herabhingen.

Keiner der Mönche wäre jedoch auf die absolut absurde Idee gekommen, den Frauen vielleicht etwas Wasser zum Trinken oder zum Waschen zu holen oder ihnen den Weg zum nahen Bach zu zeigen, wo sie sich hätten erfrischen können. All das wäre nicht nur ein Verstoß gegen die Mönchsregel gewesen, von Frauen möglichst keine Notiz zu nehmen (aus Vorsicht vor aufkommender Begierde!), es wäre auch gesellschaftlich völlig unakzeptabel gewesen und schon fast einem unsittlichen Antrag gleichgekommen. Natürlich erwartete auch keine der Frauen ein solches Benehmen.

Ananda und Mahaprajapati Gotami waren sich einig: es sei besser, wenn Ananda den Buddha fragte, die Frauen als Nonnen zu ordinieren, denn gegenüber Ananda hatte er noch nicht zweimal "Nein" gesagt, Ananda könnte gegebenenfalls nach einer Verneinung noch ein paar Argumente nachschieben.

Es war Anandas schwerster Gang. Alle Verantwortung lag auf ihm. Er begab sich zum Buddha. Dieser saß am Rande des Baches und sah ins klare Wasser. Ananda wusste, dass es besser war, abzuwarten, bis der Buddha ein Zeichen gab, dass Ananda reden solle.

Nach einiger Zeit sprach der Buddha: "Ananda, du bist gekommen, mich um etwas zu bitten?" Ananda stellte die erwartete Frage. Der Buddha lehnte klar und ohne Wenn und Aber ab.

Ananda erläuterte die Strapazen, die die Frauen auf sich genommen hätten, ihre offensichtlich tiefe Absicht, den Dharma zu praktizieren, die Tatsache, dass es viele Frauen seien, keine einzelnen, gefährdeten Geschöpfe. Der Buddha lehnte zum zweiten Mal ab.

Ananda fasste sich ein Herz. Er erläuterte die Vorteile der Zufluchtnahme und schilderte plastisch, was die Frauen erwarten würde, wenn sie wieder nach Kapilavattu zurückkehrten. Er zog alle Register seiner Überzeugungskunst.

"Nein, Ananda, es geht nicht. Hast du die Blicke der Mönche gesehen, als die Frauen kamen, sich hinsetzten? Hast du das Aufflackern in den Augen nicht weniger gesehen, als sie sich ansahen, bei den Mönchen, aber auch bei den Frauen? Ich wünschte mir von Herzen, es wäre anders, aber es geht nicht. Es tut mir leid, Ananda."

Das war das dritte Nein. Damit war die Sache entschieden.

Weder der Buddha noch Ananda machten Anstalten, zurück zu den anderen zu gehen und die Entscheidung zu verkünden. Der Buddha saß und blickte ins Wasser, Ananda stand daneben, Tränen rannen über seine Wangen. So verharrten sie eine volle Stunde.

Dann hatte sich Ananda wieder gefasst, der stille Strom seiner Tränen war versiegt, und so ergriff Ananda als erster das Wort: "Herr, mir sind einige Dinge bezüglich der Lehre noch nicht ganz klar, würdet Ihr wohl die Gelegenheit nützen, mir drei Fragen zu beantworten?" Schweigend stimmte der Buddha zu, obwohl es ihm merkwürdig vorkam, dass Ananda so kurz nach seinem emotionalen Ausbruch bereit war, auf ein scheinbar völlig anderes Thema überzugehen. Vielleicht jedoch auch, so steht es in den Kommentaren zu lesen, weil der Buddha genau wusste, was jetzt geschehen würde.

"Herr, Ihr habt die Aufnahme dieser Frauen in den Orden abgelehnt, sicherlich mit guten Gründen. Aber sagt: angenommen Frauen würde es erlaubt sein, in die Hauslosigkeit zu ziehen, sie würden den Dharma hören und eifrig praktizieren können, könnten dann eigentlich auch Frauen, ebenso wie Männer, zur höchsten Erleuchtung gelangen?"

"Sicher, Ananda, auch Frauen wären unter diesen Umständen in der Lage, genau wie Männer, zur höchsten Erleuchtung zu gelangen", antwortete der Buddha. Offensichtlich war für Ananda das Thema der Frauenordination gedanklich noch nicht abgehakt, obgleich er dreimal abgelehnt hatte. Andererseits gab es keinen Grund auf Anandas - völlig theoretische! - Frage nicht einzugehen.

"Die zweite Frage ist, Herr: da ist ein edler Mann in der Welt. Sagt, wem in der Welt ist er wohl am meisten zu Dank verpflichtet?" Das war eine rhetorische Frage, denn darüber gab es in ganz Indien keinerlei Zweifel. Es gab darauf nur eine Antwort, das wussten der Buddha und Ananda gleichermaßen, aber es war am Buddha zu antworten, denn er hatte zugestimmt, drei Fragen von Ananda zu beantworten, auch wenn der Verlauf dieser Befragung in eine eindeutige Richtung ging.

"Ein edler Mann, Ananda, ist, wie wir beide sehr wohl wissen, und wie es alter Brauch ist, am meisten zu Dank der Mutter verpflichtet, die ihn gesäugt hat." Das war die offizielle Antwort, wörtlich, niemals wurde in Indien daran gezweifelt. Aber die Frage war taktisch äußerst geschickt gestellt, denn Mahaprajapati Gotami war zwar nicht des Buddhas leibliche Mutter, aber sie war seine Amme, also die Mutter, die den Knaben gesäugt hatte. Der Verlauf des Gespräches ging tatsächlich in die vom Buddha erwartete Richtung. Dieser Ananda, sagte sich der Buddha, so geschickt war er noch nie aufgetreten!

Der Buddha hatte die Augen geschlossen. Er erwartete die entscheidende Frage. Wenn Ananda das Spiel klug zu Ende spielte, konnte jetzt nur noch eine Frage kommen - und Ananda machte den entscheidenden Spielzug: "Was, Herr, ist wohl das köstlichste Geschenk, das ein Mann der Mutter, die ihn gesäugt hat, machen könnte?"

Die Antwort war klar, der Buddha hatte sie seit Jahren gepredigt, das köstlichste Geschenk von allen möglichen Geschenken ist, den Dharma zu geben, und niemand hat natürlich so gute Chancen, den Dharma zu praktizieren, wie der Ordinierte - oder eben die Ordinierte.

"Lass´ mich allein, Ananda, ich muss die folgenschwerste Entscheidung treffen, seit ich nach meiner Erleuchtung unter dem Bodhi-Baum aufgestanden bin." Dies sagte der Buddha statt einer Antwort.

In der Tat war das eine äußerst schwere Entscheidung, wie man es sich heute kaum mehr vorzustellen vermag, denn das gesamte gesellschaftliche Umfeld, das die Männer und Frauen damals prägte, war ein völlig anderes als heute.

Anandas Argumentation war absolut schlüssig. Das edelste, was ein Mann tun kann, war im Alter die "Mutter, die ihn gesäugt hat" zu unterstützen, das war gute Sitte in Indien und bezog sich traditionell auf materielle Unterstützung zur Alterssicherung.

Mahaprajapati Gotami fehlte es materiell an Nichts. Aber er, der Buddha, hatte immer gelehrt, dass das Materielle vergleichsweise unwichtig sei. Entscheidend sei das Spirituelle, und das bedeutet letztendlich, dem Dharma zu folgen. Er konnte das der "Mutter, die ihn gesäugt hat" nicht vorenthalten. Und was war mit all´ den anderen Frauen? Wie sollte er die halbe Menschheit von der Chance, in diesem Leben zur Erleuchtung zu gelangen, ausschließen?

Andererseits: was würde das für die Mönchsgemeinde bedeuten, welche Probleme kamen damit auf sie zu? Was bedeutete das angesichts der Konditionierung all´ dieser Mönche, die Kinder dieser Gesellschaft waren? Und was für die Frauen, die ebenso dieser patriarchalischen Gesellschaft entstammten? Würden vielleicht unzählige Frauen um Ordination bitten, die eigentlich nicht den Dharma suchten, sondern nur ihrer gesellschaftlichen Rolle entfliehen wollen? Die sich gewissermaßen die Rosinen der Freiheit herauspicken wollen, ohne das in jeder Hinsicht enthaltsame Leben führen zu wollen? Welche Effekte hat das auf das Ansehen der Sangha? Und damit auch darauf, wie sehr diese Sangha für wirklich ernsthaft strebende Männer attraktiv wäre? Oder würden womöglich solche junge Männer kommen, die die Frauen für so eine Art Groupies hielten? Was bedeutet das dafür, wie die Laien der Sangha gegenüberstehen? Wird dann weiterhin die notwendige Unterstützung durch rechtschaffene Haushälter gegeben sein? Letztendlich bedeutete diese Entscheidung einen massiven Eingriff in ein ganzes Netzwerk von Bedingungen und Folgen.

Wenn denn eine Nonnenordination erfolgen sollte, würde es ein spezielles Regelwerk für Nonnen geben müssen. Das Regelwerk für Mönche hatte sich im Laufe von über zwanzig Jahren herausgebildet, je nach den Erfordernissen. Die Nonnenregeln hingegen mussten jetzt sofort festgelegt werden, um den Bestand der Sangha nicht zu gefährden.

Eines musste dabei ganz klar sein: es musste (erstens) ein Regelwerk geben, das einerseits Frauen, die nicht ernsthaft streben wollten, vom Eintritt in den Orden abhielt, es musste also abschreckend genug sein. Andererseits durfte es (zweitens) die moralische Integrität der Mönche - und der Nonnen - nicht gefährden, und schließlich (drittens) musste es so gefasst sein, dass die patriarchalisch strukturierte Gesellschaft dies akzeptieren konnte, ohne der Sangha die Unterstützung zu entziehen.

Als der Buddha zurückkehrte erreichte die Spannung unter den Frauen - aber auch bei den Mönchen - ihren Höhepunkt. Er fragte: "Frauen, seid ihr bereit unter diesen äußerst strengen Bedingungen die Ordination zu akzeptieren:

  • Frauen- und Männerorden sind strikt getrennt.
  • Eine Nonne hat einem Mönch stets die Ehrerbietung zu erweisen, egal wer von beiden älter ist oder früher ordiniert wurde.
  • Eine Nonne darf einen Mönch niemals kritisieren.
  • Eine Nonne darf den Mönchen keine Belehrung erteilen."
  • Freudig stimmten die Frauen zu.

    Dann wurden die Nonnen ordiniert und die beiden Orden trennten sich. Der Buddha und Ananda gingen mit den Nonnen, um sie im Dharma zu unterweisen. Beide Orden waren nun streng getrennt. Nur zwei Männer durften bei den Nonnen sein, um sie zu unterweisen: der Buddha, der den Dhamma am tiefgründigsten vermitteln konnte, und Ananda, der durch seine Fürsprache die Gründung des Frauenordens erst ermöglicht hatte. Ihm waren die Nonnen immer in ganz besonderer Dankbarkeit verbunden.



    Diese Geschichte habe ich vor langer Zeit niedergeschrieben. Selbstverständlich habe ich mich dabei einerseits inhaltlich so eng wie möglich an den Palikanon gehalten, andererseits habe ich mich bemühte, die Situation so plastisch wie möglich für die Ohren der ZuhörerInnen des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts zu schreiben. Daher kommt in der Geschichte wörtliche Rede vor, im Pali-Kanon fehlt dieses Stilmittel. Daher habe ich auch einige Überlegungen niedergeschrieben, die vor 2500 Jahren selbstverständlich waren, weil sie die gesellschaftliche Realität und das zeitgenössische Denken beschrieben, die unserem Denken jedoch eher fremd sind. Deshalb erschien es mir nötig diese aufzuschreiben. Auf diese Art habe ich - so gut ich es eben vermochte - versucht, das in einer zeitgemäßen Nacherzählung wiederzugeben, was im Pali-Kanon steht.

    Gemeinhin gilt der Pali-Kanon als authentisch. Gerne wird unterstellt, dass sich alles genau so abspielte, wie es 500 Jahre später, bei der ersten schriftlichen Niederlegung des Pali-Kanons, aufgeschrieben wurde. Das ist jedoch unrealistisch. Die Lehre vom Bedingten Entstehen, die zentrale Lehre des Buddha, würde nicht stimmen, wenn dem so wäre. Eine der Bedingungen für das Niedergeschriebene ist natürlich das, was passiert ist. Eine weitere ist aber das, was in den Köpfen der Menschen, die diese Erzählung weitergaben, geschah und was sich in Gesprächen dieser Menschen verfestigte. Der Pali-Kanon ist, das muss man wissen, nur von Mönchen überliefert, nicht von Nonnen - und das hat Auswirkungen.

    Ich möchte zunächst die Fakten nennen, die zeigen, dass die Geschichte nicht ganz stimmen kann. Anschließend möchte ich eine mögliche, eine mir plausibel erscheinende Erklärung dafür liefern, wieso diese Geschichte sich gegenüber der Realität so verändert hat. Ich beziehe mich dabei auf den Stand der Wissenschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Es kann sein, dass ich und diejenigen die es ähnlich sehen, damit falsch liegen. Urteilt selbst, für wie plausibel ihr das haltet, was ich ausführe.

    Zunächst die Fakten, wie sie von der Geschichtsforschung als erwiesen gilt. Der Buddha erreichte mit etwa 35 Jahren die Erleuchtung. Durch den Vergleich unterschiedlicher Quellen kann die erste Frauenordination ziemlich genau bestimmt werden: sie muss wohl acht Jahre nach der Erleuchtung des Buddha stattgefunden haben, und in der Tat gehörte zur ersten Gruppe ordinierter Frauen Mahaprajapati Gotami. Der Buddha war damals also noch nicht einmal 45 Jahre alt. Ananda wurde der Begleiter des Buddhas, sein Sekretär und sein Freund jedoch erst, als der Buddha 55 Jahre alt war. All das gilt heute als historisch gesichert.

    Und nun die Interpretation.

    Daraus lässt sich nur der Schluss ziehen, dass die Figur des Ananda erst später in diese Schilderung eingebaut wurde. In der Tat erschien es mir schon beim ersten Lesen - und natürlich auch beim Niederschreiben - als merkwürdig, dass ein vollkommen Erleuchteter, der Buddha, von einem Unerleuchteten, eben Ananda, überredet oder überzeugt werden kann. Das ist eigentlich unlogisch. Schon das Gespräch in Kapilavattu zeugt nicht von der sonst überall beschriebenen Weitsicht des Buddha.

    Bleibt die Frage, warum die Mönchssangha, die sonst so darauf erpicht war, möglichst alles wortgetreu wiederzugeben und zu überliefern, sich hier zu Zensoren aufgespielt hat. Dafür gibt es eigentlich nur eine Erklärung: sie vermochten nicht zu glauben, dass diese Geschichte sich so abgespielt hat, wie sie tatsächlich geschehen war, nämlich dass der Buddha von sich aus die Nonnenordination eingeführt hat - sicherlich auf Bitten und Betreiben von Mahaprajapati Gotami.

    Für die Mönche, die unerleuchtet waren und der patriarchalischen Gesellschaft entstammten war es schlicht nicht einzusehen, dass ein Weiser, ein Erleuchteter, Frauen aufgenommen hat und sie so denn Männer ebenbürtig gegenüber stellte. Zwar war bekannt, dass es auch unter den Frauen Erleuchtete gab, jedoch wurde das auf die hervorragende direkte Belehrung durch den Buddha - einen Mann! - zurückgeführt.

    Es muss den patriarchalisch sozialisierten, patriarchalisch fühlenden und patriarchalisch denkenden Mönchen ein stetiger Dorn im Auge gewesen sein, dass es diese Frauenordination gab. Das konnte in ihren Augen nicht Ausdruck des erleuchteten Geistes des Buddha sein, es erschien ihnen vielmehr fast wie eine Torheit.

    Und so musste diese Entscheidung - in ihren Augen eine krasse Fehlentscheidung - einem Unerleuchteten in die Schuhe geschoben werden. Und es gab in der ganzen näheren Umgebung des Buddha, unter allen, die mit ihm in enger Kommunikation standen, nur einen Unerleuchteten: Ananda. Also musste diesem der schwarze Peter zugeschoben werden. (Ähnliches ist in einem weiteren Fall geschehen, so wird Ananda unterstellt, er sei schuld, dass der Buddha nicht ewig lebe. Ananda hätte es versäumt, ihn darum zu bitten.)

    Das alles kann Zweifel daran nähren, dass man in allen Punkten den Palikanon als authentisch ansehen muss. Das ist aber keineswegs schlimm, es ist sogar heilsam. Denn der Buddha hat ausdrücklich davor gewarnt, einer heiligen Schrift unkritisch zu folgen, ja er hat sogar gewarnt, den Dharma niederzuschreiben, weil das zwangsläufig zu einer verfälschten Auffassung führen würde.

    Außerdem zeigt es einmal mehr, wozu unerleuchteter menschlicher Geist fähig ist: selbst ohne bösen Willen (den würde ich den überliefernden Mönchen absolut nicht unterstellen wollen), führt moha, führt menschliche Verblendung, führen unzulässige Projektionen unseres unerleuchteten Geistes dazu, die Dinge anders zu sehen als sie wirklich sind.

    Der Dharma ist keine Lehre für Blindgläubige. Der Dharma lehrt, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Nicht so, wie wir sie gerne hätten. Daher finde ich - so merkwürdig das klingt - dass die hier aufgezeigte Verfälschung der Lehre des Buddha der beste Beweis für die Richtigkeit der Lehre des Buddha ist.



    Zur Heimatseite
    Zur Übersicht Meditation und Dharma
    Zur Übersicht Buddhistische Geschichten
    Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.