Der Weise und das Nullsummenspiel
eine buddhistische Geschichte, nacherzählt von Horst Gunkel
letzte Änderungen: 24. April 2016
Da begab ich mich, das Herz voll von der Liebe zur Frau meines Herzens, zu dem großen Weisen, um ihm von den Tugenden meiner Geliebten zu berichten. Vor dem weisen Mann, lag das Buch des Lebens und in seiner rechten Hand hielt er eine Schreibfeder, wie in alten Zeiten, auch ein mächtiges Tintenfass stand bereit.

„Ich liebe diese Frau“, sagte ich, und bat ihn, mir zu sagen, ob uns den Glück beschieden sein würde.

„Wohlan denn, dann schildere mir deine Frau und ich werde dir aufs Genauste berechnen, ob Glück und Segen auf eurer Beziehung liegen werden,“ sprach der Weise und tauchte seine Feder in die Tinte.

Ich war begreiflicherweise etwas irritiert, denn von einem so weisen Mann hätte ich alles Mögliche erwartet, jedoch keine Berechnung, schließlich ist das Leben kein Rechenexempel. Aber der Weise sah mich mit einem solch erwartungsvollen Lächeln an, dass ich erneut Mut fasste und meine Schilderung begann.

„Sie ist eine ehrbare Frau aus gutem Hause“, begann ich meine Schilderung und erläuterte ihm auch, was ich darunter verstand und was das für mich bedeutete. Freundlich lächelnd nahm der Alte die Feder und malte in sein Buch eine schöne, runde Null.

Ich war jetzt noch mehr irritiert als vorher und überlegte, wie ich meine Geliebte denn ansonsten darstellen sollte und natürlich fiel es mir sofort ein: „Sie ist ungemein gebildet“, fuhr ich fort und legte ihm in allen Einzelheiten dar, welche Bildung sie in den Wissenschaften und Künsten hatte. Der Weise nickte, nahm die Feder und malte eine zweite Null hinter die erste.

Und ob meines verstörten Blickes erläuterte mir der Weise: „Das langt immerhin schon für so viele Tage Glück“ und wies auf die leere Seite mit den beiden Nullen.

Ja, was kann denn der Alte sonst noch erwarten? „Diese Bildung“, fiel es mir auf, „ist umso erstaunlicher, da sie eine noch so junge Frau ist,“ ergänzte ich und sah ihre jugendliche Gestalt vor mir. Der weise Alte jedoch schüttelte nur den Kopf und malte energisch eine dritte Null in sein Buch.

„Glück braucht auch eine materielle Basis,“ eilte ich mich zu versichern, und schilderte ihren materiellen Reichtum. Fast schon ungehalten malte der Alte eine weitere Null auf.

Dann schilderte ich ihm ihre liebreizende Schönheit so deutlich und in allen Einzelheiten, dass sich das Gesicht des alten Mannes zusehens aufhellte und in mir wieder Hoffnung aufkeimte. Kaum hatte ich jedoch diese Beschreibung beendet, da nahm er die Feder und schrieb eine fünfte Null auf.

„Ist das alles, sonst nichts?“ Seine Frage und seine auch Körperhaltung zeigten mir, dass er dieses Spieles allmählich genauso überdrüssig war wie ich.

„Ja“, sagte ich, „ich fürchte, das ist alles.“ Er schickte sich an, das Buch zu schließen, da fiel mir noch etwas ein: „Ach ja, da ist noch etwas: sie hat ein großes Herz und ist freundlich zu allen Wesen.“

Jetzt hellte sich das Gesicht des weisen Mannes auf: "Dann wird euch doch noch Glück beschieden sein, für so viele Tage." Und er schrieb eine Eins auf. Direkt vor die fünf Nullen, was eine beachtlich große Zahl ergab!

Jetzt war auch ich überglücklich. „Danke Meister, Ihr habt mich sehr glücklich gemacht. Doch sagt an, könnt ihr uns noch einen Tipp fgeben, vielleicht so etwas wie ein Lebensmotto?"

Er lehnte sich zurück, lächelte und sagte:

Lebt in Eintracht!

Ich verneigte mich und Dhardo Rinpoche ergänzte noch:

Erfüllt den Dharma mit Leben!
Strahlt allzeit Liebe aus!

Dann löste der Weise sich in Licht auf. Ich aber hatte das Gefühl, dass dieses Licht durch mich durchleuchtete und ich so – ebenso wie meine Frau – in der Lage war, allzeit Liebe auszustrahlen. Daher gelobte ich alle drei Lebensweisheiten Dhardo Rinpoches in das Zentrum meines Denkens, Redens und Handelns zu stellen.



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