Jataka-Geschichte 121 – Kusanali-Jataka:
Mein Freund, der Baum
eine buddhistische Gescchichte aus dem Pali-Kanon, nacherzählt von Horst Gunkel
letzte Änderungen: 2014-11-27
Der reiche Kaufmann Anathapindika war ein glühender Anhänger des Buddha, man kann sogar sagen, dass ihn eine Freundschaft mit dem Erhabenen verband, aber er war auch mit einem Manne einfacher Herkunft, niederer Kaste und von geringem Ansehen befreundet. Da rieten andere Kaufleute dem Anathapindika: „Das ist doch kein Umgang für dich. Dieser ist von niedriger Herkunft, mit so einem solltest du keinen Umgang pflegen.“ Doch Anathapindika mochte den Standesdünkel seiner Kollegen nicht teilen, und als er einmal auf Geschäftsreise war, vertraute er seinem armen Freunde sogar sein herrschaftliches Haus an, auf dass dieser es hüte.

Doch wie er weiter so von seinesgleichen kritisiert wurde, kamen ihm doch Zweifel, und er wandte sich an den Buddha. Der Erhabene aber verwarf diese Bedenken und stärkte Anathapindika den Rücken: Freundschaft sei ein hoher Wert, Vermögen und Herkunft demgegenüber zweitrangig. Entscheidend sei, dass sich ein Freund wie ein Freund verhielte. Und so sei es auch an Anathapindika zu seinem Freund zu stehen. Als dieser zögerlich nickte, sah der Buddha ihn an und sagte: „Soll ich dir einmal eine diesbezügliche Geschichte aus einem früheren Leben erzählen? Freudig stimmte Anathapindika zu und der Buddha begann zu erzählen:

Vor vielen hundert Jahren, als in Benares König Brahmadatta herrschte, ist der Bodhisattva (also ich, der Buddha, in einer früheren Existenz) im Park des Königs als ein Pflanzengeist in Gestalt eines Büschels Kusa-Gras erschienen. Ganz in der Nähe davon stand der wunscherfüllende Mukkhaka-Baum, ein Baum von ausnehmender Schönheit mit geradem Stamm und einer vollen Baumkrone. Dieser Baum, der vom Geist eines früheren Gottes bewohnt wurde, war mit dem Kusa-Grasbüschel befreundet. Und in der Nähe stand eine Parkbank, die ein Lieblingsplatz des Königs war.

Der im Fachwerkstil erbaute Palast des Königs wurde von einem einzigen mächtigen Pfosten getragen, der jedoch morsch war. Also rief der König den Zimmermann und wies ihn an: „Ersetz er mir diesen morschen Pfosten durch einen kräftigen, auf dass mein Palast mich und meine Kindeskinder noch lange erfreue.“

So suchte denn der Zimmermann nach einem kräftigen Baum, aus dem er einen mächtigen Pfosten für des Königs Palast gewinnen könnte. Aber der einzige Baum, der dem Zimmermann tauglich erschien, war der Mukkhaka-Baum. Nun wusste der Zimmermann allerdings, dass der König just dort seinen Lieblingsplatz hatte. Also ging er zum König und berichtete ihm: „Ich haben da einen geeigneten Baum gefunden, es ist in der Tat der einzige, der die Bedingungen erfüllt, die für einen solchen Pfosten nötig sind. Allerdings, Majestät, es ist der Mukkhaka-Baum.“

„Das ist nun wirklich bedauerlich“, sagte der König, „aber ich kann nicht zulassen, dass mein Palast einstürzt. Es bleibt wohl nichts anderes übrig als diesen Baum zu fällen. So werde ich also einen neuen heiligen Baum pflanzen müssen.“
Der Mukkhaka-Baum brach ob seines baldigen Endes in Tränen aus, und seine Freunde, die Waldgottheiten, kamen herbeigeeilt, den Unglücklichen zu trösten, doch wirkliche Hilfe zu spenden wusste keiner.

An diesem Abend besuchte auch der Bodhisattva seinen Freund und als er von dessen drohendem Schicksal hörte, gelobte er, seinen spirituellen Freund zu retten.

Am nächsten Morgen kam der Zimmermann wieder. Und genau zu dieser Zeit nahm der Bodhisattva die Gestalt eines Chamäleons an, schlüpfte in die Wurzel des Baumes, stieg – dessen Farbe annehmend – scheinbar in diesem empor, sodass ein Beobachter glauben musste, der Baum sei hohl, kam am oberen Ende des Stammes wieder heraus und winkte dem Zimmermann zu. Dieser war überrascht bis entsetzt und schlug an den Baum – und tatsächlich: dieser klang irgendwie hohl. „So ein Mist“, sagte der Zimmermann, „ich hätte gestern den Baum gleich untersuchen müssen. Jetzt bin ich vor dem König ganz schön blamiert.“

Und auf diese Art hatte der Bodhisattva, der ein einfacher Kusa-Gras-Büchel war, durch eine List seinen Freund, den Baum, gerettet. Alle Waldgeister versammelten sich nunmehr und stimmten ein Loblied auf den kleinen Grasbüschel an, der Großes geleistet hatte:

Ob er ein Gleicher ist, ein Bessrer,
oder auch einer, gering von Wuchs,
wer immer hilft dem Freund in Not,
ein Retter ist er, wie dieses Kusa-Gras.
Abschließend informierte der Buddha die Zuhörer: „Der Baumgeist, mein Freund, das war Ananda, ich aber war der Kusa-Gras-Büschel.“

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