Bahiya mit dem Borkengewand
erzählt von Saddhaloka, deutsch von Horst Gunkel
(c) Copyright by Saddhaloka and Horst Gunkel - letzte Änderungen 2004-01-28


In einer Hütte an Indiens Westküste wohnte ein heiliger Mann, der bekannt war als „Bahiya mit dem Borkengewand“, weil seine grobe Kleidung aus Borkenfasern hergestellt worden war. Er lebte dort schon sehr lange als Einsiedler und wurde von den Menschen geachtet und respektiert. Die Leute aus dem nahe gelegenen Dorfe versorgten ihn mit dem Nötigsten, und damit war er zufrieden.

Eines Tages stieg in ihm der Gedanke auf: „Nachdem ich all die Jahre dieses heilige Leben gelebt habe, muss ich jetzt sicher einer der Erleuchteten in dieser Welt sein.“ Kaum dass dieser Gedanke ihm gekommen war, erschien ihm ein Gott, der in einem früheren Leben ein Verwandter von ihm gewesen war und der sich jetzt Sorgen um Bahiyas spirituelle Entwicklung machte, und sagte: „Bahiya, du bist mit Sicherheit kein Erleuchteter, du bist auch nicht auf dem Weg zur Erleuchtung, und du machst auch nichts, was dich auf diesen Pfad führen könnte.“

Da war Bahiya begreiflicherweise ziemlich schockiert, aber sein Streben war rein. So war er eher überrascht und fühlte sich nicht angegriffen oder entmutigt.  Daher fragte er: "Wenn ich kein Erleuchteter bin, auch nicht auf dem Weg zur Erleuchtung, gibt es dann überhaupt irgendwo in der Welt jemanden, der erleuchtet ist?“

„Weit, weit im Norden“, so kam die Antwort, „in einer Stadt namens Savatthi, dort gibt es einen Erleuchteten, einen Buddha, der den Weg lehrt, durch den auch andere dieses Ziel erreichen können.“

Diese Aussicht riss ihn sogleich aus seiner selbstzufriedenen Behäbigkeit. Er gab sofort das vergleichsweise komfortable Leben auf, das er bisher geführt hatte und brach zur langen Reise nach Norden auf, um die Stadt namens Savatthi und den Erleuchteten zu suchen, der dort lebte. Dies war eine lange Reise, und er wusste, dass sie mehrere Wochen dauern würde, aber der Eindruck der Dringlichkeit feuerte Bahiya an, so dass er nirgendwo für mehr als eine Nacht Rast machte.

Schließlich kam er auch in Savatthi an und fand den Jetahain, von dem man ihm gesagt hatte, dass der Buddha sich dort aufhalte. Im Park waren zahlreiche Mönche in gelben Roben. Bahiya fragte sie, wo er denn den Buddha finden könne. Sie sagten ihm, dass der Buddha gerade auf Almosengang sei und luden Bahiya ein, sich doch erst einmal auszuruhen, denn man sah ihm die Strapazen der langen Reise an. Er könne den Buddha ja treffen, wenn dieser in ein oder zwei Stunde wiederkäme.

Aber für Bahiya war es unmöglich, noch länger zu warten. Dieser Eindruck der Dringlichkeit hatte ihn den ganzen langen Weg von der Küste nach hier angetrieben, die ganze lange und beschwerliche Reise lang, und verstärkte sich jetzt noch, wo er sich seinem Ziele so nahe fühlte. Er eilte also nach Savatthi, und schon bald erblickte er eine heiter gelassene Gestalt auf Almosengang von Tür zu Tür. Bahiya wusste sofort, dass das der Buddha war. Bahia rannte auf ihn zu, warf sich ihm zu Füßen und bat ihn, ihm zu lehren.

„Aber das ist ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt, Bahiya“, sagte der Buddha, „ich bin gerade dabei, meine Nahrung zu erbetteln.“

„Das Leben ist gefährlich, Herr“, entgegnete Bahiya. „Wir wissen weder wann Euer, nach wann mein Leben enden wird. Bitte lehrt mich jetzt.“ Der Buddha verwies erneut auf den schlecht gewählten Zeitpunkt und Bahiya unterstrich einmal mehr die Dringlichkeit. Da Bahia ihn nun zum dritten Mal gebeten hatte, antwortete der Buddha mit einer direkten und markig-kurzen Belehrung: „Im Gesehenen nur das Gesehene. Im Gehörten nur das Gehörte. Im Gefühlten nur das Gefühlte. Im Erkannten nur das Erkannte, dann Bahia wirst du kein ICH finden, weder in dieser Erfahrung noch außerhalb. Das ist das Ende der Unvollkommenheit.“

Diese wenigen Worte genügten, um eine tiefgehende Veränderung in Bahias Bewusstsein zu erreichen. Und augenblicklich, genau hier auf der Straße und in diesem Moment, erreichte er die Erleuchtung.

Nachdem der Buddha diese kurze Belehrung gegeben hatte, wandte er sich um und setzte seinen Almosengang fort. Bahiya aber wurde noch auf dem Rückweg zum Jetahain von einer Kuh attackiert und tödlich verletzt. Als er am Nachmittag mit einer Anzahl von Mönchen von Savatthi zurückkehrte, sah der Buddha den Leichnam auf der Straße liegen, denn niemand hatte sich die Mühe gemacht, sich um den dort überall unbekannten toten Wanderer zu kümmern. Der Buddha erkannte in ihm sofort den Mann, den er am Vormittag belehrt hatte, und er wies die Mönche an, den Leichnam mitzunehmen und beizusetzen und dann eine Stupa über seiner Asche zu errichten. „Man soll sich an Bahia  mit dem Borkengewand erinnern“, sagte der Buddha, „als einen der noch zu Lebzeiten zur Gemeinschaft der Erleuchteten gestoßen ist.“



Zur Heimatseite
Zur Übersicht Meditation und Dharma
Zur Übersicht Buddhistische Geschichten
Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.