Der Neinsager
erzählt von Saddhaloka, deutsch von Horst Gunkel
(c) Copyright by Saddhaloka and Horst Gunkel - letzte Änderungen 2014-03-05


Der Neinsager war ein Brahmane, der in Savatthi lebte. Er wurde so genannt, weil er den Leuten immer widersprach. Was auch immer jemand sagte, er vertrat die Gegenmeinung. Wenn die Leute „groß“ sagten, sagte er „klein“. Wenn sie „lang“ sagten, sagte er „kurz“. Sagten sie „dick“, so sagte er „dünn“. Es ist wohl müßig zu erwähnen, dass er sich auf diese Weise nicht gerade besonders viele Freunde gemacht hatte, und häufig fand er niemanden, der mit ihm reden wollte. Als er eines Tages hörte, dass der Buddha nahe Savatthi weilte, sagte sich der Neinsager: „Ich werde hingehen und diesen heiligen Mann namens Gotama besuchen, und was immer er sagt, ich werde die Gegenmeinung vertreten. Mal sehen, wie er sich dabei anstellt. Dann werden wir bald wissen, wie heilig er wirklich ist.“

Also ging er zum Jetahain, wo der Buddha häufig zu finden war. Kaum war er dort angekommen, sah er den Buddha, der langsam und achtsam die Gehmeditation ausführte. Der Neinsager ging zum Buddha und begleitete ihn ein Stück. „Nun, Mönch, lass einmal eine Lehrrede hören“, sagte er. Der Buddha unterbrach seine Gehmeditation und drehte langsam sein Gesicht zum Neinsager. Er sah ihm fest in die Augen und sagte dann gewichtig: „Nein. Es gibt keine Lehrrede für dich, Neinsager. Mit deinem verbohrten Herzen voller Zorn bist du nicht in der Lage, klar zu denken und in eine ernsthafte Diskussion einzutreten. Nur ein Mensch, der Zank und bösen Willen in seinem Herzen überwunden und alle Feindseligkeit aufgegeben hat, ist in der Lage, die Wahrheit zu erkennen, wenn er sie hört."

Diese unerwarteten Worte beraubten den Neinsager völlig seiner Selbstsicherheit, und zum ersten Mal verschlug es ihm in der Tat die Sprache. Er war bis ins Mark erschüttert durch die plötzliche Konfrontation mit der Realität. Er sah nun klar, was er all die Jahre mit seiner Streitsucht angerichtet hatte. Voller Gewissensbisse und mit dem Willen, sich von Grund auf zu ändern, öffnete er dem Buddha sein Herz und lauschte aufmerksam seiner Lehre. Noch an diesem Tag bat er den Buddha, als sein Laienanhänger akzeptiert zu werden.



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Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.