Flexibilität in der Meditation
Vortragsreihe „Meditation“, Teil XIII, von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt, Gelnhausen
zuletzt geändert am 8. Oktober 2019
Rührt Euch!
Still – gestanden!
Präsentiert das Gewehr!
Wir
kennen diese Kommandos entweder aus eigenem Erleben oder aus Filmen:
Kasernenhofton. Der Meditationsraum ist kein Kasernenhof. Beim
militärischen Drill geht es darum, blinden Gehorsam zu erzeugen, es
geht um Anpassung, es geht darum, das eigenständige Denken der
Befehlsempfänger weg zu trainieren. Buddhistische Meditation hat andere
Ziele; hier geht es nicht um blinden Gehorsam, sondern um yoniso manasikara, um weises Erwägen. Hier geht es nicht um Anpassung, hier geht es um sati-sampajanna,
um Achtsamkeit und um Wissensklarheit. Es geht nicht darum, das Denken
abzustellen, sondern selbstverantwortliches zielgerichtetes Handeln zu
erzeugen, um kusala karma.
Wenn
ihr also bei der Übung der Vergegenwärtigungen des Atems nach 10
Minuten die Klangschale hört, dann heißt das eben nicht: jetzt wird
befohlen vom Zählen nach dem Atmen auf das Zählen vor dem Atmen
umzuspringen. Es ist vielmehr eine Information: ein Viertel der Zeit
ist um, ziehe das bei deiner Übung in Betracht.
Die
vier Phasen der Vergegenwärtigungen des Atmens dienen dazu, wachsende
Konzentration herzustellen. Wenn deine Konzentration schon nach vier
Minuten so gesammelt ist, dass du dir relativ sicher bist, dass es
jetzt gut wäre in die zweite Phase überzugehen, dann tue das eben nach
vier Minuten. Und wenn du nach 20 Minuten immer noch nicht so weit
bist, dann zähle eben weiter nach dem Ausatmen!
Vielleicht
fällt es dir schwer festzustellen, wann deine Konzentration gerichtet
genug ist, zur nächsten Phase überzugehen, dann kannst du dich am Ton
der Klangschale orientieren. Oder du machst es so, wie ich es eine Zeit
lang machte. Ich habe darauf geachtet, ob es mir tatsächlich gelungen
ist, zehn Atemzüge lang mit der Achtsamkeit völlig beim Atem zu
bleiben, ohne dass das kleinste Hindernis auftrat. Und wenn mir das
insgesamt vier Mal gelungen war, dann habe ich mir erlaubt, zur zweiten
Phase überzugehen. Manchmal musste ich die ganzen vierzig Minuten in
der ersten Phase verweilen. Aber da mir das zu blöde war, habe ich mich
mehr angestrengt, meine Achtsamkeit beim Atem zu halten, um zur zweiten
Phase zu kommen. Und wenn ich in der zweiten Phase insgesamt vier Mal
von eins bis zehn gekommen war, durfte ich mit der dritten Phase
beginnen. Natürlich war da ein Ansporn, das vor dem zweiten Glockenton
zu schaffen, um dann in den Genuss der reifen dritten Phase zu kommen.
Diese habe ich dann etwas länger gemacht und bin dann erst später in
die vierte Phase übergegangen, weil ich wusste, dass in der vierten
Phase zehn Minuten sehr hart sein würden, daher habe ich mich da nur
für die letzten vier oder fünf Minuten dran gewagt.
Das
heißt jetzt aber nicht, dass ihr das ganz genauso machen sollt, wie ich
das damals gemacht habe! Das ist ein Beispiel, keine Anordnung, kein
Befehl, sondern es ist eine Anregung. Du kannst es für dich einmal so
ausprobieren. Und dann darüber reflektieren, was du für dich für
angemessen hältst. Wenn man diese Meditation dreißig oder vierzig Mal
so gemacht hat, wie sie hier gelehrt wurde, also mit vier Mal zehn
Minuten, sollte man allmählich ein Gefühl entwickelt haben, wie man
kreativ aber zielführend damit umgehen kann.
Sehen wir uns etwas anderes an, die Sitzhaltung. Die Sitzhaltung sollte der Konzentration dienen. Wir empfehlen das Sitzen
auf dem Boden statt auf einem Stuhl, denn wenn wir richtig auf dem
Boden sitzen, dann ist das gut für unsere innere Einstellung: diese
Haltung ist die Meditationshaltung. Wenn wir uns stattdessen auf einen
Stuhl setzen, denken wir eher an unsere Bequemlichkeit als an geistige
Arbeit. Natürlich gilt das nicht für jede/n. Es kann sein, dass jemand
aufgrund einer körperlichen Behinderung nicht mit gekreuzten Beinen auf
den Boden sitzen kann. Wir sollten allerdings dieses Plädoyer für
Flexibilität nicht dazu missbrauchen, uns nicht um eine gute
Sitzhaltung auf dem Boden mit verschränkten Beinen zu bemühen. Für mehr
als 90 % aller Menschen unter 60 Jahren ist diese Sitzhaltung in
vertretbarer Zeit erreichbar, also in weniger als 200
Meditationsstunden.
Es
ist bei uns nicht so, dass jede Bewegung in der Meditation absolut
verboten ist. Aber wir sollten uns bemühen, unsere Sitzhaltung
möglichst nur nachzujustieren, wenn der Glockenton erklingt. Das klappt
hier meist recht gut, was zeigt, dass es machbar ist. Vielleicht sollte
es uns daher ein Ansporn sein, auch bei den häuslichen Meditationen auf
eine Meditationshaltung möglichst ohne Bewegung hinzuarbeiten. Das
heißt nicht, dass wir eine halbe Stunde unter Schmerzen sitzen sollen.
Aber das heißt, dass wir – bevor wir uns bewegen – überlegen sollten,
wodurch die Probleme verursacht sind und uns vornehmen sollten, vor der
nächsten Meditationssitzung darauf zu achten, dass dieses Problem nicht
erneut auftritt.
Auch in der Meditation ist Flexibilität gefragt. Experimentiere z. B. in der metta bhavana, wie du das Gefühl von metta
am besten zum Strahlen bringst. Es geht nicht darum, etwas Freundliches
zu denken, sondern Freundlichkeit für diese Personen zu empfinden, zu
fühlen, metta auszustrahlen. Ich habe festgestellt, dass das bei mir nicht über formalisierte Sätze
wie „möge Karl glücklich sein, möge er gesund sein, möge er ein langes
Leben haben“ funktioniert. Das heißt nicht, dass das für dich falsch
sein muss, probiere einfach Verschiedenes aus.
Ayya Khema forderte z. B. in ihren geleiteten Meditationen die Menschen
auf, in den Garten ihres Herzens zu gehen und dort einen wunderschönen
Blumenstrauß zu binden und ihn der jeweiligen Person mit freundlichem
Lächeln zu überreichen. Auch das ist kein Patentrezept, aber etwas, das
man ausprobieren kann. Wenn ich an meinen Freund Bodhimitra denke,
stelle ich mir vor, wie ich ihn mit Karten für ein Bach-Konzert in der
Marienkirche überrasche, und wenn ich an meinen Freund Dhammaloka
denke, dann stelle ich mir vor, wie ich ihn in ein Café zu einem guten
Kaffee und einem schönen Stück Torte einlade, Sraddhabandhu dagegen
überrasche ich mit einem möglichst schrägen Film, da steht der drauf!
Ich habe auch festgestellt, dass es für mich hilfreich ist, mir
vorzustellen, dass ich Liebe in der Art ausstrahle, wie die Sonne ihr
Licht ausstrahlt: gleichermaßen freundlich über Gerechte wie über
Ungerechte. Und nachdem ich bereits über zehn Jahre lang vielleicht
2000 Mal die metta bhavana
geübt hatte, habe ich entdeckt, dass es für mich – inzwischen – besser
ist genau damit, mit der fünften Phase und dem sonnengleichen
Metta-Strahlen zu beginnen und dann erst mich als Metta-Sonne auf
einzelne Wesen, positiv besetzte, negativ besetzte, neutrale, zu
fixieren. Die Übung heißt metta bhavana,
also alles tun, um das Gefühl von metta, die Empfindung Freundlichkeit,
die Emotion Wohlwollen gegenüber den Wesen, spezifischen Wesen und
allgemein allen Wesen, entstehen und wachsen zu lassen. Welche Mittel
für dich dazu geeignet sind, musst du selbst ausprobieren.
Bei unseren sexuellen Phantasien haben wir ja auch herumexperimentiert, was uns am meisten anturnt. Haben entdeckt, was
unsere Lieblingsphantasien sind und verfallen dennoch nicht in die
immer gleiche Phantasie. Diese Kreativität ist auch in der Meditation
gefragt. Natürlich mit etwas anderen Gefühlen und einem anderen Ziel.
Aber mit dem gleichen Spieltrieb!
Ganz
wichtig ist auch die Vorbereitung auf die Meditation. Wenn wir nach
einem anstrengenden Arbeitstag und vielleicht noch einer längeren
Autofahrt hier gerade noch pünktlich ankommen, schnell einen
Meditationssitz aufbauen und auf das Kommando des dreimaligen
Glockentons in die erste Phase der Meditation hüpfen sollen, dann ist
unser Scheitern schon fast vorprogrammiert. Nimm dir Zeit, dich auf die
Meditation in Ruhe vorzubereiten. Wenn du zu Hause bist, dann trinke
vielleicht erst noch eine Tasse Tee, baue dir deinen Meditationssitz,
zünde Kerzen und ggfs. Räucherwerk an oder stelle ein paar Blumen vor
dir auf, vielleicht neben einem Buddhabild. Arrangiere die Blumen
schön, mache diese Vorbereitungen mit freudigem Herzen. Und nimm dir
Zeit, in der Meditationshaltung anzukommen. Hier machen wir als kleines
Ritual die Schreinbegrüßung und mitunter rezitieren wir die Zufluchten
und Vorsätze oder einen anderen Text, um uns auf die Meditation geistig
vorzubereiten.
Bereite dich auch körperlich darauf vor. Sei ganz achtsam bei deinem
Körper. Ich habe hier vor einiger Zeit davon gesprochen, dass es zwei
Anker gibt, auf die wir in der Meditation immer zurückkommen können,
wenn wir abgelenkt sind: den Atem und den Körper. Daher gehe am Anfang
jeder Meditation auf diese Verankerung ein. Betrachte auch vor der metta bhavana
zunächst einige Zeit deinen Atem, einige Atemzüge lang oder auch einige
Minuten lang. Und verankere deinen Körper. Sei dir deiner Sitzhaltung
bewusst, vielleicht machst du die ersten zwei, drei Minuten einen body-scan. Was aber, wenn ich schon zur ersten Phase der Atemachtsamkeit die Glocke schlage? Na, dann machst du eben zwei oder drei Minuten deinen body-scan
und wendest dich dann dem Atem zu. Die ersten drei Glockenschläge
bedeuten schließlich nur, dass jetzt noch etwa vierzig Minuten gesessen
wird, das ist kein Meditationskommando, das heißt nicht: „Präsentiert
den Atem!“
Also:
es geht in allen Bereichen um Flexibilität in der Meditation. Das heißt
nun aber nicht: „Wirf alle meine Erläuterungen weg und mache, was du
willst.“ Das, was ich euch hier über die Meditationstechniken sage,
über die metta bhavana und
über die Vergegenwärtigungen des Atems, ist ja nicht aus einer Laune
heraus erzählt. Es geht hier um ein Jahrtausende altes bewährtes
Wissen. Man sollte das ernst nehmen. Aber man sollte sich das Recht
nehmen, sich von den allzu starren Regeln freizuschwimmen.
Freischwimmen kann man sich natürlich erst, wenn man schon etwas
schwimmen kann. Und zum Schwimmen lernen ist es ganz gut, den
Empfehlungen erfahrener Schwimmer zunächst zu folgen. Auch hinterher
können diese dir noch gute Tipps geben. Aber schwimmen musst du allein.
Das,
was ich heute hier erzählt habe, birgt jedoch auch eine Gefahr. Das ist
die Gefahr des unbedarften Lautenspielerschülers, wie es der Buddha
nennt.
Wenn
man mit der Laute – oder einem anderen Saiteninstrument – ein
wohlklingendes Lied spielen will, so muss man die Saiten des
Instrumentes anziehen. Man darf sie nicht zu fest anziehen, sonst
reißen sie. Davor habe ich euch heute gewarnt: wenn wir zu stringend an
den Meditationsvorschriften und –empfehlungen kleben, dann besteht die
Gefahr, dass das nicht funktioniert, ihr werdet dann keinen Erfolg
haben und das Meditieren wieder aufgeben. Aber der Lautenspieler muss
sich noch vor einem zweiten Extrem hüten,
sagt der Buddha, nämlich davor, dass er die Saiten zu locker lässt. Ein
Saiteninstrument mit zu locker angezogenen Saiten erzeugt keinen guten
Ton. Daher nennt der Buddha seine Lehre auch die Lehre vom mittleren
Pfad.
Was
bedeutet das für unsere Meditation? Nehmen wir das Beispiel der Dauer
der Meditation. Vielleicht merkt ihr, dass ihr mit vierzig Minuten
Meditation überfordert seid. Und dann sagt ihr euch, vielleicht sollte
ich nur zwanzig Minuten meditieren. Und dann stellt ihr fest: da sind
ja auch noch jede Menge Ablenkungen und ihr beschließt nur noch drei
Mal in der Woche, wenn ihr euch gerade danach fühlt, zu meditieren. Und
vielleicht stellt ihr fest: zwanzig Minuten sind doch noch zu lang, wie
wäre es mit zehn Minuten. Das Spiel kann man jetzt beliebig weiter
machen. Am Ende wird irgendetwas stehen, was beileibe nicht mehr den
Namen Meditation verdient.
Sangharakshita
berichtet davon, dass der Gründer und frühere Vorsitzende der
englischen Buddhist Society, Christmas Humphries, der Auffassung war,
es sei einem Europäer nicht möglich, länger als eine Minute zu
meditieren. - Das muss ein erbärmlicher Lautenspieler gewesen sein!
Ja,
es kann sein, dass ihr feststellt, 15 Minuten Meditation sei schon
ziemlich ambitioniert für euch. Dann beginnt mit diesen 15 Minuten
zuhause! Täglich. Und nehmt euch vorher die Zeit, euch gut auf die
Meditation vorzubereiten. Und dann macht es wie jemand, der sich auf
einen Marathonlauf vorbereitet. Der läuft vielleicht anfangs auch nur
fünf Kilometer am Tag. Aber wenn er das drei Wochen macht und sich dann
sagt: drei Kilometer wäre vielleicht auch genug, dann wird er nie die
Kondition aufbauen, die für einen Marathon nötig ist. Vielmehr wird ein
ernsthaft Trainierender nach einiger Zeit statt fünf dann eben sechs
Kilometer laufen. Gehe mit der gleichen Einstellung an dein geistiges,
an dein spirituelles Training, wie du
es auch machen würdest, wenn du auf weise Weise deinen Körper
trainieren würdest. Baue auf, schrittweise, um allmählich mehr zu
leisten. Dabei wird die Tagesform nicht immer gleich sein. Aber nur wer
beharrlich trainiert, wird eines Tages einen Marathon laufen können.
Und nur wer beharrlich an seinem Geist arbeitet, wird eines Tages samma samadhi erreichen,
das, was beim Edlen Achtfältigen Pfad, für den dieses Rad der Lehre
dort hinter euch steht, an achter Stelle steht, ganz oben.
Samma samadhi,
das sind jene hohen Wonnen der Meditation, von denen du dann sagen
wirst, dass das das schönste Gefühl sei, das du jemals in deinem Leben
hattest. Zu Meditation
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