Betrachtung
der vedana
und anderer khandhas
Vortragsreihe
Meditation – Teil XIV
von Horst Gunkel bei der Buddhistischen Gemeinschaft Gelnhausen - 2012
Letzte
Woche hat hier Satyasthira einen Vortrag über die fünf khandhas
gehalten, die fünf Gruppen, aus denen wir – jeder, jede von uns –
bestehen. Er hat uns erläutert, wie man darüber reflektieren kann
und dass alle diese khandhas letztendlich leer sind, dass dort kein
Ich zu finden ist.
Genau
dort möchte ich heute ansetzen. In meinem Vortrag geht es aber nicht
ums Reflektieren über die fünf khandhas, sondern darum, wie wir
diese in der Meditation erfahren können und wie wir sie zur
Grundlage unserer Praxis machen können.
„Hören
– Reflektieren – Meditieren“ ist die Art, wie im Buddhismus
traditionell Erkenntnisse erfahren werden. Daher heißt auch die
Reihe von Kursen, die ich montags anbiete, in der wir tiefer in den
Dharma, in die Lehre des Buddha eindringen, „Hören –
Reflektieren – Meditieren“. Wir haben von Satyasthira letzte
Wochen etwas über die khandhas gehört, ihr werdet auch von mir
heute noch etwas über die khandhas hören. Damit ist eine Grundlage
gelegt. Aber erst, wenn wir über die khandhas reflektieren, beginnen
wir sie zu erfahren. Und nur, wenn wir auch über sie meditieren,
werden wir sie wirklich verstehen.
Es
bleibt also die Frage: wie reflektiert man über die fünf khandhas
– und natürlich, was sind eigentlich die fünf khandhas, die fünf
Gruppen, aus denen das besteht, was wir fälschlicherweise für unser
Ich halten.
Die
fünf khandhas, aus denen wir bestehen, sind auf diesem Bild links an
der Wand im Punkte 4 dargestellt nama-rupa,
das Boot steht für rupa,
die vier Personen darin für nama,
das Boot ist die äußere materielle Form, die Personen stehen für
die geistigen Elemente. Und diese fünf khandhas sind in Kürze:
Es
gibt
-
rupa-khandha
-
vinnana-kkhandha
-
sanna-kkhandha
-
vedana-kkhandha
und
-
sankhara-kkhandha
Rupa
heißt „Form“, unter dem rupa-khandha versteht man alles, was mit
unserem materiellen Körper zu tun hat, einer der fünf Gruppen, aus
denen du bestehst. Und wir sagen „Gruppen“ und nicht
„Bestandteile“, weil ja der Körper wiederum aus
unterschiedlichen Elementen besteht, also nach einer Einteilung aus
Haut, Knochen, Muskeln, Nerven usw., nach einer anderen aus Kopf,
Rumpf, Händen usw. und nach einer dritten aus Wasserstoff,
Kohlenstoff, Sauerstoff, Magnesium usw.
Alles,
was den Körper betrifft, ist also unser rupa-kkhandha. Dann gibt es
das vinnana-kkhandha, das ist unser Bewusstsein. Sanna-kkhandha ist
Wahrnehmung, also Hören, Sehen, Riechen, Fühlen, Schmecken und
Denken. Dann gibt es das vedana-kkhandha,
das sind unsere Bewertungen und schließlich das sankhara-kkhandha,
die Willensregungen.
Das
mag für heute langen, Satyasthira hat letzte Woche ausführlich
darüber gesprochen, und wenn es nachher noch Fragen dazu geben
sollte, gehe ich gern darauf ein. Unser Thema ist aber Meditation und
genau darüber möchte ich heute sprechen: wie arbeite ich in
Meditation mit den khandhas.
Nun
mit dem rupa-kkhandha
haben wir in der Meditation schon gearbeitet. Hin und wieder haben
wir einen body-scan
gemacht, das ist eine Körperbetrachtung. Und heute haben wir auch
schon eine rupa-kkhandha-Betrachtung gemacht, nämlich die
Vergegenwärtigungen des Atems. Unser Atem und die damit verbundenen
Interaktionen zwischen Atem und Körper sind eine Betrachtung von
rupa.
Das kennen wir also schon vergleichsweise gut. Über eine der
Betrachtungen möchte ich heute gar nichts sagen und das ist die
Betrachtung des Bewusstseins. Das ist im Moment zu komplex. Darauf
gehe ich eher in den Montagskursen ein.
Also
bleiben drei khandhas,
über die ich heute sprechen werde, und das ist auch schon besonders
viel, aber schließlich möchte ich im Juni mit den Vorträgen über
Meditation fertig werden. Nach der Sommerpause beginnt eine neue
Vortragsreihe.
Also
widmen wir uns heute der meditativen Arbeit mit drei der khandhas,
nämlich von sanna (Wahrnehmung), vedana (Bewertung) und sankhara
(Willensimpuls). Zur Verdeutlichung, was da abläuft ein Beispiel:
ich sehe hier nebenan im Café Art eine Kellnerin ein Bier servieren
(Wahrnehmung), empfinde „lecker“ (Bewertung) und habe den
Willensimpuls zuzugreifen (zum Bier oder zur Kellnerin). Das wird
auch in dem Bild links an der Wand unseres Meditationsraumes
dargestellt: das Haus mit fünf Fenstern und einer Tür (Bild 5)
steht für unsere Sinnesorgane, sie kommen mit etwas in Kontakt
(phassa, Bild 6), es entsteht eine Empfindung, eine Gefühlsbewertung
(Bild 7, vedana – angenehm, unangenehm oder neutral), dann entsteht
ein Willensimpuls (Bild 8 hier tanha=Verlangen) und so kommt es zum
Zugreifen und Festhalten (Bild 9, salayatana).
Und
genau das können wir in drei verschiedenen Meditationen machen, oder
auch in einer Meditation mit drei Phasen: Phase 1 = Betrachtung von
sanna (Wahrnehmung), Phase 2 = Betrachtung der vedana (emotionale
Bewertung) und Phase 3 = Betrachtung der sankharas (Willensimpulse).
Wichtig
ist dabei, dass wir in einer Phase der Meditation, jeweils nur eine
dieser Gruppen in den Fokus unserer Betrachtung stellen, also
entweder Wahrnehmung, oder Bewertung oder den Willensimpuls.
Dazu
passt eine Geschichte aus der Zeit des Buddha. Einst kam ein
erfahrener Praktizierender namens Bahiya
erstmals zum Buddha und wollte von ihm eine Belehrung, weil er das
Gefühl hatte, dass sein Leben zu Ende ging (tatsächlich kam er noch
gleichen Tages bei einem Unfall um), er erhielt eine ganz knappe
Belehrung vom Buddha und erreichte auf der Stelle die Erleuchtung,
ihr könnt die Geschichte auf unseren Internetseiten nachlesen, sie
heißt Bahiya
im Borkengewand.
Und was war diese Belehrung? Nun ich fürchte, da ihr noch nicht so
viel meditiert habt wie der Bahiya, werden ihr von diesen wenigen
Worten nicht erleuchtet werden. Der Buddha sagte: „Im
Gesehenen nur das Gesehene. Im Gehörten nur das Gehörte. Im
Gefühlten nur das Gefühlte. Im Erkannten nur das Erkannte, dann
Bahiya wirst du kein ICH finden, weder in dieser Erfahrung noch
außerhalb. Das ist das Ende der Unvollkommenheit.“
Der
Buddha beschreibt dabei genau, was wir in einer sanna-Meditation
machen sollen: Wenn wir etwas sehen, soll da nur das Sehen sein. Lass
also nichts anderes geschehen. Was wir im Leben jedoch meist machen,
ist etwas ganz anderes: wir sehen etwas, z. B. ein Werbeplakat für
eine Reise nach Sri Lanka, das ist nur die Wahrnehmung. Aber dann
machen wir folgendes: in uns entsteht ein angenehmes Empfinden
(vedana), in uns entsteht der Willensimpuls eine Reise zu machen
(sankhara) und dann überlegen wie uns, wann wir hinfliegen könnten,
mit wem wir hinwollen, was das kosten dürfte, wie wir unser Geld
einteilen, damit es dafür langt, ob wir vielleicht deswegen
Überstunden machen sollten, dass wir vielleicht doch nicht noch mehr
Zeit bei Überstunden mit bestimmten Arbeitskollegen verbringen
sollten, die Kollegin Schulze ist immer so nervig, erst neulich hat
sie wieder…
Merkt
ihr, was ich gerade mache? Etwas wovor sowohl Dhammaloka bei seinem
letzten Workshop hier als auch Satyasthira letzte Woche gewarnt
haben, letzterer hat es hier sogar noch aufgeschrieben: papanca
– geistiges Ausufern, Geplapper.
Also
wenn wir sanna, unsere Wahrnehmungen, betrachten wollen, dann
betrachten wir nur diese Wahrnehmungen. Kaum dass wir Geräusch X
gehört haben, sind wir schon wieder ganz achtsam, was als nächstes
kommt, vielleicht ist das Geräusch Y oder vielleicht auch
Blickkontakt Z. Man kann das auch so handhaben, dass man nur auf eine
Sinnenwahrnehmung achtet, beispielsweise nur auf das Hören und dabei
das Sehen völlig ausschaltet. (Ich war gestern mit Schülern im
Dialogmuseum in Frankfurt, wo man in völliger Dunkelheit durch Räume
tastet. Das war Konzentration auf den Tastsinn.) Und ihr wisst ja
auch, dass ich fast täglich eine Meditation auf dem Obermarkt mache.
Bei dem schönen Wetter derzeit im Sitzen auf einer Bank am Brunnen –
eine sehr gute Ausgangslage für die Betrachtung von sanna, von
Sinnenwahrnehmung. Aber nicht ganz leicht, nur bei der
Sinnenwahrnehmung zu bleiben und nicht den ganzen Rattenschwanz
mitzunehmen, der zu papanca, zu geistigem Ausufern, führt.
Kommen
wir zur zweiten Meditation oder zur Phase 2. Meist kommt unmittelbar
nach der Sinnenwahrnehmung eine Empfindung auf, z. B. wir sehen ein
kleines Kätzchen – da kommt die Empfindung: wie süß – oder wir
erblicken Erbrochenes auf dem Bürgersteig – Empfindung: eklig. Die
vedana kann man einteilen in positiv – negativ – indifferent,
also in drei Merkmalsausprägungen.
Ich
will das jetzt einmal auf das Aufkommen von vedana auf meine
Meditation AUF dem Obermarkt anwenden, ich sitze also wie zuvor auf
der Bank und höre die Stimmen der Personen, die außer mir auf dem
Obermarkt sind. Manche klingen freundlich, liebevoll, also stelle ich
fest: da ist ein angenehmes sinnengebundenes Gefühl. Manche klingen
aggressiv oder beleidigt, also stelle ich fest: da ist ein
unangenehmes sinnen-gebundenes Gefühl. Bei manchen Stimmen stelle
ich einfach nur fest, dass sie da sind, ohne dass ich dies als
negativ oder positiv empfinde, also stelle ich fest: dies ist ein
sinnengebundenes indifferentes Gefühl.
In
dem Moment, in dem ich das gestern aufschrieb, begann die Glocke der
Marienkirche zu läuten. Dies empfinde ich als angenehmes
sinnengebundenes Gefühl, andere kämen möglicherweise zu anderen
Bewertungen. Manchmal bemerke ich ohne einen äußeren Stimulus auch
einfach eine Traurigkeit oder eine Einsamkeit in mir, dann stelle ich
fest: da ist ein sinnenfreies unangenehmes Gefühl in mir. Auf diese
Art kann man die Gefühle, Empfindungen oder Bewertungen
offensicht-lich in sechs Kategorien einteilen: in positiv, negativ
und indifferent und jeweils noch in der Unterscheidung ob dieses
Gefühl sinnengebunden oder sinnenfrei sei. Genau das lehrt der
Buddha in seiner vielleicht bekanntesten Lehrrede, den „Vier
Grundlagen der Achtsamkeit“
im zweiten Abschnitt: Achtsamkeit auf die vedana, die
Gefühlsbewertungen.
Und
jetzt komme ich noch auf das letzte angekündigte khandha zu
sprechen, auf sankhara, Willensempfindungen. Auch hierfür kann man
entweder eine eigene Meditation machen, oder es mit den anderen
beiden in einer Meditation verbinden, indem man sich in Phase 3 den
sankharas, den Willensregungen widmet, ihnen aber nicht – und das
ist ganz entscheidend! – ihnen nicht nachkommt. In dem Moment, indem ich das aufschreibe, habe ich das
Gefühl eines komischen Juckens im rechten Auge unmittelbar am
Nasenansatz. Ich stelle also fest, da ist ein vedana. Unmittelbar
daraufhin kam eine Bewertung: will ich nicht. Ich aber formuliere es
wie der Buddha: da ist eine unangenehme sinnengebundene Empfindung.
Der Willensimpuls der aufkommt, ist nun dort hinzufassen, darüber
zu reiben und somit einen möglicherweise vorhandenen Störkörper zu
beseitigen. Das geht normalerweise unbewusst vonstatten. Das machen
wir aber in dieser Meditation genau nicht. Möglicherweise wird
unsere Aufmerksamkeit gleich von etwas anderem eingefangen.
Vielleicht
ist aber dieses Jucken am Auge so stark, dass es unsere Achtsamkeit
bindet. Das ist eine gute Gelegenheit zum Üben: wie verändert sich
dieser Schmerz, diese Empfindung im Zeitablauf: wird sie stärker,
schwächt sie sich ab, wird sie irgendwann durch etwas anderes
überlagert? Oder tritt vielleicht Ärger darüber auf, dass ich mich
da nicht reiben soll? Wenn ja, dann ist zu der sinnengebundenen
unangenehmen Empfindung noch eine sinnenfreie unangenehme Empfindung
gekommen, nämlich der Ärger. Daraus können wir eine Menge über
uns lernen! Wäre es nicht besser, einfach den Ärger loszulassen und
somit nur noch eine sinnengebundene unangenehme Empfindung zu haben
statt zwei unangenehme Empfindungen, die sinnengebundene und dann
noch den Ärger?
Ja,
klar, wäre es, aber bei dieser Gelegenheit haben wir die Meditation
unterbrochen und sind ins Reflektieren gekommen. Also zurück zur
Achtsamkeit: was kommt als nächstes? Ach, jetzt juckt es am Bein!
Unangenehme sinnengebundene Empfindung. Impuls, mich anders zu setzen
oder zu kratzen. Ich komme dem nicht nach. - Mist, ich habe mein Auto
nicht zur Inspektion angemeldet! Unangenehme sinnenfreie Empfindung.
Es kommt der Wunsch auf, mir das gleich in meinen Terminkalender
einzutragen, damit ich es nicht wieder vergesse. - Nein, Horst, jetzt
ist Meditation, jetzt betrachtest
du nur die sankhara, die Willensimpulse…
So
geht also die Meditation bezüglich der drei khandhas bezüglich
sanna (Wahrnehmung), bezüglich vedana (Gefühlsempfindungen) und
bezüglich sankhara (Willensimpulsen) in drei Phasen. Einigen von
euch kommt sie vielleicht bekannt vor, nämlich denjenigen, die beim
Wesak-Fest schon am Vormittag dabei waren, als wir im Stadtpark
meditiert haben. Da habe ich genau diese drei Phasen vorgeschlagen.
Und am 23. Juni, da ist meditatives Wandern, da werden wir das auch
machen. Für diese meditative Wanderung habe ich zwei Meditationen
eingeplant, die Baummeditation und die Meditation über diese drei
khandhas. Zwei wunderbare Meditationen, die man so schön im Freien
machen kann.
Damit
wir uns richtig verstehen: das ist kein Ersatz für die tägliche
Meditation auf dem Kissen, aber eine wunderbare Ergänzung. Daher
unter anderem mache ich seit einem halben Jahr meine Meditationen auf
dem Obermarkt. Und das sind ganz oft Betrachtungen dieser drei
khandhas, also von dreien der fünf Gruppen, deren Konglomerat wir
irrigerweise für unser „Ich“ halten.
Zu Meditation am Obermarkt
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