„Wem soll ich den Dharma zuerst bringen“, fragte er sich selbst. „Wer wird in der Lage sein, die Wahrheit, die ebenso tiefgründig wie subtil ist, zu verstehen?“ Die Gedanken des Buddha gingen zu seinen eigenen Lehrern zurück, zu Alara Kalma und Uddaka Ramaputra, bei denen er ganz am Anfang seiner Suche geübt hatte. Das waren ernsthafte und begabte Männer, die den Dharma sicher durchdringen könnten, aber mit seinem erleuchteten Auge sah er, dass beide inzwischen gestorben waren.
Als nächstes erinnerte er sich der fünf Wanderer, die seine Schüler während der Zeit der strengen Askese waren und die ihn verlassen hatten, als er wieder begonnen hatte, Nahrung zu sich zu nehmen. Einmal mehr blickte er mit seinem göttlichen Auge in die Welt, und er sah, dass sie im Tierpark von Isipatana (Sarnath) waren, also machte er sich auf, sie zu treffen.
Es war die Zeit der prallen Sonne und der wolkenbruchartigen Monsunregen, und der Weg vom Hain bei Neranjara bis Isipatana betrug viele Tagesmärsche. Also kam er nach einigen Tagen schließlich nach Isipatana in den Tierpark. Die fünf Asketen, seine früheren Schüler, saßen zusammen unter einem Baum, als sie jemanden in der Robe eines Heiligen in der Ferne erblickten. Er schien ihnen bekannt vorzukommen, und schließlich bemerkten sie, wer es war. „Das ist der Wanderer Gotama, der uns im Stich ließ, der den ehrenwerten Kampf aufgab und in ein Leben voller Luxus zurückkehrte! Was will er nur hier?“ fragten sie sich.
Sie entschieden, ihn einfach zu ignorieren, ihm keinen Respekt zu zollen, nicht wie damals, als sie in ihm den größten aller Asketen sahen. Je näher der Buddha jedoch kam, desto weniger sahen sie sich in der Lage, ihren Vorsatz umzusetzen. Irgendetwas in seiner Art und in seinem Auftreten nötigte ihnen Respekt ab, und sie erhoben sich, ihn so zu begrüßen, wie es sich für einen geehrten Gast geziemt. Einer nahm ihm die Robe ab, ein anderer baute ihm einen Sitz aus zusammengefalteten Gewändern, und ein dritter holte Wasser, um ihm die Füße zu waschen.
Zunächst war die Atmosphäre zwischen ihnen steif und höchst förmlich, denn die fünf Asketen fühlten sich noch immer von Gotama verraten, und es war ihnen völlig unerklärlich, wie jemand, der den spirituellen Pfad – so wie sie ihn verstanden – verlassen hat, jene Weisheit erreicht haben sollte, die er ganz offensichtlich ausstrahlte. Aber schließlich mussten sie feststellen, dass derjenige, den sie vor sich hatten, nicht mehr der Gotama war, den sie kannten. Nicht nur, dass er gesund aussah und nicht mehr länger wie der ausgemerkelte und dürre Asket, den sie kannten. Obwohl er von der langen Reise müde und ausgepowert war, strahlte er doch eine ganz besondere Aura und Schönheit aus. Es fühlte sich merkwürdig und bemerkenswert an, in seiner Gegenwart zu sein, selbst wenn sie nur im Schweigen neben ihm saßen. Und sobald er sprach, erschienen seine Worte von ungeheurer Tiefgründigkeit, Weisheit und Einsicht. Er kommunizierte eine Freundlichkeit und ein Mitgefühl, dem sie nie zuvor begegnet waren. So waren die fünf bald so von ihm eingenommen, dass sie ihre Herzen dem Buddha öffneten.
Als er zu reden begann, dämmerte die Ungeheuerlichkeit und die Signifikanz von dem, was hier vor sich ging den fünf Asketen, und schon die ersten Sätze erschienen schier unbegreiflich. Jawohl, Gotama hatte tatsächlich Alter, Krankheit und Tod besiegt. Er war ein wirklich Wissender! Er hatte das erreicht, was sie sich so lange und intensiv bemüht hatten zu erreichen. Und jetzt war er hier, saß bei ihnen und teilte mit ihnen die neu gefundene Wahrheit, den Dharma. Das war alles, wovon sie je geträumt hatten, wonach sie verlangt hatten. Eine Stimmung freudiger Erregung, großer Wichtigkeit und tiefer Ernsthaftigkeit kam über sie.
Und so saßen sie zusammen unter dem Baum im Tierpark und der Buddha begann zu lehren. Er füllte alte Begrifflichkeiten mit neuen Ideen, um diesen Wanderern zu ermöglichen, jenseits der Grenzen des jemals zuvor Gedachten neue Visionen zu öffnen. Manchmal dozierte der Buddha, dann wieder stellten sie ihm Fragen, mitunter saßen sie auch nur in schweigsamer Reflexion und Meditation. Wenig Zeit blieb für Schlaf und Essen. Um sich zu versorgen, gingen mitunter zwei der Asketen weg, um genügend Lebensmittel zu erbetteln, damit es für sie alle reichte. So folgte auf den Tag die Nacht und auf die Nacht der Tag. Plötzlich zeigte sich ein Lächeln auf dem Gesicht von Kondanna, einem der fünf. Er und der Buddha sahen sich an, und da war sofort ein tiefes, freudvolles Verstehen zwischen den Beiden. „Kondanna hat verstanden, Kondanna hat wirklich verstanden!“ rief der Buddha. Die Wahrheit war kommuniziert worden, und es gab nun einen zweiten Erleuchteten auf der Welt.
In den folgenden
Tagen kamen auch die übrigen Wanderer, einer nach dem anderen zur
Einsicht und dazu, die Weisheit und das Mitgefühl des Buddhas zu teilen.
Und am Ende waren sie sechs Erleuchtete.