Kanakavarna
Retter der Menschen des Großreiches
(c) Copyright by Horst Gunkel - letzte Änderungen 2015-02-01


Die JATAKAS, wörtlich übersetzt "Geburtsgeschichten ", sind ein Teil des Sutra-Pitaka, gehören also zum buddhistischen Kanon, dem Tripitaka. Die Jataka-Geschichten erzählen von den Vorleben des Buddha und zeigen, wie das Verhalten in früheren Existenzen die Umstände der gegenwärtigen Existenz beeinflusst. Viele von ihnen stammen aus der indischen Volkserzählung und wurden von den Buddhisten adoptiert und adaptiert. In vielen dieser Geschichten, die vor lannger Zeit spielen, wird der zukünftige Buddha als ein Tier geboren. Darwin lässt grüßen. 

Einst weilte der Erhabene im Jetahain bei Sravasti zusammen mit 1250 Mönchen. Es kamen viele Menschen und verehrten den Buddha und die Mönchsversammlung. Sie brachten Dana (Almosen), nämlich Gewänder und Nahrung, Sitz- und Schlafgelegenheiten, Medizin und Dinge des täglichen Bedarfes. Da wandte sich der Erhabene an die Versammlung und Sprach: "Mönche!"

"Ja, Erhabener," antworteten da die Mönche, und der Buddha fuhr fort: "Wüssten alle Menschen, o Mönche, um die Frucht des Schenkens, wie es diese Anhängerinnen und Anhänger wohl wissen, sie würden ihr letztes Glas Wasser und ihren letzten Löffel voll Brei nicht verzehren, ohne davon auszuteilen, wenn sie denn einen finden, der der Gabe würdig ist. Doch vielerorts wissen die Menschen eben darum nicht und so wird verstockten Sinnes konsumiert, ohne Dana zu geben.

Woher ich das weiß? Hört die Geschichte einer vergangenen Zeit, damals lebte ein König namens Kanakavarna ("Der Goldfarbene"), ein schöner Mann, dessen Äußeres einem Lotos glich. König Kanakavarna war so reich, wie man es sich heute gar nicht mehr vorstellen kann, er hat Geld, Korn, Gold, Juwelen, Elefanten und Pferde im Überfluss und viele Schatzkammern voll auserlesenen Geschmeides.

König Kanakavarna lebte in der Hauptstadt Kanakavati, einer Stadt von 24 Meilen Länge und 14 Meilen Breite, einer reichen, blühenden Stadt. In seinem Reich gab es zigtausende Städte und Dörfer und die Menschen zählten nach Hunderten von Millionen. Dem König unterstanden 80.000 Finanzbeamte und er hatte einen Harem von 20.000 Frauen. Der König aber war gerecht und von jedermann geachtet.

Eines Tages entschied der König: "Ich werde alle Kaufleute von Steuern befreien, und auch der Zoll wird abgeschafft! Außerdem wird ab sofort die Lohn- und Einkommenssteuer nicht mehr erhoben." Also geschah es und alle Menschen lebten in Glück und Frieden.

Eines Tages jedoch kamen die Hofastrologen zu König Kanakavarna und sagten: "Göttliche Majestät, die Sterne sind in einer äußerst ungünstigen Stellung. Wir haben berechnet, dass eine große Hungersnot kommen wird, denn es wird zwölf Jahre lang kein Tropfen Regen fallen."

Da klagte der König Kanakavarna: "Weh über mein Volk im Reiche Jambudvipa, dem stolzen und mächtigen Land, nicht lange werden wir mehr in Glück leben, dann wird mein Reich leer sein von Menschen und nur der Leichengeruch wird über Jambudvipa wehen."

Als der König nachsann, kam ihm ein Gedanke, und er sah: "Die da reich sind, werden diese Not überleben, die aber arm sind, haben keine Chance." Und so ordnete König Kanakavarna an: "Alle Nahrungsmittel in Jambudvipa sind zu beschlagnahmen und eine Volkszählung ist durchzuführen. In allen Städten und Dörfern und auch in der Hauptstadt sind Vorratshäuser einzurichten und zu bewachen, auf dass alle Nahrung rationiert werde und die Speise gleichmäßig ausgeteilt werde."

So war es vom König entschieden und so ward es durchgeführt. Die Maßnahme ließ sich gut an, und obwohl es die folgenden Jahre nicht regnete, ließ es sich für die Bevölkerung von Jambudvipa auskömmlich leben. So ging es elf Jahre lang, jedoch nicht mehr im zwölften Jahr. Bereits im ersten Monat des zwölften Jahres starben viele Menschen in Jambudvipa an Hunger und Durst. Damals nämlich war alle Nahrung im ganzen Reiche zur Neige gegangen, bis auf eine Portion Reis des Königs Kanakavarna, die noch übrig war.

In jener Zeit lebte in der Welt ein Bodhisattva, der noch in diesem Leben zur Buddhaschaft kommen würde. Dieser Bodhisattva sah, wie in einem Versteck ein junger Mann seine eigene Mutter vergewaltigte. Da war der Bodhisattva sehr betrübt; und er sagte sich: "Ich bin solche Geschöpfe satt, die verklebt sind von Lüsten. Wo er neun Monate in ihrem Leib gelebt hat und dann ihre Brüste getrunken hat, da wird er noch zugrunde gehen. O, wie verkehrten Blickes sehen die Menschen diese Welt, sie sind überwältigt von Gier und Gemeinheit und erkennen ihre eigene Mutter nicht als Mutter und haben keine Ehrfurcht vor Alter und Weisheit. Ich werde dieser Welt entsagen."

Und der Bodhisattva begab sich an die Wurzel eines Baumes, verschränkte seine Beine, saß aufrechten Körpers da und richtete seinen Blick auf die fünf Skandhas. Und er sah: "Alles, was entstanden ist, muss auch vergehen," und erreichte so die Erleuchtung, und als Erwachter stand er auf, als er die Buddhaschaft erreicht hatte.

Und dieser Buddha sagte sich: "Nach all dieser langen Zeit als Bodhisattva werde ich jetzt erstmals als Buddha unter die Menschen treten; wessen soll ich mich erbarmen, indem ich seine oder ihre Almosenspeise annehme und dieser Person so ermögliche, gutes Karma zu machen?" Und mit seinem göttlichen Auge sah dieser Buddha über alle Weltgegenden, wer denn da am würdigsten sei. So erblickte er auch das Land Jambudvipa gerade in dem Augenblick, da sämtliche Nahrung zur Neige gegangen war, bis auf eine Portion, die dem König Kanakavarna gehörte. So flog der Buddha, gleichsam wie ein Vogel, dorthin.

Da sagte einer der Hofbeamten zu König Kanakavarna: "Seht nur, König, dort kommt ein Vogel mit roten Flügeln, gewiss ist dies ein Zeichen." Ein anderer Minister widersprach: "Das ist kein Vogel, das ist ein böser Dämon, der auch Hunger hat und uns gleich alle verschlingen wird!" Aber König Kanakavarna wußte: "Nein, Männer, das ist weder ein Vogel noch ein Dämon, sondern ein Heiliger, der kommt, um uns sein Erbarmen zu zeigen." Und schon landete der Buddha direkt vor König Kanakavarna.

Und eben dieser fragte den Buddha: "Erhabener, zu welchem Behufe erscheint ihr hier?"

"Um zu essen, König!"

Da brach König Kanakavarna in Tränen aus und dachte sich: "O, ich Elender, da bin ich der Herrscher des großen Reiches Jambudvipa und bin nicht einmal in der Lage einem einzelnen Heiligen die Almosenspeise zu biete." Und der König wandte sich an den Aufseher seiner Vorratskammern: "Ist im Palast noch irgend etwas, das ich diesem heiligen Mann anbieten kann?" Dieser aber antwortete: "In ganz Jambudvipa sind die Vorräte gänzlich zur Neige gegangen, bis auf eine einzige Portion Brei, die für Euch reserviert ist, göttlicher König!"

König Kanakavarna aber sagte sich: "Ob ich diese eine Mahlzeit noch esse oder nicht, ich bin, wie alle in meinem Reich, todgeweiht. So soll doch lieber dieses edle Wesen statt meiner essen." Und er wandte sich an seinen Hofstaat und sagte: "Große Freude verkünde ich euch. Diese allerletzte Portion Reisbrei gibt euer König dem Erhabenen. Möge diese Tat dem Heil des Reiches Jambudvipa dienen!" Der König  füllte den Reisbrei in eine Schale, verbeugte sich tief und reichte sie dem Erhabenen. Jener aber nahm die Speise entgegen und entfernte sich, so wie er gekommen war, durch die Lüfte.

Der König wandte sich an seinen Hofstaat und sprach: "Geht hinaus und sagt den Leuten, dass sie sich in ihre Häuser begeben sollen, damit nicht die Straßen übersät sind von Menschen, die verhungert sind." Die Beamten jedoch weigerten sich, knieten nieder und sagten: "Großer König, verzeih uns, dass wir Euch dies eine einzige Mal nicht gehorchen. Aber wir wollen, dass wir im letzten Augenblick unseres Lebens Euch schauen können, großer König."

Inzwischen hatte der Buddha seine Mahlzeit verspeist und es zogen Wolken auf über Jambudvipa. Es ergoss sich Regen und löschte den Staub. Dann aber begann ein eigentümlicher Regen. Es regnete Reisbrei, essbare Wurzeln und essbare Stängel, essbare Früchte und essbare Blätter, essbare Körner, Zucker und Kuchen und alle Bewohner Jambudvipas konnten sich sattessen. Dann regnete es sieben Tage Butter und Öl, alsdann sieben Tage Baumwolle und sieben Tage vielerlei Stoffe, sieben Tage lang Reiskörner, Erbsen, Bohnen, Weizen, Linsen und allerlei Saatgut. Schließlich regnete es sieben Tage lang Gold, Silber und Juwelen.

"So war das damals in Jambudvipa", sagte der Buddha den Mönchen. "Dank der Größe von König Kanakavarna war die Armut aller Menschen am Ende. Und wenn ihr wissen wollt, woher ich das alles weiß, ihr Mönche, so wisset denn, das kommt daher, dass ich in diesem Leben kein anderer war als eben König Kanakavarna. Wüssten die Menschen von der Frucht des Schenkens, so wie ich es weiß, sie würden ihr letztes Glas Wasser und ihren letzten Löffel voll Brei nicht verzehren, ohne davon auszuteilen, wenn sie denn einen finden, der der Gabe würdig ist."

"Gutes und Böses, einst getan, geht nicht verloren,
niemals Liebesdienst, der zum Nutzen Weiser erkoren.
Gute und reine Tat, niedrige und gemeine
reifen immerdar, ein jeder erntet das Seine."

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Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.