Tiefenökologie

Vortrag von Horst Gunkel im Buddhistischen Zentrum Essen
am 14. Juni 2016

Liebe Leute, ich habe vor, zunächst etwas zu meiner Person zu sagen, dann werde ich untersuchen, was Ökologie im allgemeinen und Tiefenökologie im besonderen ist. Ich werde kurz Joanna Macys tiefenökologischen Ansatz streifen und mich dann für einen spezifisch triratnischen Ansatz in Tiefenökologie stark machen. In diesem Zusammenhang werde ich auch auf die Meditation der Atemachtsamkeit eingehen, die wir anfangs geübt haben.

Ich beginne wie in der metta bhavana – bei mir selbst. Mein Name ist Horst Gunkel.

Wie man an meiner Aussprache hört, komme ich nicht aus dem Ruhrpott, sondern aus dem Rhein-Main-Gebiet. Ich habe Zuflucht zu den ersten zwei Juwelen – zum Buddha und zu seiner Lehre – 1992 genommen. Das dritte Juwel kam erst etwas später dazu: 1996 habe ich Triratna entdeckt und war am 27. Januar 1996 erstmals hier im Hause. Ich fühlte sofort, dass dies eine Buddhistische Gemeinschaft ist, in der ich mich wohlfühlen kann. Nach einem Jahr habe ich um Mitraschaft angefragt und wurde 2000 in Kühhude mitrifiziert. Seit vielen Jahren bin ich im Ordinationsprozess und leite seit 2009 Meditation am Obermarkt in Gelnhausen, etwas das im Triratna-Jargon „Satelittengruppe“ heißt. Anfang des kommenden Jahres werde ich – unmittelbar nach meiner Pensionierung – nach Essen ziehen.

Bevor ich zum Dharma kam, habe ich versucht auf dem Wege über Bürgerinitiativen, Vereine und in der Politik dem Wohl aller Wesen zu dienen. Das hätte ich damals noch nicht so formuliert, aber das war letztendlich mein Beweggrund. So habe ich in den 80er Jahren unter anderem Verantwortung übernommen im ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland, in der gewaltlosen Aktionsgemeinschaft Robin Wood, der EnergieWende- Bewegung und der grüne Partei. Für diese war ich im Kreistag und in der Regionalversammlung, einem Bezirksparlament für das Rhein-Main-Gebiet, von 1985-1995 Fraktionsvorsitzender. Als Leiter des ÖkoBüro Hanau habe ich den Kampf gegen die Hanauer Nuklearbetriebe, die von 1960 bis in die 90er Jahre das Zentrum der deutschen Atomtechnik waren, mitorganisiert. Das waren alles wichtige Projekte. Auf diese Art habe ich versucht, in 1000 Schlachten 1000 Feinde zu besiegen. Aber - wie ihr vermutlich wisst - hat der Buddha gesagt, wichtiger als in 1000 Schlachten 1000 Feinde zu besiegen sei es, sich selbst zu besiegen. Denn den entscheidenden Kampf, den gegen Gier, gegen Hass und gegen Verblendung, den müssen wir zuallererst in uns selbst führen.

Dort in den Tiefen unseres Geistes beginnt Ökologie, Tiefenökologie, spirituelle Ökologie.


Was ist Ökologie?

Oikos ist das griechische Wort für Haus, logos das Wort für Vernunft. Endet ein deutsches Wort auf -logie, dann heißt das „die Lehre vom“. Ökologie ist die Lehre vom Haushalten. Es geht um das vernünftige Haushalten mit den Ressourcen, also mit Erde, Feuer, Wasser, Luft, Raum und Bewusstsein, mit den sechs Elementen.

Offensichtlich war dieser Planet in den vergangenen vier Milliarden Jahren in der Lage mit den Elementen so hauszuhalten, dass die Evolution vom Planeten, der am Anfang wüst und leer war, bis hin zum Buddha möglich war. Dabei hat sich dieser zunächst atmosphärefreie Planet, dessen Hülle eine ähnlich lebensfeindliche Oberfläche wie unsere Nachbarplaneten Mars und Venus hatte, durch einen Prozess entwickelt, den man wissenschaftlich terraforming nennt, also Transformation zu einem lebensfähigen Planeten.

Leider sind wir verblendeten Menschen seit einiger Zeit dabei, diesen Prozess umzukehren – und zwar mit exponentiell wachsender Geschwindigkeit.

Eine radikale ökologische Umkehr ist also nötig, eine ökologische Revolution. Hierzu gibt es die Methoden der traditionellen Ökologie, der technischen Eingriffe, also zum Beispiel des Umsteuerns auf regenerative Energieträger. Jedoch haben frühere Revolutionen gezeigt – denken wir nur an die franz. Revolution, die russische oder die chinesische - wenn man Dinge ändert, ohne dass sich das Bewusstsein zuvor geändert hat, dann ändert sich langfristig nichts. Das durch die Revolution vergewaltigte Bewusstsein kehrt in seinen früheren Zustand zurück. Daher ist die einzige wirkliche Änderung, als Buddhisten wissen wir das, die Entwicklung des Geistes, denn - ich zitiere den ersten Satz des Dhammapala - geistgeschaffen sind alle Dinge.

Was Not tut ist eine neue geistige Ausrichtung. Man nennt dies Tiefenökologie oder spirituelle Ökologie.


Was ist Tiefenökologie?

Ich mache es wie Sangharakshita, ich schaue zunächst im Lexikon nach. Wikipedia sagt:

Tiefenökologie (englisch deep ecology) ist eine spirituelle, „ganzheitliche” Umwelt- und Naturphilosophie, die ein Leben im Einklang mit der Natur anstrebt. Leitgedanke ist die Vereinigung von Denken, Gefühl, Spiritualität und Handlung. Der Mensch soll sich insbesondere seiner Rolle als „Bewahrer“ oder „Zerstörer“ seiner eigenen Welt bzw. Lebensgrundlage bewusst werden. Über die rein wissenschaftlichen, „oberflächlichen“ Antworten (bezüglich ökologischer und sozialer Probleme) hinaus sollen „tiefere“ Fragen nach möglichen Veränderungen menschlicher Lebensart gestellt werden.

Ich möchte dies einfach so stehen lassen und werde hier im weiteren nur über die buddhistische Tiefenökologie sprechen.


Was ist buddhistische Tiefenökologie?

Der Grund, warum wir als Einzelne derzeit weniger Bewahrer als vielmehr Zerstörer dieses Planeten sind, liegt in unserer Gier. Wir versuchen unser eigenes Wohlergehen auf Kosten des Wohlergehens anderer zu maximieren. Diese Anderen sind andere Menschen, Tiere, Pflanzen, Ökosysteme - vielleicht auch Naturgeister, Baumgeister, Quellnymphen - und schließlich auf Kosten des gesamten Planeten Gaia, der unsere Mutter ist. Und wenn ich gesagt habe „wir als Einzelne“ tun das, meine ich nicht nur einzelne Menschen. Handelnde Subjekte unserer Wirtschaftssystems sind Haushalte, Unternehmen und Staaten. Alle diese handeln egoistisch, wie es die herrschende Pseudoreligion vermittelt: die Wirtschaftslehre, ins besondere die neoliberale BWL. Und glaubt mir, dass ich weiß, wovon ich rede. Ich habe nicht nur BWL studiert, sondern bin auch seit über 40 Jahren Lehrer für Wirtschaftslehre und habe in dieser Zeit mitansehen müssen, wie das fatale betriebswirtschaftliche Ego-Denken unser Schul- und Bildungssystem immer mehr durchtränkt, infiltriert, verändert, ebenso, wie es auch unsere Lebensrealität durchtränkt, infiltriert, verändert.

Und hier kommt als Alternative die Tiefenökologie ins Spiel, ein ethischer Ansatz, der das einzelwirtschaftlichen Denken überwindet. Buddhistische Tiefenökologie ist meines Erachtens ein zeitgemäßer Zugang zur buddhistischen Erkenntnis von anatta - zur der Überwindung des Ego-Gedankens. Erst wenn wir das Ego, die Ich-Illussion bis zu einem gewissen Grade überwunden haben, sind wir in der Lage, die heutigen technischen Möglichkeiten ökologisch richtig einzusetzen.

Es geht darum, die Mauer zwischen dem Ich und dem Anderen zu überwinden.

Es geht darum, nicht nur anthropozentrisch, also aus menschlicher Sicht zu denken, sondern systemisch, in Ökosystemen – und das ganz große Ökosystem ist unser Planet, ist Gaia, ist unsere Mutter.

Es geht darum, an unserem Geist zu arbeiten. Das ist für uns als BuddhistInnen die zentrale Baustelle: unseren Geist von der Ich-Illusion in Richtung zur anatta-Realität zu lenken, ganzheitlich-systemisch zu denken und diese Botschaft zu leben und weiterzugeben.

Wir müssen dazu anerkennen, dass es in uns selbst noch eine Menge Arbeit zu erledigen gilt. Meine persönliche Erfahrung damit war folgendermaßen: Ich kam von der Ökologie-Bewegung, fand den Dharma und sah endlich das, was ich zuvor schmerzhaft vermisst hatte: das spirituelle Wesen der Ökologie.

Aber zu meinem großen Erstaunen ging das anderen BuddistInnen nicht so. Die haben das nicht so gesehen, weil sie eine andere Vorgeschichte hatten

Damals hat mich das noch verwundert. Heute halte ich es für selbstverständlich, denn das ist Entstehen in Abhängigkeit, die Grundlehre des Buddha. Da ich bereits einigermaßen ökologisch-ganzheitlich ausgerichtet aber spirituell hungrig war, sah ich den Dharma aus einem anderen Blickwinkel als die meisten anderen Menschen.

Die allermeisten anderen Menschen kommen nicht von einem ökologisch-genzheitlichen Ansatz her, sondern waren eher von diesem pseudoreligiösen Mainstream, der kapitalistisch-konsumistischen Gesellschaft mit dem ego-zentrierten, einzelwirtschaftlichen Denken geprägt. Daher ist es gut und wichtig, dass hier bei Triratna Essen so etwas wie der Buddhistische Aktions-Monat durchgeführt wird.

Aber es ist noch viel zu tun. Nur zwei kleine Beispiele. Da gibt es Menschen, die sich besonders achtsam dünken, wenn sie Urlaub in einem buddhistischen Land wie Tibet oder Thailand machen. Unter anderem bedeutet das durch die Tatsache, dass Kerosinverbrennung in großer Höhe ein Vielfaches der Wirkung der erdnahen Verbrennung hat, ebenso starke Klimaschädlichkeit wie das Benutzen eines kleinen Benzinfahrzeuges in 30 Jahren bei jährlich 10.000 km ausmacht. (Es gibt unterschiedliche Berechnungen verschiedener Universitätsinstitute, ich habe eine besonders erschreckende Variante ausgewählt.)

Oder etwas anderes, es ist mir gerade letzten Monat auf dem Männerkonvent in Vimaladhatu aufgefallen und hat auch mit Flugzeugen zu tun. Ich musste feststellen, dass die Trauben, die wir dort ins Frühstücksmüsli tun, aus der südlichen Erdhalbkugel hier eingeflogen wurden. - Ich erinnere mich noch, wie mir meine Großmutter 1962 aus der Zeitung vorlas, die englische Königin habe sich, da sie im Winter Erdbeeren wollte, diese aus Neuseeland einfliegen lassen. Einfliegen! Das war seiner Absurdität wegen damals eine Zeitungsmeldung. Und meine Großmutter las mir das vor als Beispiel für die riesige Verblendung des Hochadels und der Superreichen. Manchmal wünsche ich mir mehr Buddhistinnen wie meine Großmutter, die sehr weise war, weil sie einfach achtsam war und mit Stille, Schlichtheit und Genügsamkeit ihr Leben lebte.

Ja, wir müssen uns alle ökologisch sensibilisieren, aber nicht so, wie meine FreundInnen von den Grünen und aus dem ÖkoBüro, die in erster Linie die Anderen und so die Gesellschaft verändern wollten, sondern wir müssen dabei immer darauf achten, was in unserem eigenen Geist vorgeht, wir müssen bei uns selbst anfangen, unseren Geist entwickeln. Wenn wir aber beides haben, nämlich einerseits ein entwickeltes ökologische Gewahrsein, etwas, das in Richtung „Sicht und Erkenntnis der Dinge, wie sie wirklich sind“ geht, und wenn wir andererseits den Dharma kennen, dann erschließt sich uns die Realität mehr und mehr und wir optimieren Stück für Stück unser eigenes Handeln.

Es geht nicht darum – wie die Philosophen – die Welt nur verschieden zu interpretieren, es geht (das ist die Lehre des Buddha) vielmehr darum, sich selbst – und damit ein Stück weit die Welt – zu verändern.


Der Ansatz von Joanna Macy

In buddhistischen Kreisen wird buddhistische Tiefenökologie häufig gleichgesetzt mit dem Ansatz von Joanna Macy, einer amerikanischen Lehrerin. Sie bezieht in ihr Lehr- und Übungssystem Elemente aus unterschiedlichen buddhistischen Traditionen ebenso wie aus anderen spirituellen Traditionen, z. B. der Indianischen ein. Dies kann ein guter Ansatz für ungebundene spirituelle Sucher sein. Es besteht aber auch die Gefahr, dass nicht genügend reflektierte Elemente übernommen werden, oder dass man von einer zur anderen Übung springt, etwas das man als „spirituelles shopping around“ bezeichnen kann. Ich halte das für einen suboptimalen Weg. Daher plädiere ich hier eindeutig für einen anderen Ansatz.


Eine spezifische Tiefenökologie für Triratna

Unser Lehrer Sangharakshita weist völlig zu Recht darauf hin, dass Triratna ein in sich geschlossenes Lehr- und Übungssystem hat. Wenn wir also entdecken, dass die tiefenökologische Dimension in unserem Denken, Fühlen und Handeln noch unterentwickelt ist, dann ist es nötig, dies durch Übungen zu überwinden, die nicht etwa additiv neben die bestehenden Übungen hinzukommen, sondern sich in unser bestehendes System einschmiegen, die Fleisch vom Fleische des Triratna-Ansatzes sind.

Meines Erachtens kann das, was Joana Macy macht, ein guter Ansatz für manche BuddhistInnen sein, insbesondere für Menschen, die bereits in den ökologischen und neuen sozialen Bewegungen aktiv sind. Aber ihr Ansatz ist doch von unserem Ansatz bei Triratna weit entfernt. Ich meine daher, es ist wichtig einen triratna-spezifischen Ansatz der tiefenökologischen Übungen zu entwickeln. Bei uns in meiner Heimatsangha in Gelnhausen bemühen wir uns darum, einen Beitrag hierzu zu leisten.

Unsere beiden Grundpraktiken bei Triratna sind die Vergegenwärtigungen Atems und die metta bhavana. Hier gilt es anzusetzen. In der einleitenden Meditation habe ich versucht, eine tiefenökologische Akzentuierung in die Atembetrachtung zu bringen.

Diese Meditation war Tiefenökologie.

Tiefenökologie in vier Phasen und als positiver Ansatz.

  • Phase I Achtsamkeit – die Grundlage von allem

  • Phase II Vergänglichkeit – die buddh. Erkenntnis von anicca

  • Phase III Verbundenheit – die buddh. Erkenntnis von anatman

  • Phase IV Dankbarkeit – die buddh. Erkenntnis von dukkha

Ich werde außerdem versuchen, auch in einer abschließenden geleiteten Meditation der metta bhavana – falls wir noch dazu kommen sollten – eine erste Annäherung an die tiefenökologische Sicht, die für mich immer eine Umsetzung des anatta-Ansatzes ist, aufzunehmen.

Es gibt zahlreiche weitere Elemente der Praktiken bei Triratna, die sich hervorragend eignen, das ganzheitliche Denken, das Überwinden der Egozentriertheit und das Erkennen der sich gegenseitig durchdringenden Realität auf materieller wie auf spiritueller Ebene zu erfahren und zu entwickeln. Hier ist allerdings nicht die Zeit darauf einzugehen.


Resümee

In einer Zeit, in der die globalen ökologischen Probleme aufgrund menschlicher Gier und menschlicher Verblendung diesen Planeten gefährden, habe wir als Buddhistinnen und Buddhisten der Menschheit mit der Lehre des Buddha Entscheidendes zu bieten. Dazu ist es nötig, sich den aktuellen Problemen zu stellen, sie aus buddhistischer Sicht zu analysieren und die buddhistischen Praktiken anzuwenden, um sie zu überwinden. Um möglichst viele Menschen an diesem emanzipativen Projekt mitwirken zu lassen, müssen wir die Sprache dieser Menschen sprechen. Das ist genau der Weg, den Sangharakshita vor einem halben Jahrhundert eingeschlagen hat, als er in den sechziger Jahren bei den damals die Menschen beschäftigenden Problemen angesetzt hat. Als Buddhistische Bewegung Triratna können wir einen spezifischen Ansatz bieten, der unseren spirituellen und unsere ökologischen Bedürfnisse bedient und der einen wichtigen, einen zentralen Beitrag dazu liefert, uns selbst und die Welt zu transformieren.

Tiefenökologie ist Dharma. Und der tiefenökologische Ansatz ist eine zeitgemäße Herangehensweise an den Dharma. Ein Buddhimus für das 21. Jahrhundert, muss m. E. tiefenökologisch sein, ob man das so nennt oder nicht ist egal. Auf das Wort Tiefenökologie kann man dabei verzichten, auf den Inhalt nicht.

Lasst uns daher in diesem Sinne unseren Geist entwickeln: Packen wir es gemeinsam an!

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