Als der Buddha einst mit einer großen Zahl seiner Anhänger in Veranja weilte, kam ein Brahmane namens Udaya, der von seinen Brahmanenkollegen sehr viel kritisches über den Buddha gehört hatte, um den Erhabenen aufzusuchen. Nachdem man die üblichen höflichen Begrüßungsfloskeln ausgetauscht hatte, begann der Brahmane zu reden. Es war ziemlich schnell klar, dass er den Buddha zurechtweisen wollte.
„Meister Gotama, ich habe gehört, dass Ihr es am gebührenden Respekt gegenüber alten und gelehrten Brahmanen fehlen lasst, und ich habe auch selbst mitbekommen, dass das so ist. Das gehört sich nicht, Meister Gotama.“
Der Buddha zögerte nicht mit einer Antwort.
„Brahmane, es gibt keinen in der ganzen Welt, vor dem ein Erleuchteter Respekt haben müsste. Wenn ein Buddha jemandem Respekt erweisen müsste, würde dies dessen sicheres Ende sein.“
„Meister Gotama ist geschmacklos!“ kam die Erwiderung.
„Nun, in einem gewissen Sinne stimmt das, dass ich geschmacklos bin, ich renne nämlich nicht mehr den sinnlichen Geschmäckern des weltlichen Lebens nach. Aber das meint Ihr sicher nicht, oder?“
„Meister Gotama hat keinen Sinn für Werte!“
„Nun, in einem gewissen Sinne stimmt das, dass ich keinen Sinn für Werte habe, denn die Werte des weltlichen Sinnenlust haben in der Tat keinen Wert mehr für mich. Aber das meint Ihr sicher nicht, oder?“
„Meister Gotama lehrt Passivität!“
„Nun, in einem gewissen Sinne stimmt das, dass ich Passivität lehre, denn ich lehre man solle passiv bleiben, wenn man provoziert wird oder in Versuchung geführt wird, und man sollte sich keiner schädlichen Handlungen in Tun, Reden oder Denken hingeben. Aber das meint Ihr sicher nicht, oder?“
„Meister Gotama lehrt Nihilismus!“
„Nun, in einem gewissen Sinne stimmt das, dass ich Nihilismus lehre, denn ich lehre die Vernichtung von Gier, Hass und Verblendung. Aber das meint Ihr sicher nicht, oder?“
„Meister Gotama lehrt Ablehnung!“
„Nun, in einem gewissen Sinne stimmt das, dass ich Ablehnung lehre, denn ich lehre die Ablehnung üblen Handelns mit Geist, Rede und Tat. Aber das meint Ihr sicher nicht, oder?“
„Meister Gotama lehrt die Zerstörung.“
„Nun, in einem gewissen Sinne stimmt das, dass ich die Zerstörung lehre, denn ich lehre die Zerstörung von Gier, Hass und Verblendung. Aber das meint Ihr sicher nicht, oder?“
„Meister Gotama lehrt die Abtötung!“
„Nun, in einem gewissen Sinne stimmt das, dass ich die Abtötung lehre, denn ich lehre die Abtötung allen Handelns, das in Gier, Hass und Verblendung wurzelt. Aber das meint Ihr sicher nicht, oder?“
„Meister Gotama lehnt die Wiedergeburt ab!“
„Nun, in einem gewissen Sinne stimmt das, dass ich die Wiedergeburt ablehne, denn da ich mich selbst völlig befreit habe, werde ich nie wieder in einem Schoße geboren. Aber das meint Ihr sicher nicht, oder?“
Schließlich hatte sich der Brahmane so in seinem Ärger und seinen Anschuldigungen verausgabt, dass ihm nichts mehr einfiel, was er dem Buddha vorwerfen konnte. Als der Buddha dies sah, stellte er seinerseits eine Frage.
„Brahmane sage mir, wenn da eine Henne ihr Gelege sorgfältig bebrütet hat und ein Küken als erstes beginnt, mit seinem Schnäbelchen die Schale zu durchbrechen, bevor die anderen Küken so weit sind, würdet Ihr dieses als das älteste oder das jüngste Küken bezeichnen?“
„Na, als das älteste, Meister Gotama.“
„In genau der gleichen Weise, Brahmane, bin ich in dieser Welt, die umhüllt ist von einer Schale aus Verblendung, der erste, der diese Schale durchbrochen hat und kann so mit Fug und Recht als der älteste Bruder in dieser Welt bezeichnet werden.“
Der Buddha fuhr
fort, die Entfaltung seines Erleuchtungsprozesses zu beschreiben, als fortgesetztes
Durchbrechen von einer Schale, einer Hülle nach der anderen, bis schließlich
die vollkommene Befreiung erreicht wurde. Und als der Buddha endete, war
der Brahmane vollkommen überzeugt und erklärte freudig: „Meister
Gotama ist wirklich der ältere Bruder in dieser Welt. Meister Gotama
ist in der Tat der Beste unter den Menschen. Das ist wundervoll, Meister,
wirklich wundervoll. Das ist gerade so, als wenn etwas, was umgefallen
ist, wieder aufgerichtet worden sei, als ob etwas entdeckt wurde, das lange
verborgen war, gerade so als wenn Licht in die Finsternis gebracht würde,
so dass ein jeder klar sehen kann. Meister Gotama hat mir die Wahrheit
eröffnet. Ich nehme Zuflucht bei Meister Gotama, bei seiner Lehre
und bei der Gemeinschaft derer, die seine Lehre einüben, für
den Rest meines Lebens.“