Die
beiden tugendhaften Könige
Eine Jataka-Geschichte, nacherzählt von Horst Gunkel
Mitunter, so heißt es, erzählte der Buddha Geschichten aus seinen früheren Leben, die sog. Jatakas, die „Geburtsgeschichten“. Einige dieser Geschichten sind vermutlich Gleichnisse, die der Buddha erzählte, andere wiederum teils alte Volksmärchen, die „buddhifiziert“ wurden. Bei der Geschichte von den beiden tugendhaften Königen handelt es sich wohl eher um ein Gleichnis. Der Buddha soll dieses dem König von Kosala im Jetahain erzählt haben, als der um eine Belehrung des Buddha bat. Hier also:
Es war einmal zu jener fernen Zeit, da zu Benares König Brahmadatta regierte. Der Bodhisattva, der in einem späteren Leben zum Buddha werden sollte, ward im Schoße der Hauptfrau des Königs geboren, und man gab ihm ebenfalls den Namen Brahmadatta. Er wurde im jugendlichen Alter in Takkasila ausgebildet und erlangte in allen Künsten die Meisterschaft. Nach dem Tode seines Vaters bestieg er den Thron und wurde so auch zum obersten Gerichtsherrn von Benares. Er fällte die Urteile unparteiisch und mit Gerechtigkeit. Und auch im übrigen Lande nahm sich die Rechtspflege ein Beispiel an König Brahmadatta und so herrschte Gerechtigkeit im ganzen Lande. Und auch die Minister übten Gerechtigkeit gegen jedermann.
Da jedoch die Prozesse mit Gerechtigkeit, Weisheit und Feinfühligkeit geführt wurden, kam es nicht mehr zu falschen Anklagen. Es verstummte das Lärmen der Klageführenden. Und so saßen die Richter am Gerichtstag an der Gerichtsstätte, ohne dass einer kam, um Klage zu führen. Das Gerichtswesen schien völlig obsolet geworden zu sein. Da sagte sich der Bodhisattva: „Wenn ich hier nicht mehr zu Gericht über die anderen sitzen kann, so sollte ich nunmehr gegenüber mir selbst zu Gerichte sitzen. Ich will nachforschen, ob denn noch irgendeine Untugend die Heimstatt in mir habe.“ Er konnte allerdings keine finden.
Also frug er die Minister, die Höflinge und schließlich das Gesinde im Palast, welche Untugenden sie in ihm sähen. Doch niemand konnte ihm eine solche nennen. Und der Bodhisattva sagte sich: „Es ist möglich, dass sie mir aus Angst oder falsch verstandener Höflichkeit keine meiner Untugenden nennen.“ Also begab sich der Bodhisattva verkleidet in die Hauptstadt und frug auf den Märkten, in den Basaren und in den Gasthäusern, ja selbst in den Bordellen, welche Untugenden der König denn habe. Als ihm auch hier niemand eine Antwort geben konnte, verließ er die Hauptstadt um seine Nachforschungen in den Kleinstädten und Dörfern anzustellen, doch auch hier ergebnislos. Schließlich ließ er sich in seinem Wagen in die entferntesten Landesteile fahren, auch ins Grenzgebiet zum Nachbarstaat Kosala.
Und es ergab sich zu dieser Zeit, dass auch der König von Kosala, Mallika mit Namen, der ebenso mit Gerechtigkeit regierte, nach seinen Untugenden forschte, und auch dieser war mit seinem Wagen unterwegs. Schließlich kam es, wie es kommen musste und die beiden Karossen begegneten sich, jedoch just an einer Engstelle der auch sonst nicht sehr breiten Landstraße.
„He du, Wagenlenker“, rief der Kutscher des Königs Mallika, „mach Platz für seine Majestät den König von Kosala.“ „Unmöglich“, rief der andere Wagenlenker, „in dieser Karosse sitzt seine Majestät der König von Benares."
Da hatte sich also ein typisches Problem der Etikette ergeben und die beiden Wagenlenker mussten verhandeln. Man einigte sich darauf, dass dem Älteren die Vorfahrt gebühre. Es stellte sich jedoch heraus, dass beide gleich alt waren. Also wollte man dem des größeren Landes das Vorrecht der Vorfahrt einräumen, doch es ergab sich, das beide Staaten gleich groß waren. Man diskutierte auch Ruhm, Rang, Reichtum, Kaste, Familie usw., doch es ergab sich, dass beide einander ebenbürtig waren. Schließlich kommt Brahmadattas Wagenlenker auf die Idee, man solle dem Tugendhafteren die Vorfahrt gewähren, und er stellte dem Wagenlenker Mallikas die Gretchenfrage: „Wie steht es aus mit den Tugenden deines Herrn?“ Und er erhielt diese Antwort:
„Den
Guten besiegt Mallika durch Güte,
den
Bösen aber auch durch unnachgiebige Strenge.
So
ist geartet dieser König;
geh
aus dem Wege, Wagenlenker!“
Doch der Wagenlenker Brahmadattas antwortete: „Na, wenn das Tugenden sind, dann will ich lieber nicht die Untugenden deines Herrn hören. Wohlan, nun höret von welcher Art die Tugenden meines Herrn sind:
Durch
Milde er den Zorn besiegt,
den
Bösen er besiegt durch Güte,
den
Geizigen durch eine Gabe,
durch
Wahrheit den falsch Redenden.
So
ist geartet dieser König;
geh
aus dem Wege, Wagenlenker.“
Kaum, dass er dies geantwortet hatte, stieg Mallikas Wagenlenker vom Bock und schirrte die Pferde ab, und auch König Mallika entstieg der Kutsche, um seinem Wagenlenker zu helfen, den Wagen von der Straße zu ziehen, um König Brahmadatta von Benares Platz zu machen. König Mallika aber beherzigte die Ermahnung des anderen Wagenlenkers, kehrte in seine Heimat zurück, spendete Almosen und verrichtete andere verdienstliche Werke und schuf sich so noch besseres Karma.
Jetzt sollten wir uns daran erinnern, dass das eine Rahmenerzählung ist, weil eigentlich der derzeitige König von Kosala den Buddha aufgesucht hatte, um von ihm belehrt zu werden. Auf diese Art also belehrte der Buddha den König von Kosala. Und erfügte noch hinzu: „Damals war der Wagenlenker des Königs von Kosala Moggalana, sein König war Ananda, der Wagenlenker des Königs von Benares war Sariputta, der König von Benares aber war ich.“