Wenn nicht wir, wer dann?

Vortrag von Horst Gunkel zum Auftakt des "Buddhistischen Aktionsmonats" im Juni 2018,
gehalten im Buddhistischen Zentrum Essen

Als ich vor einiger Zeit gefragt wurde, ob ich in diesem Jahr im Rahmen des BAM einen Vortrag zu machen, sagte ich spontan zu. Allerdings sollte ich auch ein Thema angeben. Das war schon schwieriger. Allerdings sollte für die Ankündigungrasch ein Titel gefunden werden, und so nannte ich das, was mir spontan einfiel: Wenn nicht ich, wer dann? Erst als ich mich sehr viel später hinsetzte, um mir Gedanken über meinen Vortrag zu machen, fiel mir auf, dass es kaum möglich ist, einen Vortrag mit diesem Titel zu machen, ohne wirklich von sich selbst zu erzählen. Man möge mir also bitte verzeihen, wenn ich dabei relativ viel von mir selbst und meinem Weg erzähle. Ich kann´s einfach nicht besser.
Ende des Vorwortes

„Es wäre unwahrscheinlich toll, wenn alle Leute so handeln würden, wie es meinen ethischen Vorsätzen entspricht.“


Diese Erkenntnis hatte ich als Jugendlicher – damals, als ich begann mich vom Dekalog, von den zehn Geboten, zu emanzipieren. Dummerweise handle auch ich nicht immer völlig im Einklang mit diesen Vorsätzen, aber doch weitgehend.

Einige Jahre später, noch als Schüler, ich las gerade Kants gesammelte Werke und in diesem Fall die „Metaphysik der Sitten“, entdeckte ich, dass Kant genau das gleiche aussagt, wenn auch mit etwas anderen Worten: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Diese Formulierung nennt man den kategorischen Imperativ und dies war fortan meine Leitschnur. Ich berief mich zum Beispiel bei der Kriegsdienstverweigerung auf den kategorischen Imperativ. Und diese Regel hat mich viele Jahrzehnte begleitet, wenn ich auch meine eigene Formulierung vorziehe, ich halte sie irgendwie für verständlicher: „Es wäre unwahrscheinlich toll, wenn alle Leute so handeln würden, wie es meinen ethischen Vorsätzen entspricht. Also fange ich schon mal damit an.“

Ich versuchte auf Basis dieser Maxime zu handeln, privat und auch in sozialen Zusammenhängen, denn ich wollte dazu beitragen, dass möglichst viele Menschen in dieser Weise handelten. Die sozialen Gruppen, in denen ich damals arbeitete waren u. a. (und in dieser Reihenfolge) der „Ausschuss sozialistischer Schüler“, die Frankfurter Roten Zellen und der „Marxistische Studentenbund Spartakus“.

Alle diese Gruppen folgten einer gewissen Ethik, die in großen Teilen auch meiner Ethik entsprach, aber leider nicht völlig. Und mit dem Verweis auf Immanuel Kant, den großen Philosophen des Deutschen Idealismus, konnte ich dort erst recht nicht landen. Hätten Marx oder Engels diesen kategorischen Imperativ abgesondert, wäre das bei diesen Gruppen für mich hilfreicher gewesen, haben sie aber leider nicht – und dies entsprach wohl auch nicht dem marxistischen Ansatz, denn das Verhältis zur Gewalt sieht eine revolutionäre Organisation wohl etwas anders als ich. Zum kategorischen Imperativ gehörte für mich immer auch Pazifismus, das Bekenntnis zum Frieden, heute würde ich sagen: das Bekenntnis zum Metta-Modus.

Also verließ ich alle diese linken Gruppierungen, ging in die Friedensbewegung und landete über diesem Umweg bei den Grünen. Hier gehörte die Gewaltfreiheit zum Marken-kern. Gewaltfreiheit war neben der Ökologie, dem Sozialen und dem Bekenntnis zur Basisdemokratie eine der vier Säulen dieser Partei, der ich 15 Jahre angehörte und für die ich in verschiedenen Gremien und Regionalparlamenten saß. Doch auch hier, so zeigte sich bald, war der kategorische Imperativ oder meine Formulierung: „Es wäre unwahrscheinlich toll, wenn alle Leute so handeln würden, wie es meinen ethischen Vorsätzen entspricht. Also fange ich schon mal damit an“ nicht immer auf Gegenliebe.

Unwahrscheinlich enttäuscht war ich, als eine Fraktions-kollege mich anfuhr: „Horst komm´ aus deinem Wolken-kuckucksheim heraus, die Grünen sind nicht die besseren Menschen, das ist auch gar nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es den etablierten Parteien eine Alternative entgegenzusetzen.“ Vielleicht ist in diesem Moment so etwas wie eine Illusion in mir zerplatzt. Ich war desillusioniert, enttäuscht. Das ist aber eigentlich ganz heilsam, denn Ent-Täuschung ist das Ende der Täuschung. Eine bestimmte Teil-Menge meiner Verblendung war in desem Moment überwunden. Mir wurde klar, dass der ausschließliche Ansatz der Weltverbesserung über die Politik wohl doch nicht der optimale ist.

„Es wäre unwahrscheinlich toll, wenn alle Leute so handeln würden, wie es meinen ethischen Vorsätzen entspricht. Also fange ich schon mal damit an.“

Dieser Satz bedeutet aber auch, dass ich in theoretischer und praktischer Ethik vorangehen muss. Dass zunächst mein Bewusstsein und das derjenigen, die das gleiche anstreben, geändert werden müsste. Dass es wichtig ist inmitten der real existierenden und von Gier, Abneigung und Verblendung geprägten Gesellschaft einen Nucleus von Menschen zu formen, die diese ethischen Regeln ausformulieren, die sie in die Mitte ihres Denkens, Redens und Handelns stellen und so eine gesunde Gemeinschaft inmitten dieser kranken Gesellschaft bilden. Eine Gemeinschaft von der die Strahlkraft des Wahren, Schönen und Guten ausgeht. Und je mehr ich nachdachte, desto klarer wurde mir, dass das nicht über irgendeine Gruppe zu schaffen sei, sondern dass hierfür eine moralische Instanz notwendig sei, eine Instanz, die wohl nur eine Religion liefern kann.

Und so begann ich suchen, ob es nicht eine Religion gab die meinen hohen moralischen Ansprüchen genügte – und ich wurde fündig. Ich stellte fest, dass all das, was ich mir an ethischen Regeln gesetzt hatte noch viel schöner und besser vom Buddha und von seinen Schülern formuliert wurde. - Der nächste Schock war jedoch der Besuch eines buddhistischen Klosters im Rhein-Main-Gebiet, wo ich damals wohnte. Dort wurde eine Zeremonie abgehalten, bei der es auch etwas gab, das „Abgabe der Almosenspeise für die Mönche“ hieß. Ich machte also ein kleines Päckchen zurecht, das für einen in Stille, Schlichtheit und Genügsamkeit übenden Mönch genau das Richtige wäre: Obst, Gemüse, gut ausgewogene Anteile von Proteinen, Kohlehydraten und pflanzlichem Fett und mit vielen Vitaminen und Mineralien – und selbstverständlich vegetarisch.

In dem Kloster – es waren etwa 500 Menschen zur Feier anwesend - wurde meine Gabe jedoch abschätzig gemustert und weit abseits platziert. Es ging dort auch gar nicht um die Speisung der Mönche, sondern um ein Festgelage der Teilnehmer dieser Feier. Da fand sich alles mögliche, und keineswegs nur Vegetarisches, sondern allein mehrere riesige Platten auf denen sich jeweils weit über Hundert Hühnerbeine türmten. Wieder ein Stück Desillusionierung.

Am 27. Januar 1996 führte mich meine Suche nach einer deutlich besseren Sangha zu einem Tag der Offenen Tür hier in dieses Haus – über 300 km von meinem Heimatort entfernt. Auch hier gab es eine Festtafel – allerdings mit ausschließlich vegetarischen, teilweise sogar veganen Gerichten. Von Veganismus hatte ich bis dato noch gar nichts gehört. An diesem Tag erfuhr ich, was das ist und warum das Sinn machte. Da wusste ich: meine lebenslange Suche ist zu einem Ende gekommen, hier gibt es Menschen, die teilweise strengere ethische Maßstäbe anlegen als ich, Menschen von denen ich lernen konnte, wie Ethik, wie Meditation und wie Weisheit entwickelt wird. Ich fühlte mich als Heimkehrer – ganz so wie in der Geschichte vom verlorenen Sohn.

Um es aber auch ganz klar zu sagen: Ich halte Triratna nicht für die beste aller denkbaren Sanghas. Und ich habe auch in den mehr als zwei Jahrzehnte bei Triratna eine ganze Menge Dinge erfahren, die ich als unvollkommen bis deutlich suboptimal bezeichne. Aber diese Gemeinschaft, Triratna, besteht aus Menschen, die sich – mehr oder weniger stark – bemühen, ein ethisches Leben zu führen, aus Menschen die über Ethik diskutieren, die sich in Studiengruppen und Zufluchtsgruppen mit dem Thema Ethik befassen und sich gegenseitig auf diesem Weg unterstützen. Und Triratna ist die Organisation, bei der ich das bislang am deutlichsten spüre.

Ich habe gerade erneut Sangharakshitas „Sehen, wie die Dinge sind“ gelesen. Außerdem habe ich im letzten Jahr bei Triratna Gelnhausen Sangharakshitas „Ethisch leben“ zum Gegenstand eines Jahreskurses aus unserer Reihe „Theorie trifft Praxis gemacht“. Und ich finde es ganz prima, dass Triratna so etwas wie den BAM, den Buddhistischen Aktions-Monat veranstaltet. (Falls jemand es nicht wissen sollte, dies ist ein Vortrag aus der BAM-Reihe.)

„Es wäre unwahrscheinlich toll, wenn alle Leute so handeln würden, wie es meinen ethischen Vorsätzen entspricht. Also fange ich schon mal damit an.“ Das ist ein Satz, der mich lange Zeit begleitet hat. Heute würde ich ihn etwas anders formulieren: „Es wäre unwahrscheinlich toll, wenn alle Leute so handeln würden wie es den fünf buddhistischen Vorsätzen entspricht“, noch toller fände ich es, wenn es gelänge, dass alle Menschen nach den zehn Vorsätzen für Ordensmitglieder handeln würden, die Sangharakshita im Einklang mit der buddhistschen Tradition formuliert hat.

Der Satz „Es wäre unwahrscheinlich toll, wenn alle Leute so handeln würden, wie es den buddhistischen ethischen  Vorsätzen entspricht“ hat dann nur noch einen Nachteil, und das ist der Konjunktiv. Man kann den Satz wie einen frommen Wunsch verstehen. Genau das soll er aber nicht sein.

Ich verstehe ihn daher als Handlungsanweisung. Es gibt genau einen Menschen, den ich mit Liebe und Beständig-keit dahin bewegen kann, so zu handeln und zwar nicht irgendwann, sondern genau jetzt: „Wenn nicht ich, wer denn? Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Vielleicht ist euch aufgefallen, dass das der Titel eines Buches von Ayya Khema ist. Das wusste ich noch nicht, als ich im letzten Jahr begann meine Lebensgeschichte aufzuschreiben, und hatte vor diesen Titel zu verwenden. Ich war jedoch sehr erfreut, als ich erfuhr, dass dieser Titel bereits existierte und dass er von so einer angesehenen Nonne wie Ayya Khema verwendet wurde. Es scheint, dass ich damit nicht falsch liege. Ayya Khema ist wirklich eine ganz außer-ordentliche Figur im neuzeitlichen Buddhismus. Allerdings ist es ihr im Gegensatz zu Sangharakshita nicht gelungen eine Organisation zu schaffen, wie es Triratna ist. Das ist unser ganz großer Vorteil hier bei Trirtana, wir haben eine sehr gute Organisation, wir haben eine große Gemein-schaft, die uns unterstützt. Letztlich ist es die Arbeit jedes Einzelnen, sich zu transformieren. Aber das Sangha-Juwel macht auch deutlich, dass es dabei unablässig ist, dass wir Unterstützung erfahren, Unterstützung vom Sangha, Unterstützung vom Arya-Sangha der Verwirklichten, auf deren Lehre wir zurückgreifen können, Unterstützung vom Sangha der Buddhas und Bodhisattvas, transzendenter Kräfte, die uns Hilfe zur Selbsthilfe geben, und Unterstützung vom Maha-Sangha der Ordensmitglieder, der Mitras, der Freundinnen und Freunde.

Und jetzt möchte ich das mit euch zusammen ganz konkret angehen: Wenn nicht wir, wer dann? Wenn nicht jetzt wann denn? Daher möchte ich erst einmal diejenigen unter euch, die sich in ethischer Hinsicht nicht weiter entwickeln wollen, bitten, den Raum zu verlassen. Für diejenigen unter euch wäre das, was jetzt kommt verschwendete Zeit, geht lieber in die Kneipe und zischt ein Bierchen. Traut euch einfach.


Ich möchte versuchen, dass wir hier – ihr und ich – heute einen wirklichen Schritt machen, unsere Ethik ein klein wenig zu schärfen. Ich möchte versuchen, euch hier und heute zu helfen, dass das Feuer der Transformation in euch zu lodern beginnt. Keine Angst, ich gebe nicht vor, was ihr ändern sollt. Und niemand verlangt von euch etwas, was nicht jede und jeder einzelne von euch möchte.

Ich möchte vielmehr, dass wir jetzt gleich 10 Minuten im Schweigen sitzen und überlegen, was du in ehtischer Hinsicht ändern willst und wirklich ändern wirst. Es ist ganz wichtig, dass du dir kleine, erreichbare Ziele setzt. Es wäre also falsch, sich vorzunehmen: „Ich möchte nie mehr mit dem Auto fahre und damit den Planeten Erde und allen seinen Wesen helfen“. Damit würdest du dein Scheitern vorprogrammieren. Was wäre hingegen eine geschicktere Maßnahme um am gleichen Ziel zu arbeiten? Eine sinnvolle Maßnahme in dieser Richtung wäre: ich besorge mir innerhalb der nächsten vier Wochen eine Jahreskarte für den Öffentlichen Verkehr meiner Heimatstadt. Wenn du die erst einmal hast, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass du mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln fährst, denn bisher sagst du dir vielleicht: die fixen Kosten fürs Auto habe ich sowieso und für die Fahrt brauche ich nur einen Liter Benzin, das ist billiger als eine Fahrkarte. Wenn du erst die Jahreskarte hast, stellst du fest: die fixen Kosten für die Fahrkarte habe ich sowieso – und es fallen 0 variable Kosten an. Auf diese Art programmierst du deinen Egoismus um und stellst deine Wirtschaftlichkeits-überlegungen in den Dienst deines ethischen Strebens, du verwendest also ein gechicktes Mittel. Und selbst wenn du in einem Jahr feststellen solltest, dass du nicht einmal mit Bus oder Bahn gefahren bist, hast du wenigsten dazu beigetragen, dass die Schulden des Verkehrsträgers etwas kleiner sind als ohne dein zutun, dass etwas mehr Geld für die Verbesserung des ÖV vorhanden ist. Du kannst also bei deiner Zielerreichung letztlich gar nicht scheitern. Das ist sicher nur ein Beispiel für eine Maßnahme. Sie ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Genau das habe ich mir selbst vor einem Jahr vorgenommen, als ich hier nach Essen kam. Und ich tat das wohl wissend, dass ich so mehr zahlen werde als mit Einzelfahrscheinen. Und es hat gewirkt. Ich komme tatsäschlich mit Bussen und Bahnen hierher ins Zentrum, auch wenn ich die Karte sonst fast gar nicht benötige. Und lasse statt dessen das Auto stehen.

Und wenn dir auf Anhieb nichts einfällt, dann schau dir einfach die fünf Vorsätze an:
Ich schlage also vor, wir nutzen diese 10 Minuten, um uns einen Plan für eine oder zwei Sachen, die wir wirklich im Bereich Ethik ändern wollen und werden, jede/r für sich. Und damit dies nicht vergessen geht, schreiben wir es uns hinterher auf und stecken diesen Zettel dorthin, wo wir seiner immer wieder Gewahr werden. Wenn du dir also vornehmen solltest, den PC spätestens um 22.30 h herunterzufahren, dann mache den Zettel an den PC. Wenn du dir vornehmen möchtest, kein Speiseeis mehr zu essen, dann steck dir den Zettel so ins Portemonnaie, dass du ihn immer siehst. Wenn du beim Autofahren nicht mehr auf die anderen Verkehrsteilnehmer/innen fluchen willst, dann klebe dir einen Zettel mit der Aufschrift „Ksanti – Geduld“ aufs Lenkrad, wie ich ihn kürzlich bei einem von mir sehr verehrten Ordensmitglied gesehen habe. Aber nimm dir nicht mehr als zwei neue Dinge vor. Wenn du willst kannst du dir im Laufe des Jahres, etwas Drittes vornehmen, aber bitte nicht heute, es soll schließlich auf jeden Fall erfüllbar sein. Wenig, aber wirklich Umgesetztes ist besser als zu viel, woran du sofort scheiterst, damit würdest du dir nur schlechtes Karma machen – denn auch der Weg zur buddhistischen Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert, die nie umgesetzt werden. Andererseits: der Weg zu den himmlischen Sphären und letztendlich auch zu vimukti, zur Befreiung, ist mit kleinen Vorsätzen gepflastert, die dann aber auch wirklich umgesetzt werden. Oder wie eine Zen-Wesiheit sagt: „Oh Schnecke, erklimme den Fujiyama, aber langsam, langsam.“


Wenn nicht ich, wer dann? Wenn nicht jetzt, wann denn?

Formuliere die Vorsätze so, dass du die Zielerreichung eindeutig überprüfen kannst (Also nicht: „Ich will früher zu Bett gehen“, sondern: „Ich möchte mindestens 5 Mal/Woche vor 23 h ins Bett gehen, auch im Urlaub.)

1. Vorsatz für (mindestens) die nächsten 12 Monate:




2.  Vorsatz für (mindestens) die nächsten 12 Monate:




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