Sujata und der tote Ochse
eine Jataka-Geschichte, nacherzählt von Horst Gunkel
(c) Copyright by Horst Gunkel - letzte Änderungen 2015-02-01

Es war einmal zu jener fernen Zeit, da zu Benares König Brahmadatta regierte. In dieser alten Zeit wurde der Bodhisattva, aus dem einmal Buddha Shakyamuni werden sollte, im Hause eines Gutsbesitzers wiedergeboren, und man gab ihm den Namen Sujata.

Wie es so geht, starb eines Tages, Sujata war damals gerade ein junger Mann, sein Großvater. Sujatas Vater war seit dem Tode seines Vaters nunmehr in tiefer Trauer. So holte er die Gebeine des Verstorbenen von der Leichenstätte, brachte sie in den Park des Gutshofes und errichtete darüber eine Pagode.

Täglich ging nun Sujatas Vater zur Pagode, betete dort, verehrte den Ahnherrn mit Blumen, Kerzen  und Weihrauch und machte das Totengedenken zu seinem zentralen Lebensinhalt.

Darüber vernachlässigte er sich immer mehr, aß nicht mehr regelmäßig, vernachlässigte die Körperpflege und kümmerte sich mehr schlecht als recht um den Gutshof. Und da die leitende Hand fehlte, begann auch das Gesinde, seine Arbeit zu vernachlässigen.

Eines Tages jedoch begann auch Sujata sich merkwürdig zu verhalten. Er hatte draußen vor den Toren der Stadt einen verendeten Ochsen gefunden. Und Sujata ward nicht müde, Heu und Korn zu holen und es dem Ochsen anzubieten, der sich natürlich nicht um die Nahrung kümmerte.

Die Leute sahen Sujata und sprachen ihn an: „Sag´ mal Sujata, bist du übergeschnappt? Dieser Ochse ist tot, er kann weder dein Heu noch dein Korn fressen.“

„Ihr habt recht“, antwortete Sujata, „sicher ist es ihm zu trocken. Bei dieser Hitze wird der Ochse sicher Durst haben.“ Und er ging zum Fluss, um zwei Eimer mit Wasser zu holen.

Da gingen die verstörten Leute zu Sujatas Vater und sagten ihm: „Dein Sohn ist übergeschnappt, er versucht ein totes Rind dazu zu bewegen zu essen und zu trinken.“

Der Vater war natürlich sehr erschrocken über diese Mitteilung, denn er liebte seinen Sohn über alles. Sein Kummer über den Sohn erwies sich sogar als noch stärker als die Trauer um den Ahnherrn, und er eilte zu der Stelle, die die Leute ihm genannt hatten. Tatsächlich stand dort sein Sohn und ermunterte den Ochsen: „Gutes Tier, es ist Zeit zu essen und zu trinken.“ Und mit der einen Hand hielt er einen Sonnenschirm über den Ochsen und in der anderen hatte er einen Fächer um die Fliegen zu verscheuchen, die sich an dem in die Verwesung übergehenden Aas gütlich tun wollten.

„Mein Sohn“, so frug der Vater, „bist du von Sinnen? Warum um alles in der Welt versuchst du einen toten Ochsen zu füttern und zu tränken. Hast Du den Verstand verloren?“

Da sah der Bodhisattva auf und sprach:

„Hier ist doch noch der Kopf vorhanden
und die vier Füße und der Schwanz,
die Ohren auch sind noch zu sehen:
mich dünkt, der Ochs kann wieder auferstehn.

Doch bei dem Großvater sieht man
den Kopf nicht mehr, nicht Hand, noch Füße;
und doch betest an seinem Grabmal du,
wer hat denn nun den Verstand verlor´n?“

Als dies der Vater des Bodhisattva hörte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, und er erkannte seine eigene Torheit ebenso wie die Weisheit seines Sohnes. Und so sprach der geläuterte Vater:
Befreit hat Sujata mich vom Kummer,
der mir in meinem Herzen wohnte,
er nahm mir den Vaterschmerz,
der mich bisher so ganz erfüllte.

So machen es die weisen Menschen,
die Mitleid haben mit den andern;
sie machen sie von Kummer frei,
so wie Sujata seinen Vater.“



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Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.