Emotionen in der Meditation

Vortrag von Horst Gunkel in Gelnhausen am 12. Mai 2022



Liebe Freundinnen und Freunde,

heute ist der dritte Praxisabend in diesem Jahr. An diesen Praxisabenden gibt es jeweils eine verkürzte erste Meditation, entweder 20 Minuten Atembetrachtung oder 25 Minuten metta bhavana, und außerdem noch eine geleitete Meditation im zweiten Teil. Davor gibt es jeweils einen kurzen Input, worum es in dieser zweiten Meditation geht.

Wir haben uns am ersten Praxisabend mit dem Luftelement beschäftigt und am zweiten mit dem Erdelement. Folglich stünde heute eigentlich das dritte Element auf dem Programm, das Wasserelement. Ich möchte von dieser Vorgehensweise abweichen.

Ich denke, wir haben uns mit den ersten beiden Elementen noch nicht genug befasst. Wir haben das Luftelement als das Bewegliche betrachtet und das Erdelement als das Feste. Und wir sind dabei sehr verkopft vorgegangen, sehr rational. Rationalität ist gut und wichtig. Irrationalität ist gefährlich.

Aber neben der rationalen Seite haben wir Menschen noch eine andere Seite, die emotionale. Wir sollten uns ganzheitlich sehen, um unserer ganz Gewahr zu sein. Wir sind nicht nur der rationale, nüchtern denkende homo sapiens. Wir haben auch eine emotionale Seite. Die sprechen wir beispielsweise in der metta bhavana an. Aber Emotionalität ist nicht auf eine bestimmte Meditationstechnik beschränkt. Emotionalität ist genauso ein Bestandteil unserer Persönlichkeit wie Rationalität.

Sangharakshita übersetzt das zweite Pfadglied des Edlen Achtfältigen Pfades nicht, wie die meisten anderen buddhis-tischen Lehrer, mit „Vollkommener Entschluss“, sondern mit „Vollkommener Emotion“, um damit aufzuzeigen, wie wichtig es ist, auch unsere emotionale Seite mitzunehmen. Ich gebe ihm recht, dass es ganz wichtig ist, sich klarzumachen, dass es unabdingbar ist, unsere emotionale Seite miteinzubeziehen, wenn wir den Edlen Achtfältigen Pfad beschreiben. Dennoch würde ich nicht soweit gehen, samma sankappa mit „Vollkommene Emotion“ zu übersetzen. Ich ziehe stattdessen „Vollkommene Entschlossenheit“ vor. „Entschluss“ klingt mir zu rational, aber zur Entschlossenheit gehört auch dazu, dass wir nicht nur wissen, was wir wollen, sondern auch dass wir mit ganzem Herzen, also auch mit unserer emotionalen Seite, dabei sind.

Bei den geleiteten Meditationen an den letzten beiden Praxisabenden haben wir besonderes Gewicht darauf gelegt, dass dies vipassana-Meditationen sind, Einsichtspraktiken, die uns auf Unvollkommenheit, auf Vergänglichkeit und auf Nicht-Selbst hinweisen. Nichtselbst ist das Alleinstellungsmerkmal des Buddhismus. Wir erkennen dadurch, dass es so etwas wie ein unabhängiges Selbst nicht gibt, dass unser Körper und alle darin enthaltenen Elemente von diesem Planeten nur geborgt sind, dass da kein unabhängiges Selbst oder Ich ist. Das ist etwas, was wir nur mit unserem Verstand, mit unser ratio erfassen können. Und eben deshalb waren dies sehr stark von rationalem Denken geprägte Meditationen, bei denen naturgemäß die emotionale Seite unterbelichtet war. Diese führen wir nunmehr in die Elementbetrachtungen ein. Daher werden wir heute nochmals eine Atemmeditation üben, eine Betrachtung des Luftelementes in uns und des Luftelementes da draußen. Aber diesmal bemühen wir uns, unsere rechte Hirnhälfte, unsere emotionale Seite stärker einzubeziehen.

Luft ist ein unabdingbarer Stoff um zu überleben. Das klingt rational. Wenn ich stattdessen sage, Luft sei ein köstliches Lebenselixir, dann kommen dabei Emotionen herein. Wenn wir uns vorstellen, wie an einem heißen Sommerabend eine frische Brise unsere erhitzte Haut so angenehm erfrischt, dass uns ein kalter Schauer überläuft, dass sich unsere feine Körper-behaarung zur Gänsehaut aufrichtet, dann kommen deutliche Emotionen herein, fast schon eine erotische Komponente.

Von Erotik wissen wir natürlich, dass sie eine ganz starke Kraft in uns, ein Spannungsfeld aus Emotion und Körperlichkeit. Daher ist es wichtig, diese starke Kraft auch in der Meditation zu nutzen. Damit meine ich natürlich nicht, dass wir uns in der Meditation irgendwelchen erotischen Phantasien hingeben sollen. Aber die angenehmen Emotionen im Zusammenhang mit unserem Meditationsobjekt, die sollten wir schon genießen, ja auskosten. Auf diese Art kommt eine neue Frische, eine angenehme Dynamik, in unsere Meditation.

Man spricht in der Meditationstheorie von fünf Vertiefungsfaktoren, die entwickelt werden, um zu jhana, zu meditativen Vertiefungen zu kommen. Das sind

  1. die Ausrichtung auf das Meditationsobjekt, also z. B. den Atem (auf pali: vitakka)

  2. das Verweilen beim Meditationsobjekt (auf pali: vicāra)

  3. die einspitzige Ausrichtung aufs Objekt, d. h. Es bleibt im Fokus auch wenn in der Peripherie unseres Gewahrseins andere Objekte noch wahrgenommen werden, z. B. Geräusche (auf pali: citt´ekagattā)

Das sind alles Punkte, in denen es um die Konzentration geht. Aber dann kommen zwei weitere Punkte hinzu, ohne die eine wirklich rundherum erfolgreiche Meditation, eine Meditation in den meditativen Vertiefungszuständen, nicht möglich ist, und das sind

  1. Freude (auf pali: pāmojja) und

  2. Verzückung (auf pali: pīti)

Ohne diese ist kein Eintreten in die jhānas, in die meditativen Vertiefungszustände möglich. Diese beiden Faktoren sind es auch, von dem die Mystiker aller Glaubensrichtungen schwärmen, sie bezeichnen es als „unio mystica“ als Vereinigung mit dem Göttlichen. Im Buddhismus spricht man bei einer Gruppe von Meditationen, zu der die metta bhavana gehört auch von „Göttlichen Weilungen“, weil es Gemütszustände sind, wie sie in den Götterwelten vorkommen (wobei die Götter des Buddhismus in etwa den Engeln in der christlichen Religion entsprechen).

Heute also werden wir uns darum bemühen, auch die emotionale Seite der Begegnungen mit dem Luftelement zu erleben. Es wäre gut, wenn dies nicht eine einmalige Sache bliebe, vielmehr ist es wichtig, diese emotionale Komponente auch in unsere übrigen Meditationen zu bringen. Emotionalität gehört nicht nur in die metta bhavana. Sie gehört auch in die Atembetrachtung. Und sie gehört in den body-scan, die Körperachtsamkeit. Sie gehört schlichtweg in jede Art von Meditation. Es wäre gut, wenn wir – wann immer wir meditieren – die emotionale Komponente der Meditation zu entwickeln versuchen, also

  1. die Bedingungen schaffen, dass noch nicht entstandene positive Emotionen sich einstellen können und

  2. die Bedingungen schaffen, dass schon entstandene positive Emotionen sich vertiefen, dass Freude aufkommt, ja dass sie sich zu Verzückung steigert.


Zu Meditation am Obermarkt
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