Reiskoch in Gefahr
erzählt von Horst Gunkel
(c) Copyright by Horst Gunkel - letzte Änderungen 2015-02-02

Der Ch´an-(Zen-)Lehrer Hui Neng lebte von 638 bis 713 u. Z. in China. Er war zunächst ein einfacher Holzfäller, der weder lesen noch schreiben konnte. Er hörte zufällig das Diamant-Sutra und wurde dadurch sofort erleuchtet. Der Rezitator wohnte in einem Kloster und so hatte auch Hui Neng den Wunsch, in dieses Kloster zu gehen. Dort steckte man ihn in die Küche. Seine Aufgabe war es, den Reis zu schälen und zu kochen, denn was sollte man mit einem solchen einfachen Mann schon sonst machen? Holzfäller wurden im Kloster nicht gebraucht, und zum Dharmastudium war ein einfacher Mann wie er sicher nicht zu gebrauchen - glaubten die "gebildeten" Mönche.

Eines Tages forderte der Abt des Klosters (der Fünfte Patriarch des Zen) die Mönche auf einen Vers zu schreiben, um ihr Verständnis des Ch´an zu zeigen. Allen war klar, dass derjenige, der das größte Verständnis der Lehre zeigte, wohl der nächste Abt des Klosters würde.

Nur Shen-hsiu, der intellektuell brillanteste seiner Schüler und Mönchsälteste, schrieb ein solches Gedicht. Aber er brachte es nicht fertig seinen Vers vorzuzeigen. Schließlich beschloss Shen-hsiu den Vers heimlich nachts an die Wand des Ganges zu schreiben, denn wenn Patriarch ihn dort sieht und liest und ihn für gut befindet, würde er hervortreten und sagen, dass er von ihm sei. Der Vers von Shen-hsiu lautete: 

Der Leib, das ist der Bodhi-Baum,
der Geist, er gleicht dem klaren Ständer-Spiegel.
Wisch ihn denn immer wieder rein,
lass keinen Staub sich darauf sammeln.
Nachdem der fünfte Patriarch den Vers gelesen hatte, ließ er Shen-hsiu zu sich rufen und fragte ihn, ob er den Vers geschrieben hätte. Er teilte ihm mit, dass der Vers für gewöhnliche Menschen eine gute Übung sei. Allerdings zeige der Vers auch, dass er sein ursprüngliches Wesen noch nicht erkannt hätte. Der fünfte Patriarch schickte Shen-hsiu zurück in sein Zimmer, um sich zu versenken und noch mal einen Vers zu machen.

Inzwischen ließ sich Hui Neng diesen Vers vorlesen und dichtete ihn spontan zu Ende. Er ließ seinen Vers von einem der Mönche aufschreiben:

Im Grunde gibt es keinen Bodhi-Baum,
noch gibt es Spiegel und Gestell.
Da ist ursprünglich kein (einziges) Ding ?
wo heftete sich Staub denn hin?
Als der Patriarch das Gedicht las, erkannte er sofort, dass Hui Neng die Lehre voll durchdrungen hatte, aber er sah auch welche Gefahr dies für den einfachen jungen Mann bedeutete, denn es würde nicht wenige Neider geben. So ernannte er Hui Neng heimlich zu seinem Nachfolger, übergab ihm seine wertvolle silbergewirkte Baumwollrobe und seine Bettelschale, aber sandte ihn weg, sich versteckt zu halten. Und natürlich wurde nach dem Tod des Patriarchen ein anderer Mönch zum Abt ernannt.

Fünfzehn Jahre lang blieb Hui Neng unerkannt – und auch noch nicht ordiniert. Dann hörte er wie zwei Mönche die Bewegung einer Fahne diskutierten. „Die Fahne bewegt sich“, sagte der eine. „Nein, der Wind bewegt die Fahne“, antwortete der andere. Hui Neng aber kommentierte: „Weder noch, die Bewegung entsteht in unserem Geist.“

Dies wurde dem Abt ihres Klosters berichtet und der erkannte sofort, dass es sich bei dem, der dies gesagt hatte, um den verschollenen sechsten Patriarchen des Zen handeln müsse. Der Abt bat Hui Neng sein Lehrer zu werden. So begann die Karriere eines der größten Zen-Meister.



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Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.