Käufliche Liebe und Tod
erzählt von Horst Gunkel
(c) Copyright by Horst Gunkel - letzte Änderungen 2015-02-01


 
Wie fast überall und zu fast jeder Zeit in den letzten Jahrtausenden, wurden auch im alten Indien die Ehen von den Eltern arrangiert. Hierbei musste meist auf geschäftliche und gesellschaftliche Beziehungen Rücksicht genommen werden. Liebesheiraten waren nicht üblich. So wurde auch Uttara, die Tochter des Punna, gegen ihren Willen verheiratet. Was aber ihr, einer Anhängerin des Buddha, dabei das größte Problem bereitete, war die Tatsache, dass ihr künftiger Mann ein gemeiner Weltling war, also einer derjenigen, die ohne spirituelle Ausrichtung dem weltlichen Leben nachgingen. Da sie jedoch nicht gefragt wurde und Ungehorsam gegenüber dem eigenen Vater völlig undenkbar war, fügte sie sich ihrem Schicksal.

So kam Uttara als junge Ehefrau in das Haus ihres Mannes, dessen Name nicht überliefert ist. Und da es außereheliche Sexualität damals allenfalls bei Kurtisanen, also bei Prostituierten, gab, war der sexhungrige junge Ehemann in den ersten Wochen der Ehe natürlich ganz besonders an sexuellen Lustbarkeiten interessiert. Uttara kam ihren ehelichen Pflichten nach, aber dies bedeutete, dass sie wochenlang keine Gelegenheit hatte, mit Mönchen und Nonnen zusammenzutreffen. Auch kam sie nicht dazu, Almosen zu geben oder den Dharma zu hören. Dies war gerade deshalb besonders schlimm, da jetzt die Regenzeit war, in der die Mönche nicht umherzogen. Und ausgerechnet in dieser Regenzeit hatte der Buddha mit einer Schar seiner gelehrtesten Mönche Quartier vor den Toren ihrer Stadt Rajagaha genommen. Nach der Regenzeit würden die Mönche weiterziehen – und wer weiß ob sie jemals in diesem Leben noch Gelegenheit haben würde, den Lehrreden des Buddha und seiner wichtigsten Mönche zu lauschen. Nach zehn Wochen war sie darob ganz verzweifelt und wandte sich mit einer Botschaft, die eine Dienerin überbrachte, an ihre Eltern: „Warum musste ich in dieses Gefängnis? Es wäre besser, in einer buddhistischen Familie als Sklavin zu leben, denn als Ehefrau eines Mannes, den der Dharma nicht interessiert, sondern nur Sex.“

Punna war entsetzt, als er die Botschaft vernahm. Doch wie hätte er seiner Tochter helfen können. Der junge Ehemann seiner Tochter schien sich nur für Sex zu interessieren, die Bedürfnisse seiner Frau aber waren ihm völlig egal. Nach wenigen Tagen des Überlegens hatte er einen Plan. Er sandte seiner Tochter 15.000 Goldmünzen und folgende Botschaft: „Wie du weißt, wohnt in unserer Stadt eine bei den Männern sehr beliebte Kurtisane, die – wie ich weiß - ihr Geschäft ausgezeichnet versteht. Sie heißt Sirima und nimmt 1000 Goldmünzen für eine Liebesnacht. Mit dem beiliegenden Gold kannst du sie für 15 Tage bezahlen. Dann ist dein Mann beschäftigt und du kannst inzwischen dem Dharma gemäß praktizieren.“

Als ihr Mann schlief, begab sich Uttara zur Kurtisane Sirima. Sie waren schnell handelseinig. Sie nahm Sirima gleich mit und präsentierte die Kurtisane, die alle körperlichen Vorzüge hatte, auf die Männer gemeinhin stehen, ihrem Ehemann. Der war sofort einverstanden, diese tolle Sexbombe zwei Wochen lang als Ersatz für seine Ehefrau zu nehmen. Auf diese Art hatte Uttara Zeit, in den letzten beiden Wochen vor dem Ende der Regenzeit Almosen zu geben und Lehrreden zu hören. Also eilte Uttara zum Buddha, berichtete ihm alles und bat ihn, in diesen beiden Wochen mit seinen Mönchen in ihr Haus zu kommen und dort die Almosenspeise einzunehmen. Schweigend stimmte der Buddha zu und Uttara bekam so Gelegenheit, zahlreiche Lehrreden des Erleuchteten zu hören.

Kurz vor dem Ende dieser glücklichen Zeit bereitete Uttara in der Küche die Mahlzeit für die Abschlusszeremonie der Regenzeit. Ihr Ehemann betrat die Küche, um zu sehen, was sie die ganze Zeit mache. Er sah seine Ehefrau schwitzend und rußbeschmiert am Herd hantieren. „Die spinnt“, dachte er, „könnte sie doch den Reichtum genießen! Sie brauchte nicht zu arbeiten! Statt dessen gibt sie 15.000 Goldstücke aus, nur damit ich sie in Ruhe wie wild besessen in der Küche schaffen lasse. Ach, was ist die doch so blöd!“ Er dachte es bei sich und zog sich grinsend aus der Küche zurück.

Sirima aber sah sein Grinsen, als er aus der Küche kam. „Der trifft sich doch tatsächlich heimlich mit seiner Ehefrau!“, entrüstete sie sich: „Was hat denn die, was kann denn die, was ich nicht kann!“ Und die Kurtisane wurde richtig eifersüchtig auf die Ehefrau ihres Galans. So begab sich die zornige Lebedame in die Küche und nahm einen Schöpflöffel voll kochenden Öls, um es über Uttara zu schütten. „Dann wird sie so entstellt sein, dass kein Mann sich mehr mit ihr einlassen will,“ dachte sie voller Hass.

Uttara sah die Kurtisane auf sie zukommen und dachte bei sich: „Dort kommt meine Freundin Sirima, die mir ermöglicht hat, gute Werke zu vollbringen. Ich weiß nicht, warum sie so wütend ist, aber ich will ihr voller Metta, voller liebender Güte begegnen.“

Und voller Metta, voller Freundlichkeit, sah sie Sirima an, die kochendes Öl über sie schüttete. Wie durch ein Wunder prallte das Öl an der liebevollen Aura der Uttara ab, und während Sirima nunmehr versuchte, sich mit einem Messer auf die tugendsame Ehefrau zu stürzen, wurde sie von deren Dienerinnen überwältigt, die ihrerseits voller Wut die Sirima packten. Uttara aber gebot ihren Bediensteten Einhalt und wandte sich an die Kurtisane: „Aber Sirima, warum hast du das denn getan?“

Ob so viel Güte war Sirima überwältigt und warf sich ihr zu Füßen: „Uttara verzeih mir, ich war von Sinnen.“ Uttara aber sagte: „Ich werde dir verzeihen, aber nur, wenn du auch den Buddha um Verzeihung für deine Tat bittest.“ Verständnislos, aber dankbar willigte Sirima ein.

Am nächsten Tag war der Buddha wieder zu Gast. Diesmal hatte Sirima ihre vielen Dienerinnen und Diener die Mahlzeiten zubereiten lassen. Nach der Mahlzeit kniete Sirima vor dem Buddha nieder und bat: „Herr, verzeiht mir!“

„Wofür?“, fragte der Buddha.

Daraufhin erzählte Sirima die ganze Geschichte, ohne irgendetwas zu beschönigen. Der Buddha erkundigte sich bei Uttara, wie sie den Anschlag mit dem kochenden Öl überstanden hätte und diese berichtete, wie sie Sirima Metta, liebevolle Zuneigung, entgegengebracht habe, so dass ihr der Anschlag nichts habe anhaben können.

„Ausgezeichnet, Uttara,“ sagte der Buddha, „das ist genau der richtige Weg, Zorn, Wut und Hass zu überwinden.

Überwinde den Zorn durch Nichtzorn,
Besiege das Böse durch Güte,
Gewinne den Geizhals durch ein Geschenk
Und den Lügner mit der Wahrheit.“
Dann legte der Buddha den Dharma dar. Am Ende der Darlegung hatte Uttara die Einmalwiederkehr (die zweite Stufe des vierstufigen Weges zur Heiligkeit) erreicht, ihr Ehemann und Sirima aber waren Stromeingetretene (erste Stufe des Weges zur Heiligkeit) geworden.

Sirima, die es durch ihre sexuellen Dienstleistungen in der Vergangenheit zu ansehnlichem Reichtum gebracht hatte, hatte mit dem Stromeintritt die gröbsten Formen der Gier überwunden. Sie ging nicht mehr anschaffen, sondern kümmerte sich von nun an um die Mönchssangha. Sie legte ein Gelübde ab, wonach sie jeden Tag acht Mönche verköstigen würde. Die buddhistische Sangha erhielt Eintrittskarten, von denen jeden Tag acht Stück an Mönche ausgegeben wurden. Die Mahlzeiten, die es bei Sirima gab, waren äußerst wohlschmeckend und sehr reichlich bemessen. Und Sirima bediente die Mönche eigenhändig und liebevoll.

„Es wird nur das beste Essen serviert und zwar so großzügig, dass jede Portion für drei oder vier von uns ausreichen würde. Doch das Allerbeste ist die Bedienung: Sirinas Aussehen übertrifft alles, was ihr euch vorstellen könnt, sie ist das wundervollste, charmanteste und liebreizendste Geschöpf, das man sich überhaupt nur vorstellen kann,“ so berichtete einer der Mönche von seiner Mahlzeit.

Der Buddha hörte diesen Bericht mit sehr gemischten Gefühlen. Ein anderer Mönch, ein noch junger Mann, der auch zugegen war, hörte den Bericht auch – allerdings mit sehr eindeutigen Gefühlen. Er hatte Sirima zwar noch nie gesehen, aber allein der Bericht löste in ihm eine große Verliebtheit aus. Er konnte des Nachts nicht mehr schlafen, denn seine Gedanken weilten bei der Frau, und er versuchte so zu liegen, dass seine mächtige Erektion den anderen Mönchen nicht auffiel. Natürlich bemühte er sich nunmehr, eine Eintrittskarte zum Essen bei Sirima zu bekommen.

Der Buddha arrangierte es so, dass dieser Mönch erst dann eine Einladung bekam, als Sirima krank war, vielleicht würde er ja geheilt, wenn er ihren unvollkommenen, kranken Körper sah.  Die Ex-Kurtisane ließ es sich nicht nehmen, auch an diesem Tage die Mönche zu bewirten. Sie war allerdings sehr schwach und musste von Dienerinnen gestützt werden, sie zitterte unter Fieber und hatte dicke Ringe unter den Augen.

Doch am Abend berichtete der junge Mönch den anderen: „Selbst in ihrer Krankheit sieht sie so strahlend schön aus wie kein anderes menschliches Wesen. Wie liebreizend muss sie erst sein, wenn sie geschminkt, in schönen Kleidern, parfümiert und mit Schmuck angetan ist.“ Der Buddha hörte auch dies und diagnostizierte einen besonders schweren Fall von Verblendung.

Am selben Abend erhielt der Buddha von König Bimbisara die Nachricht, Sirima sei ihrer Krankheit erlegen. Der Buddha sah sofort eine Möglichkeit, Verblendung zu heilen. „Sirima hat immer ihren Körper zur Schau gestellt, um sich finanzielle Verdienste zu sichern. In letzter Zeit hat sie sich um spirituelle Verdienste bemüht. Sirima wird nichts dagegen haben, wenn ihr Körper dazu dient, spirituelle Verdienste zu erreichen“, sagte sich der Buddha und bat Bimbisara, den Leichnam nicht gleich verbrennen zu lassen, sondern ihn im Innenhof ihres Hauses aufzubewahren. Allerdings müssten Diener ihn  bewachen um aasfressende Vögel zu betreiben. Inzwischen war keine Regenzeit mehr, sondern die heißeste Zeit des Jahres.

Nach drei Tagen war es so weit. Der Buddha ging zu jenem jungen Mönch, der wie alle anderen noch nicht über das Ableben von Sirima informiert war. „Komm und sieh“, sprach der Buddha lächelnd, „Sirima ist nicht mehr krank. Sie erwartet dich.“ Der junge Mönch konnte sein Glück noch nicht fassen. Und so begab er sich mit dem Buddha zum Haus der schönen Frau.

„Warum will sie, dass gerade ich sie besuche?“ fragte der junge Mann, der immer noch nicht verstand, wie ihm geschah.

„Ich denke, es ist besser für dich,“ sagte der Buddha. Ich habe deine Blicke gesehen und deine Gedanken gelesen. Ich kann dich verstehen. Und Sirima hat nichts dagegen. Also: Du kannst sie haben. Du kannst sie besitzen, ihr Körper steht dir voll zur Verfügung.“

Inzwischen waren sie am Haus der Ex-Kurtisane angekommen.  Der Buddha schupste den jungen Mönch in den Innenhof, wo die nackte Leiche lag. „Viel Spaß!“

Den Augen des Mönches bot sich ein abscheuliches Bild: Da lag die unbedeckte Leiche, bläulich verfärbt, der Körper aufgedunsen, der Mund offen, Käfer und Würmer durchbohrten die Zunge, ein scheußlich süßlicher Geruch lag in der Luft und Tausende von Fliegen saßen auf oder unschwirrten ihren stinkenden Unterleib. Der junge Mönch war kreidebleich und musste sich übergeben.

Der Buddha aber sprach: „Die Männer zahlten tausend Goldstücke für eine Nacht mit diesem Körper. Du aber kannst ihn gratis benutzen. Bedien dich, wenn du willst. Das geschieht mit dem Körper. Er ist vergänglich und wirkt anziehend nur durch Schmuck und die Illusion unseres Geistes. Nur Verrückte finden Gefallen an solch hinfälligem Ding und hegen Illusionen.“

Sirima aber war als Göttin wiedergeboren und weilte dem absurden Schauspiel bei. Sie saß auf einer Wolke und sang:

In jener wunderschönen Stadt am Hügel
War ich Dienerin des berühmten Königs
Ich war Meisterin in Gesang und Tanz
Und in Rajagaha kannte man mich als Sirima.

Buddha, der Meister aller Seher, der, der den Pfad aufzeigt,
Klärte mich auf über den Ursprung des Leidens, die Unbeständigkeit,
Das Nicht-Bedingte und das Aufhören des Leidens
Und über den Pfad dahin, den glückbringenden.

Ich war freudig und stolz, als ich den Erhabenen sah,
den Thathagata, den besten Führer der Menschen, die der Zähmung bedürfen.
Ich verehre den höchst Mitleidvollen, den Zerstörer der Begierden,
Den Anführer jener, die sich am Guten erfreuen.



Zur Heimatseite
Zur Übersicht Meditation und Dharma
Zur Übersicht Buddhistische Geschichten
Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.